Kill your darlings!
Anleitung aus einem Schreibratgeber des 19. Jahrhunderts |
Normalerweise bin ich wirklich nicht zimperlich. Ich war in der Schlussredaktion damals in Klebesatzzeiten diejenige, der keine Schere zu groß sein konnte. Wünschte sich der Techniker drei Zeilen mehr Luft, bekam er sie ohne Rücksicht auf Verluste, pardon, ohne Rücksicht auf die Sensibelchen unter den Textern, deren Herzblut in jeden einzelnen Buchstaben geflossen war. Ich ließ jeden bluten, auch mich selbst - denn ich kann ohne örtliche Betäubung ganze Absätze meiner Texte streichen und ohne Narkose ganze Seiten.
Aber was zu viel ist, ist zuviel! Wie zum Teufel bringt man ein Pitching auf weniger als eine Seite? Kill your darlings, keift es von den Besserwissern der Creative Writing Schools. Doch was zum Teufel, wenn sie längst alle verröchelt sind und nur noch das nackte Minimum übrig ist, das Skelett dessen, was man am liebsten in einem fünftägigen Gespräch erklären will? Merke: So ein Skelett sieht auch noch recht manierlich aus, wenn man ihm ein paar Rippen entnimmt. Wer weiß heutzutage schon noch, wie viele Rippen ein Mensch hat?! Immer noch zu viele Anschläge? Kein Problem, Arme und Beine können auch verkürzt noch wedeln und wozu bitte braucht ein Skelett eigentlich ein Rückgrat? Viel zu lang, all diese Wirbel! Es soll schon so mancher Wirbellose aus Versehen eine Bewerbung erfolgreich platziert haben.
Und da kommt mir die Erleuchtung: Was braucht es Körper, wenn es einen Kopf hat! Zack, Cuts am laufenden Meter - und es bleiben gerade noch ein paar Tropfen Hirn. 1470 Zeichen.
Ich weiß jetzt wieder, warum ich irgendwann aufgehört habe, mich bei Stipendien und Literaturpreisen zu bewerben: Das Mördern und Schnitzen der dazugehörigen Unterlagen braucht etwa genausoviel Zeit wie das Schreiben von vielen Kapiteln Roman. Der dann meist nicht einmal auf die Ausschreibung passt.
Nein, niemand muss mir die Daumen drücken. Ich war nicht mehr jung und ich brauchte das Geld - reiner Sportsgeist hat mich getrieben. Oder dieses dämliche schlechte Gewissen: Wenn du dich nicht bewirbst, wirst du nie wissen, ob du es nicht sogar geschafft hättest. Aus der Abteilung mütterliche Schublade mit der Aufschrift: "Kindchen, hättest du nicht einen ordentlichen Beruf lernen können!" Dabei können viele Mütter in ihrer Verblendung, kleine Ärztinnen oder Apothekerinnen zur Welt bringen zu wollen (oder wenigstens Finanzbeamtinnen), schlicht nicht rechnen. Die Chancen beim Pitching stehen schlechter als beim Setzen auf Zahl im Roulette. Wenn's nicht klappt, gehe ich betteln, äh ... ins Crowdfunding. Und dafür habe ich wenigstens endlich mal einen Text extrem gekürzt und meine Darlings reihenweise abgeschlachtet. So.
Ach ja, merkt jemand etwas?
Es tut Romanautorinnen überhaupt nicht gut, zu viel Text zu kürzen, sie spucken nämlich dann im Blog über Nichts und wieder Nichts so viele Wörter aus, dass der übriggebliebene Schädel vom Text sich heimlich wünscht, er könne noch seine Beine in die Hand nehmen!
PS: Ein bißchen kann man übrigens Autorinnen in den Reichtum treiben, indem man ihre Bücher kauft ;-)
Bonjour Frau Cronenburg, mir ist nicht ganz klar geworden, was mit der Aufforderung "Kill your darlings" in Schreibratgebern gemeint ist. Soll man seine literarischen Vorbilder töten oder wen oder was? Schöne Grüsse aus dem Markgräflerland von einem Neuleser Ihres Blogs
AntwortenLöschenHallo Schreibmann,
AntwortenLöschen"In writing, you must kill your darlings" ist ein legendär gewordener Spruch von William Faulkner, den dann Stephen King in Abwandlung in die amerikanische Schreibratgeberszene einführte, der schrieb: "Kill your darlings, kill your darlings, even when it breaks your egocentric little scribbler’s heart, kill your darlings." (in seinem Buch "On Writing"). Faulkner hat das weniger geschwätzig auf den Punkt gebracht, hatte das Killen also drauf ;-)
Gemeint ist mit den "darlings" all das im Manuskript, an dem unser Herz besonders zu hängen scheint, das aber absolut überflüssig ist für Story oder Charaktere, was nur geschwätzig ist, am falschen Platz und und und.
Und genau das habe ich gestern gemacht: meinen Text bis auf die allerletzten Knochen entblößt und zusammengekürzt. Was dann dazu führt, dass man den winzigen Rest noch besser auf den Punkt formulieren muss ... das kommt heute dran.
Herzlich willkommen im Blog!
Und schon muss ich mich verbessern, das Internet belehrt mich ... der Spruch wird zwar meist Faulkner zugeschrieben, soll aber tatsächlich von einem Cambridge-Dozenten namens Arthur Quiller-Couch stammen, aus seiner Vorlesung "On the Art of Writing" von 1914. Quelle: http://www.slate.com/blogs/browbeat/2013/10/18/_kill_your_darlings_writing_advice_what_writer_really_said_to_murder_your.html
LöschenDrum danke fürs Fragen, hätte ich sonst nie entdeckt!
Damit man den Link oben anklicken kann und lesen: einfach hier auf meinen Namen klicken!
LöschenDieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
LöschenHallo Petra, danke für die ausführliche Antwort. Liebe Grüsse - Schreibman
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