Dieses miese fiese Jahr?

Manche können es in Social Media schon nicht mehr lesen: "2016 soll gehen, das Jahr war schlecht, böse, löschen wir es am besten aus!" Fast wie ein Mem verbreitet sich das Draufhauen auf ein einziges Jahr und verspricht so viel Quote, dass Lanz gestern sogar eine Show drumherum bastelte. Pardon, eine Hommage an die Verstorbenen. Mathematisch ist die Sache einfach: Viele Idole aus der Kindheit der Babyboomer sind 2016 gestorben - und die kommen ja langsam selbst in die Jahre, in denen der ein oder andere Verlust unter Freunden und Verwandten zu beklagen ist. Eine zahlenmäßig sehr starke und vor allem medial sehr aktive Generation wird an den Tod und die eigene Sterblichkeit erinnert, während die Generation What womöglich über die "Omas und Opas" mit ihren lockeren Tränendrüsen lächelt. Aber die hockt bei Whatsapp und nicht bei Facebook.

Die Idole sterben, wer gibt uns Orientierung in unruhigen Zeiten? Zu viele Bauernfänger stehen bereit.

So bleibt es nicht aus, dass die Meta-Diskussionen beginnen: Ist es wirklich dieses verdammte eine Jahr? Ist 2016 böse, besonders schlecht? Vernunftargumente helfen hier wenig weiter. Auch in anderen Jahren starben wunderbare Stars. Gleichzeitig wurde 2016 das Mittelmeer zu einem Grab für mehr als 4500 (!) Menschen: Was nur am Anfang Kerzchen bei Twitter hervorbrachte, was im Gegenteil hasserfüllte, lebensfeindliche Menschen ganz und gar nicht davon abhält, gegen solche notleidenden Menschen zu hetzen oder ihnen das Dach über dem Kopf anzuzünden. Wie verträgt sich das miteinander? Auf der einen Seite kollektives Kerzenbildchen-Teilen und R.I.P-Posten - auf der anderen Seite gesellschaftliche Eisekälte und sogar Todeswünsche? Auf der einen Seite Idole, von denen wir glauben wollen, wir wüssten so viel über sie wie über Familienmitglieder - auf der anderen Seite belassen wir Schicksale in gesichtslosen Zahlen, austauschbaren Mengenwörtern. Was passiert da, was macht das mit uns?

Politisch geht es "2016" ähnlich. Man macht das Jahr für den Brexit verantwortlich, für das Erstarken der Rechtspopulisten und für Donald Trump. Mag sich geballt so anfühlen, sollte aber eigentlich eher ein Warnzeichen dafür sein, dass wir all die Jahre zuvor weggeschaut und fleißig verdrängt haben! All das kam nicht plötzlich. Der Brexit ist nur ein Endpunkt einer seit Jahren schwelenden Entwicklung in Großbritannien. Vielleicht wird er, dank der Verschleppungstaktiken und all dem, was nun an Negativem für seine Anhänger daraus erwächst, nicht einmal ein Endpunkt werden? Vielleicht wird jemand eine besonders elegante Methode finden, ihn doch noch ad acta legen zu können? Auch die Rechtspopulisten unterschiedlicher Länder und das warnende Beispiel Trump sind nicht 2016 herbeigezaubert worden. Sie treiben seit Jahren ihr Unwesen. Und sie machen sich Situationen zunutze, die seit Jahren unbearbeitet schwelen - sie leben von den Versäumnissen anderer. Sie werden 2017 sogar noch viel härter zuschlagen, mit Wahlkampf in Frankreich und Deutschland. Werden wir dann auch jammern, wenn das Kind längst in den Brunnen gefallen ist: "2017 geh weg!"? Oder werden wir vorher den Hintern hoch bekommen und aktiv daran arbeiten, dass wir mit 2017 zufrieden sein können?

Des cons sur terre - Idioten auf der Erde - nur 2016?
Keine Frage: Wir leben in Umbruchzeiten. So langsam spürt das eine Mehrheit der Menschen. Spätestens seit der weltweiten Finanzkrise hätte klar sein müssen, dass es so nicht weitergehen kann. Aber zumindest Historiker wissen, dass neue Konzepte Entstehungszeit brauchen, wenn sie Menschen weiterhin Freiheit und Demokratie garantieren sollen. Schnelle und bequeme Lösungen fühlen sich wohlfeil an, aber genauso schnell ersticken sie die Freiheit, das Leben. Wer in der Türkei, in Ungarn oder Polen lebt, kann ein Lied davon singen, wie schnell zivilisatorische Errungenschaften zerstört werden können. Wie zerbrechlich Freiheit ist.

Mit Vernunft ist diesem Gefühl jedoch nicht beizukommen. Im postfaktischen Zeitalter ohnehin nur schwer, denn Emotionen ersetzen allzu oft die Fakten. Früher haben wir einmal gelernt, in der Kommunikation klar zu trennen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. "Das empfinde ich so" oder "Ich fühle das so" haben wir gesagt und die Sache war klar: Gefühle meines Gegenüber muss ich respektieren, die sind erst mal real (falls es sich nicht um reine Gefühlsduselei handelt). Und nur derjenige, der die Gefühle hat, kann wirklich wissen, wie sie sich gerade anfühlen. Genauso aber muss mein Gegenüber akzeptieren, wenn ich sage: "Das ist dein Gefühl (das ich achte), aber die Fakten sprechen eine andere Sprache."

Jeder, der einmal wirklich und wahrhaftig um jemand Nahestehenden getrauert hat, kennt diese Phase, wenn nach blinder Wut und schierer Verzweiflung ein kleines Lichtchen aufblitzt, das uns allmählich ins Leben zurückzuholen vermag. Meist sind es Nichtigkeiten, welche die Welt plötzlich heller machen: Ein Moment, in dem wir so versunken sind, dass wir einmal keinen Schmerz mehr spürten; ein vorsichtiges Lachen, das sich aus uns herausstiehlt. Es ist der Verstand, der uns dann endgültig ins Leben zurückholt. Der uns das bewusst macht. Weil wir mit dem Verstand unsere Gefühle betrachten und Situationen gewichten können. Mein Verstand sagt mir dann: Wenn ich einmal aus Versehen lachen konnte, werde ich eines Tages vielleicht wieder öfter und mit Lust lachen können. Wenn ich für einen Moment lang meinen Schmerz vergessen konnte, dann heißt das doch, dass es auch wieder eine Welt außerhalb des Schmerzes geben kann!

Vielleicht trifft es auch ein wenig das, was in Social Media gerade scheinbar (!) miteinander im Clinch liegt: Wir haben noch nicht wirklich eine Kultur entwickelt, virtuell mit Polaritäten im Leben umzugehen. Im Gegenteil, längst ist durch die Hasskultur im Internet eine Kommunikationskultur der künstlichen Polarisierung entstanden. Sitze ich einer Freundin persönlich gegenüber, kann ich ungestraft sagen: "Jetzt bist du aber gefühlsduselig!" Und keine zwei Minuten später kann ich aus ehrlichem Herzen heraus mit ihr gemeinsam heulen. Weil die Freundin weiß: Wir sind beides. Beides hat Platz. Beides müssen wir uns sagen können. Aber in Social Media verschwinden die Beiträge im Algorithmen-Takt. Manche sehen nur die Facetten der Facette. Andere lesen nicht richtig hin. Jemand will sich vielleicht nur selbst bestätigen. Und schon passiert es. "Du bist arrogant! Du bist dumm! Du bist eiskalt! Nein du! Das Jahr ist böse!" Aber so funktioniert das Miteinander nicht.

Es wird viel gegackert, wenn der Tag lang ist. Aber wie viel Miteinander ist möglich hinter hochgezogenen Zäunen?
Übrigens stammt dieser Spruch mit dem bösen Jahr 2016 noch nicht mal von den Leuten, die ihn gerade gebetsmühlenartig wiederholen. Er ist tatsächlich ein Mem, ein verselbstständigtes Zitat von Madonna: "Can 2016 fuck off NOW?" Aber Madonna hat auch einmal gesagt: "Never forget to dream!"

Und das, finde ich, vergaßen wir in diesem Jahr 2016 vielleicht zu oft. Alles hat seine Berechtigung und seine Zeit: Das Trauern oder die kurze Betroffenheit, das Problembewusstsein und die Analyse von Missständen. Aber dann muss auch wieder Licht kommen. Wir haben nur dann eine Zukunft, wenn wir schon unsere Gegenwart lebenswert gestalten. Dazu brauchen wir gerade in Social Media auch die anderen Geschichten. Gestehen wir uns überhaupt noch das Träumen zu?

Damit meine ich nicht die Pseudo-Heile-Welt, wie sie manchmal bei Instagram regelrecht über einen  hereinkracht. Frauen, die sich in verwechselbare Barbiepuppen umwandeln, und Männer, die schwere Schlitten betatschen. Wenn mir jemand auch noch im 50sten Foto seine Muckis entgegenstreckt, befällt mich eher Mitleid. Und ich möchte diejenigen mit den Hohlbauchwettbewerben, die in angesagten Luxusorten wie Spatzen Salat picken, einfach nur eine Frage zurufen: Wann hast du das letzte Mal in deinem Leben wirklich mit Lust und Genuss gegessen? Ich übertreibe natürlich der Anschaulichkeit wegen, es gibt auch die anderen Menschen bei Instagram. Aber es fällt mir immer extrmer auf und es wäre einen eigenen Beitrag wert, irgendwann (über unseren Zwang zu einem unsterblichen Perfektionismus). Die ständige Konfrontation mit Hass und Geifer einerseits - und einer ungemein geschönten, inszenierten Welt der Perfektion, in der Tod und Zerfall nichts zu suchen haben, bringen uns in Gefühlsstress. Wir sehen jeden Morgen im Spiegel, dass wir anders altern als eine 18jährige im Hochglanz-Account. Und dann stirbt auch noch unser Idol von anno dunnemals, als wir selbst jung und knackig waren. Wenn das keine Zeit für saftiges Jammern ist!

Irgendwann war ich selbst so weit: Ja, 2016 war das Allerletzte. Auch privat, dachte ich. Ich habe, obwohl ich mich erholen sollte, bis zum Umfallen gearbeitet. Die neue Firma trägt sich noch nicht wirklich. Das Geld fürs Heizöl musste ich mir von einem Freund borgen. Und ich habe eine Beinahe-Kollegin verloren, mit der ich so wunderbare Pläne hatte. Decke über den Kopf und gejammert: "2016, du kannst gehen!"

Zum Glück hatte der Hund die Decke in Beschlag genommen. Mein persönliches 2016 kann ich nämlich auch ganz anders lesen: Ich habe eine Arbeit gemacht, die mich voll und ganz erfüllt, die wunderbar und faszinierend ist. Eine neue Firma kann mich gar nicht nach nunmehr erst sieben Monaten "reich" machen. Aber ich habe einen irre großen Schritt getan: Ein völlig neues Metier in meinem Alter, handwerkliches Lernen im Schweinsgalopp, alles alleine gestemmt und dann läuft es so vielversprechend an! Mit einer einzigen Ausnahme nur fantastische Kundinnen gehabt und erkannt: Für solche Frauen will ich weiter arbeiten, denen will ich mit meinem Schmuck Freude und ein gutes Gefühl schenken! Und in dem Moment, in dem ich mir Geld leihen musste, hatte ich das unsägliche Glück, spontan nach einem vorübergehenden Minijob greifen zu können. Zwar arbeite ich Doppelschichten dadurch, aber ich werde das Geld zurückzahlen können! Und die Beinahe-Kollegin? Stand mir mit ihren ewigen Bedenken (wird ein eigener Blogbeitrag über Fußangeln bei der Existenzgründung werden) in der Rückschau nur im Wege und hat jetzt eine Lücke gelassen, in die neues Licht scheint. Ich habe so viele Ideen für 2017!

Schon sieht mein Jahr anders aus. Ich kann das nur empfehlen: Einfach mal auf ein großes Blatt Papier wild und bunt aufschreiben, was 2016 gut war. Was richtig lief. Was positiv überraschte. Jeden noch so kleinen Schritt notieren, wo wir mit uns zufrieden waren. Oder etwas, das uns gut getan hat. Menschen, die uns wichtig sind. Menschen, denen wir schon lang mal wieder sagen wollten, wie sehr wir sie schätzen. Verbrennen wir ruhig den alten Kalender. Aber dieses Blatt Papier, das sollten wir immer wieder zur Hand nehmen, wenn uns die Jammerstimmung überkommt. Vielleicht sehen wir dann, dass wir gar nicht so große Versager sind, wie wir uns das gern selbst einreden. Wie es uns andere einreden wollen. Und vielleicht kommen uns dann wieder mehr Ideen, was wir 2017 tun können - in unserer allernächsten Zukunft. Madonna hat nämlich auch gesagt: "Never forget to dream!"

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5 Kommentare:

  1. Ich denke nicht, daß die Bosheit eines Jahres von den Verstorbenen abhängt, sondern doch wohl eher von dem was die Lebenden anstellen...

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    1. Ein wichtiger Aspekt, an den ich gar nicht gedacht habe. Danke Connie!

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  2. Das ist sehr wahr und wunderbar! Es ist wie in der Geschichte mit den zwei Wölfen: denjenigen den ich füttere - der wächst. Angst/ Hass oder Liebe. Wir haben die Wahl. Nicht ein Jahr oder was auch immer.
    In meiner Region wünscht man sich zum Jahresende keinen " Guten Rutsch", sondern einen " Guten Beschluß". Das wünsche ich dir auch, liebe Petra. Und einen wunderbaren Start ins neue Jahr mit einem nie versiegenden Strom an Ideen und Möglichkeiten. Liebe Grüße von der Notaufnahmeschwester

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  3. Well, gegen das meiste lässt sich nichts sagen und einigem unbedenklich zustimmen :-) Der Wunsch nach vorne zu schauen, ist ein evolutionärer Selektionsfaktor der das Überleben oft erst möglich macht - unsere Vorfahren anno 150.000 v. Chr. hatten auch verdammt miese Jahre und wenn die den Kerschel (hess. für Krimskrams) hingeschmissen hätten, dann gäbe es uns nicht. Was für die Welt allerdings eventuell von immensem Vorteil gewesen wäre.
    Was mich etwas verwundert, ist deine These, dass "wir früher" immer genau getrennt hätten zwischen Emotion und Fakt, dass wir immer gesagt hätten. "Ich fühle ...". An solche Zeiten erinnere ich mich nicht, sondern an Zeiten, in den Steine flogen, Demonstranten überrollt wurden, es einen Anschlag aufs Münchner Oktoberfest gab und Leute in den Kneipen die Stammtischparolen absonderten, wie wir sie heute auch kennen.
    Auch befremdet mich jedes Mal, wenn jemand das formuliert (und das geschieht häufig, dass aufgewogen wird: 4500 ertrunkene Flüchtlinge, über die reden die Medien nicht, aber über, sagen wir: Alan Rickman. Stimmt nicht. Die Medien berichten und nur von ihnen wissen wir es. Und es ist eben so, dass wir immer und seit dem Beginn des Menschseins, immer eher über eine tatsächlich oder vermeintlich bekannte Person trauern konnten als über 4000 oder gar zig Millionen, die in uns kein Bild wecken - oder eins, das wir schnell wegschieben. Das ist es, was Filme wie "Schindlers Liste" so wichtig macht: Das Unrecht, das Leid, das Sterben - sie bekommen Gesichter, werden erlebbar und sorgen so dafür, dass wir Schlüsse ziehen können, dass wir trauern können, dass wir den Mut in uns finden, verhindern zu wollen, dass Derartiges wieder geschieht.
    Hunderttausend ertrunkene Taifunopfer werden uns auch in Zukunft nie das Gefühl entlocken, das uns ein Mensch gibt, der für etwas steht, das wir individuell oder als Feld mit Emotionen bis zum Rand angefüllt haben. Nimm Diana. Lange vor Facebook war ihr Tod ein Feldereignis - eine Welle, die nicht von Menschen, sondern von der Menschheit Besitz ergriff. Weil sie, warum auch immer, für viele etwas verkörperte, das in diesem Augenblick zerbrach. Kaum jemand kann sich einem solchen Phänomen entziehen - weder der Abwehr oder der relativen Gefühllosigkeit bei scheinbar gesichtslosen Mengen von Opfern, noch der Ikonisierung von Individuen, über die man letztlich nichts weiß.
    Unterm Strich fühle ich mich geehrt, dass ich dich mit meinem Post zu diesem Beitrag mit animiert habe - ich nehme an, es juckte dich schon vorher in den Fingern - und ich schätze es sehr, dass solche Diskussionen noch geführt werden und geführt werden können. Es gibt allzu viele Länder, in denen selbst solch scheinbar harmlose Behandlungen eines Themas schon Gefängnis oder Tod bedeuten können.
    In viel zu vielen Ecken und Winkeln unseres eigenen Landes wird es zunehmend unmöglich, solche Gespräche zu führen, weil der Gesprächspartner tatsächlich die postfaktische Keule zückt.
    So lässt sich zusammenfassend sagen, dass es erfreulich ist, diesen Beitrag zu lesen und man sich mehr davon wünschen sollte.

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    1. Danke für dein reiches Feedback, Gundel, schätze ich sehr, zumal wenn's hier direkt stattfindet und nicht bei FB verlorengeht (obwohl man jetzt hier direkt bei FB kommentieren kann, anderer Reiter).

      Du hast mich ertappt bei der immens unsauberen Formulierung mit "wir früher". Ich dachte zwar an ähnliche Zeiten wie du, aber auch an all die damals aufkommenden Kommunikationsratgeber, die uns das säuberliche Trennen und Akkuratsein einschärften. Und ich bin berufsblind - in meiner Journalistinnenausbildung Mitte der 1980er lernte ich noch, zwischen Gefühl und Tatsache sehr genau sprachlich zu unterscheiden. Das scheint mir heute leider stark verlorengegangen zu sein, wobei sicher nicht zuletzt die Geschwindigkeit verstärkend wirkt.

      Was du zum Thema gesichtslose Massen und Gesichter schreibst - da musst du mir gar nicht widersprechen, denn genau das schreibe ich ja. Darum geht es auch.

      Ich habe nirgends behauptet, die Medien würden über die Ertrunkenen nicht berichten, ich habe sogar genau dort extra einen Medienlink gesetzt, um zu zeigen: Schaut, das findet auch in den Medien statt. Und auch wenn ich rhetorisch Paarungen bilde, dann sind die eben nicht, wie oft in Social Media missinterpretiert, automatisch Gegensätze. Es sind Dinge, die NEBENeinander stehen. Wie ich später schreibe: Wir sind BEIDES. Wir sind als Menschen nicht logisch, sondern oft sogar paradox.

      Ich gebe dir da völlig recht, du hast es gut beschrieben, was eine Ikone ausmacht und wie man gesichtslosen Opfern ein Gesicht geben kann!

      Als ich mein Buch über Vaslav Nijinsky schrieb, versuchte ich immer wieder, dieses Phänomen der Ikonen an seinem Beispiel zu greifen. Er war ja nicht nur gleich alt wie Charlie Chaplin, sondern wurde gleichzeitig zum Weltstar. Und damals gab es nicht so viele Weltstars. Bei ihm war das interessant: Obwohl er zu früh starb, war das 1950 eher ein "offizieller" Schmerz - er stammte aus Zeiten, die viele sich nicht mehr vorstellen konnten oder wollten und die Leute hatten anderes im Kopf. Der eigentliche Schock ging um die Welt, als er 1919 in die Psychiatrie zwangseingewiesen wurde. Das war damals nicht nur tragischer als ein natürlicher Tod. 1919 lag Europa, lag eine ganze Welt in Trümmern, standen die Menschen nach einem der größten Alpträume vor dem Abgrund. Der Krieg hatte Millionen psychiatriereif gemacht, es ging so vielen wie diesem Star. Und er hatte all das verkörpert, was die Welt verloren hatte: Ein offenes Europa, das bis nach Petersburg reichte, ein quirlendes, kreatives Leben mit Emigranten in Paris - die Avantgarde. Ikonen müssen Projektionsfläche bieten ... was ihnen übrigens auf andere Weise ihr wahres Gesicht nimmt.

      Wie gesagt, da bin ich ganz bei dir. Und mir persönlich würde es sehr viel besser gefallen, wenn nicht nur 1001x "RIP" geteilt würde, weil's so schön bequem ist, sondern wenn wir uns öfter erzählten, was uns diese oder jene Ikone bedeutet oder woran sie uns erinnert.

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