Liebesgaben und Wetterzauber
Wann und wie hat das alles angefangen mit der Papierkunst? Eine Frage, die mich brennend interessiert, weil ich gern etwas darüber lerne, in wessen Fußstapfen ich wandle. Man kann ja heutzutage noch so sehr "sein Ding" machen und einen eigenen Stil entwickeln, irgendwann wurde alles schon einmal erdacht, nur anders kombiniert. Dabei muss ich nicht zu den Anfängen des Papiers an sich zurückgehen, mich interessieren die Wurzeln heutiger Techniken und die meiner Ideen. Auch, weil das alles inspiriert, wenn man einen modernen Zugang findet. Die Idee, dass Papierkunst sich sehr stark aus der Volkskunst entwickelte, kam mir zum ersten Mal, als ich in Polen lebte und die dort immer noch lebendige Scherenschnittkunst aus Łowicz erlebte. Nicht nur davon will ich erzählen, ich "mäandere" ziemlich wild, die Links führen zu Erklärungen und meist Fotos.
Im Freilichtmuseum in Łowicz wirkte die alte Bauernstube im Winter besonders anheimelnd, weil sie über und über mit herrlich farbigem Papier geschmückt war. Damals bastelten die Frauen nicht nur Scherenschnittbilder, sondern auch Spitzenvorhänge aus durchscheinendem Papier für die Fenster, Palmsonntag-"Palmen" aus Papierblumen (Foto links und rechts der Madonna) und sogar große Lüster, ebenfalls aus Papier. Die Basteleien aus der langen kalten Jahreszeit zauberten mit einfachsten Mitteln Farbe in die Dunkelheit, man fertigte sie zur Dekoration und für die Trachten ebenso wie als religiöse, oft fast magisch anmutende Volkskunst.
Den zweiten Aha-Effekt hatte ich bei der Suche nach den ältesten Papierperlen. Seit wann dreht man sie eigentlich auf diese Art? Im Internet stößt man leider immer nur auf den gleichen Artikel ohne Quellenangaben, den jeder vom anderen abzuschreiben scheint. Demnach hätten viktorianische Frauen an gemeinsamen Nachmittagen diese Perlen vor allem aus Tapetenpapier gedreht und Schmuck daraus gefertigt. Immerhin habe ich die Werbung einer amerikanischen Firma für fertige Papierperlen etwa aus den 1920ern gefunden, aber da ist wohl noch viel Recherche zu unternehmen. Nie habe ich Abbildungen von Frauen gesehen, die solchen Schmuck trugen, bevor in den USA um die vorletzte Jahrtausendwende arme Heimarbeiterinnen, meist mitsamt den Kindern, Papierrosen und Papierzierrat fertigten. Ich bin gespannt, was ich hierzu noch ausgraben werde.
Sucht man nach Vorgängern des sogenannten Quilling, wird man schon eher fündig. Die Technik funktioniert ähnlich wie bei normalen Papierperlen, es wird nämlich gerollt, allerdings nur schmale Papierstreifen. Und diese eben nicht fest, sondern in Mustern. Hier ist die Geschichte belegt und reicht durch Fundstücke in eine Blütezeit des 16. und 17. Jahrhunderts zurück, ist aber sicherlich älter. Antike Stücke kann man hier sehen. Spannend an der Sache ist jedoch, dass ich das aus einer ganz anderen Richtung kommend entdeckt habe: meinen "Kunstschachteln"! Stimmt es wirklich, dass Picasso sie "erfand", der doch wie kaum ein anderer Künstler Volkskunst aus allen Bereichen nur so in sich aufsog? All diese kleinen "magischen Schachteln" und "Minialtäre", wie man sie heute kaufen kann, kamen mir irgendwie sehr bekannt vor! Und zwar auf einer tieferen Ebene, als hätte ich so etwas schon immer gekannt! Es ist dieses Gefühl, wenn man alte "Oblaten" oder Glanzbilder entdeckt: Sie können noch so schlecht gedruckt und kitschig sein, da kommen Kindheitserinnerungen hoch.
Was mich überrascht bei meiner Arbeit: Wieviel ich plötzlich aus meiner Kindheit schöpfe, aus den Begeisterungen damals. Meine Begeisterung für tschechische Glasperlen dürfte sehr viel zu tun haben mit der böhmischen Glassammlung unserer Markgräfin, die ich als Schülerin nicht oft genug bestaunen konnte - von jedem Lüster hing irgendwo tief rubinrotes Glas oder starkes Kobaltblau. Die Barockschlösser waren mir vertraute Träumeplätze und ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie jemand in einer Stadt ohne diesen Prunk leben konnte! Plötzlich erinnerte ich mich wieder, da war doch auch etwas mit Papierkunst! Die wertvollen Wandverzierungen nämlich waren aus vergoldetem Pappmaché gefertigt und teilweise mit Stoffen und Stickereien kombiniert. In diesem Blog sieht man viele Fotos aus beiden Schlössern meiner Kindheit, Bild 15 zeigt einen der unvrgesslichen Lüster, der mich süchtig nach Glas machte, Bild 18 ein besonders prächtiges Beispiel der vergoldeten Papierornamentik mit Stickereien. Da gibt es eine direkte Linie zu Mixed Media Künstlerinnen, die Papier und Stoffe kombinieren.
Und schon saß ich in Gedanken wieder in der Schlosskirche, in der unsere Schulgottesdienste stattfanden. Da waren sie wieder, die "Kunstschachteln", aber diesmal in Groß, als Glassärge, die uns Kinder so wohlig gruselten und faszinierten, mit all den Einlegearbeiten, den Verzierungen, dem barocken Rausch! Wir waren uns damals sicher, das seien der Markgraf und die Markgräfin persönlich, die uns mumienhaft und versonnen entgegenblickten, als würden sie wie Schneewittchen aufgeweckt werden können. Was wir damals noch nicht wussten: Man nennt das ein Reliquiar, in diesem Falle sind es Ganzkörperreliquiare, hinter denen angeblich die Gebeine einer heiligen Theodora und eines heiligen Theodors stecken; kurios deshalb, weil eine der vielen heiligen Theodoras eine gewesen sein soll, die in Männerkleidern auftrat.
Nun montiere ich bisher nur Fantasietiere in Dosen, schaffe ihnen ein schönes Biotop und erfinde damit Arten. Doch wieviel schöpfe ich eigentlich aus den inneren Bildern von damals? Hier sieht man ein Bild von der heiligen Theodora im Glassarg, deren Anblick mir so vertraut war wie der meiner Barbiepuppe. So puppenfein ihr Gesicht (Pappmaché!), so prächtig und edel die Stoffe und Borten, so faszinierend die Glassteine auf ihren Rippen, die wie Schätze funkelten!
Nicht nur mit Heiligen hat man das gemacht, auch geliebte Familienmitglieder bekamen einst Gedenkbilder, die dreidimensional ausgeschmückt wurden. Ich erinnere mich, einmal bei Emmaus ein dreidimensionales Totengedenkbild entdeckt zu haben, das aus Echthaar der Toten gefertigt worden war, nebst Bild und handkalligrafiertem Text, geschmückt mit wunderschönen Blüten aus Papier. Da haben wir wieder die Assemblage, die mich in diesem Fall dann doch etwas gruselte, als wäre an Voodoo doch etwas dran.
Aus Urheberschutzgründen kann ich hier nicht viele Bilder zeigen, nur verlinken. Bei Pinterest habe ich jedoch ein ganzes Album dazu angelegt, das sehr schön die Ursprünge der heutigen Assemblage Boxes in der religiösen Volkskunst zeigt, die auch unter dem Stichwort Klosterarbeiten zu finden ist. Klöster finanzierten sich nämlich mit diesen kunstvoll ausgearbeiteten Schächtelchen, Minireliquiaren, Taschenaltären und Heiligenpüppchen, den Wettersegen, die in feinster Manier "mixed media" sind, und den sogenannten "Breverl", die mich ungemein für Künstlerbücher inspirieren.
Spannend dabei ist natürlich der Ursprung, da wurde vieles aus heidnischen Zeiten abgeschaut. Ein christlicher Wettersegen finktionierte recht unchristlich über sympathetische Magie und die Amulette hat man oft ähnlich aus viel älteren Zeiten ausgegraben. Da schließen sich die Kreise, aus Papier und Schachteln, Dosen oder Rahmen nicht nur Schönheit zu schaffen, sondern zur Schöpferin kleiner Welten, kleiner "Biotope" zu werden, Papierkunst, die Geschichten und Geschichte erzählt und sich anfühlt, asl käme sie aus unendlich fernen Tagen in einem neuen Gewand.
Es ist ein spannender Weg, der nicht nur mit dem Sterben und Vergehen oder irgendwelchen Heiligen zu tun hat, da war eben die Hausmagie, die Wettermagie und schließlich sogar die Liebesmagie. Da sind wir beim morgigen Tag - dem Valentinstag, zu dem das Metropolitan Museum of Art etwas absolut Faszinierendes aufgetan hat - ich zeige hier nur ein Bild von vielen.
Es handelt sich um sogenannte "Cobweb valentines", wie man sie seit dem 17. Jahrhundert im englischsprachigen Raum zum Valentinstag verschenkt hat. Mit der handgemalten oder gedruckten farbigen Oberfläche wirken sie wie Karten, aber sie haben es in sich. Das Papier lässt sich bewegen und zeigt Überraschungen! In dem Artikel von Nancy Rosin wurden die Fotos animiert, um das zu zeigen. So verbirgt sich hinter der blauen Trichterwinde von obigem Foto ein raffinierter Pop-Up-Mechanismus!
Die Kaffeekasse dankt:
Im Freilichtmuseum in Łowicz wirkte die alte Bauernstube im Winter besonders anheimelnd, weil sie über und über mit herrlich farbigem Papier geschmückt war. Damals bastelten die Frauen nicht nur Scherenschnittbilder, sondern auch Spitzenvorhänge aus durchscheinendem Papier für die Fenster, Palmsonntag-"Palmen" aus Papierblumen (Foto links und rechts der Madonna) und sogar große Lüster, ebenfalls aus Papier. Die Basteleien aus der langen kalten Jahreszeit zauberten mit einfachsten Mitteln Farbe in die Dunkelheit, man fertigte sie zur Dekoration und für die Trachten ebenso wie als religiöse, oft fast magisch anmutende Volkskunst.
Den zweiten Aha-Effekt hatte ich bei der Suche nach den ältesten Papierperlen. Seit wann dreht man sie eigentlich auf diese Art? Im Internet stößt man leider immer nur auf den gleichen Artikel ohne Quellenangaben, den jeder vom anderen abzuschreiben scheint. Demnach hätten viktorianische Frauen an gemeinsamen Nachmittagen diese Perlen vor allem aus Tapetenpapier gedreht und Schmuck daraus gefertigt. Immerhin habe ich die Werbung einer amerikanischen Firma für fertige Papierperlen etwa aus den 1920ern gefunden, aber da ist wohl noch viel Recherche zu unternehmen. Nie habe ich Abbildungen von Frauen gesehen, die solchen Schmuck trugen, bevor in den USA um die vorletzte Jahrtausendwende arme Heimarbeiterinnen, meist mitsamt den Kindern, Papierrosen und Papierzierrat fertigten. Ich bin gespannt, was ich hierzu noch ausgraben werde.
Sucht man nach Vorgängern des sogenannten Quilling, wird man schon eher fündig. Die Technik funktioniert ähnlich wie bei normalen Papierperlen, es wird nämlich gerollt, allerdings nur schmale Papierstreifen. Und diese eben nicht fest, sondern in Mustern. Hier ist die Geschichte belegt und reicht durch Fundstücke in eine Blütezeit des 16. und 17. Jahrhunderts zurück, ist aber sicherlich älter. Antike Stücke kann man hier sehen. Spannend an der Sache ist jedoch, dass ich das aus einer ganz anderen Richtung kommend entdeckt habe: meinen "Kunstschachteln"! Stimmt es wirklich, dass Picasso sie "erfand", der doch wie kaum ein anderer Künstler Volkskunst aus allen Bereichen nur so in sich aufsog? All diese kleinen "magischen Schachteln" und "Minialtäre", wie man sie heute kaufen kann, kamen mir irgendwie sehr bekannt vor! Und zwar auf einer tieferen Ebene, als hätte ich so etwas schon immer gekannt! Es ist dieses Gefühl, wenn man alte "Oblaten" oder Glanzbilder entdeckt: Sie können noch so schlecht gedruckt und kitschig sein, da kommen Kindheitserinnerungen hoch.
Was mich überrascht bei meiner Arbeit: Wieviel ich plötzlich aus meiner Kindheit schöpfe, aus den Begeisterungen damals. Meine Begeisterung für tschechische Glasperlen dürfte sehr viel zu tun haben mit der böhmischen Glassammlung unserer Markgräfin, die ich als Schülerin nicht oft genug bestaunen konnte - von jedem Lüster hing irgendwo tief rubinrotes Glas oder starkes Kobaltblau. Die Barockschlösser waren mir vertraute Träumeplätze und ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie jemand in einer Stadt ohne diesen Prunk leben konnte! Plötzlich erinnerte ich mich wieder, da war doch auch etwas mit Papierkunst! Die wertvollen Wandverzierungen nämlich waren aus vergoldetem Pappmaché gefertigt und teilweise mit Stoffen und Stickereien kombiniert. In diesem Blog sieht man viele Fotos aus beiden Schlössern meiner Kindheit, Bild 15 zeigt einen der unvrgesslichen Lüster, der mich süchtig nach Glas machte, Bild 18 ein besonders prächtiges Beispiel der vergoldeten Papierornamentik mit Stickereien. Da gibt es eine direkte Linie zu Mixed Media Künstlerinnen, die Papier und Stoffe kombinieren.
Und schon saß ich in Gedanken wieder in der Schlosskirche, in der unsere Schulgottesdienste stattfanden. Da waren sie wieder, die "Kunstschachteln", aber diesmal in Groß, als Glassärge, die uns Kinder so wohlig gruselten und faszinierten, mit all den Einlegearbeiten, den Verzierungen, dem barocken Rausch! Wir waren uns damals sicher, das seien der Markgraf und die Markgräfin persönlich, die uns mumienhaft und versonnen entgegenblickten, als würden sie wie Schneewittchen aufgeweckt werden können. Was wir damals noch nicht wussten: Man nennt das ein Reliquiar, in diesem Falle sind es Ganzkörperreliquiare, hinter denen angeblich die Gebeine einer heiligen Theodora und eines heiligen Theodors stecken; kurios deshalb, weil eine der vielen heiligen Theodoras eine gewesen sein soll, die in Männerkleidern auftrat.
Nun montiere ich bisher nur Fantasietiere in Dosen, schaffe ihnen ein schönes Biotop und erfinde damit Arten. Doch wieviel schöpfe ich eigentlich aus den inneren Bildern von damals? Hier sieht man ein Bild von der heiligen Theodora im Glassarg, deren Anblick mir so vertraut war wie der meiner Barbiepuppe. So puppenfein ihr Gesicht (Pappmaché!), so prächtig und edel die Stoffe und Borten, so faszinierend die Glassteine auf ihren Rippen, die wie Schätze funkelten!
Nicht nur mit Heiligen hat man das gemacht, auch geliebte Familienmitglieder bekamen einst Gedenkbilder, die dreidimensional ausgeschmückt wurden. Ich erinnere mich, einmal bei Emmaus ein dreidimensionales Totengedenkbild entdeckt zu haben, das aus Echthaar der Toten gefertigt worden war, nebst Bild und handkalligrafiertem Text, geschmückt mit wunderschönen Blüten aus Papier. Da haben wir wieder die Assemblage, die mich in diesem Fall dann doch etwas gruselte, als wäre an Voodoo doch etwas dran.
Aus Urheberschutzgründen kann ich hier nicht viele Bilder zeigen, nur verlinken. Bei Pinterest habe ich jedoch ein ganzes Album dazu angelegt, das sehr schön die Ursprünge der heutigen Assemblage Boxes in der religiösen Volkskunst zeigt, die auch unter dem Stichwort Klosterarbeiten zu finden ist. Klöster finanzierten sich nämlich mit diesen kunstvoll ausgearbeiteten Schächtelchen, Minireliquiaren, Taschenaltären und Heiligenpüppchen, den Wettersegen, die in feinster Manier "mixed media" sind, und den sogenannten "Breverl", die mich ungemein für Künstlerbücher inspirieren.
Spannend dabei ist natürlich der Ursprung, da wurde vieles aus heidnischen Zeiten abgeschaut. Ein christlicher Wettersegen finktionierte recht unchristlich über sympathetische Magie und die Amulette hat man oft ähnlich aus viel älteren Zeiten ausgegraben. Da schließen sich die Kreise, aus Papier und Schachteln, Dosen oder Rahmen nicht nur Schönheit zu schaffen, sondern zur Schöpferin kleiner Welten, kleiner "Biotope" zu werden, Papierkunst, die Geschichten und Geschichte erzählt und sich anfühlt, asl käme sie aus unendlich fernen Tagen in einem neuen Gewand.
Es ist ein spannender Weg, der nicht nur mit dem Sterben und Vergehen oder irgendwelchen Heiligen zu tun hat, da war eben die Hausmagie, die Wettermagie und schließlich sogar die Liebesmagie. Da sind wir beim morgigen Tag - dem Valentinstag, zu dem das Metropolitan Museum of Art etwas absolut Faszinierendes aufgetan hat - ich zeige hier nur ein Bild von vielen.
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