Drum prüfe, wer sich ewig bindet ...

Zurück vom Tierheim, ziemlich erschlagen und müde. Ich habe nämlich nicht gewusst, dass ein Teil des Elsass komplett umgebaut wird - aber darüber schreibe ich am Wochenende im Grenzgängerblog. Statt Sight Seeing im Alsace Bossue über 100 km teilweise durch abenteuerliche Dauerbaustellen. Es tut sich was im Land. Und dann festgestellt, dass ich die Adresse und Telefonnummer des Tierheims vergessen hatte. Nein, ich habe weder Smartphone noch Navi, aber eine gute Nase. Immer dem Bier nach. Neuerdings füllt man dort Karlsbräu ab.

Mindestausrüstung für Hundemenschen

Ich will es kurz machen. Schmachtender Hundeblick gut und schön, aber man muss sich die Kerlchen wirklich genau anschauen, ohne weich zu werden. Und die Beschreibungen sind immer geschönt. Warum nicht weich werden? Die meisten landen leider im Tierheim, weil sich Menschen von süßen Stupsnasen, Werbebildchen oder Schmachteaugen treiben lassen, so ein niedliches Viech anzuschaffen. Oder man hat einen Hund, weil man auch ein Auto und ein Haus hat. Und dann die Katastrophe: Das Viech braucht eine zweibeinige Alpha-Töle, braucht konsequente Erziehung und Grenzen. Pfui, das macht Arbeit - und der ist doch so niedlich. Und irgendwann tanzt einem das niedliche Kerlchen auf der Nase herum, zerlegt die Wohnung, wird zum Dauerkläffer oder entwickelt andere komische Eigenschaften. Weg damit. Den schmusigsten Hund im Tierheim haben sie bei Arbeitsbeginn gefunden. Jemand hatte ihn mit einem Strick an den Zaun gebunden.

Jerry ist ein netter, offenherziger Kerl. Eine Kraftbombe mit Extraenergieturbolader. Ich denke mal, nach drei Tagen Marsch quer durch die Vogesen ist der endlich so ruhig, dass man ihn wirklich beurteilen kann. Wenn man es schafft, ihn so lange zu halten, ohne sich die Arme auszukugeln. Angeblich hat den etwa einjährigen Labrador eine Familie weggegeben, weil ein neues Kind kam, das eine Hundehaarallergie entwickelte. Wie ich diese Lügen hasse. Immer die gleiche Geschichte! Man schafft gleichzeitig mit dem ersten Baby ein süßes Hundewelpchen an, damit die beiden sich schön den Tag vertreiben und Mama Fernsehen gucken kann. Dann kommt das nächste Baby. Und das heranwachsende Hundebaby fordert längst Erziehung, braucht verdammt noch mal mehr Auslauf als dieses Kinderwagengeschiebe ... und Liebe. Der Hund wird womöglich eifersüchtig aufs Baby Nr. 2. Das nennt man dann Allergie und anstatt sich mit dem Hund abzugeben, dass er auch Baby 2 liebt, schmeißt man ihn weg. Ist ja nur eine Sache, so ein Hund. Eine lästige Sache.

So kann ich mir Jerrys Vorleben vorstellen. Falls er wirklich in einer Familie gelebt haben sollte, so muss diese auch untereinander mit einem absoluten Minimum an Sozialverhalten ausgekommen sein. Der Hund ist nett. Aber alles, was er kennt, ist sein eigener Name.

Alles, wirklich alles, was ein Welpe so lernt, muss er erst lernen. "Sitz" haben sie ihm schon im Tierheim beigebracht inzwischen, das kann er, wenn's Leckerli gibt. Gelehrig ist er. Aber - ich weiß nicht, wie diese Familie mit ihm gelebt hat - er kennt kein einziges Wort für Nein! In keiner Sprache. Er springt vor Freude und in Erwartung hoch wie ein Bekloppter, höher, als ich groß bin. Ehrfurchtgebietend, was für eine Kraft so ein Klops von "kleinem" Labrador im Flug entwickelt!

Und das fand ich dann auch körperlich ein wenig brutal, obwohl ich wirklich Kraft habe. Ein Hund, der weder Leinenführigkeit gelernt hat, noch auf irgend etwas hört. Der kein "non" kennt, kein "assez", kein "pfui" - wie bringt man den zum Aufhören? Mir blieb nur, ihn mit dem Sitzbefehl abzulenken, aber er hatte gelernt, dass das Fresschen bedeutet. Als dabei vor Freude meine Hand in seinem Maul verschwand ... das sind herrliche Momente. Sie blieb dran, speichelig halt. Immerhin, er beißt nicht ...

Ich hatte zum Glück einen Ersatzpullover dabei. Der von unserem Wiesengang war nämlich nachher von oben bis unten voller Schlammpfoten und man kicherte bei meiner Rückkehr. Im Gesicht hatte ich ebenfalls Kriegsbemalung mit roter Vogesenerde. Der Gang war stressig, trotz Regen und Kälte schwitzte ich ohne Jacke - ich konnte ihn nicht frei laufen lassen. Auch das und das Zurückkommen müsste er erst lernen. Und es ist wirklich nicht schön, ständig mit voller Wucht am Oberkörper angesprungen zu werden.

Ich weiß, was für eine harte Arbeit es ist, einen bereits einjährigen Hund all das beizubringen, was Welpen lernen. Labradors sind allerdings sehr gelehrige Hunde und Jerry hat sichtlich Spaß, wenn einem etwas gefällt. Aber bei der Größe und Körperkraft von Hund wird es ohne Training auf dem Hundeplatz wohl kaum funktionieren. Jerry ist mindestens ein halbes Jahr lang mindestens ein Halbtagsjob. Für einen konsequenten und erfahrenen Hundehalter, der weiß, wie man Hunde führt, ohne auf weiche Blicke hereinzufallen, ist Jerry ideal, da kann er sich entfalten. Ein Mann mit robustem Körperbau wäre auch nicht übel. Und wenn er noch einmal in eine Familie kommt, die das nicht kann oder will, ist er irgendwann ein Fall für den Hundepsychiater. Wie so viele.

Liebe auf den ersten Blick war es nicht. Ich weiß nicht, ob ich das alles leisten kann und will. Aber natürlich schnitt es ins Herz, wie er sich nach dem Wiesengang traurig in den Zwinger legte, als ginge die Welt unter. Und wie er von weitem reagierte, als ich seinen Namen von der Straße aus leise sagte. Ich muss mal schauen. In mich gehen. Vielleicht mache ich bei besserem Wetter eine längere Tour mit ihm. Aber die größte Frage wird wirklich sein, ob ich mit meinem aufreibenden Beruf noch halbtags den Hundetrainer machen kann ... Eher nicht.

Und jetzt muss ich erst mal den letzten roten Schlamm loswerden, meine blauen Flecken zählen, ein halbes Schaf verspeisen und die geschundenen Knochen hochlegen ;-)

Und nein, das Kerlchen war nicht zu fotografieren. Ich hatte im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun!

3 Kommentare:

  1. Nehmen SIE diesen Hund, bevor er in falsche Hände fällt. Sie lieben doch die Herausforderung. Ich habe mich fast mein Leben lang vor Hunden gefürchtet mit allen peinlichen Begleiterscheinungen (Straßenseite wechseln, immer in Alarmbereitschaft auf öffentlichen Wegen, Vermeidung von Parkanlagen etc.). Erst seitdem ich zwei sehr gut erzogene Hunde kenne, der eine davon durchaus groß, kann ich „Hundesprache“ ein wenig besser einschätzen und gelassener durch die Gegend gehen. Dennoch: bei jedem lauten Bellen kommt die Angst spontan zurück. Oft sind es allerdings die „Herrchen“ und „Frauchen“, die verständnislos für die Ängste anderer Menschen ihre Kraftpakete frei laufen lassen, von anderen Rücksichtslosigkeiten ganz zu schweigen.

    Ja, bitte, nehmen Sie diesen Jerry, Sie sind doch schon verliebt in ihn, so wie sie ihn beschreiben. Ihre literarischen Aufgaben meistern Sie trotzdem, vielleicht sogar mit noch mehr Esprit.
    Gruß, Kalinka

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  2. Wie schade! Das klingt nicht gerade nach dem idealen Hund für eine viel beschäftigte Frau, die anscheinend demnächst viel unterwegs ist und den Kopf voller Wörter und Farben hat. Einen so energiegeladenen Hund zu erziehen kostet wirklich viel Zeit und Kraft, da muss man sich gut überlegen, ob das wirklich eine "gute Beziehung" werden kann oder für beide nur aufreibend ist.

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  3. Ich hab da auch abgesagt und die Empfehlung gegeben, dass sie den Hund dringend in Hände abgeben, die sofort - neben ausreichend Bewegung - eine intensive und konsequente Erziehung einleiten, sei's per Hundeschule, sei's, weil man das selbst kann und will. Dann wird das ein Prachthund für eine Familie.
    Ich mach nun erst mal Hundepause ;-)

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