#Indiebookday - was war denn da los?

Gestern habe ich wahrscheinlich auf allen Social-Media-Kanälen buchferne Menschen genervt und verscheucht, weil ich den Indiebookday unterstützt habe. Die Kampagne, die vom Mairisch Verlag initiiert wurde, hatte ein einfaches wichtiges Anliegen:
"Es gibt viele kleine tolle Verlage, die mit viel Herzblut und Leidenschaft schöne Bücher machen. Aber nicht immer finden die Bücher ihren Weg zu den Lesern. Der Indiebookday kann da für ein bisschen Aufmerksamkeit sorgen."
Wer das unterstützen wollte, ging gestern zur Buchhandlung seiner Wahl, auch online - und kaufte ein Buch aus einem sogenannten Indieverlag. Das hat man dann fotografiert und auf allen Kanälen im Internet empfohlen. Natürlich kann und sollte man solche Käufe durchaus ganzjährig tätigen! Durch die Konzentration der Aktion auf einen einzigen Tag erhofft man sich jedoch Aufmerksamkeit in Social Media und in herkömmlichen Medien. Außerdem sollen durch häufigeres Nachfragen Buchhandlungen dazu gebracht werden, auch Indieverlagen eine Chance zu geben und sich nicht dumm zu stellen, wenn man ein Buch von solchen bestellen möchte. Warum der Indiebookday nichts mit Indieautoren = Self Publishers zu tun hat und was für Verlage überhaupt dazu zählen, hat Wibke Ladwig sehr einfach erklärt - im Online-Shop Tubuk gibt es auch eine ungefähre Liste und dann wären da noch die Teilnehmer der sogenannten Hotlist.


Im Minutentakt schlugen dann vor allem bei Twitter (unter dem Hashtag #indiebookday) und Facebook die Buchempfehlungen auf. Manchmal so schnell, dass es schon an Überreizung grenzte. Aber zum Glück vergisst das Netz so schnell nichts, so dass man sich auch nach dem Aktionstag noch Appetit holen kann, etwa hier (FB) oder hier (Tw). Mein Buch der Bücher, das ich gestern gekauft hätte, wenn ich nicht hätte schummeln müssen: Der Erzählband von Gennadij Gor: Das Ohr, erschienen als "Wolffs Broschur" bei der Friedenauer Presse in Berlin. Leider lebe ich 40 Kilometer von der nächsten engagierten, deutschsprachigen Buchhandlung entfernt.


In dieser persönlichen Auswahl ist bereits das ganze Dilemma enthalten, das durch persönliche Erfahrungsberichte von Leserinnen und Lesern gestern öffentlich wurde. Denn obiges Buch ist, wie alle in dieser Reihe, eine einzigartige literarische Perle - und gleichzeitig eine bibliophile Preziose. Der Einband aus leicht gerilltem, sehr dünnen Karton ist vorn und hinten mit einem Kunstwerk in so hoher Qualität bedruckt, dass man auf den ersten Blick die Signatur für Bleistiftgekritzel hält - der Inhalt bietet eine typografische Augenweide.

Trotzdem habe ich den Verlag "Friedenauer Presse" erst vor wenigen Jahren im Internet entdeckt. Auf der Suche nach Verlagen mit russischer Literatur stolperte ich über einen Onlineartikel und googelte dann nach dem Verlag. Irgendwann stieß ich sogar auf einen Buchhändler, der mehrere Bände der Friedenauer Presse im Laden hat, wenn ihn nicht gerade wieder die Neuerscheinungen der Konzernverlage überrollen. Andere Buchhändler taten auch schon mal so, als würden sie den Verlag nicht kennen und dessen Bücher nicht bestellen können - das sind dann die Buchhandlungen, die ehemalige Fischverkäuferinnen einstellen.

Meine bruchstückhaften Beobachtungen am Aktionstag:
  • Es gibt eine Menge absolut engagierter Verlage, die wunderbare, individuelle Bücher machen, diese auch noch liebevoll gestalten, die aber kein Aas kennt (nicht mal ich als Autorin). Weil sie nicht im Buchhandel sichtbar sind, weil sie nicht das Budget für Werbung haben, weil sie im Feuilleton von Hypes weggewalzt werden.
  • Indieverlage haben durch Social Media ungeheuer viel gewonnen. Auch wenn das verdammt viel Arbeit scheint, aber so sind sie direkt am Leser und machen von sich reden. Ich selbst habe viele Verlage erst hier entdeckt und beziehe mittlerweile etwa 95% aller Buchempfehlungen, die zu tatächlichen Käufen führen, via Social Media und Blogs.
  • Indieverlage haben, was mir am Bucheinerlei auf den Stapeltischen fehlt: Mut und Risikofreude. Schräge, gewagte, seltene, uralte, ultramoderne, individuelle, sehr besondere Bücher. Cover- und Buchgestaltung, die es nicht nötig hat, einen Trend zum 1001sten Mal zu kopieren. Liebe zur Einheit von Form und Inhalt. Autorenpflege. Gepflegte Backlists statt Schnellverramschung.
  • Der Buchhandel kann aus Kostengründen natürlich nicht jedes Buch von jedem Winzigverlag auf Lager haben. Mit der Politik, sich Indieverlagen ganz zu verweigern, verlieren gewisse Buchhandlungen ihre anspruchsvollere Kundschaft jedoch ganz schnell an den Onlinehandel: Amazon besorgt auch noch das schrägste Buch in Rekordzeit, Tubuk präsentiert Indieverlage sogar massiv.
  • Einzelne Buchhandlungen haben den Aktionstag massiv unterstützt und in Social Media oder via Presse begleitet. Die merkt man sich gern - und bei vielen von ihnen kann man direkt im Internet ordern - nicht nur an einem Tag.
  • Absolutes No-Go, gestern immer wieder berichtet und auch von mir schon mehrfach erlebt: Buchhändler tun so, als sei ein Buch aus einem Indieverlag nicht im Computer zu finden und schon gar nicht zu bestellen. Man lässt sich als Kunde nur einmal für so blöd halten und kauft woanders.
  • Einzelne Buchhandlungen und Verlage beklagten sich gestern teilweise über fehlendes Medieninteresse - wenn sogar WDR3 berichtete, hat die herkömmliche Presse anscheinend Nachholbedarf. Vielleicht sollte man die Aktion in dieser Hinsicht im nächsten Jahr verbessern. Auch im Buchhandel selbst war zu weiten Teilen der Aktionstag nicht einmal bekannt. Eine stärkere Vernetzung zwischen Internet und Real Life wäre wünschenswert.
  • Fragmentarisch leuchtete Unwillen einzelner Buchhandlungen auf. Man beklagte sich, Buchhandlungen hätten sich selbst bei Unterstützung von außen geweigert, in irgend einer Weise auf den Tag aufmerksam zu machen. Das kann natürlich viele komplexe Gründe haben. Symptomatisch war die Aussage eines Buchhändlers: "Das ist uns zu viel, wir haben im Herbst schon eine Lesung." Extraarbeit ist nicht immer zu leisten, aber der Indiebookday könnte auch Kunden bringen, vielleicht sogar neue Kundenschichten überhaupt erst erschließen. Wie viel kostet es, ein Schildchen zu malen oder ein Schaufenster zu dekorieren?
  • Ebenfalls ein absolutes No-Go: Self Publisher, die zu faul oder zu dumm waren, nachzulesen, was "Indiebookday" bedeutet. Die meinten, sie könnten unter dem Label massenhaft ihre Amazonlinks unters Volk blasen oder gar Gratisaktionen absetzen. Die in der Egomanie ihrer Dauerbeschallung mit Eigenwerbung nichts, aber auch gar nichts kapiert hatten: Hier sollten Leser Bücher von anderen empfehlen, Bücher aus Indieverlagen. Einen besonders Hartnäckigen habe ich gestern aus der Liste der FB-Freunde gestrichen. Weil ich diese Billige-Jakob-Masche nicht nur peinlich und nervig finde. Sondern weil solche Kollegen dem Ruf der Self Publisher schaden, indem sie alle Vorurteile der wichtigen Branchen-Player bestätigen. Das geht auch anders, liebe Autoren - lasst euch doch mal eine eigene konzertierte Aktion einfallen! Buch-PR ist nicht Linkspamming!
Fatale Wirkungen hatte der Tag übrigens auf mich persönlich:
  • Ich habe schon wieder Verlage entdeckt, von deren Existenz ich nichts wusste und die doch Bücher machen, nach denen mich hungert. Wenn es Buchhandel und Feuilleton nicht großflächig übers Herz bringen, diesen künftig eine Chance von Sichtbarkeit zwischen Quote und Hype zu geben, werde ich wohl mit der Fragmentarik des Internets leben müssen. Drum, liebe Verlegerinnen und Verleger: Eure Websites und eure Präsenz in Social Media sind für Kundinnen wie mich unverzichtbare Kaufanreize!
  • Als Autorin ist mir nun nicht mehr bang, endlich nur noch "mein Ding" durchzuziehen und so zu schreiben, wie es in mir brennt. Da draußen gibt es jede Menge Verlage für so etwas. Man muss sie nur erst mal finden.
  • Auch E-Books sind ein hochgeredeter Hype. Da ist so viel Papier, das einen Kauf wirklich lohnt. Weil es nicht einfach das auf Wegwerfgesellschaft getrimmte Taschenbuch mit Billigklebe und Dumpinglektorat ist. E-Books sind notwendig und werden verlangt. Aber um wirklich "schöne" Bücher ist mir nicht bange. Und um Verleger, die längst offen über Mediengrenzen hinweg agieren - auch das ist "Indie"!
  • Ich sollte mir einen einträglicheren Job suchen. Allein die Bücher, die ich gestern auf meiner Wunschliste notiert habe, reichen für drei Weihnachtseinkäufe. So viele intelligente, wunderbar geschriebene, außergewöhnliche Bücher! Darum mein Ratschlag: Jeder Tag darf ein Indiebookday sein!

3 Kommentare:

  1. Hallo Petra,

    toll, danke für den Nachbericht. Hab ich das richtig verstanden, dass 3sat etwas berichtet hat?
    Viele Grüße,
    Daniel / mairisch Verlag

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  2. Hallo Daniel,
    mir war so, als hätte ich bei FB einen Link gesehen, als Vorankündigung. Oder ich habe da etwas völlig durcheinander gebracht ... evtl. weiß das @sinnundverstand bei Twitter.
    Schöne Grüße,
    Petra

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  3. Sorry, ich hatte einen Zahlendreher: Es war nicht 3sat, sondern WDR 3 - wird gleich korrigiert!

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