Umbruch liegt in der Luft
Die "offizielle" Seite der Buchbranche, so erscheint es jedenfalls laienhaften Mitlesern in Social Media, jammert entweder weiter über die "neue Zeit" und den vielbeschworenen Untergang ganzer Berufszweige. Oder man versenkt Millionen in eine Werbekampagne mit einem Titel, der RTL alle Ehre machen würde: "Vorsicht Buch" - und die dann viele auch einfach nicht verstehen. Ich übrigens auch nicht. Weitere Millionen landen im Klassenkampf gegen den Feind Nr. 1, den ach so bösen Giganten Amazon, der die ach so liebennettenkleinenunabhängigen Buchhändler so fürchterlich foltert. Hätte man doch die innovativen Bastler in der Garagenfirma in den USA damals nur nicht so ausgelacht. Was hat sich die Buchbranche über Jahre auf die Schenkel gehauen: "Unsere Kunden wollen sowas nicht, nein nienicht!" Und jetzt, wo das Kind eh schon in den Brunnen gefallen ist, besinnt man sich nicht etwa auf die eigenen Stärken, nein, man investiert in Klassenkampf.
"Tolino" heißt der. Nicht, dass ich einen eigenen Reader, ein offenes System und andere Versprechungen nicht löblich finden würde. Konkurrenz ist vonnöten, sie belebt das Geschäft. Aber kann mir jemand verraten, wie und warum ich jetzt ausgerechnet mit deutschen Konzernen und Firmen wie Telekom, Weltbild, Thalia & Co. meinen kleinen Buchhändler retten soll? Waren das nicht vor Jahren genau dieselben, die das Sterben von liebennettenkleinenunabhängigen Buchhändlern in den Städten erst verursacht haben? Die sich von Verlagen Rolltreppen bezahlen ließen (FAZ), Indieverlage erst gar nicht ins Sortiment aufnahmen, unkatholisches Kroppzeug von Büchern stillschweigend aussortierten und Mitarbeiter beschäftigten, die ... ? Vielleicht habe ich einfach nur zu viel Feuilleton gelesen, vielleicht bin ich einfach nur naiv, aber so plakativ sterben Dinosaurier. Mein kleiner unabhängiger Buchhändler steht derweil im Regen und bestellt auch schon mal bei Amazon, weil die manches einfach können. Der muss sich selbst retten.
Die Buchwelt dreht sich im Überschall weiter. Längst sind externe Self Publishing Plattformen von Verlagen wie epubli oder neobooks etabliert, kaum einer denkt mehr darüber nach, dass sich so die Flut unverlangt eingesandter Manuskripte eigentlich recht schick vermindern lässt und Self Publishing tatsächlich ein Markt ist. Da haben Verlagskonzerne frühzeitig richtig investiert. Wer es noch nicht hat, zieht nach und weicht das Bild vom "echten" Verlag auf. Was ist ein echter Verlag, ein Gatekeeper, wie es so schön heißt? Einer, der nur Bücher von anderen Leuten verlegt, der Bücher wirklich auswählt, der für Bücher bezahlt?
Penguin machte Schlagzeilen, als es in eine der größten Vanity-Press-Plattformen investierte. Ganz großes Pfui in der deutschen Branche, Karrierekiller Nr. 1. Und jetzt kommt einer der weltbesten Verlage, der zweitgrößte Konzern nach Random House, und hat keine Berührungsängste mehr. Sondern erkennt einen Markt. Die ersten Verlage kaufen erfolgreiche Indieautoren direkt von Amazons Bestenlisten weg, für solche Informationen ist der Marktführer dann wieder gut. "Dienstleistung" ist das neue Zauberwort, schließlich ist ein Großteil der Autoren darauf aus, möglichst viel zu schreiben und möglichst wenig Nebenarbeit zu erledigen. Und viele Arbeiten brauchen Profis: Lektoren, Korrektoren, Grafiker, Drucker ... Praktisch ist das außerdem: In einem Buchmarkt, in dem Profite mehr zählen als Kulturgüter, kann man Talente erst mal vor die User werfen, um zu schauen, wer Perle wird, wem man eine echte Chance gibt.
Das Verlagsprinzip wird aufgeweicht, aber das Prinzip der Autorenschaft auch. Es gibt nicht einen festen Weg, um Autorin oder Autor zu werden. Sich jahrelang vergeblich bewerben und dabei verrotten? Zuerst die Dienstleistung, dann der zahlende Verlag? Zuerst die Investition als Indie in Fachleute von Grafik bis Lektorat - und dann vielleicht der Durchbruch?
Als ob das alles noch nicht genug wäre - ein neues Konzept taucht auf: Reine E-Book-Verlage sprießen wie die Pilze aus dem Boden. Self Publisher professionalisieren sich und werden zu Verlegern. Selbstverleger lecken Blut und geben Kollegen heraus. Verlagsautoren gründen Kooperativen und "echte" Verlage. Kollegen geben andere Kollegen eine Chance. Es werden Verlage gegen eine Profitkultur gegründet und Verlage, die noch mehr Profit bringen sollen. Der neueste Trend sind E-Imprints etablierter Verlage. Man möchte kaum glauben, dass die Mutterhäuser täglich unter der Last unverlangt eingesandter Manuskripte stöhnen. Jetzt geht man sogar aktiv auf die Suche nach Autoren, als ob es noch nicht genügend gäbe: Man muss einfach über 18 sein und in Liebe machen oder Thrill und Romance instant schreiben. Während reihenweise Manuskripte sogar von etablierten Autoren abgelehnt werden, mit immer hahnebücheneren Begründungen, sammelt man anderswo mit blumigen Versprechungen Unentdeckte in Imprints? Kein Problem, wenn die manches noch nicht so richtig können, auch Unterricht bringt schließlich Geld. Wo man doch jahrelang in vielen Verlagen an der Talententdeckung und Autorenentwicklung massiv gespart hat. Früher hat man Fachkräfte outgesourct. Jetzt gehen alte Verlagskernkompetenzen ins geldwerte Outsourcing. Random House hat dafür in den USA bereits Prügel bezogen.
Verlage sind jedoch nicht alles. Viel zu viele Autoren sind viel zu geil auf eine Veröffentlichung. Was früher DKZV erledigte, sahnt heute eine unübersichtliche, wachsende Zahl nicht immer seriöser Dienstleister ab. So schön das ist, sich Arbeit abnehmen zu lassen: Man sollte die Augen ganz weit aufsperren beim Lesen der Verträge, bei den Konditionen. Ein Netto vom Verkaufserlös ist kein Netto vom Verkaufspreis. PoD nicht immer billiger als Auflagendruck. Die Anbindung an einen neuen Shop nicht immer mit der gleichen Bequemlichkeit und mit Verkaufsstatistiken verbunden. Was Amazon kann, können in Teilen andere vielleicht auch, aber ganz viele können nicht einmal einen Bruchteil. So manche Firma auf diesem Sektor glänzt mit Fehlern in der Konvertierung, mit schlampigem Lektorat. Trau, schau, wem! Seriöse Dienstleister haben keine Mondpreise, legen ihre Konditionen rückhaltslos offen und können auch Referenzen nennen. Und längst gibt es Self Publisher wie den Focus-Redakteur Matthias Matting, die sich den Markt ganz genau anschauen und Hilfe für Kollegen bieten.
Die Vermischung etablierter Verlage mit Dienstleistungsunternehmungen ist meiner Meinung nach jedoch nicht das einzige Anzeichen für einen grundlegenden Umbruch. Die eigentliche Revolution wird sich wohl eher im Bereich der Distribution und des Zwischenbuchhandels abspielen. Bisher war es für Self Publisher recht schwer bis unmöglich, mit E-Books wirklich in jeden Shop zu kommen. Auch ich biete darum meine Bücher, vorläufig noch, nur über den Marktführer Amazon an. Potente Distributoren wollen kein Kleinvieh, arbeiten entweder nur mit Verlagen oder wollen Mindestumsätze und Mindesttitelzahlen sehen. Und manche Distributoren sind vielleicht nicht so potent, wie sie scheinen.
Genau dieses Geschäft wird jetzt von einer anderen Branche neu aufgerollt: Der Musikbranche! Hier hat man die Fehler der Buchbranche nämlich längst hinter sich und schmerzhaft lernen müssen. Hier sind Indie-Produktionen tägliches Brot. Und siehe da, plötzlich steht Self Publishers im Einzelkampf so ziemlich alles offen, was bisher nur Verlagen möglich war, wo der Buchhandel nur Verlage bevorzugte. KNM oder Feiyr kommen aus der Musik. Solche Distributoren haben kapiert: Ein E-Book unterscheidet sich nicht wirklich von einer Songsammlung. Digital ist digital. Spannende Zeiten. Denn wenn nichts mehr so ist, wie es mal war, ist alles nur Denkbare möglich geworden.
Wie immer mit Charme geschrieben und auf den Punkt gebracht. Autoren haben eine Chance Ihre Arbeit frei zu publizieren und auch einiges auszuprobieren.
AntwortenLöschenDanke und LG sendet Daniela
Feiyr bietet offenbar auch nur ein Netto vom Verkaufserlös. Das ist so zwiespältig. Bist du an denen interessiert? Warum bietest du nicht über Kobo an? Damit muss ich mich jetzt auseinandersetzen. Ich hatte eben Apple unter der Lupe, aber diversen Foreneinträgen entnehme ich, dass man regelrecht gezwungen wird, sich neue Mac-Geräte zu kaufen, bloß, um da was hochzuladen. Da wird einem klar, wie unglaublich gut gemacht kdp ist.
AntwortenLöschenMiri,
AntwortenLöschenich nenne in diesem Beitrag Firmen nur als punktuelle Beispiele, nicht, um Werbung für sie zu machen. Eine jede hat ihre Vor- und Nachteile für die eigene individuelle Situation. Einen sehr guten Vergleich findest du unter dem Link bei Matthias Matting am Ende des 8. Absatzes.
Um eine Mac-Datei hochzuladen, muss man übrigens keinen Computer kaufen, ein Kumpel mit Mac, der die Datei für einen hochlädt, ist billiger ;-)
Ich selbst werde im Frühjahr / Sommer einen eigenen Verlag gründen und dann von dort aus über Distributor in den Buchhandel gehen. KDP ist zwar gut gemacht und *noch* Marktführer, aber Monokultur ist nicht nur im Wald ungesund ;-)