Im Puppenhaus
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Mir fehlen zu oft die Brüche, die Abgründe, die Skurrilitäten, das Absurde des wahren Lebens. In solchen Augenblicken fühle ich mich zu lange sesshaft und würde es am liebsten wieder einmal mit einer Emigration versuchen. Das Unternehmen scheitert meist daran, dass ich ohnehin längst zwischen allen Stühlen sitze und meine Aufenthaltsgenehmigung trotzdem endlich verlängern muss. Mir fällt die Decke auf den Kopf an solchen Tagen, die Wörter der eigenen Sprache fallen mir aus dem Kopf und die der Zweitsprache kommen plötzlich in seltsamen fremden Akzenten.
Wenn ich dann auch noch in Sachen Buch am Scheideweg stehe, gibt es nur eins: Ich flüchte in die Extreme. Ich fahre dorthin, wo das Absurde noch lebt, wo es kein Mittelmaß gibt, wo nicht alle das Gleiche tun und nicht alle die gleiche Sprache sprechen. Gestern bin ich wieder voll auf meine Kosten gekommen. Ganz ohne teuren Flug, Visum und aufwändige Reisen. Der galoppierende Wahnsinn, pardon - das Leben, wie es leibt und lebt, kondensierte sich in diesem Fall um ein einzelnes Gebäude und einen Hinterhof. Den Eingang vorne möchte ich schon in Sachen Nijinsky demnächst einmal nehmen - nicht wegen des Goldes, das derzeit dort gezeigt wird:
Andere Schilder leiteten mich jedoch in die Irre. An der verhängten Nebenfassade wurde nämlich eindringlich vor Videoüberwachung und ganz strengen Sicherheitsvorkehrungen gewarnt. Es reizte mich. Ich bin ein Mensch, der hinter die Fassaden blicken will. Vorne hui, hinten pfui? Was verbarg sich hinter dem Glamour russischer Juwelen?
Ganz genau: ein Hinterhof. Meterhohe Brennesseln, Brombeergestrüpp, wucherndes Unkraut und die freigelegte, notdürftig gestützte Hauswand einer wahrhaft potemkinschen Fassadentäuschung. Neben der Baustelle Mrs America. Sie hatte eindeutig schon bessere Tage gesehen. Heruntergekommen sah sie aus. Von Spinnweben erobert. Sie schien die endgültige Pleite einzuläuten.
"Kunden, die diesen Artikel konsumierten, hörten auch Gogol Bordello" - oh, woher weiß sie das? Ist ja unheimlich.
AntwortenLöschenHarharhar, das nennt man Zielgruppenforschung nach der Moll-Methode!
AntwortenLöschenlitterart.wordpress.com
AntwortenLöschenEs gibt sie noch, die wahren GRENZGÄNGERinnen. Jedoch: Sie sind von äußerster Seltenheit. Petra, du bist eine davon! Schön, dass es dich gibt!
Michael
es gibt eine leicht aehnliche Stadt hier in England. Der wird der Name lediglich einmal benutzt - English understatement vielleicht? Doch es ist und bleibt eine Insel - Grenzen gibt es keine und desswegen ist man grenzenlos eingesperrt. Komisch, wie eine Grenze Freiheit verkuenden kann.
AntwortenLöschenHochinteressant. Bei all meinen Umzügen habe ich mich bisher nur in einem einzigen Landstrich unwohl gefühlt und das lag nicht an der Region. Sondern daran, dass die nächste Grenze so weit weg war. Ich bin nicht nur 4 km von einer Landesgrenze entfernt geboren - ich lebe auch ständig an Grenzen! Ja, allein die theoretische Möglichkeit, verschwinden zu können...
AntwortenLöschen@Michael:
Ich treffe öfter mal auf internationale Leute, die aus einem abenteuerlich-spannenden Gemisch bestehen und nur noch im eigenen Kopf zuhause sind. Aber es stimmt, man muss sie suchen.
Madame, ich fühle mit Ihnen, hab's zwar nicht so mit Grenzen als hierhin und dorther, und was sie trennen, ist bei uns ja meist auch nicht mehr so das. Wohin wollte man denn fliehen, aus Sarko- Merkel- Berlusconistan? - Jede Grenze ist schön, wenn hinter einem, und eine Illusion, wenn man drauf zu geht.
AntwortenLöschenTrotzdem heitere Transgressionen in völkerverbindendem - sagen die "Kaiserwetter"? Und wenn, welcher iises?
Herzlich PhJ
Werter PhiJo,
AntwortenLöschendu hast es erfasst. Es ist das herrliche Spiel mit den Möglichkeiten und Vorstellungen, den Visionen von Milch und Honig ... Der Koffer als Verheißung, als Möglichkeit, ein Leben einzupacken und woanders auszupacken und neu zu ordnen. Manchmal werden Koffer in die Luft gesprengt, manchmal verrotten sie auf Dachböden. Für Veränderungen braucht man sie nicht wirklich. (Irgendwann wird das mal ein Roman, das Thema rottet schon lange vor sich hin).
Und dann die harte Realität. Ich habe mich spaßhalber mal damit beschäftigt, was ich alles unternehmen müsste, um nach über 20 Jahren Emigration zurückzukehren. Da ist mir angesichts der Administration sowas von schlecht geworden! Schlimmer als Emigrieren! Dann doch lieber die Touristerei über den Rhein.
Jaja, "wir sind Kaiser" ... Gemerkelt, berluscifiziert und in den Sarko gesteckt. Bis uns der / die nächste das Graue vom Himmel verspricht.
Herzliche Grüße zwischen die Stühle - Petra