Halloween im Elsass?
Oh, wie sich die Halloween-Gegner gerade wieder ereifern über den angeblich amerikanischen Brauch! So viele wissen nicht, dass das Totenfest erst aus dem alten Europa von Auswanderern in die USA gebracht wurde. In ehemals keltisch besiedelten Landstrichen markiert Samhain den Beginn des neuen Jahreszyklus. Auch im Elsass gab es einst eine lebendige Kultur und Rituale um diesen Tag, die aber die Kirche so erfolgreich ausgerottet hat, dass die modernen Bräuche die alten überlagern. Aus Anlass des Tages hier eine Leseprobe vom Anfang meines Buchs "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt", das 2013 neu bei Suhrkamp-Insel erscheinen soll - und als E-Book bei edition maeve.
Oktober: Buckliges Elsass
Butternuss-Kürbis mit frischen Kräutern |
Oktober: Buckliges Elsass
Mord im Hopfenland
"Wenn Altweibersommer und Herbst sehr warm waren, bleiben zum letzten Tag im Oktober kaum noch reife Kürbisse übrig. Doch was wäre das frostige Halloween ohne die orange leuchtenden Grimassen auf Eingangstreppen und Gartenpfosten! Zum alten keltischen Neujahr mummeln sich die Knospen des nächsten Frühlings winterfest ein. Neubeginn und Geburt bereiteten sich nach altem Glauben in der Nacht vor, mit dem Sterben.
Noch vor sechzig Jahren haben die Kinder im Elsass Futterrüben ausgeschnitzt. Mit den beleuchteten Fratzen auf Stecken zogen sie durch die Dörfer, setzten den Alten und Kranken die leuchtenden Geistermasken als Schutz und Geleit in eine andere Welt ins Fenster. Weil er „brutal“ erschien und die Kirche etwas gegen Geisterglauben hatte, wurde der elsässische Brauch abgeschafft. Über Amerika findet die europäische Tradition seit ein paar Jahren zurück. Es gab sie nicht nur in Irland, sondern in jedem ehemals keltischen Landstrich. Die elsässischen Großeltern derer, die heute den „amerikanischen Firlefanz“ bekämpfen, haben als Kinder noch am Tag nach der Ahnennacht Couplets für die Toten an den Türen aufgesagt. Der spielerische Umgang mit dem Vergehen als Chance zum Neuanfang ist nicht tot zu bekommen.
Lydie und ich stecken bis zu den verklebten Ellenbogen im Kürbis, schon die zweite Tonschüssel quillt über vom saftigen Fruchtfleisch, das blumig duftet. Hier im Alsace Bossue, dem Buckligen Elsass im Nordwesten an der Grenze zu Lothringen, ticken die Uhren etwas langsamer, wird der alte Brauch noch nicht nach dem Vorbild von Supermarktketten in Plastik und Spezialprodukten gefeiert.
Die Küche in Lydies Hof ist ein Saal, geplättelt mit Zementfliesen aus Jugendstilzeiten, mit verschlungenen Lilien in Kaffeebraun, Ocker und Himmelblau. Unsere Schritte hallen. Ein Trog aus behauenem Granit dient als Spüle. Meinen neugierigen Blick an die Wand auf der Schmalseite kommentiert Lydie sofort.
„Ein alter Bäckerofen. Mein Großvater hat darin Flammekueche gebacken und das halbe Dorf eingeladen. Ja, in dieser Küche könnte man ein ganzes Restaurant bekochen! Für uns lohnt sich das nicht mehr, der Ofen frisst riesige Holzknüppel. Und im normalen Herd wird der Flammekueche einfach nichts.“
„Und das da?“ Ich deute auf zerknülltes Zeitungspapier in einem Korb.
Lydie lacht. Mit ihren Sommersprossen und rotblonden Locken ähnelt sie einem irischen Klischee. „Ach das – das braucht Mélie für die Kartoffeln heute Abend!“
Das Geheimnis ihrer Haushaltshilfe, Kartoffeln noch kartoffeliger schmecken zu lassen, klingt eigen. Keine Frage, dass dem in diesem Land fast heiligen Gemüse ein eigener Topf reserviert wird! Am besten ein schwerer, aus Gusseisen und nicht emailliert. Nichts darf ihn berühren außer Kartoffeln und ihren Zutaten. Nichts, vor allem kein Spülmittel. Er wird mit Zeitungspapier ausgerieben, setzt Patina an und den rauchigen Duft frei, wenn Mélie darin zuerst Zwiebeln und ganze Knoblauchzehen in wenig Schmalz andünstet, die rohen, geschnittenen Kartoffeln dazu rührt und immer wieder mit dem hölzernen Löffel wendet. Erst wenn die Kartoffeln leicht knusprig werden, kommt der schwere Deckel auf den Topf. Mélie schwört auf den Holzherd. Da könnten die Bratkartoffeln stundenlang bei niedrigster Hitze ohne Fett „reifen“...."
(c) Petra van Cronenburg, alle Rechte vorbehalten
Keine Kommentare:
Deine Sicherheit:
Mit restriktiven Browsereinstellungen kannst du nur als "Anonym" und mit "Namen / URL" kommentieren. Möchtest du dein Google-Profil verwenden, musst du aktiv im Browser unter "Cookies von Drittanbietern" diejenigen zulassen, die nicht zur Aktivitätenverfolgung benutzt werden. Nur so kann das System dein Profil nach Einloggen erkennen.
Mit der Nutzung dieses Formulars erkläre ich mich mit der Speicherung und Verarbeitung meiner Daten durch Google einverstanden (Infos Datenschutz oben im Menu).
(Du kannst selbstverständlich anonym kommentieren, dann aber aus technischen Gründen kein Kommentarabo per Mail bekommen!)
Spam und gegen die Netiquette verstoßende Beiträge werden nicht freigeschaltet.
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.