Der rote Faden ist ein Netz

Professionelles Bücherschreiben für Verlage unterscheidet sich vom Spaß-an-der-Freud-Schreiben unter anderem in einem sehr wichtigen Punkt: Verlage wünschen sich Kontinuität und Schriftsteller, die sich auch langfristig aufbauen lassen. Am einfachsten funktioniert das bei Autoren, die eine recht eindeutige Vorliebe haben, an der sie über Jahre fleißig dranbleiben - die also z.B. historische Romane oder Krimis oder Kochbücher schreiben. Schwieriger wird es, wenn jemand vielseitiger ist, etwa im Bereich Sachbuch. Dort muss je nach Thema durchaus ständig der Verlag gewechselt werden, weil viele Verlage sehr spezialisiert sind. Das ist mühsamer, funktioniert aber auch.

Mein Agent hat mir für diesen Weg vor Jahren den entscheidenden Ratschlag gegeben: "Schauen Sie, dass Sie einen roten Faden in Ihre Arbeit hineinbekommen." - Wie ich das schaffen könnte, wollte ich wissen, ob ich künftig nur noch über Kartoffelklöße schreiben dürfte? Sein Rezept war so einfach wie wirkungsvoll: "Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie am meisten lieben und am besten können."

Ich habe ziemlich lange gebraucht, bis ich einmal so weit war, das zu erkennen. Mit dem Buch übers Elsass und die Kulturgeschichte der Rosen schien sich endlich mein Weg abzuzeichnen. Ausgerechnet mit dem Buch, das außerhalb läuft, nämlich "Faszination Nijinsky", färbt sich der etwas knotige Faden aber endlich knallrot. Und da fällt mir ein weiteres Geheimnis auf: Der rote Faden ist in Wirklichkeit ein Netz! Seit vielen Jahren arbeite ich nebenher an Kontakten, die zu meinen Büchern passen - meist geht es dabei um freie Veranstalter, aber auch um sogenannte "Multiplikatoren". Weil ich mit meinem Auslandswohnsitz und nicht lesungsfeinem Hund etwas gehandicapt bin, was weite Reisen betrifft, ließ ich mich immer nur in einem Umkreis engagieren, in dem ich noch heimfahren konnte. Ich fürchtete immer, mit dieser doch recht regionalen Orientierung viele Chancen zu vertun. Dass ich keine Lesereisen quer durch die Nachbarnation mache, können viele nicht verstehen. Und dass ich immer über "so komische Themen" schreiben wollte, auch nicht.

Inzwischen hat sich einiges ergeben, das mir zeigt: Es ist heutzutage durchaus lohnend, sich erst einmal im Kleinen einen Ruf aufzubauen und die Stärken des eigenen Umfelds zu nutzen. In Hamburg oder Berlin bin ich eine Nummer unter vielen, ein Noname, wo sich allerlei Promis die Klinke in die Hand geben. In einer Stadt, in der ich seit meiner Jugend mein Unwesen treibe, habe ich ganz andere Ansatzpunkte. Manches wird einfacher. Bei meinen Lieblingsveranstaltern hatte ich bisher mit jedem meiner Lieblingsbücher einen Auftritt in wunderbarem Umfeld - und der "Nijinsky" folgt 2012 schon ganz automatisch. Menschen, die mich mit Buch A kennenlernten, empfehlen mich für Buch B. Wer mich näher kennt, erzählt mir von Ideen, auf die ich selbst noch nicht gekommen bin. Und eine Ermüdung beim Publikum ist auch noch nicht eingetreten - im Gegenteil, vor zwei Jahren durfte ich eine Frau kennenlernen, die keine Lesung von mir ausgelassen hat, seit 1998!

Der engere Kontakt zum Publikum - so bin jedenfalls ich gestrickt - fällt wieder als Motivation und Energie auf mein Schreiben zurück. Ich erinnere mich kaum noch an eine Nobellesung in Zürich mit anstrengender Anreise, miesem Hotelzimmer und schlechter Organisation. Aber ich werde nie die Lesung in Baden-Baden vergessen, im Dachgeschoss bei 40 Grad Außentemperatur, deren zweiten Teil ich spontan zum Biertrinken mit meinem Publikum in den Kurpark verlegt habe - inklusive des herrlichen Feuerwerks, das ganz zufällig an diesem Tag abgefackelt wurde. In den letzten Jahren hatte ich bei Auftritten immer stärker den Eindruck, endlich "mein" Publikum gefunden zu haben, endlich auch zu erfahren, was diese Menschen bewegt und interessiert.

Und im Moment schließen sich da sehr kuriose Kreise. Weil ich nun ganz alleine "auf eigene Gefahr" arbeite, habe ich mir ein paar ziemlich verrückt klingende Ziele gesetzt. Den Weg dazu nage ich schon seit ein paar Jahren an, habe mich aber bisher zu sehr auf die Presseabteilungen der Verlage verlassen. Ich dachte, die könnten wichtige Kontakte viel leichter und schneller knüpfen als ich - aber das war ein Denkfehler. Gute Kontakte knüpft man nicht virtuell vom Schreibtischcomputer aus. Kam noch ein Kuriosum dazu ... Als ich mich mit dem Nijinsky-Manuskript noch eine Weile "ordentlich" bewarb, steckte ich zum Exposé jede Menge Vorschläge in Richtung deutsch-russischer Kulturkontakte. Sachbuchverlage nehmen einen mit offenen Armen, wenn man schon eine Marketingstrategie vorentwirft. In meinem Fall kamen jedoch Bedenken. Auf Nachfrage entpuppten sich die Bedenken als Angst.

Ich bin hartnäckig und will natürlich immer wissen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Und war baff. Was ich zu hören bekam, wäre Stoff für einen Vorurteilsbaedecker. Natürlich kam sofort die Angst vor Piraterie. Dabei waren wir noch gar nicht so weit, überhaupt an Lizenzen zu denken! Als nächstes kamen die Bedenken, es könne doch an der ein oder anderen Stiftung oder Vereinigung Mafia beteiligt sein. Man wisse ja nie. Solch strunzdumme Ideen habe ich nicht mehr gehört, seit mir deutsche Freunde verklickern wollten, nach Warschau zu ziehen sei lebensgefährlich. Irgendwie schauen die alle zu viel Tatort?! Und ja, ich erzähle keine Witze, aber das muss einfach mal erzählt werden. So denken nicht alle Verlage, aber manche manchmal. Werbung fürs Buch ja, aber bitte in den gewohnten Bahnen und wo man weiß, was man hat (oder auch nicht). Das eigene Land ist ja ach so korruptionsfrei.

Diese gewohnten Bahnen habe ich also verlassen, habe Leute getroffen, die sich derart für mich engagieren, dass es fast unglaublich ist. So gehen Türen auf, von denen ich noch nicht weiß, was dahinter steckt - ich weiß nur, dass mein roter Faden, der eigentlich ein Netz ist, mich dort hinführen sollte. Was mich aber am meisten überrascht auf diesen hartnäckig verfolgten krummen Wegen: Ich finde dort genau das, was mich selbst begeistert. Oder wie der Agent gesagt hat: Was ich am liebsten mache und am besten kann. Plötzlich tut auch das Klinkenputzen nicht mehr weh, sondern macht mich neugierig, macht Spaß. In den nächsten beiden Monaten wird wohl noch einiges passieren.

Was sich durch meinen Dickkopf bereits ergeben hat, ist mein nächstes Buch. Es ist ein ganz großer Wunschtraum, wieder ein erzählendes Sachbuch, wieder die Zeit der Avantgarde vor dem ersten Weltkrieg bis in die 1920er - doch diesmal mit einem hochaktuellen Bezug, der alle bewegt, und einer sehr verrückten Geschichte. Wieder wird die faszinierende kosmopolitische Welt eine große Rolle spielen, die leider mit der Kriegsmaschinerie des Ersten Weltkriegs völlig zerstört wurde und die sich nach dem Zweiten Weltkrieg nie zur alten Größe erholt hat. Ja, die Reise beginnt noch einmal in Russland und geht über Europa bis in die USA. Sorgen um den Inhalt mache ich mir nicht mehr - es sieht so aus, als bekäme ich Anschluss an wunderbare Quellen. Und ob und wie das Buch verlegt werden wird, interessiert mich - ehrlich gesagt - im Moment nicht die Bohne. Ich bin wieder "auf Stoff".

PS: Es ist einfach zu schön - culturbureau hat mir einen ROTEN FADEN geschickt!

2 Kommentare:

  1. "Und ob und wie das Buch verlegt werden wird, interessiert mich - ehrlich gesagt - im Moment nicht die Bohne. Ich bin wieder "auf Stoff"."

    Von diesem ansteckenden Lebens-und Schreibgefühl würde ich mir gern was abschneiden, liebe Petra! Und ich sage mir: Kommt Zeit, kommt Erholung, kommt neue Lust, kommt roter Faden, kommt rotes Netz!:-)

    Herzlichst
    Christa

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  2. Liebe Christa,

    dieses Gefühl kann man provozieren. Bei mir persönlich geht das dadurch, dass ich mich völlig auf mein Projekt konzentriere und alle inneren Zensoren abschalte, sprich all diese "Wenn und Aber", das sogenannte Marktgewäsch, dieses "Das musst du so machen und nur so kannst du verkaufen". Das hat in der Entstehungsphase schlicht nichts zu suchen. Später, wenn das Projekt groß und stark genug ist, kann ich mir immer noch Gedanken machen, wie ich es an Frau und Mann bringe. Aber gerade in Zeiten, wo man nun wirklich keinen Verlag mehr braucht, um ein gutes Buch zu machen, wird die Bewerbung bei Verlagen oder Agenturen darum auch viel lockerer, der Druck ist weg. Klingt paradox, ist aber so. Ganz allein die Inhalte entscheiden, ob das "Ding" überlebt und wie und wo.

    Jeder tickt sicher anders und jede Art von Buch verlangt andere Überlegungen. Ich denke aber, wenn man es schafft, statt der äußeren Erwartungen und der "Wenn und Aber" die eigene innere Stimme und die der Idee laut werden zu lassen, dann kommt auch die Leidenschaft...

    Dich überfällt bald auch wieder ein Projekt, da bin ich mir sicher. Aber im Moment bist du ja so schwer in Überarbeitungsphasen - da hast du auch mal Ruhe und anschließendes Feiern verdient!

    Herzlichst, Petra

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