Endlich ein Krimi!

Vor vielen Jahren habe ich einmal eine amerikanische Drehbuchsoftware getestet, die beim "Ordnunghalten" Hilfe versprach. Das Ding war immerhin für ein paar Lacher gut. War mein Held weiß und blond, wurde der Antagonist automatisiert schwarz und klein. Lebte der Held im Straßengraben, lauerte das Böse in der Villa und der Held warf in der Liebesszene die Lumpen ab. Der softwareverbesserte Plot las sich so spannend wie eine Heizkostenabrechnung. Pappkameraden und leere Silhouetten kriegten sich zum Schluss; der Gute klärte den Mord auf und der Böse war böse bis in die Klamotten, Hobbies und den Sprachfehler hinein. Ich bin mir sicher, dass man bei den heutigen Updates Lektoratswünsche anklicken kann: Serienkillerdarmverschlingungsfolterblutsuppe, Skandinaviendepressionsaquavitdunkelheitstrauma, Regiosüffeltechtelmechtelschwätzchen.

Jahre später habe ich gelernt, dass ein Roman nur lebt, wenn man ihn nicht durchdressiert, sondern atmen lässt. Vorhin habe ich einen Roman zugeklappt, dem das grandios bis zum letzten Atemzug, pardon: Satz, gelingt. Der Krimi "Tod eines Philosophen" hat seinen Untertitel "Roman eines Verbrechens" unbedingt verdient. Dieser Roman ist weit mehr als die Auflösung eines Mordes an einem Philosophieprofessor, dem im wahrsten Sinne des Wortes das Maul gestopft wird. Er ist mehr als nur Unterhaltungskrimi, denn das Buch zieht seine Leser in ein fein gesponnenes literarisches Gewebe aus unterschiedlichen Ebenen des Nachdenkens über ein Verbrechen. Vor allem aber ist der Krimi, der in Stuttgart mit Ausläufern bis nach Italien spielt, ein Glücksfall weitab vom Regiokrimi-Schema. Er entlarvt den Zustand des überalterten deutschen Bildungsbürgertums, beschwört eine universitäre Atmosphäre von kleinen braven Untergängen herauf, wie sie nicht nur jeder Universitätsstadt zu eigen sein können, sondern im Keim einen jeden Leser infizieren könnten.

Vordergründig wirkt die Geschichte einfach. Der für seine ethischen Thesen und erotischen Eskapaden mit Doktorandinnen bekannte Philosophieprofessor Nierkamp erscheint nicht bei einer hochgelahrten Gesellschaft, für die er seinen Vortrag „Lebens Ende“ neu aufwärmen will. Stattdessen findet er das seine, spektakulär mit einem „sprechenden Verbrechen“ umgebracht. Hat ihm jemand im wahrsten Sinne des Wortes das Maul auf immer und ewig gestopft? Ist der Mörder im Umkreis seiner Gespielinnen zu suchen? Oder hat womöglich die italienische Mafia ihre Hand im Spiel, die in den biederen Stuttgarter Kreisen um Nierkamp ein paar Mal zu oft auftaucht?

Noch während man die Auflösung des Kriminalfalls mit Spannung verfolgt, kann man sich vorstellen, selbst gar nicht so weit von der Seite der „Bösen“ entfernt zu sein. Wer kennt sie nicht, die alternden, eitlen Selbstdarsteller, mit Lebensposten bestens versorgt, die Furore mit ihren Vorträgen machen, indem sie einfach auf Skandal bauen? Wer würde sich nicht heimlich freuen, wenn so einer, der noch dazu gegen ethische Auffassungen verstößt, einmal mundtot gemacht würde? Aber gleich tot? Wer wagt hier, eindeutig Stellung zu beziehen?

Auch der ermittelnde Kriminalrat Markus Schiller ist alles andere als eine Schablonenfigur. Der sinnenfreudige und kluge Lebensgenießer schwänzt schon einmal in eine Mordermittlung hinein, beschäftigt sich mit Philosophie, um den Ermordeten zu verstehen. Eindeutigkeiten hat auch er nicht zu bieten, polizeiliche wie menschliche Grenzen ziehen ihn eher an. Der Kriminalbeamte verliert in seiner Sexsucht öfter das Heft aus der Hand, wird zum Getriebenen: Kann man sich als Ermittler mit einer potentiellen Mörderin verlustieren? Er wird zum Zerrissenen: Für ihn hat jede Beziehung offen zu sein, aber grausame Eifersucht plagt ihn, wenn seine Partnerin Judith nach anderen Männern schaut. Und war womöglich irgendeine Form von Eifersucht bei dem Mord im Spiel?

In diesem „Roman eines Verbrechens“ gibt es keine Helden und auch kein eindeutiges Gut oder Böse. Der Ermittelnde, in dessen Händen Menschenschicksale liegen, wagt sich in seiner Wissbegier weit hinaus und ähnelt dem Mordopfer manchmal mehr, als ihm lieb sein mag. Vor dem Mordverdächtigen hat er Hochachtung, bei seinem Verhör kommt einem der Verdacht, dass die Polizei schützen will anstatt aufdecken. Rücksichten werden in diesem Krimi an unvermuteter Stelle genommen, menschliche Begegnungen geraten zu einem uneindeutigen Beziehungsgeflecht, in dem einem Mafioso liebevolle Regungen und einem Kriminalbeamten fast Übertritte nachzuweisen wären. Und obwohl der Untergang des integren und bescheidenen Bildungsbürgertums in der vorliegenden Form den Stoff für eine altgriechische Tragödie abgeben könnte, liegt über all den menschlichen Katastrophen ein zarter Schleier von Selbstironie bei Schiller, von lebensliebender Ironie des Autors in den Situationsbeschreibungen. Die Maske des Mörders ist eine Lachnummer, der Mord fast zu köstlich und süffisant inszeniert, als dass man als Leser nicht zumindest Schadenfreude, wenn nicht sogar ein wenig Lust empfinden kann. Und schon ist man ertappt: Wo liegt die Grenze zwischen Vorstellung und Verbrechen?

Dieter de Lazzer merkt man seine große dramaturgische Erfahrung an. Hält man den Fall für gelöst, dreht er noch einmal mit einem Strafprozess auf, bei dem der Dominanz- und Kotzbrocken von Staatsanwalt höllisch aufpassen muss. Und auch nach dem Urteil ist Schiller mit dem Fall in überraschender Wendung beschäftigt. Der Autor hat zusammen mit Felix Huby erfolgreiche Fernsehserien (Bienzle-Tatorte, Zwei Brüder, Oh Gott, Herr Pfarrer) und Theaterstücke geschrieben (Georg Elser - allein gegen Hitler). Dass er von Haus aus Theologe und Jurist ist, merkt man diesem Roman besonders an. Hier wird nicht einfach nur mit einem Verbrechen und dessen Auflösung unterhalten, hier geraten Mordopfer, Mörder und Kriminalbeamter in eine Art Spiel des Lebens, in dem eindeutige Positionen verschwimmen mögen, Recht nicht immer Gerechtigkeit ist, ein Mörder womöglich über eine gewisse Integrität verfügt und ein Kriminalbeamter sich nicht an die Regeln hält. Noch lange nachdem man den Roman aus der Hand gelegt hat, wird man sich Gedanken machen über die eigene Verführbarkeit, über diese dünne, immer in Bewegung befindliche Grenze zwischen Gut und Böse, die man vielleicht mit Drehbuchsoftware ausmalen kann, aber nicht im richtigen Leben - nicht in einem wirklich lebenden Roman, wie es dieser ist.

Ich bin froh, dass Dieter de Lazzer nun Romane schreibt. Denn ich habe den Eindruck, dass er hier anders als beim reglementierten Fernsehen zeigen kann, was wirklich in ihm steckt. Sein Verlag Königshausen & Neumann, den ich erst durch diesen Krimi entdeckte, scheint außerdem ein Glücksfall zu sein, weil er zeigt, was im Genre Krimi jenseits schneller Fressware noch möglich ist. Auch wenn Markus Schiller ein absolut unbequemer, ganz bestimmt nicht durchweg sympathischer Kriminalbeamter ist - sein Suchtverhalten färbt ab - man will den hochgescheiten Kerl mit dem Hang zum Abgrund wiedertreffen. Zum Glück verspricht der Verlag Nachschub.

Lesetipp:

4 Kommentare:

  1. Gestern war diese Rezension noch richtig ausformuliert und "rund". Dann ist sie leider von der Blogger-Technik komplett zerschossen worden. Unglücklicherweise war auch das Backup davon befallen - ich musste zwei fehlende Stellen rekonstruieren. Ich hoffe, das ist mir einigermaßen unauffällig gelungen, wenn ich auch heute nicht mehr an die Texthöhe von gestern herankam.

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  2. Da die meisten Blogger diese Texthöhe gar nicht ert erriechen, sei dir verziehen ;-) .

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  3. Womit ich die Qualität des Textes meinte und nicht die Textgröße - ich habe da etwas verwechselt.

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  4. Ich hab das schon richtig verstanden! :-) Als Ex-Feuilletonistin hab ich aber auch einen SEHR hohen Anspruch an mich selbst.

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