In Zwischenräumen
Heute steht es leider mit meinen Sprachfähigkeiten noch schlechter - jeden Text korrigiere ich mindestens fünf Mal, weil ich die Buchstaben kplomtte durcheinanderwürfle. Gestern sagte ich zu jemandem: "War danke viel sehr" - und bemerkte erst an dem überraschten Blick, dass ich womöglich etwas Seltsames gesagt hatte. Also versuchte ich noch drei Anläufe, aber mir wollte partout das richtige deutsche Wort nicht mehr einfallen. Dafür hatte ich das richtige russische für genau diese Situation kurz zuvor gelernt.
Fünf munter plaudernde Russen (d.h. im Originaltempo) über zwei Stunden lang, dazwischen kleine Übersetzungen - und ich fühle mich wieder wie damals bei der Ankunft in Polen: wie ein kleiner sprachloser Alien. Da habe ich nun so viele Sprachen gelernt und kann mich immer noch nicht fließend mit der Welt unterhalten! Und ich bemerke wieder diesen unermesslichen Hunger und Durst, weit hinter Gestik und Mimik zu gelangen, diese Wand zu durchbrechen, die zwischen Gedanken von Menschen steht, wenn sie zwei verschiedene Sprachen sprechen.
Bei mir hilft zunächst am besten Berieselung. Ein Gefühl für die Laute bekommen, für den Klang, die Musik einer Sprache. Es ist, wie wenn man eine fremde Symphonie anhört, in einer Musik, mit der man sich noch nie beschäftigt hat. Beim ersten Hören schreckt man vielleicht zurück, empfindet manche Töne als Getöse und kann mit der Rhythmik nichts anfangen. Lässt man sich aber auf die Musik ein, bemerkt man plötzlich, dass ein disharmonischer Klang genau den richtigen Kontrapunkt ergibt, dass der Rhythmus tanzbar wird und die unbekannten Instrumente fühlbar. Irgendwann erkennt man sogar die einzelnen Takte. Irgendwann ist man soweit, die Noten aufschreiben zu können. Diesen Effekt des "Umhörens" erlebe ich manchmal bei Franzosen, für die Deutsch meist wie Holzhacken klingt - unwahrscheinlich hart und krachend. Liest man ihnen dann deutsche Lyrik vor oder einen Text, der mit Amtsdeutsch nichts zu tun hat, kommt das große Staunen - aha, ihr macht zwar riesige Pausen nach jedem Wort, aber das kann ja sogar weich klingen!
Ich muss mich einhören und einfühlen. Jeglicher Sprachunterricht der schulischen Sorte prallt an mir ab. Ich kann auch keine Vokabeln büffeln. Entweder erzeugt ein Wort in mir einen bestimmten Klang mit einer Farbe oder sogar einen Geruch. Das ist dann gespeichert. Wie z.B. der Herr Gogol, von dessen altvertrauter deutscher Aussprache Gohgohl ich mich wohl verabschieden muss. Im Original kullert und hüpft sein Name wie ein silbergrauer runder Kieselstein über glitzerndes Wasser. Ich muss also nur an den Stein denken und dann kann es eben passieren, dass ich im Zustand des Zwischenraums jemanden frage, ob er schon mal das Buch von Stein gelesen habe, na das von diesem silbergrauen Schriftsteller, wie hieß er noch gleich ...
So lustig das für Außenstehende klingen mag - der Zustand im Zwischenraum ist schrecklich. Als ob man einen dicken, wattierten Raumanzug trägt, der keine Töne herauslässt, und in dem jede Bewegung unendlich mühsam wird. Man möchte ihn herunterreißen und endlich auf dem anderen Planeten unbeschwert herumspringen. Stattdessen hört man komische Funksprüche, die sich gegenseitig überlagern. Ich will etwas sagen, suche nach einem Wort und plötzlich quakt es auf Polnisch ins Ohr. Das Hirnmännchen, das ich mir als Kind immer vorgestellt habe, rennt mit der Fliegenklatsche in den Hirnwindungen herum und schlägt zu: "Bist du ruhig, du bist jetzt nicht dran! Und außerdem war das halb Italienisch!" Das polnische Wort aber quakt weiter: "Ich bin viel näher dran als das englische Wort, lass mich endlich raus, ich will in den Mund!" Kein Wunder, dass sich das Englische schmollend in den letzten Winkel verzieht und plötzlich gar nicht mehr verfügbar ist. Habe ich diese Sprache je gelernt? Kann sich eine Sprache zeitweise verabschieden und Urlaub machen?
Nach einer Stunde hat sich mein Hirnmännchen erschöpft hingesetzt. Vielleicht war das der Moment, in dem etwas heimlich still und leise von ganz tief unten an ihm vorbeischleichen konnte. Es war ein nebliges, in seinen Farben völlig verblasstes Etwas. Eine Erinnerung aus Teenie-Tagen. Damals hatte ich in der Schule ganz wenig Russisch gelernt, ohne je die Gelegenheit zu haben, es richtig zu hören. Das Etwas hat die polnischen Wörter an der Hand genommen und zusammen sind sie in mein Ohr geschlichen und haben sich still hingesetzt. Ich hätte nie etwas übersetzen können, nichts sagen, nichts antworten. Aber ich begann grob zu verstehen, um was es ging. Ich bekam eine Ahnung, worüber die Leute redeten. Und mit jeder Minute bekam das verblasste Etwas ein wenig von seinen Farben zurück.
Ob ich es je so weit schaffen werde, dass mein Hirnmännchen sich fügt und noch eine Sprachabteilung hegt und pflegt, weiß ich nicht. Ich bin so furchtbar ungeduldig und wünschte mir manchmal die "Transponder" aus dem Raumschiff Enterprise, die man sich einfach um den Hals hängt - und schon kann man fließend miteinander sprechen - ob man vom Planeten der blauen Vielarmer stammt oder vom Planeten der gelben Quarkgesichter. Bis die Transponder erfunden werden, muss ich mich eben noch öfter in den schwerelosen Zwischenraum begeben und nach Wörtern fischen.
Das Hirnmännchen jedenfalls war danach völlig erschöpft und scheint heute so etwas wie einen Kater zu haben. Ab und zu versagt es in seinen Sprachwächteraufgaben. Aber immerhin habe ich gerade auf Französisch telefoniert - weil mir auf Deutsch nicht einfiel, was ich sagen wollte...
Fünf munter plaudernde Russen (d.h. im Originaltempo) über zwei Stunden lang, dazwischen kleine Übersetzungen - und ich fühle mich wieder wie damals bei der Ankunft in Polen: wie ein kleiner sprachloser Alien. Da habe ich nun so viele Sprachen gelernt und kann mich immer noch nicht fließend mit der Welt unterhalten! Und ich bemerke wieder diesen unermesslichen Hunger und Durst, weit hinter Gestik und Mimik zu gelangen, diese Wand zu durchbrechen, die zwischen Gedanken von Menschen steht, wenn sie zwei verschiedene Sprachen sprechen.
Bei mir hilft zunächst am besten Berieselung. Ein Gefühl für die Laute bekommen, für den Klang, die Musik einer Sprache. Es ist, wie wenn man eine fremde Symphonie anhört, in einer Musik, mit der man sich noch nie beschäftigt hat. Beim ersten Hören schreckt man vielleicht zurück, empfindet manche Töne als Getöse und kann mit der Rhythmik nichts anfangen. Lässt man sich aber auf die Musik ein, bemerkt man plötzlich, dass ein disharmonischer Klang genau den richtigen Kontrapunkt ergibt, dass der Rhythmus tanzbar wird und die unbekannten Instrumente fühlbar. Irgendwann erkennt man sogar die einzelnen Takte. Irgendwann ist man soweit, die Noten aufschreiben zu können. Diesen Effekt des "Umhörens" erlebe ich manchmal bei Franzosen, für die Deutsch meist wie Holzhacken klingt - unwahrscheinlich hart und krachend. Liest man ihnen dann deutsche Lyrik vor oder einen Text, der mit Amtsdeutsch nichts zu tun hat, kommt das große Staunen - aha, ihr macht zwar riesige Pausen nach jedem Wort, aber das kann ja sogar weich klingen!
Ich muss mich einhören und einfühlen. Jeglicher Sprachunterricht der schulischen Sorte prallt an mir ab. Ich kann auch keine Vokabeln büffeln. Entweder erzeugt ein Wort in mir einen bestimmten Klang mit einer Farbe oder sogar einen Geruch. Das ist dann gespeichert. Wie z.B. der Herr Gogol, von dessen altvertrauter deutscher Aussprache Gohgohl ich mich wohl verabschieden muss. Im Original kullert und hüpft sein Name wie ein silbergrauer runder Kieselstein über glitzerndes Wasser. Ich muss also nur an den Stein denken und dann kann es eben passieren, dass ich im Zustand des Zwischenraums jemanden frage, ob er schon mal das Buch von Stein gelesen habe, na das von diesem silbergrauen Schriftsteller, wie hieß er noch gleich ...
So lustig das für Außenstehende klingen mag - der Zustand im Zwischenraum ist schrecklich. Als ob man einen dicken, wattierten Raumanzug trägt, der keine Töne herauslässt, und in dem jede Bewegung unendlich mühsam wird. Man möchte ihn herunterreißen und endlich auf dem anderen Planeten unbeschwert herumspringen. Stattdessen hört man komische Funksprüche, die sich gegenseitig überlagern. Ich will etwas sagen, suche nach einem Wort und plötzlich quakt es auf Polnisch ins Ohr. Das Hirnmännchen, das ich mir als Kind immer vorgestellt habe, rennt mit der Fliegenklatsche in den Hirnwindungen herum und schlägt zu: "Bist du ruhig, du bist jetzt nicht dran! Und außerdem war das halb Italienisch!" Das polnische Wort aber quakt weiter: "Ich bin viel näher dran als das englische Wort, lass mich endlich raus, ich will in den Mund!" Kein Wunder, dass sich das Englische schmollend in den letzten Winkel verzieht und plötzlich gar nicht mehr verfügbar ist. Habe ich diese Sprache je gelernt? Kann sich eine Sprache zeitweise verabschieden und Urlaub machen?
Nach einer Stunde hat sich mein Hirnmännchen erschöpft hingesetzt. Vielleicht war das der Moment, in dem etwas heimlich still und leise von ganz tief unten an ihm vorbeischleichen konnte. Es war ein nebliges, in seinen Farben völlig verblasstes Etwas. Eine Erinnerung aus Teenie-Tagen. Damals hatte ich in der Schule ganz wenig Russisch gelernt, ohne je die Gelegenheit zu haben, es richtig zu hören. Das Etwas hat die polnischen Wörter an der Hand genommen und zusammen sind sie in mein Ohr geschlichen und haben sich still hingesetzt. Ich hätte nie etwas übersetzen können, nichts sagen, nichts antworten. Aber ich begann grob zu verstehen, um was es ging. Ich bekam eine Ahnung, worüber die Leute redeten. Und mit jeder Minute bekam das verblasste Etwas ein wenig von seinen Farben zurück.
Ob ich es je so weit schaffen werde, dass mein Hirnmännchen sich fügt und noch eine Sprachabteilung hegt und pflegt, weiß ich nicht. Ich bin so furchtbar ungeduldig und wünschte mir manchmal die "Transponder" aus dem Raumschiff Enterprise, die man sich einfach um den Hals hängt - und schon kann man fließend miteinander sprechen - ob man vom Planeten der blauen Vielarmer stammt oder vom Planeten der gelben Quarkgesichter. Bis die Transponder erfunden werden, muss ich mich eben noch öfter in den schwerelosen Zwischenraum begeben und nach Wörtern fischen.
Das Hirnmännchen jedenfalls war danach völlig erschöpft und scheint heute so etwas wie einen Kater zu haben. Ab und zu versagt es in seinen Sprachwächteraufgaben. Aber immerhin habe ich gerade auf Französisch telefoniert - weil mir auf Deutsch nicht einfiel, was ich sagen wollte...
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