Das wunderbare Gefühl des Gleitens

Es gibt bestimmte Tage (wie gestern), da kommt einem das Unkraut beim Ziehen fast von selbst entgegen. Ein komplexes Zusammenspiel von Wetterlage, Bodenfeuchtigkeit und Erdbeschaffenheit, von Luft und irgendetwas Undefinierbarem lässt einen an manchen Tagen keuchen ... und an anderen flutschen die mannshohen Brennnesseln mitsamt Wurzelwerk plötzlich aus der Erde wie aus Butter. Man sollte sich nicht an den falschen Tagen mühen und an den richtigen in die Vollen gehen. In solchen Momenten finde ich, dass Gärtnern viel mit dem Schreiben gemeinsam hat - oder ist es umgekehrt?

Wie Fliegen im Traum: wenn sich ein Text fast von selbst schreibt (Foto: PvC)

Wer kennt das nicht: Tage, an denen das Schreiben (oder eine andere Arbeit) einfach so flutscht? Und riesigen Spaß macht.
Sie sind mir leider seltener geworden, diese Tage. Das "Brotschreiben" frisst die kreativen Zeiten zusehends an, weil kreative Arbeit immer schlechter bezahlt oder geachtet wird. Google kann das schließlich auch und Tante Erna hat doch Schreiben in der Schule gelernt! Und schon stellen sich Zweifel ein: Kann ich denn überhaupt noch schreiben? Also, so richtig? Mein letzter Roman "Lavendelblues" ist nun auch schon ein paar Jährchen her, seither habe ich nur Kurzformen wie in "Blaue Fluchten" und Sachbücher wie "Faszination Nijinsky" geschrieben. Habe ich überhaupt die Zeit oder die Energie? Ich stecke zwischen harter Gartenarbeit, obligaten Hundewanderungen, Buchproduktionen, Brotarbeit, Leben und einer Menge anderem, was mich regelrecht auffrisst ...

Stop! Alles Ausreden. So viel habe ich in meiner Laufbahn gelernt. Wer Schreiben muss wie andere Leute atmen, der schreibt immer. "Schreiben ist Atmen" steht auf meinen Visitenkarten. Wer Schreiben will, der findet immer ein Schlupfloch, denn es ist eine Frage der Prioritäten. Und sollte ich diese einmal vergessen, habe ich den abschreckenden Spruch der Schriftstellerin Asta Scheib vor Augen, den ich mir notiert habe, weil ich so etwas nie von mir sagen möchte:
"Welch großes Werk hätte ich schreiben können, wenn nicht Söhne, Schwiegertöchter, Ehemänner, Stiefkinder, Patenkinder und große wollige Hunde mich lebenslang daran gehindert hätten."
Also setzte ich mich gestern beherzt an den Laptop ohne Internetanschluss (ich weiß, warum!) und der mittelgroße, gar nicht wollige Hund legte sich gemütlich unter den Schreibtisch. Alles andere musste warten. Und dann ist es passiert ... das Gleiten! Beim ersten Band meines Rosenried-Krimis.

Nach längerer Abstinenz muss ich erst wieder ein Gefühl für den Roman bekommen. Also fing ich bei Null an und las den Anfang neu, lektorierte ihn gleich, denn das ist das Hilfreiche am Abstand: Man erkennt die Schwächen. Selten habe ich so viele Darlings gekillt, da war im Krimi noch nicht einmal die Leiche gefunden! Außerdem habe ich meine Figuren seither verändert, das muss in allen Szenen bedacht werden. Aber der Kontakt zu meinen Hauptpersonen war sofort wieder da, ein gutes Zeichen. Es fühlt sich an wie im richtigen Leben, wenn man zufällig eine Freundin nach langen Jahren gegenseitigen Schweigens trifft, ins Tratschen kommt und den Eindruck hat, man habe sich eben erst vor fünf Minuten getrennt gehabt. Meine Hobbyermittlerin Amanda Joos sitzt mit ihrer herrlichen bernsteinfarbenen Lockenmähne an meinem Küchentisch und kabbelt sich mit Mitbewohner Luc Leroy - jenem schillernden Franzosen, der Rätsel aufgibt.

Ich liebe diese Welt, die ich geschaffen habe, ich liebe sie heiß und innig! Und das ist ein besonders gutes Zeichen, denn ich muss es lange Zeit darin aushalten. Einfach herrlich, dreidimensional Dörfer im Kopf zusammenzubasteln, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Die ich aber mit real Erlebtem bestücke: einer Mückenplage von unterwegs, dem Klima einer Region, einem Garten, der mir beim Autofahren ins Auge fiel, Häusern, die ich gern konservieren möchte. Zusehends verschmelze ich mit meiner Hauptfigur und betrachte die Welt mit ihren Augen. Beim Heckenschneiden (in der Realität) lasse ich mir Tipps von meiner Hilfsgärtnerin geben; sie sagt mir, wie ich die Baumsäge ansetzen muss, damit der Ast nicht verkantet oder das Sägeblatt nicht festläuft. Oder ist es nicht vielmehr umgekehrt? Ich selbst bin zwei Jahre meines Lebens Hilfsgärtnerin in einer Firma für Landschafts- und Gartenbau gewesen. Und das, was ich am Baum praktiziere, hat mich ein Holzfäller gelehrt. Also drücke ich meiner Figur das eigene Wissen rein, schenke ihr vielleicht sogar selbst erlebte Anekdoten. Wie viel Autorin steckt in einer Hauptfigur, wollen die LeserInnen bei Auftritten immer zuerst wissen.

Sie glauben zu gern, eine Autorin erzähle nur über sich selbst - was uns Autorinnen natürlich nervt, weil es nicht wahr ist. Sie machen die Rechnung nicht mit unserer Verlogenheit der Realität gegenüber! Oder drücken wir es feiner aus: Die Lust am Geschichtenerzählen macht uns zu kleinen Münchhausens, denn wir dramaturgisieren scheinbare Leben, wir spinnen herum und erfinden, vermischen erfundenes Wahres mit wahren Geisteskonstruktionen. Alles vermischt sich und alles fließt ...

Wenn sich Amanda an eine zickige Lehrerin erinnert, bei der sie den Biogarten säubern musste und sich den Kopf an einem versteckten Schinken stieß, so habe ich mich in der Tat bei dieser Anekdote selbst beklaut: Ja, auch ich habe einmal bei einer Lehrerin Brennnesseln aus dem Beet ziehen müssen. Aber die Frau hatte keinen Schinken im Schuppen. Und ihre Art, die Gärtnerin zu belügen, habe ich woanders geklaut ... es ist von Diskussionen in Social Media abgeleitete Erfindung. Wie echt ist also diese Lehrerin? Deren wahres Verhalten ich vielleicht später einmal ausschlachten werde, bei einem Schneckenzüchter oder einem Bürgermeister? Natürlich schenke ich Amanda viel von mir, schließlich bin ich die Demiurgin, die sie lebendig werden lässt! Aber Amanda schenkt auch mir etwas. Ich kann nicht mehr unbehelligt durch die Landschaft fahren. Sie sitzt ständig neben mir und macht mich auf Dinge aufmerksam, die ich selbst nie entdeckt hätte. Das könne ich doch im Roman brauchen, sagt sie. Oder sie quietscht plötzlich beim Anblick einer realen Szene: Hey, das will ich als Tatort haben, genau da müssen wir eine Leiche beschreiben!

"Flow" nennt man das wohl. Es hat etwas von Selbstauflösung beim Schriftstellern. Oder würde Selbstzerlegung besser passen? Ich gerate in einen osmotischen Zustand mit meinen Figuren und frage mich manchmal, wer wohl wen in der Hand hat. Nicht, dass ich jetzt alles nachmachen muss, was in meinem Krimi vorkommt, das wäre ja fatal! Dazu reichen Fachrecherche und das Aufsaugen jeder Doku über wahre Verbrechen. Aber es gibt durchaus Tage, an denen ich einen höllischen Appetit auf die Genuss-Schrulle meines Kommissars bekomme. Wissenschaftlich ist das leicht zu erklären: Wer einen Tag lang über gewisse Genüsse schreibt, bekommt Appetit darauf. Ist es aber noch normal, wenn ich zu reden versuche wie der Staatsanwalt?

Ich habe mal spaßhalber und neugierig einen Psychiater gefragt, wie normal das eigentlich sei, wenn man Romanfiguren derart in sein Leben lasse und sich gegenseitig mit ihnen durchdringe. Ja, auch ihre Stimmen höre - wie soll man sich sonst mit ihnen unterhalten? Der lachte herzlich und meinte: "Solange Sie mir das so genau erzählen und erklären können, sollten Sie ruhig weitermachen! Sie kennen ja den Knopf zum Umschalten genau." Und dann erklärte er mir, dass Fantasie und Kreativität mit all ihren möglichen Schrullen verdammt gesund seien.

Seither habe ich eine wunderbare Ausrede, wenn ich mich an den Laptop setze anstatt die Fenster zu putzen, einkaufen zu gehen oder das zu tun, was der Vernunft nach wichtiger erscheint. Hey, ich muss an diesem Manuskript weiterschreiben, ich tue das für meine Gesundheit! Schreiben ist Wellness pur, ein Fünf-Sterne-Aufenthalt! Und tatsächlich ... seit ich wieder "drin" bin in meiner Romanwelt, fühle ich mich wunderbar. Nebenbei reiße ich auch mal ein paar Bäume aus, wenn es sein muss. Aber man nehme mir nie dieses Vergnügen des wirklichen Schreibens! Ich selbst werde dafür sorgen, dass mir keine noch so wichtige Ausrede im Wege stehen wird!

Schluss jetzt, mein Manuskript schreit nach mir.

2 Kommentare:

  1. Das ist einfach nur wunderbar und motivierend, wie du das beschreibst, Petra. Und ich werde es auch bald wieder erleben, dessen bin ich mir sicher.

    Herzlichst
    Christa

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  2. Liebe Christa,
    ich habe ein ganz einfaches Mittel kennengelernt, um dieses Gefühl herbeizuzwingen: Keine Ausreden mehr gelten lassen und jeden Tag schreiben. Und wenn es nur eine Seite ist, die man wieder löscht, weil die schlecht war. Das Schlimme sind die Unterbrechungen. Zumindest ich brauche dann immer eine Weile, bis ich wieder "drin" bin. Ich wünsch dir baldiges Fließen!
    Herzlichst, Petra

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