Self Publishing, surfing ...

... not in the USA, sondern im Schnee, könnte ich im Moment singen. Und wer aufgrund der Wetterlage irgendwie fest sitzt oder Trübsal bläst, der mag vielleicht ein wenig im Internet herumsurfen und interessante Artikel lesen. Deshalb wieder einmal eine längere Vorschlagsliste von mir. Es geht natürlich mal wieder um die Buchbranche - und schwerpunktmäßig ums Selbstverlegen. Nicht etwa, weil ich davon eingenommen wäre. Es ist einfach das Thema, das die gesamte Fachpresse bewegt, während sich die Verlags- und Buchhandelswelt zumindest im deutschsprachigen Raum recht schwer tut, mit Zukunftsvisionen an die Öffentlichkeit zu treten.

Im Grunde kann man die Lage derzeit auf einen Nenner bringen: Self Publishing ist zumindest im anglo-amerikanischen Raum gleichberechtigt und ohne Schmuddelimage als Buchproduktionsform angekommen - und das ist vor allem der Professionalität vieler Self Publisher zu danken. Es sind nicht nur etablierte Verlagsautoren, die sich neuerdings auf dieser Schiene erproben - immer mehr Autorinnen und Autoren, die noch nie in einem Verlag veröffentlicht haben, setzen sich mit Professionalität und Können an die Spitze.

Trotzdem schreibt auch das, was wir hierzulande gern mal als "Müll" bezeichnen, für seine Unvollkommenheiten und Schwächen doch erstaunliche Verkaufszahlen. Untersucht man solche Fälle näher, wird schnell klar, dass das Publikum da draußen einen gewissen Hunger nach rasanten Stories hat. Rasant im Sinne von Spannung, aber auch Leseverhalten. Vor allem E-Book-Leser schätzen Kurzgeschichten, Bücher mit vielleicht umgerechnet 100 Seiten und kürzere Erzählformen - denn man will auch mal in der U-Bahn oder im Wartezimmer lieber Bücher als Regenbogenpresse lesen. Außerdem wurde das Publikum offensichtlich in den letzten Jahren ausgehungert, was ungewöhnliche und "andere" Plots betrifft. Ist die Story außergewöhnlich, schaut man sogar über fehlendes Lektorat hinweg. Früher hätte man solche Autoren in Verlagen entdeckt, aufgebaut, professionalisiert und gut lektoriert. Heute bekommen sie - zumindest in den USA - nach dem Self Publishing Erfolg eine Einladung in den Verlag. Outsourcing von Risiko und unternehmerischer Verantwortung auf die Autoren ...

Der Trend, dass sich Self Publishing professionalisiert und dann auch noch größere Erfolge produziert als in Verlagen, schwappt inzwischen aber auch nach Deutschland hinüber. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Branche warm anziehen muss. Damit meine Behauptungen nicht im luftleeren Raum stehen, hier Lesestoff zum Thema:

Ebookfriendly bringt am Beispiel der Kindle-Bestseller eine Analyse des Erfolgsjahres 2011 und stellt fest: Der absolute Hype ums Self Publishing - in dem Sinne, dass angeblich jeder Bücher schreiben kann und sich die goldene Nase verdient - ist zu Ende. Die Szene hat sich professionalisiert, und das nicht immer mit den aalglatten, einfachen Methoden, die sich Tante Erna* vorstellen mag.

Mit einem anderen Vorurteil von Tante Erna räumt futurEbook auf, nämlich mit der Annahme, es sei ja ach so einfach, ein E-Book zu basteln, das könne ja jeder. Theoretisch hat Tante Erna sogar recht, einen Einfachroman kann jeder bei Amazon oder Barnes & Nobles hochladen. Wer sich für professionelles Aussehen auf allen Readern und barrierenfreien Vertrieb interessiert, rauft sich schon eher die Haare: Es gibt keinen einheitlichen E-Book-Standard und jeder Shop läuft anders. Derzeit schießen übrigens Angebote wie Pilze aus dem Boden, die Konvertierung und Distribution versprechen - die Verträge, Konditionen und Preise sind derart unterschiedlich und zum Teil sogar verrückt, dass es heißt: Aufpassen! Self Publishing ist nämlich auch ein großer Markt, auf dem nun jeder absahnen will.

In Deutschland diskutiert man das alles auf einem eher drögen Niveau, mit kleinen Heimatnischen und erzkonservativer Bewahrerhaltung. Die Idee von Jürgen Neffe, der mit seinem Kommentar im Perlentaucher für Aufregung sorgte, hatte ich hier bereits beschrieben. Unzählige heiße und spannende Diskussionen liefen dazu auf Facebook und bei Google+. Neffe sieht - wie viele in der Buchbranche - eine große Gefahr aus den USA heranrollen, angeführt durch den Powerinnovator Amazon, der in Sachen Böse-Buben-Image Apple und Google weit überholt hat, obwohl man deren Aktivitäten mindestens genauso kritisch beobachten sollte. Gegen diese Gefahr beschwört er eine Art "Heimatschutz" für Verlage und Buchhandel. Die Autorin und Publizistin Cora Stephan hat noch einmal nachgelegt und gibt ihm Saures. Ihr Fazit ist so frech wie berückend: In der Zukunft müssen Leser und Autoren zusammenfinden. Und wenn der Buchhandel das verschläft, macht er sich eben selbst überflüssig.

Inzwischen zittern ja auch manche Verlage, vor allem die großen mit dem Mainstream. Amazon hatte bereits vor Jahren mit eigenen Buchlizenzen experimentiert. Ich erinnere mich an die Ausgabe eines Fantasy-Romans, den der deutsche Verlag unerklärlicherweise in drei Bücher stückelte. Die einzige komplette (und preiswertere) Version war als Lizenzausgabe von Amazon zu haben - und das sprach sich in der Szene schnell herum. Der deutsche Verlag erdreistete sich sogar, einen Teil des eigentlich einen Romans zu verramschen. Macht man Lesern so Freude?

Inzischen tritt Amazon auch als Verlag auf, mit allem Drum und Dran. Der Mann, den man dafür ins Boot geholt hat, ist nicht irgendwer, sondern der - nun ehemalige - Chef der Time Warner Book Group, Larry Kirshbaum. Businessweek hat den Mann portraitiert, der Verlage das Fürchten lehren will. Aber will er das wirklich? Amazon-Chef Bezos nennt es ein großes "In-House-Laboratory", was man da vorhabe. Das Portrait ist ausführlich, aber es lohnt sich für alle, die bereit sind, sich mit Zukunft und neuen Ideen zu beschäftigen oder ihre Kritik an Amazon durch Fakten zu untermauern.

Self Publishing Erfolge gibt es auch zunehmend im deutschsprachigen Raum, im Buchreport kann man immer wieder einmal von solchen Profis lesen. Eine Lektüre, die für beide Seiten lohnt - die herkömmliche auf Verlagsschiene und die neue. Vielleicht schaffen es Buchhandel und Feuilleton ja bald einmal, aus ihrer Schreckstarre gegenüber den US-Giganten aufzuwachen und Self Publishing ernster zu nehmen. Denn das Beispiel, das ich vorstellen will, zeigt: Ein Autor kommt nur dann wirklich hoch, wenn er absolut professionell arbeitet, ein Fandom aufbauen kann und sich mit den Regeln des Marktes auskennt - egal, ob er das alleine machen muss oder will oder Partner hat. Die Kernkompetenz der Zukunft heißt: Wie verbinde ich Autoren direkt mit ihrem Publikum? Eine Kompetenz, die viele Verlage in den letzten Jahren brutal weggespart haben oder nur noch Spitzentiteln gönnen.

Das Interview mit Amazon Bestseller-Autor Jonas Winner steht für eine neue Generation Autoren, die gleichzeitig in Verlagen und im Self Publishing an die Öffentlichkeit gehen. Er erzählt, welche Chancen und welche Probleme sich im Self Publishing per Kindle stellen und warum man für solche Projekte wie "Berlin Gothic" nicht weniger sein Handwerk beherrschen muss als im Verlag.

Etwas trockener, aber für die Branche hochspannend liest sich Sebastian Posths Bericht von der Mailänder E-Book-Konferenz "IfBookThen". Solche Branchentreffen sind immer gut für einen Einblick in die zukünftige Entwicklung der nächsten Jahre. Demnach nehmen Verlage das Self Publishing zunächst auf eine ganz andere Art ernst: Sie investieren Riesensummen in eigene Shops und Plattformen für Self Publishing statt ins herkömmliche Verlagsgeschäft. Ganz besonders vorbildlich, nämlich mit echter Betreuung, macht das Penguin Books. Aber gräbt man sich so nicht noch mehr die Attraktivität gegenüber den Autoren ab? Wer will noch zu schlechten Konditionen einen Verlagsvertrag, wenn er beim gleichen Verlag die Dienstleistungen sämtlicher nur möglicher Lizenzen obendrein haben kann? Oder ist das nur geschicktes Outsourcing für all die unverlangt eingesandten Manuskripte, so dass man sich nur noch an den Self Publisher Bestsellerautoren bedienen muss? Wie auch immer - es bleibt für alle Beteiligten der Buchbranche spannend!

Noch etwas: Self Publishing sollte man nicht mit Bezahlverlagen oder DKZV (Druckkostenzuschussverlagen) verwechseln. Die unterhaltsamste Warnung vor diesem Phänomen legt Schriftstellerin Zoe Beck vor.

Kleiner Nachsatz: Immer häufiger werfen mir Beteiligte der Buchbranche vor, ich würde hier im Blog zu werberisch und zu oft über Amazon schreiben. Eine ordentliche Autorin, die integer sei, meide diesen Laden jedoch und beschweige ihn. Diesen Kritikern sei gesagt: Ich sehe Amazon überaus kritisch und bin ganz bestimmt nicht blauäugig begeistert. Aber als Journalistin berichte ich über diejenigen, die im Moment innovativ im Gespräch sind. Als "Hybridautorin", die sowohl in Verlagen schreibt als auch im Self Publishing, komme ich an Amazon einfach nicht vorbei. Möge das ein Ansporn sein, sich wieder mehr um Autoren und Bücher wirklich zu kümmern. Und sich beim großen Buhmann vielleicht auch so manches abzuschauen?


* Tante Erna ist eine Kunstfigur, die öfter durch dieses Blog spaziert. Ähnlichkeiten mit echten Personen sind natürlich beabsichtigt.

3 Kommentare:

  1. Herzlichen Dank einmal mehr für das Zusammentragen hochinteressanter Links. Und herzliche Grüsse aus dem Winter in den Winter.

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  2. Gern geschehen! Wobei es mal wieder Zeit wurde. Ich beobachte an mir, dass ich solche Links ganz schnell bei Facebook teile, denn dort und bei Twitter finde ich sie selbst. Und das ist dann immer schade um die, die nicht auf solchen Plattformen mitmischen.
    Herzliche Grüße aus diesem verdammten Schnee ;-)

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  3. Elisabeth Mardorf15/2/12 17:21

    Danke, liebe Petra, für diesen interessanten Artikel mit den ausführlichen Links! Verdammter Schnee? Hier taut es, und es stinkt bestialisch nach Gülle. Falls das ein Trost ist ;-)

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