Falsche Ratgeber
Nichts ist verletzlicher als eine Schriftstellerexistenz. Niemand ist gefährdeter als jemand, der Ratschläge zu schnell und kritiklos annimmt. Ich muss aber doch gerade als Autorin Kritik und Wissen von anderen sehr professionell annehmen und verarbeiten können! Wo also liegt die Grenze zwischen unbelehrbaren Besserwissern und allzu manipulierbaren Schriftstellern?
Meine eigene Mottenkiste hat mich gerade Überraschendes gelehrt. Eine Kollegin ermunterte mich kürzlich, unbedingt mein "Erdölprojekt" hervorzuholen - ich säße da auf einem Goldtopf ... Kurz für diejenigen, die die Geschichte dieser Schubladenarbeit nicht kennen: Ich konzipierte die wirklich sehr heiße Story zunächst als historischen Roman, kraxelte über längere Zeit ziemlich mühsam damit herum, bis Text wirklich reif war. Dann wollte mir die Programmchefin eines der größten Konzernverlage das Ding sofort und noch unfertig unter den Fingern wegkaufen, wenn ich zu einer einzigen Änderung bereit gewesen wäre: Erdöl sei zu dreckig, zu männlich, meinte sie. Ich sollte den Clan in Sachen Pelze oder Juwelen unterwegs sein lassen, denn Frauen würden Glamour lieben.
Wer mich kennt, kann sich vorstellen, dass ich auf den saftigen Vorschuss nebst Vertrag verzichtete (manche nannten mich dämlich) und das angefangene Werk in die Schublade verbannte. Das damit verbundene Trauma warf mich lange um und erst Jahre später wagte ich mit einer anderen Agentur, das sowieso aus der Wirklichkeit stammende Thema als Sachbuch zu konzipieren. So würde man es mir nicht mehr zu Glamour und schönem Schein verbiegen können, dachte ich. Aber auch das scheiterte. Sehr zum Erstaunen meines Agenten - denn weder Inhalt noch Schreibstil wurden abgelehnt, sondern mein Geschlecht. Grundweg von allen renommierten Sachbuchverlagen. Einer Frau würde man so ein Buch nicht zutrauen. Ich hätte ja nicht einmal einen einschlägigen Doktortitel, sei "nur" Journalistin. Nach anderthalb Jahren solcher Ignoranz gaben wir auf. Ich arbeitete in Frankreich noch ein Weilchen zusammen mit den Fachleuten und erlebte, wie das Schweizer Fernsehen, das französische Fernsehen und ARTE "meinen Stoff" zur Doku verarbeiteten - waren ja alles "nur" Journalisten und die können eben auch über Erdöl nachdenken! Schneller und flexibler vor allem.
Durch jene Autorenkollegin habe ich gestern die verschlossene Materialkiste vom Speicher geholt, die ältesten Papiere von 2001 sind schon sehr vergilbt. Und da fiel mir ein Briefumschlag meiner ersten Agentur in die Hände, die damals eine Lektorin zur Prüfung beauftragt hatte - und eine Art Gutachten von jemand anderem lag auch darin. Damals kam dieser Brief wie ein Faustschlag. Ich hatte gelernt, Lektoren - zumal von guten Häusern - unbedingt ernst zu nehmen und mich selbst von vornherein als Lehrling anzusehen. Die würden schon wissen, was für Ratschläge sie mir gaben. Die mussten wissen, wie man eine Schriftstellerkarriere aufbaut! Ich nahm damals diese Ratschläge sehr ernst - und war nach jenem Schreiben lange wie gelähmt in meinem Schreiben.
Fast zehn Jahre später sieht die Sache völlig anders aus. Nicht lange nach jenem Brief stellte sich heraus, dass die Agentur zwar gern Verträge abschloss, aber absolut nicht in meinem Sinn und nach meinen Talenten handelte. Ich musste ihr sogar wegen steter Untätigkeit kündigen. Zum Glück fand ich sofort wieder einen neuen Agenten, der mich wirklich und endlich förderte. Hätte ich damals geahnt, dass auch seriöse Agenturen nicht immer das Gelbe vom Ei sind - wie hätte ich auf jenen Brief reagiert?
Das sogenannte "Lektorat" hat mich mit dem Abstand und der Erfahrung, die ich heute habe, ziemlich erheitert. Da hat sich eine (mir unbekannte) Frau abgearbeitet, um so einem kleinen Greenhorn mal richtig Bescheid zu stoßen, was es alles noch nicht kann. Die Fitzelchen von Mäkeleien - das sehe ich erst jetzt richtig - waren die üblichen kleinen Ausdrucksfehler, die man bei einem Erstentwurf eben so macht, an denen sich ein guter Lektor aber nicht aufhält, weil es Wichtigeres zu beraten gibt. Und allzu oft zeugten die Verbesserungsvorschläge von einem nicht gerade sicheren Stilgefühl der Kritisierenden. Komisch, denke ich heute, dass mir die Agentur nicht einmal sagte, wer mich da "in der Mache hatte"!
Das "Gutachten", das dabei lag, würde ich vom heutigen Kenntnisstand als "unter aller Kanone" bezeichnen. Obwohl es da einige wirklich richtige und wertvolle Hinweise in Sachen Plot gab, war der Stil unmöglich. Die Frau kanzelte mich ab! "Das wirst du doch unmöglich so gemeint haben, so intelligent bist du doch, das zu bemerken" / "Du kannst dir doch denken, dass man als Profi in Sachen X mehr bieten muss, mit so einer Szene bist du sofort untendurch, jeder Profilektor sieht, dass du eine blutige Anfängerin bist." In diesem Stil ging das so weiter - mit der Versicherung, dass sie schon so lange Gutachten für renommierte Verlage schreibe, dass ich auf das Urteil der Erfahrenen bauen könne (und müsse).
Ich fand in der Kiste auch eine spätere Manuskriptfassung, die ich nach meiner eigenen Kritik mir selbst gegenüber angefertigt hatte. Die betreffende Szene stand darin an einer völlig anderen Stelle, der Dialog war geändert und da passte sie auch bestens. Jene Gutachterin hätte das als Profi sehen müssen. Aber zu jener Zeit war ich naiv, gutgläubig, kritikbedürftig - ja ich dürstete geradezu nach professioneller Kritik. Dummerweise war ich aber auch zu zerbrechlich. Mein Projekt verschwand in einer Kiste auf dem Speicher. Und ich weiß wirklich nicht, ob ich es noch jemals wieder hervorholen möchte, zumal der historische Roman inzwischen auch nicht mehr das ist, was er einmal hätte werden können...
Ich erzähle diese Geschichte als kleines Beispiel dafür, wie schwierig das mit den Ratschlägen und der Kritik ist. Ohne ehrliche und auch harte Kritik entwickeln wir uns nicht weiter. Aber welche Kritik entwickelt uns wirklich? Heute werde ich manchmal um Rat gefragt. Wie viel mache ich mit meinem Rat kaputt? Wen führe ich damit in die Irre? Wann irre ich mich? Wann muss ich den Holzhammer schwingen, um Illusionen zu zerstören?
Ich weiß inzwischen nur: Man kann auch schlechte Agenturen und falsche Ratgeber überleben. Man lernt auch von solchen Leuten in diesem knallharten Beruf. Irgendwann lernt man sogar, wie Ratgeber ticken, und wann es sich wirklich lohnt, auf sie zu hören. Solche Schubladenprojekte sind nie vertane Zeit. Man entwickelt sich selbst am Unveröffentlichten, man lernt gerade am Scheitern jede Menge. Deshalb ist es auch so wichtig, nicht jeden Furz zu veröffentlichen! Selbst der ärgste Feind sagt irgendeine Wahrheit. Angesichts dieses Briefes habe ich jedoch überlegt: Nach welchen Kriterien lasse ich persönlich heute Ratschläge zu? Und zwar Ratschläge, die tiefer gehen, als nur reine Sachfragen zu behandeln ...
- Ein Ratgeber sollte sich mit der Arbeit eines Autors vertraut machen und dessen Wünsche und Ideen kennen. Der Markt für jede Art von Buch ist anders, jeder Autor ist anders - auch wenn das wie eine Binsenweisheit klingen mag.
- Ein Ratgeber sollte keine Hierarchie am Autor abarbeiten, sondern auf Augenhöhe ein konstruktives Gespräch beginnen. Dieses "Ich erfahrener Großguru - du kleiner, dummer Anfängerwurm" mag persönlichen Machtgelüsten schmeicheln, auf der Sachebene darf man solches Gehabe als Versagen werten. Es hat nicht zu interessieren, wie anfängerhaft oder dumm ein Autor ist. Es geht um ganz konkrete Textarbeit, wo man Fehler und Schwächen schlicht verbessern kann. Nicht zuletzt lernt auch der Ratgeber vom Gegenüber.
- Ein Ratgeber muss sich dafür interessieren, was ich will, was mein Ding ist. Es ist unprofessionell, die eigenen Wünsche auf Ratsuchende zu projizieren. Ich kann jemandem sagen, wenn er sich verrennt oder falsch einschätzt. Aber ich sollte niemanden zwingen, dorthin zu rennen, wo ich selbst gern wäre.
- Ernstgemeinter Rat muss mit dem Finger in die Schwächen bohren, aber auch konstruktiv sein und Wege aufzeigen. Vor allem sollte er als Möglichkeit begriffen werden, nicht als Evangelium. Man darf auch mal zugeben: "Das ist meine Erfahrung. Von der kann man vielleicht etwas lernen - aber sie muss nicht für jeden zutreffen."
Zum Glück muss ich nur einen Vortrag über PR und nicht übers Schreiben halten. Da geht es um reine Sachfragen. Aber auch in der Buch-PR gibt es keine Patentrezepte und Allheilmittel. Auch hier gilt: je individueller, desto wirkungsvoller.
PS: Ich glaube zum jetzigen Zeitpunkt übrigens nicht, dass ich jenes Projekt je wieder aufwärmen werde. Zu viel ist da kaputt gegangen ...
Nach meinen Erfahrungen aus den letzten beiden Jahren kann ich nur sagen: Ach, hätte ich doch diesen Deinen Blogpost schon 2009 gelesen, was hätte ich mir alles erspart - sicher wäre der Roman schon fertig! Aber was sind wir am Ende, ohne unsere ganz eigenen Umwege? ;-)
AntwortenLöschenIch darf gar nicht dran denken, wie blöd ich heute noch bin und wo ich womöglich dicke Leberwurst auf der Brille habe. Aber wie du sagst. Und irgendwie soll Altern ja auch Spaß machen? ;-)
AntwortenLöschenDie Diskussion mit der Verlagsseite, "was der Markt will", was "der Leser" sucht und welche Informationen man demnach in einem (Sach-)Buch liefern sollte, ist schon interessant. Um es mal neutral zu sagen. Zumal die Verlagsseite ja vom Verlegen Ahnung hat, nicht aber vom zu behandelnden Thema...
AntwortenLöschen:-/
...wobei - ich will nicht ungerecht sein - die Gliederung einer verlagsseitigen Kritik zu verdanken ist...
AntwortenLöschen;-)
Herzlichen Dank für den Beitrag, Petra.
AntwortenLöschenWenn ich denke, auf wie viele Ratschläge ich mich schon gestützt habe ...
Am nützlichsten waren sie meist nur dann, wenn ich in genau das Loch gestürzt bin, um das mich der Ratschlager hat herumführen wollen.
Ganz im Sinne von: Selber Fehler machen, macht schlau.
Gruss Dani
Dani, du erinnerst mich an Zeiten, als ich mich noch in Internet-Quasselgruppen in Sachen Schreiben bewegte. Ich hab dann ganz schnell die Reißleine gezogen, sonst hätte ich dort das Schreiben verlernt ;-) Der Vergleich mit den Löchern ist klasse.
AntwortenLöschenSabine, du kennst dich ja mit *echtem* Marketing aus und kannst dir vorstellen, was eine "Markt"definition wert ist, für die man noch nicht einmal eine Marktforschungsstudie in Auftrag gegeben hat. Eine tolle Absage damals zum Sachbuch muss ich noch erzählen! Der Ölpreis stieg zu jener Zeit horrend, Erdöl war in aller Munde. Meinte eine Verlagsdame, die Leute seien schon schlimm genug mit Krisen gebeutelt und würden jetzt tröstlichere Themen bevorzugen. Und wenn man so viel an der Zapfsäule bezahle, wolle sicherlich auch niemand extra noch Geld für ein Erdölbuch hinlegen! Das weichgespülte Programm des Verlags sprach aber auch Bände...
Beim ersten Buch haben mich solche Dinge aufgeregt. Ich habe dann sehr schnell gelernt, dass man herrlich drüber lachen kann. JEDER Profiautor, der nicht gerade Hausautor ist, hat zu jedem Buch, das verlegt wird, mindestens eine Absage dieser Art. Professionell ist es dann, zu sehen, dass man ohnehin nicht zusammenpasst - und den zu suchen, bei dem es Klick macht (aus manchmal ebenfalls urkomischen Gründen). Dafür braucht man ja heutzutage Agenturen - die wissen einfach, wie welche Flöhe husten und halten einem das Schlimmste vom Hals ;-)
Wenn jemand immer über die gleichen Dinge schreibt, ist es einfacher - dann hat man meist einen festen Verlag.