Die Gnade des Vergessens
Anna Mitgutsch räsonniert im Standard über das "Verfallsdatum von Literatur" und kommt zum schon länger bekannten Schluss, dass auch das Buch als Ware dem Neoliberalismus zum Opfer gefallen sei.
"Wie sollen wir uns dem Verschleiß eines gefräßigen, alle Produkte nivellierenden Marktes entziehen, ohne von diesem Markt zu verschwinden? Wie die Konkurrenz einer Überfülle an Buchware aushalten, ohne die literarische Qualität einzubüßen, die wir uns abfordern müssen und die unser Schreiben überhaupt erst motiviert?", fragt sie zu Recht. Aber ist es wirklich so schlimm, dass sich die Halbwertszeit der Ware Buch - gegenüber den sicher weiterhin existierenden epochemachenden Werken - verkürzt hat?
Ich komme aus einem Metier schnellen Verfalls. "Was du heute schreibst - in das wird morgen der Hering gewickelt", lernte ich in meinem Volontariat und es war mir ein Trost. Mein Erstling über einen dörflichen Angorahasen-Züchterverein, mein erstes dilettantisches Interview mit einem Bürgermeister, mein unseliger Vergleich zwischen heißen Würstchen und sprechenden Computern - was bin ich froh, dass sich an solche Texte niemand mehr erinnert! Aber ich habe damit feuchte Schuhe ausstopfen können und meine Welpen stubenrein erziehen. Nicht, dass ich mir darum weniger Mühe um meine Texte gegeben hätte...
Dann kamen die ach so langlebigen Bücher (ein Exemplar aus dem 17. Jhdt. wird sie alle vom reinen Material her überleben - machen wir uns nichts vor mit billigem Recyclingpapier und TB-Klebung). Als ich mein erstes Buch druckfrisch in Händen hielt, bin ich vor Scham fast im Boden versunken. Die Praktikantin, der man Lektorat und Herstellung anvertraut hatte (der Verlag existiert nicht mehr, da kann man solche Schauergeschichten erzählen), hatte nicht nur ganze Satzteile geschreddert (Fahnenkorrektur gab es nie), sondern auch noch ausgerechnet die schlecht belichteten Fotos ausgesucht. Müssen solche Bücher ewig leben? Jahre später war ich froh, dass es vergriffen war: Meine Kenntnisse hatten sich enorm erweitert, die Wissenschaft war fortgeschritten, der Text restlos überholt.
Und all die Bücher, die ich nach wenigen Seiten weglegte und für karitative Zwecke spendete, Fehlkäufe, weil man den Dschungel des Buchmarkts nicht mehr überschaut und dem ein oder anderen Rezensenten auf den Leim geht. Bücher, die für den einen gut sind und für den anderen Zeitverschwendung. Halbwertszeit - warum nicht? Lasst solche Bücher rotieren, anderen eine Freude machen... Und wenn die eigenen Bücher rotieren: Wieder ein neuer Versuch, eine mögliche Verbesserung, ein Dazulernen. Und auch mal zwischendurch eine schnelle Chance: Wer hätte denn vor zweihundert Jahren das 1001ste Zitatebuch mit schlauen Sprüchen gekauft? Wer hätte einem vor 50 Jahren ernsthaft Geld für irgendwelche Ratgeber in die Hand gedrückt?
In einem hat Anna Mitgutsch leider Recht: Die Entwertung von Text im großen Zusammenhang mit der Entwertung von Kunst- und Kulturschaffen nimmt erschreckende Ausmaße an. In Frankreich ist es derzeit so schlimm, dass Kunst- und Kulturschaffende deshalb auf die Straße gehen. Aber seltsamerweise sind genau die Autoren am schlimmsten betroffen, die an den Neuen Markt glauben, die sich zu Hungerhonoraren für den Massenausstoß von Billigware verdingen, die schnelllebige Trends bedienen und nicht bemerken, wie sie selbst zur völlig austauschbaren Nummer statt zur Marke werden.
Qualität und Können hat auch heute noch seinen Preis. Und Qualitätsbücher gelangen auch heute noch bei Qualitätsverlagen in die Backlist. Ich würde mir wünschen, dass wir weniger lamentieren, wie wunderbar die Zeiten unserer Urgroßmütter waren. (Die meine schuftete bei Herrschaften als Köchin, ob sie jemals zum Lesen kam oder lesen konnte, entzieht sich meiner Kenntnis). Wir sollten lieber genauso lautstark und vor allem selbstbewusst vermitteln, welchen Wert Qualität hat, egal in welchem Metier. Indem sie berühren kann, bewegen, vielleicht sogar verändern.
Und ich denke, vielleicht zu idealistisch, dass die Leidenschaft für unsere - doch hoffentlich sorgfältige - Arbeit, so wir sie vermitteln können, ansteckend wirkt, nachwirkt... Vielleicht nur für eine selige Lesestunde, vielleicht für einen Tag, vielleicht länger. Aber Leidenschaft heißt in dem Land, in dem ich lebe, "passion" - diese Art Hingabe war auch in Zeiten vor Neoliberalismus und Globalisierung noch nie ein bequemes Zuckerschlecken.
"Wie sollen wir uns dem Verschleiß eines gefräßigen, alle Produkte nivellierenden Marktes entziehen, ohne von diesem Markt zu verschwinden? Wie die Konkurrenz einer Überfülle an Buchware aushalten, ohne die literarische Qualität einzubüßen, die wir uns abfordern müssen und die unser Schreiben überhaupt erst motiviert?", fragt sie zu Recht. Aber ist es wirklich so schlimm, dass sich die Halbwertszeit der Ware Buch - gegenüber den sicher weiterhin existierenden epochemachenden Werken - verkürzt hat?
Ich komme aus einem Metier schnellen Verfalls. "Was du heute schreibst - in das wird morgen der Hering gewickelt", lernte ich in meinem Volontariat und es war mir ein Trost. Mein Erstling über einen dörflichen Angorahasen-Züchterverein, mein erstes dilettantisches Interview mit einem Bürgermeister, mein unseliger Vergleich zwischen heißen Würstchen und sprechenden Computern - was bin ich froh, dass sich an solche Texte niemand mehr erinnert! Aber ich habe damit feuchte Schuhe ausstopfen können und meine Welpen stubenrein erziehen. Nicht, dass ich mir darum weniger Mühe um meine Texte gegeben hätte...
Dann kamen die ach so langlebigen Bücher (ein Exemplar aus dem 17. Jhdt. wird sie alle vom reinen Material her überleben - machen wir uns nichts vor mit billigem Recyclingpapier und TB-Klebung). Als ich mein erstes Buch druckfrisch in Händen hielt, bin ich vor Scham fast im Boden versunken. Die Praktikantin, der man Lektorat und Herstellung anvertraut hatte (der Verlag existiert nicht mehr, da kann man solche Schauergeschichten erzählen), hatte nicht nur ganze Satzteile geschreddert (Fahnenkorrektur gab es nie), sondern auch noch ausgerechnet die schlecht belichteten Fotos ausgesucht. Müssen solche Bücher ewig leben? Jahre später war ich froh, dass es vergriffen war: Meine Kenntnisse hatten sich enorm erweitert, die Wissenschaft war fortgeschritten, der Text restlos überholt.
Und all die Bücher, die ich nach wenigen Seiten weglegte und für karitative Zwecke spendete, Fehlkäufe, weil man den Dschungel des Buchmarkts nicht mehr überschaut und dem ein oder anderen Rezensenten auf den Leim geht. Bücher, die für den einen gut sind und für den anderen Zeitverschwendung. Halbwertszeit - warum nicht? Lasst solche Bücher rotieren, anderen eine Freude machen... Und wenn die eigenen Bücher rotieren: Wieder ein neuer Versuch, eine mögliche Verbesserung, ein Dazulernen. Und auch mal zwischendurch eine schnelle Chance: Wer hätte denn vor zweihundert Jahren das 1001ste Zitatebuch mit schlauen Sprüchen gekauft? Wer hätte einem vor 50 Jahren ernsthaft Geld für irgendwelche Ratgeber in die Hand gedrückt?
In einem hat Anna Mitgutsch leider Recht: Die Entwertung von Text im großen Zusammenhang mit der Entwertung von Kunst- und Kulturschaffen nimmt erschreckende Ausmaße an. In Frankreich ist es derzeit so schlimm, dass Kunst- und Kulturschaffende deshalb auf die Straße gehen. Aber seltsamerweise sind genau die Autoren am schlimmsten betroffen, die an den Neuen Markt glauben, die sich zu Hungerhonoraren für den Massenausstoß von Billigware verdingen, die schnelllebige Trends bedienen und nicht bemerken, wie sie selbst zur völlig austauschbaren Nummer statt zur Marke werden.
Qualität und Können hat auch heute noch seinen Preis. Und Qualitätsbücher gelangen auch heute noch bei Qualitätsverlagen in die Backlist. Ich würde mir wünschen, dass wir weniger lamentieren, wie wunderbar die Zeiten unserer Urgroßmütter waren. (Die meine schuftete bei Herrschaften als Köchin, ob sie jemals zum Lesen kam oder lesen konnte, entzieht sich meiner Kenntnis). Wir sollten lieber genauso lautstark und vor allem selbstbewusst vermitteln, welchen Wert Qualität hat, egal in welchem Metier. Indem sie berühren kann, bewegen, vielleicht sogar verändern.
Und ich denke, vielleicht zu idealistisch, dass die Leidenschaft für unsere - doch hoffentlich sorgfältige - Arbeit, so wir sie vermitteln können, ansteckend wirkt, nachwirkt... Vielleicht nur für eine selige Lesestunde, vielleicht für einen Tag, vielleicht länger. Aber Leidenschaft heißt in dem Land, in dem ich lebe, "passion" - diese Art Hingabe war auch in Zeiten vor Neoliberalismus und Globalisierung noch nie ein bequemes Zuckerschlecken.
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