Freud und Leid des Konzertbesuchers

Seit wenigen Tagen läuft noch bis zum 11. September in der Grenzstadt Wissembourg das Internationale Musikfestival. Es überrascht nicht nur mit einer abwechslungsreichen Kammermusik-Auswahl, bei der auch seltener Gehörtes dargeboten wird. Die Musiker sind von einer Qualität, die man in einem Provinzstädtchen nicht automatisch vermutet. Manche von ihnen kann man sonst eher auf großen Bühnen hören. Es lohnt sich also auch der weitere Weg.

Im Juni habe ich im Blog und in den Social Media Werbung fürs Festival gemacht und angeboten, dass man mich vorher per Internet kontaktieren kann - dann ließe sich dort gemeinsam ein Gläschen Sekt trinken. Eine schöne Gelegenheit, alte Freunde wiederzusehen oder virtuelle Bekanntschaften kennenzulernen. Ich habe leider die Rechnung nicht mit dem Appetit der Leute gemacht: "Was gibt es denn außer Sekt?" war die meistgestellte Frage. Schrieb ich das zunächst der Bequemlichkeit allzu loser Bekanntschaften zu, so wurde ich leider bald auch von den engsten Freunden im Stich gelassen. Das sind musikbegeisterte Menschen, manchmal selbst Musiker, Menschen, die für ein gutes Konzert schon mal 100 km anreisen, um sich einen rundum gelungenen Abend zu gönnen. "Wunderbar, Frankreich, wir kommen! Und dann gehen wir anschließend so richtig mit allem Drum und Dran dinieren!"

Heidelberg, Mannheim, Stuttgart, Offenburg - kein Problem mit der Anreise, aber ein gutes Konzert ohne Essen danach oder wenigstens einen Plausch bei Elsässer Wein - dafür bewegt man sich nicht aus dem Haus! Genuss rundum - das gehört zumindest zur deutschen Ausgehkultur, wer das nicht will, hört CDs. Wie peinlich, dass ich berichten musste, wie in einem Städchen mit zig Restaurants, knapp an der elsässischen Weinstraße gelegen, die Gelegenheiten fehlen. Nach dem Konzert werden dort nämlich bereits die Gehsteige hochgeklappt, pardon, der Koch verlässt die Küche. Das einzige garantiert offene Restaurant ist mit den Musikern, Veranstaltern und wenigen Glückspilzen prall gefüllt und eine Pizzeria französischen Stils lockt garantiert keinen Baden-Badener Geschäftsmann mit erlesenem Geschmack hinterm Ofen vor. Was tun? Letztes Jahr floh ich mit meinen Gästen wieder über die Grenze. Vor den Konzerten locken mit Küche ab 17 Uhr zumindest in der zweiten Wochenhälfte die Winzerstuben im pfälzischen Schweigen und dort kann man beim Griechen auch noch bis Mitternacht sicher sein, nicht zu verhungern.

Die Freunde tippten sich diesmal an die Stirn: "Ich fahre doch nicht extra zu einem Festival nach Frankreich, um dann in Deutschland Essen zu gehen!" Die Leute aus der Ortenau formulierten es härter: "Da kaufe ich doch lieber die billigste Karte im Festspielhaus und habe anschließend Nachtleben zur freien Auswahl." Kurzum: Ich stehe in diesem Jahr ganz alleine da. Eine französische Freundin, mit der ich im vergangenen Jahr fruchtlos in der Region herumgefahren bin, von einer verschlossenen Küche zur anderen, um endlich gegen Mitternacht bei mir zuhause eine Suppe aufzuwärmen, kommt genau deshalb nicht mehr. Geblieben sind Freunde aus Wissembourg. Die wissen sich nämlich inzwischen selbst zu helfen: "Komm vorher zu einem leichten Abendessen zu uns - und nach dem Konzert machen wir auch bei uns weiter. Wir machen die Gastronomie selbst und haben wieder Geld gespart."

Es ist traurig, wenn ein Festivalbesuch an der Kleinigkeit scheitern muss, dass Gastronomen sich den Zusatzverdienst entgehen lassen. Sie könnten womöglich zahlungskräftigeres Klientel anziehen, wenn sie nur zwei Wochen lang die Küchenzeiten wenigstens um eine Stunde nach hinten verschieben können. Klientel kommt heute nicht mehr automatisch, Klientel muss man aktiv anlocken. Es ist traurig, wenn ausgerechnet ein internationales Festival in einer Grenzstadt dadurch im Einzugsbereich künstlich begrenzt wird - in Zeiten, in denen man sich überall Gedanken machen muss, mehr Menschen für Klassik zu begeistern. Ausgerechnet in Zeiten, in denen anderswo Konzertveranstalter und Gastronomie längst Hand in Hand arbeiten und viele Konzerthäuser ohne Kulinarik gar nicht mehr zu denken wären.

Die Duisburger Philharmoniker haben in diesem Jahr eine Blogparade zum Konzert der Zukunft veranstaltet und sich damit unter Fachleuten und Publikum umgehört, wie die modernen Bedürfnisse aussehen. Mit sehr großem Erfolg, denn das Publikum von heute will in seinen Bedürfnissen ernstgenommen werden. Wenn große Konzerte per Live-Streaming oder online abrufbar werden, wird beim echten Live-Konzert das sinnliche Erlebnis wichtiger. Immer wieder wird neben dem Kontakt zu den Musikern und der Atmosphäre das Vorher und Nachher genannt: Wer sich heute noch für ein Konzert "aufrafft", will einen rundum gelungenen Abend erleben, will hinterher über die Musik plaudern oder den Abend kulinarisch ausklingen lassen. Es ist eine uralte Binsenweisheit, dass das Wecken von Geschmacks- und Geruchssinn auch dem Hörsinn entgegenkommt und umgekehrt. Nicht umsonst verführen sich Paare seit Urzeiten bei guter Musik, einem feinen Wein und etwas Leckerem auf dem Teller. Warum also nicht die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zum Konzertbesuch verführen?

Andernorts wird das mit Raffinesse praktiziert. Man muss nicht unbedingt im Baden-Badener Festspielhaus das Weekend mit Kulinarik und Tagesprogramm buchen. Die Reihe Kultur Trio des Museums Ludwig ist so beliebt wie bekannt: Unter dem Motto Kunst - Kulinarik - Konzert gibt es eine einstündige Museumsführung, ein Diner um 18 Uhr und ein Konzert um 20 Uhr für eine Eintrittskarte. Kleinere Städte imitieren das Konzept längst. Der bekannte Geiger Daniel Hope spielte in Berlin Mozart zum Frühstück. In der Musikstadt Wien bietet ein Hotel jungen Musikern Auftrittsmöglichkeiten und den Gästen Hochgenuss bei den HörDelikatEssen.

Die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken-Kaiserslauten zieht mit den Picknick-Konzerten der Klassic Open rund 5000 Besucher an, die entsprechenden Konzerte der Philharmonie Baden-Baden in der Lichtentaler Allee sind stets ausgebucht und längst weit über die Stadtgrenzen hinaus Kult. Immer profitieren von solchen Veranstaltungen drei Seiten: Die Veranstalter, die Gastronomen und das Publikum. Wer in einer Stadt, die er nur für ein Konzert besuchte, ein unvergessliches Essen erlebte, kommt in der Regel übrigens zum Kurzurlaub wieder. Das erfahre ich auch bei meinen eigenen Auftritten: Sind sie mit etwas Kulinarischem verbunden, kommen nicht nur bis zu dreimal so vielen Gästen - die Besucher kaufen auch freudiger meine Bücher. Das ist unter Kollegen längst kein Geheimtipp mehr: Ein gutes Glas Wein macht spendabel.

Nein, Wissembourg braucht natürlich kein Luxus-Event à la Großstadt, kein eigenes Festival-Catering und auch kein Open-Air-Publikum mit Picknickdecken. Obwohl ich nach den neuerlichen Erlebnissen versucht bin, meinen Freunden den Picknickkorb dringend zu empfehlen. Wiesen und Grünflächen für einen solchen Konzertausklang gäbe es ja genug. Zu dumm nur: Meine Freunde von der deutschen Seite würden ins Elsass nur fahren, um eben auch Landestypisches zu verkosten, die guten Weine zu probieren, die traditionellen Gerichte.

Wenn doch nur die Gastronomen der Stadt endlich ein Einsehen hätten, dass nicht nur wir freudig und freiwillig Geld in der Stadt lassen würden, wenn man uns doch nur ließe. Von einem Festival könnten alle Beteiligten profitieren: Die Veranstalter, die Musiker, die Gastronomie, das Publikum, bei längerem Aufenthalt der Einzelhandel, die Tourismus-Akteure, die Stadt und damit auch die Region.

So aber bleibt mir in diesem Jahr nur das Gläschen Crémant in der Konzertpause und der Hausbesuch bei den einheimischen Freunden in Wissembourg, die im Lauf der Jahre gelernt haben, dass man für ein Konzert in dieser Stadt selbst vorkochen muss. Auch nicht übel. Das gesparte Geld trage ich in ein feines kleines Restaurant anderswo, wenn ich in einem anderen Städtchen das nächste Konzert besuche.

Trotz allem habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Wissembourg wenigstens im nächsten Jahr so werden wird, wie ich das Elsass in meinem Buch beschrieben habe: accueillante.

PS: Ich bitte noch um Geduld - die dritte Neuauflage des Erfolgsbuchs "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" (Hanser) ist geplant - die zweite Auflage ist leider absolut restlos ausverkauft und gebrauchte Exemplare werden zu Höchstpreisen gehandelt. Das gleichnamige Hörbuch mit der von ARTE und SWR 2 bekannten Sprecherin Doris Wolters ist im Handel noch zu haben.

8 Kommentare:

  1. Liebe Petra,

    traurig aber wahr. Diesen Eindruck kann ich nur bestätigen. Egal, zu welcher Veranstaltung man geht, das leibliche Wohl wird dem geistigen immer vorgezogen.
    Wenn Du eine Lesung hältst (mit erhöhtem Eintrittspreis) und dazu einen ›Zander im Riesling‹ inklusive anbietest, werden sie Dir auch die Lesebude einrennen.
    Bei meinem letzten Konzertbesuch (Philharmonie/Open Air) kamen erstaunlich viele Picknickkörbe zum Einsatz. Man war sich nicht zu fies, Pappschachteln vom Chinesen auszupacken, um dann schmatzend Beethoven zu lauschen.

    Liebe Grüße,
    Nikola

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  2. Liebe Nikola,
    gerade hat es mir den Kommentar ins Nirwhana zerrissen, morgen nochmal. Nur kurz: Hier geht es ja um etwas ganz anderes - nicht das Essen während des Hörens. Es geht darum, dass Menschen, die zu einem Festival von weiter her anreisen, mit knurrendem Magen wieder abreisen müssen, weil die Gastronomie ihre Küchenschließzeiten nicht für die kurzen zwei Wochen an die Konzertbesucher anpasst. Gerade wieder eine Absage kassiert von jemanden aus der Region - arbeitet den ganzen Tag, schafft es gerade ins Konzert und hat dann schlicht Hunger vor der längeren Heimfahrt. Ich möchte nicht wissen, wie viele Auswärtige deshalb überhaupt wegbleiben.

    Liebe Grüße, Petra

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  3. Da kommt doch eine Geschaeftsidee auf - Picnic hampers wie in England - das waere mal wieder so richtig Europa. Brueten wir das mal fuer 2012 aus.

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  4. Die Franzosen (und auch die Spanier und Italiener) sind ziemlich gnadenlos mit ihren Essenszeiten. Entweder man hat im vorgegebenen Zeitraum Zeit und Hunger, oder es bleibt hinterher nur der Einkehrschwung bei McDo. Wobei das, aufgebrezelt wie man dann gerne ist, einen ganz besonderen Reiz hat zwischen den dort abhängenden Jugendlichen.

    Gibt erfahrungsgemäß interessante Gespräche!

    :-)

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  5. Oje, noch ein vierter Beruf zum Überleben? Lassen wir erst mal die Honorare noch mehr verfallen... ;-) Aber Picknick in den Weinbergen bei Wissembourg - da bin ich mit meinem englischen Korb dabei!

    Ich muss dabei an eine wunderschöne Tradition in Warschau denken. Im Lazienki Park beim Chopin-Denkmal üben im Sommer junge Musiker unter freiem Himmel sonntags Chopin. Ganze Familien pilgern dorthin, mit Decken und großen Picknickkörben bepackt. Da schaut man übrigens nicht drauf, was einer gern schmatzt, liebe Nikola, von der selbstgekochten Marmelade bis zum Kaviar ist alles möglich. Ein Chopin-Sonntag ist Kult und auch wenn man dort im Park schwatzen und schmatzen kann, wettet irgendwann jeder auf "seinen" Musiker, ob er den renommierten Chopin-Wettbewerb gewinnen wird (oder sie, die Musikerin). Wer als Kind so mit Klassik aufwächst, sitzt nachher ganz anders im Konzertsaal!

    Und das ist doch das Problem der Klassik überhaupt - das Bildungsbürgertum stirbt aus. Die grauen und weißen Köpfe in Konzertsälen sind vielerorts absolute Mehrheit. Die Duisburger Philharmonie hat Recht, wenn sie nachforscht, wie man neue Publikumsschichten heranziehen könnte - denn Publikum kommt nicht "automatisch", nur weil irgendwo ein Konzert angekündigt wird. Man muss es "abholen", es anziehen, gerade weil es so viele andere Freizeitangebote gibt.

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  6. Sabine Kanzler31/8/11 11:08

    Petra, in Wissembourg mehrere "Tables d'hôte" organisieren und sich das vom Fremdenverkehrsbüro richtig gut bezahlen lassen....

    (Du siehst, ich denke bei jeder Aktion an Dein Einkommen! ;-) )

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  7. Man sollte immer das tun, was man am besten kann. Bevor ich also jetzt Picknickkörbe verkaufe oder Leute bekoche, bleibe ich doch lieber beim Schreiben von Texten. Das kann ich wirklich - bei den Kochkünsten bin ich mir nicht so sicher...

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  8. Sabine Kanzler31/8/11 16:52

    Missverständnis, Petra!

    Du schreibst für den Veranstalter und den Fremdenverkehrsverband Wissembourg einen flammenden Artikel (wofür man Dich dann fürstlich entlohnen wird), dass sich Leute melden mögen, die den Table d'hôte veranstalten wollen. Und zusammen mit den Chambres d'hôte ist das ja so was von typisch Französisch!

    Die Haushalte, die das veranstalten, erleben einen Ansturm ohnegleichen, sind hellauf begeistert und verköstigen Dich daraufhin im nächsten Jahr kostenlos, um Dich von ihren Gastgeberqualitäten zu überzeugen und Dich zu einer guten Gastrokritik zu animieren.

    Das französische Tourismusministerium schappt, wenn es da mitbekommt, vor Begeisterung völlig über, übernimmt das Konzept landesweit, die Touristen strömen nur so, lassen bergeweise Geld da und die Ratingagenturen stufen Frankreich hoch und höher.

    Sarko verleiht Dir daraufhin das Kreuz der Ehrenlegion, Du wirst Schirmherrin des Ganzen und damit reich und berühmt.

    So ungefähr sieht meine Planung aus. Nicht so'n popeliges Picknickkörbeverkaufen... Pffff!

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