Roco oder von der Liebe und vom Tod
Die Männchenvariante geht auch schon ohne Wackeln. |
Angefangen hatte alles am Donnerstag morgen, als mir auffiel, dass mein absolut lebendiger Hund plötzlich müde und faul war und ständig unterm Schreibtisch lag. Weil ich selbst durch den Wetterunschwung müde war, dachte ich an nichts Schlimmes, aber bis zum Abend war Rocco völlig apathisch, hatte einen geblähten, harten Bauch und Schmerzen. Ich bin dann am späten Abend zum Notdienst in die Tierklinik und hatte das Glück, dass der Chef persönlich Dienst hatte. Doch die üblichen "Verdächtigen" wie z.B. Magendrehung fielen aus. Der Arzt nahm Blut für einen Gesamtcheck und bestellte mich gleich für den nächsten Morgen. Im Nachhinein wird mir schlecht, wenn ich daran denke, wie ich den armen Kerl noch bewegte.
Am nächsten Morgen war das Blutbild niederschmetternd: die roten Blutkörperchen hatten einen extrem niedrigen Wert. Röntgen und Ultraschall zeigten die Ursache, die bisher Roccos Leben eigenartigerweise kaum beeinflusst hatten - denn selten, nur ab und zu mal Durchfall ist noch nichts Ungewöhnliches. Diagnose: Tumor auf der Milz. Und der Arzt zum Glück so erfahren, dass er das Schlimmste ahnte.
Was dann ablief, erlebte ich wie in Trance. Weil Rocco vor noch nicht so langer Zeit schon eine schwere OP hinter sich hatte und im Dezember zehn Jahre alt wird, fragte ich natürlich nach den Chancen. Ob man dem Hund noch eine OP antun sollte. Ich erfuhr, dass man ohne Milz leben kann und Milztumoren in den meisten Fällen gutartig sind. Und dann fuhr mich der Arzt regelrecht an: "Schauen Sie Ihren Hund an, das Tier will leben!" Schnell die Papiere unterschrieben, den Hund hievten sie schon auf den OP-Tisch. Notoperation.
Freitag gegen halb sechs konnte ich den Patienten dann schon wieder abholen. Und auch das verlief zwischen Trance und Schock. Bevor ich Rocco sah, erklärte mir der Arzt, der Tumor habe angefangen, im Körper zu faulen, sei dadurch aufgebrochen. Blutverlust durch die Milz führt ganz schnell zum Tod. Vier Liter Blut waren in die Bauchhöhle geflossen. Etwa acht Liter hat so ein Hund. Dann kam der Chirurg mit einer Schüssel wieder, ohne Vorwarnung. Etwa eine große Salatschüssel. Darin schwamm dunkelrot ein Organ in einer Menge Blut. Nur ungefähr ein Liter. Zwei Schüsseln voll seien es gewesen. Ich durfte mir dann die Milz und den Tumor anschauen.
Das erste, was mir einfiel, war die Frage, ob er das mit den Tierhaltern immer so mache und keine Angst habe, dass ich umfallen könne. "Keine Angst, wir heben sie dann schon wieder auf." Ja, ein paar seien schon mal umgekippt, aber in einer Klinik könne ja nichts passieren, man kümmere sich dann schon. Das zweite, was mir in den Sinn kam, war der perverse Gedanke, dass so ein Tumor eine eigene gefährliche Schönheit habe, als wolle er selbst ein Organ sein. Und dann der Gedanke: Wir verdrängen so wunderbar Krankheit und Sterben. Wir reden von Gewächsen wie von seltenen Blumen und von Krebs, als befiele uns ein Tier. So ganz anders ist es, wenn so ein Tumor dingfest gemacht in einer Schüssel voll Blut schwimmt. Wenn einem der Chirurg sachlich Fakten erzählt und wie an einem Präparat alles zeigt. Würden wir mit solcher Offenheit bei Menschen manches mehr verstehen, anders sehen?
Ich muss niemandem sagen, dass solche Tage einen an die Grenze bringen und man sich plötzlich sehr lebendig der Endlichkeit bewusst wird. Ja, so ein Tier ist wie ein Freund. Und weil es bedingungslos liebt, ohne Wenn und Aber, fühlt sich Endlichkeit besonders schlimm an. Hund und Mensch konnten in diesem Fall nur eins tun: Viel schlafen, sich erholen und vor allem jede Minute miteinander genießen.
Der Patient wackelte dann mit einem Blick ins Sprechzimmer, der mir sagte, wie recht der Arzt hatte: Ja, dieses Viech wollte leben und es hatte trotz des Narkosedusels schon wieder neugierig Anteil am Leben. Muss ich sagen, dass sich Rocco in die Herzen aller Assistentinnen eingeschlichen hat? Die umzirzten ihn um die Wette und erzählten mir von einem so extrem braven Patienten, dass ich mir kaum vorstellen konnte, dass sie meinen frechen Hund meinten.
Rocco erholt sich zusehends und die schlimmen Tage sind geschafft, in denen es sich entschied, ob sein Herz überhaupt mitmacht. Aber der extreme Blutverlust verlangt seinen Tribut: Drei Wochen lang ist jeder Spaziergang verboten und er muss ruhig und gemächlich leben. Bis die roten Blutkörperchen wieder aufgebaut sind. Und wie baut man die auf? Am besten mit rohem roten Fleisch, meint der Tierarzt.
Mit dem Hund im Auto bin ich also nach der Klinik mit quietschenden Reifen vor dem nächsten Supermarkt vorgefahren. Zum Metzger gerannt und gefragt, was er so für den Hund hätte. Tja, Abfälle halt, so alles Mögliche drin. Nö, das dann doch nicht, Haut und Sehnen und so - bringt's ja nicht. Und sonst, billiges rotes Fleisch? Dabei entspinnt sich, wie immer beim französischen Metzger, ein Schwätzchen. Ja, der Hund bräuchte es nach einer OP zur Blutbildung. Lächelt der Metzger wie ein Drei-Sterne-Gourmetkoch und meint, ja da habe er gerade etwas Perfektes im Angebot: "longe de cheval", Pferdefleisch. Noch nahrhafter als Rind. Madame hat sofort zugelangt. Und daheim Portionen geschnitten. Schlimm nur, dass das Fleisch so wunderbar frisch und von so ausgesuchter Qualität war. Rocco in allen Ehren, aber erst habe ich mir selbst eine dicke Scheibe abgeschnitten. Die wird zu einer der leckersten Elsässer Spezialitäten geköchelt: Rossbiff. Und das schreibt man tatsächlich so. Früher gingen die Bauern am Samstag Rossbiff essen, mit Pommes und grünem Salat, heute erkennt man die guten Landkneipen noch daran.
Noch ein Leberchen zwischendurch ... wir denken in Bluteinheiten. Und weil ich Rocco im Auge behalten muss, damit er sich nicht selbst die Fäden zieht, gibt es nichts Gemütlicheres als "gemeinsames" Kochen. Mein Blog hat mich nämlich beim Metzger auch heimgesucht, der gerade frisches Lammhirn anbot. Ich hab mir ein Herz gefasst und dumm gefragt, ob man denn nach BSE und all diesen Gefahren noch welches essen dürfe. Habe erfahren, dass die französischen Vorschriften der Kontrolle für die Lämmer inzwischen so scharf sind - ja, das könne man schon seit geraumer Zeit wieder essen. In Frankreich vertraut man seinem Metzger. Vielleicht hilft ja das Hirn dem Hirn, so wie das Blut dem Blut hilft? Madame hat auch hier zugegriffen. Nach gefühlten Urzeiten.
Was macht man sonst so mit einem schwerkranken Hund? Abschalten. Kaum noch Internet. Urlaub war ohnehin angesagt. Gute Bücher satt. Und wie das Leben es so will, stolpere ich über eine wunderbare Lektüre, die genau das bringt, was mich in dieser Zeit so beschäftigt: Letztlich dreht sich in der Literatur wie im Leben alles um die Liebe und den Tod. Letztlich bringt erst das die Tiefe im Schreiben, wenn ich mich selbst diesen Themen stelle, sie nicht verdränge. Mein Buchtipp - nur vordergründig ein Buch über amerikanische Tramps, hintergründig sehr viel mehr: William T. Vollmann: Hobo Blues. Ein amerikanisches Nachtbild, Suhrkamp. Dass ich indirekt durch Rocco auch für mich wieder eine uralte Form wiederentdeckt habe, mit der ich als Journalistin reussierte, ist auch so ein kleines Wunder: Die Reportage, genauer gesagt, die literarische Reportage.
Kurzum: Danke der Nachfrage - Mensch und Tier genießen die Liebe und das Leben in vollen Zügen, eingedenk aller Endlich- und Unendlichkeit. Und während der Hund hoffentlich fleißig rote Blutkörperchen bildet, reifen in der Menschin literarische Gedanken heran. Berufsdeformation ;-) ...
Ja, so ein Hund ist wie ein Freund ... und das ist auch gut so. Ich wünsche Rocco alles alles Gute.
AntwortenLöschenDanke dir, Daniela! Wenn er mir weiter so die Haare vom Kopf frisst, wird er's packen. Grüße an deinen Wuff!
AntwortenLöschenLiebe Petra, ich kann Dir gut nachfühlen, was Du und Rocco durchgemacht haben ... wir haben vor Jahren unseren vorigen Hund durch mehrere Monate Krebs begleitet, und ich weiß, dass das genauaso schmerzt wir einen kranken Menschen zu begleiten und zu verlieren. Ich wünsch Euch beiden viel Kraft - und schön, dass Du auch in dieser Situation noch Lebensfreude kennst!
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