Schweinerei in der Küche
Ich hätte schon als Kind lieber den Kasten "Die kleine Chemikerin" geschenkt bekommen als eine Puppenküche. Und wie das Leben so spielt, rächen sich falsche Rollenzuweisungen spätestens im Erwachsenenalter! Um es auf einen Punkt zu bringen: In Chemie in der Schule war ich keine Leuchte, aber ich bin heute noch absolut fasziniert davon, wie verschiedene Stoffe miteinander reagieren und sich verwandeln. Und da ist noch dieses Neugier-Experimentier-Spiel-Gen in mir - es muss genetisch sein, denn ich komme nicht dagegen an.
Normalerweise ist mein Rühren und Schmieren recht harmlos. Erschrocken bin ich vor mir selbst erst dann, als ich meine Küche zu einer frühen Raffinerie umgestaltete. Man nennt das, glaube ich, experimentelle Archäologie?
Jedenfalls recherchierte ich damals gerade zur europäischen Erdölgeschichte, einem absolut faszinierenden Thema, weil die Europäer schon industriell Erdöl förderten, als die Amerikaner das klebrige Zeug noch für Magie hielten und mit Lumpen aus der Erde tunkten. Ich lebe dafür auch privilegiert, zur ersten industriell ausgebeuteten Ölbohrung der Welt habe ich es nicht weit - die geschah nämlich im Elsass. Damals stand ich in regem Austausch mit dem Archivar des Erdölmuseums und fand aufgrund seiner Beschreibung auch jene erste natürliche Asphaltquelle im Wald. Sie ist leicht zu übersehen, hat nur noch die Größe einer Wildschweinkuhle. Die wälzen sich übrigens zu gern in dem klebrigen Zeug, weil es gegen Parasiten hilft und der Haut gut tut. Die Bäume sind unten ganz teerig, wo sie sich daran schubbern. Klar, neugierige Frauen haben natürlich für solche Ausflüge ein leeres Marmeladenglas mit, den darin gesammelten natürlichen Asphalt habe ich immer noch. Den "Bergelöffel" konnte ich, wenn ich mich recht erinnere, wegwerfen.
Anfangs habe ich nur geschnüffelt, weil dieser Geruch zwischen Bitumen und Nadelbaumharz irgendwie faszinierend ist. Damit hat man früher mumifiziert, komische Heilmittel hergestellt oder Holz verpecht. Doch als mir der Archivar eine Originalschrift des 18. Jahrhunderts überreichte, gab es für mich kein Halten mehr. Die Aufzeichnungen des Direktors der allerersten Raffinerie! Für solche Schriften lasse ich jeden Thriller liegen. Mit glühenden Backen las ich die Originalrezepte von güldener Medizin (aus Erdöl natürlich) und wie man den Asphalt in riesigen Pfannen raffinierte.
Das Wort "Pfanne" war schuld, denn was so ein echtes Frauenzimmer ist, das denkt ja nur an welches Zimmer? Genau, die Küche! Pfannen hatte ich auch. Und so bewaffnete ich mich mit Handschuhen, einer recht alten Kasserolle, dem Marmeladenglas und dem Rezept. Was der Raffineriedirektor verschwiegen hatte: Naturasphalt, Bitumen entzündet sich bereits bei wenig über 60 Grad Celsius von selbst. Ich kann von Glück reden, dass ich nicht gerade neugierig mit dem Gesicht darüber hing und schnüffelte oder rührte! Das Feuer war zum Glück schnell dank eines Deckels gelöscht und Kasserolle nebst Deckel blieben ein Fall für den Müll. Mir saß der Schrecken fühlbar in den Gliedern (die wackeln dann sogar), aber ich hatte das Prinzip der Raffinerie begriffen. Und meine Küche roch noch Wochen nach etwas teerigem Fichtennadelbad. Reenactement soll ja hip sein, habe ich mir sagen lassen.
Aber ich werde nicht braver.
Kürzlich juckte es mir in den Fingern, mich für eine Ausstellung hier in der Region anzumelden, die jedes Jahr unter einem anderen Thema steht. Ungläubig starrte ich auf die Ausschreibung, die da lautete: "Küche". Ort des Familienlebens, Essens, Zubereitens etc. pp., leckere Kunst? Sollte ich dafür etwa kleine Nudelhölzer aus Papier an Ketten hängen? Niedliche rosa Donuts mit Einhornglitter formen? Zuerst hatte ich das Gefühl, das ich zuletzt hatte, als ich mich bei einer Konfirmation so mit Plumpudding überfressen hatte, dass er den Rückwärtsgang einlegte. Nee, Küche ... und ich - mit Papierkunst?
Da hat sich das komische Gen wieder gemeldet. Seit meine Kaffeemaschine hinüber ist, trinke ich viel Filterkaffee. Und sammle und färbe die Filter, denn die sind aus Papier. Mein Blick fiel auf ein anderes Marmeladenglas in meiner Küche - ich habe darin rostige Eisenteile in einer Essig-Wasser-Brühe schwimmen. Das wird erst sehr dunkelbraun, fängt dann lustig an zu schäumen, will öfter mit Sauerstoff gepäppelt werden und klart dann langsam auf. Mit solchen Rostteilen kann man nicht nur eigenartige Muster in Stoffe färben, die aufgeklarte Brühe wandelt sich chemisch zu einer Beize zum Färben. Und das weiß selbst ich: Das Zeug ist mit aller Vorsicht anzuwenden, denn es färbt nicht nur im Nu alles, worauf es spritzt, es greift auch Stoffe an und andere Oberflächen. Manchmal kann man zuschauen, wie schnell es sie zerstört. Handschuhe sind das Minimum, eine Schutzbrille ist auch nicht ohne. Soviel zum "Färben mit Naturfarben" und all diesem Ökobunt - alles eine hochchemische Angelegenheit.
Ich wollte es ausprobieren. Und hatte im Kopf außerdem etwas von der Reaktion mit Tanninen, die von der Brühe besonders stark ausgezogen werden sollen. In einem Kochrest Merlot vermutete ich genügend Reaktionsmaterial. Im fröhlichen Selbstversuch wickelte ich dann feuchte Kaffeefilter mit Garn sehr fest um eine rostige Riesenmutter aus der Beize, legte sie in eine Plastikschale und gab ein paar Schluck Rotwein dazu. Das Eisenteil wurde mehrmals gewendet und nach 24 Stunden konnte ich es nicht mehr abwarten. Oben auf dem Foto das Ergebnis zu sehen, sogar die Fäden wurden sichtbar.
Ich war schon versucht, mich als kleiner Küchenquerkopf zu der Ausstellung anzumelden, aber das Zielpublikum ist gefühlt 60 plus und etwas, ähm ... konservativ. Darum habe ich beschlossen, weiter herumzupantschen, denn da wäre auch noch die Herstellung von Kupferacetat, auch eine Beize in der Färberei. Ebenfalls im Marmeladenglas zu lagern. Für sogenannte "Art Books" und "Art Journals" jedenfalls sind diese verwandelten Kaffeefilter ideal. Ich sollte nur langsam mal Etiketten an meine Marmeladengläser kleben, aus Sicherheitsgründen.
Kaffeefilter müssen kein langweiliges Objekt für die Kaffeetafel sein. Sie ziehen chemische Experimente geradezu an! |
Jedenfalls recherchierte ich damals gerade zur europäischen Erdölgeschichte, einem absolut faszinierenden Thema, weil die Europäer schon industriell Erdöl förderten, als die Amerikaner das klebrige Zeug noch für Magie hielten und mit Lumpen aus der Erde tunkten. Ich lebe dafür auch privilegiert, zur ersten industriell ausgebeuteten Ölbohrung der Welt habe ich es nicht weit - die geschah nämlich im Elsass. Damals stand ich in regem Austausch mit dem Archivar des Erdölmuseums und fand aufgrund seiner Beschreibung auch jene erste natürliche Asphaltquelle im Wald. Sie ist leicht zu übersehen, hat nur noch die Größe einer Wildschweinkuhle. Die wälzen sich übrigens zu gern in dem klebrigen Zeug, weil es gegen Parasiten hilft und der Haut gut tut. Die Bäume sind unten ganz teerig, wo sie sich daran schubbern. Klar, neugierige Frauen haben natürlich für solche Ausflüge ein leeres Marmeladenglas mit, den darin gesammelten natürlichen Asphalt habe ich immer noch. Den "Bergelöffel" konnte ich, wenn ich mich recht erinnere, wegwerfen.
Die Überreste der glorreichen Erdölgeschichte des Elsass sind heute im Besitz des nationalen Erdölmuseums. |
Das Wort "Pfanne" war schuld, denn was so ein echtes Frauenzimmer ist, das denkt ja nur an welches Zimmer? Genau, die Küche! Pfannen hatte ich auch. Und so bewaffnete ich mich mit Handschuhen, einer recht alten Kasserolle, dem Marmeladenglas und dem Rezept. Was der Raffineriedirektor verschwiegen hatte: Naturasphalt, Bitumen entzündet sich bereits bei wenig über 60 Grad Celsius von selbst. Ich kann von Glück reden, dass ich nicht gerade neugierig mit dem Gesicht darüber hing und schnüffelte oder rührte! Das Feuer war zum Glück schnell dank eines Deckels gelöscht und Kasserolle nebst Deckel blieben ein Fall für den Müll. Mir saß der Schrecken fühlbar in den Gliedern (die wackeln dann sogar), aber ich hatte das Prinzip der Raffinerie begriffen. Und meine Küche roch noch Wochen nach etwas teerigem Fichtennadelbad. Reenactement soll ja hip sein, habe ich mir sagen lassen.
So sah der erste Bohrturm der Welt 1813 aus. |
Kürzlich juckte es mir in den Fingern, mich für eine Ausstellung hier in der Region anzumelden, die jedes Jahr unter einem anderen Thema steht. Ungläubig starrte ich auf die Ausschreibung, die da lautete: "Küche". Ort des Familienlebens, Essens, Zubereitens etc. pp., leckere Kunst? Sollte ich dafür etwa kleine Nudelhölzer aus Papier an Ketten hängen? Niedliche rosa Donuts mit Einhornglitter formen? Zuerst hatte ich das Gefühl, das ich zuletzt hatte, als ich mich bei einer Konfirmation so mit Plumpudding überfressen hatte, dass er den Rückwärtsgang einlegte. Nee, Küche ... und ich - mit Papierkunst?
Da hat sich das komische Gen wieder gemeldet. Seit meine Kaffeemaschine hinüber ist, trinke ich viel Filterkaffee. Und sammle und färbe die Filter, denn die sind aus Papier. Mein Blick fiel auf ein anderes Marmeladenglas in meiner Küche - ich habe darin rostige Eisenteile in einer Essig-Wasser-Brühe schwimmen. Das wird erst sehr dunkelbraun, fängt dann lustig an zu schäumen, will öfter mit Sauerstoff gepäppelt werden und klart dann langsam auf. Mit solchen Rostteilen kann man nicht nur eigenartige Muster in Stoffe färben, die aufgeklarte Brühe wandelt sich chemisch zu einer Beize zum Färben. Und das weiß selbst ich: Das Zeug ist mit aller Vorsicht anzuwenden, denn es färbt nicht nur im Nu alles, worauf es spritzt, es greift auch Stoffe an und andere Oberflächen. Manchmal kann man zuschauen, wie schnell es sie zerstört. Handschuhe sind das Minimum, eine Schutzbrille ist auch nicht ohne. Soviel zum "Färben mit Naturfarben" und all diesem Ökobunt - alles eine hochchemische Angelegenheit.
Ich wollte es ausprobieren. Und hatte im Kopf außerdem etwas von der Reaktion mit Tanninen, die von der Brühe besonders stark ausgezogen werden sollen. In einem Kochrest Merlot vermutete ich genügend Reaktionsmaterial. Im fröhlichen Selbstversuch wickelte ich dann feuchte Kaffeefilter mit Garn sehr fest um eine rostige Riesenmutter aus der Beize, legte sie in eine Plastikschale und gab ein paar Schluck Rotwein dazu. Das Eisenteil wurde mehrmals gewendet und nach 24 Stunden konnte ich es nicht mehr abwarten. Oben auf dem Foto das Ergebnis zu sehen, sogar die Fäden wurden sichtbar.
Ich war schon versucht, mich als kleiner Küchenquerkopf zu der Ausstellung anzumelden, aber das Zielpublikum ist gefühlt 60 plus und etwas, ähm ... konservativ. Darum habe ich beschlossen, weiter herumzupantschen, denn da wäre auch noch die Herstellung von Kupferacetat, auch eine Beize in der Färberei. Ebenfalls im Marmeladenglas zu lagern. Für sogenannte "Art Books" und "Art Journals" jedenfalls sind diese verwandelten Kaffeefilter ideal. Ich sollte nur langsam mal Etiketten an meine Marmeladengläser kleben, aus Sicherheitsgründen.
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