Ich brauche Kunst wie Brot

In diesen Tagen, in denen die Decke der Zivilisation an so vielen Stellen mürbe wird und die Barbarei durchscheint, brauchen wir viel Kraft, viel "Erdung", um durchzuhalten im Engagement für die Menschlichkeit, für Demokratie. Und dabei meine ich das ganz und gar unesoterisch: Nach soundsovielen brutalen Meldungen oder Internetdebatten tut es verdammt gut, sich einfach mal barfuß auf nackten Boden zu stellen und zu spüren, wie dieser Planet uns trägt. Es kann die Perspektiven zurechtrücken.

Petra van Cronenburg: Baobab der Erkenntnis, Acryl, Mischtechnik, Collage, 2018

Für mich ist Kunst so eine Erdungsmethode. Und ich stelle fest, ich brauche sie inzwischen wie Brot. Sie hilft mir, den Schmerz auszuhalten, den einige Menschenfeinde auf dieser Erde verursachen. Sie hilft mir genauso, wie wenn ich ganz kindlich und gemütlich Dr. Who anschaue und mir vorstelle, wie schön es wäre, wenn sich plötzlich herausstellte, dass Trump und all die Rechtspopulisten und Lebensverachter in Wirklichkeit Außerirdische wären. Natürlich käme im letzten Moment der Doctor und würde die Erde retten. Ich weiß, dass er nicht kommen wird und wir das selbst bewerkstelligen müssen. Aber auch moderne Mythen tun gut, weil darin viel von dem steckt, was wir so nötig brauchen: Dr. Who liebt diese oft so fies oder dumpfdumm agierende Menschheit so sehr, dass er sie nicht ins Verderben rennen lässt.

Man braucht also nicht unbedingt die Kunst zur Erdung. Kunst kann jede Menge mehr, kann ganz andere Dinge. Und erden kann ich mich je nach Verfassung genauso mit Holzhacken oder Rasenmähen, mit wildem Herumtanzen oder auf einem Berggipfel Kreischen, mit einem Hobby, bei dem ich abschalten kann.

Eine sehr frühe Version des Bildes: die Collagen scheinen noch durch, Mullkompressen sind aufgeklebt.

Kunst kann mehr und so verlagere ich unwillkürlich Tätigkeiten in sie hinein. Ich bin unzufrieden mit einer ersten Version, will sie wegwerfen, bezeichne sie als Müll. Lerne, dass man nicht aufgeben soll und auf so eine Schicht eine zweite klatschen kann. Ich versuche es, erkenne Verwandlungen, finde Spaß daran. Schicht auf Schicht folgt. Zuerst vorsichtig und zaghaft mit dem Pinsel, so wie Kinder malen, wenn sie "ordentlich" sein sollen. Dann reicht mir das nicht mehr, in diesen Zeiten mag ich nicht brav sein.

... einige Schichten später

Ich trage die Farbe mit dem Malerspachtel auf, kratze mit Malmessern hinein, pockere darauf herum, ziehe Gräben, reiße Wunden auf ... ein dunkles Rot beginnt zu bluten. Eine nächste Schicht: Mullbinden werden verklebt, verspachtelt. Buchzeilen finden ins Bild, verschwinden wieder unter Gesso, als habe sie nie jemand gelesen. An einem Tag, als alles trocken ist, muss ich mit feinsten Linien Unleserliches schreiben, in einer Sprache zwischen Zeit und Raum, asemisches Schreiben nennt man das (mein Blogbeitrag dazu). Aber auch diese Worte werden vergehen - unter Farben, die tönen.

Petra van Cronenburg: Baobab der Erkenntnis, Acryl, Mischtechnik, Collage, 2018 - Detail

Es wandelt sich täglich, dieses eine Bild. Mal nur Gemälde, mal nur wilde Kratzerei. Dann wieder Collage. Ein paar bedruckte Buchpartikel haben sich durchgesetzt, sie stammen aus "Lemprières Wörterbuch" - als habe dieser Baum sie verinnerlicht und und in seinen Himmel ausgepflanzt. Der Titel für das Bild schwirrt mir schon länger im Kopf herum: "Baobab der Erkenntnis", weil ich einen Artikel über das absolut rätselhafte Sterben dieser über 2000 Jahre alten Urbäume gelesen habe. Mein Baum lässt Buchstaben fallen und plötzlich ist das Bild fertig.

Petra van Cronenburg: Baobab der Erkenntnis, Acryl, Mischtechnik, Collage, 2018 - Detail

Während ich male, spricht das Bild mit mir, spreche ich mit dem Bild. Manchmal ahne ich Zusammenhänge, dann komme ich durch den nächsten Riss schon wieder fast von der Fährte ab.

Petra van Cronenburg: Baobab der Erkenntnis, Acryl, Mischtechnik, Collage, 2018 - Detail

Mein neuestes Bild beginnt mit einer Schicht aus viel zu viel Orange, leider, aus dem Braunrot von geronnenem Blut und Düsterschwarz. Ich werde wohl sehr kräftig mit Messern arbeiten, mit der gefärbten Fliegenklatsche zuschlagen. Ob ich es schaffen werde, daraus Schönheit zu bilden? Auf alle Fälle wird es zuerst einmal mir gut tun. Mir ist in diesen Tagen nach Kratzen, Stechen, Schaben, Reißen ...

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