Wenn ich mal wüte!

Kürzlich bin ich in Social Media so richtig ausgerastet. Wer mich kennt, weiß, das geht in zivilisiertem Benimm und Sachlichkeit ab, aber doch deftig klar. Es traf dann eine oder einen von vielen, denn es war nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Andere hätte es ebenso treffen müssen.

Die ersten Schichten der Collagen sind geklebt ... nun wird darauf gestickt. Frauenfiguren aus Zeitschriften und Schmetterlinge, die in unserer Region ausgestorben sind.


Das Ganze hat mit einem Thema zu tun, um das ich derzeit kreise, das ich umkreise, weil ich es zwar instinktiv spüre, aber nicht so richtig festklopfen kann. Und vielleicht ist die Sache mit dem Festklopfen auch längst nicht mehr zeitgemäß, denn alles fließt. Ich spüre, wir stehen vor einem Umbruch sondergleichen, erleben gerade eine stürmische Disruption auf vielen Ebenen, die einmal in dem enden wird, was wir an sciencefictionartigen Vorstellungen von Zukunft haben mögen und doch meist nie ahnen. Dagegen ist das Gesäusel vom aufkommenden Wassermannzeitalter, das ums Jahr 2000 kurzzeitig das Omm-Singen ersetzt hatte, ein lächerlicher Sturm im Wasserglas.

Vor rund 20 Jahren haben wir bereits gefühlt, das uns etwas Grundlegendes fehlte, mit dem wir uns im Kosmos verorten könnten - und viele haben sich in freier Spiritualität ausprobiert. Bis der Kapitalismus wieder zuschlug und daraus sein Esoteriksüppchen mit Duftkerzchen und Kreistänzen auf Goa bescherte. Manche haben ihren Weg gefunden, viel Vergessenes und Verschüttetes wurde ausgegraben und bildete den Kompost für ein neues Selbstbewusstsein von Frauen. Und über jede Menge dieser Vorstellungen lachen wir heute kräftig - in der Jugend ist man eben wild und macht alles mal mit. Das muss so sein. Aber wir hätten es bemerken müssen, als der Y2K, der Millenium-Bug ausblieb und die Welt mal wieder nicht unterging. Auch das Wassermannzeitalter blieb aus. Der Mensch irrt, solange er lebt. Es kommt immer ganz anders.

Die Zeiten werden eigentlich jetzt erst richtig wild - übrigens genau deshalb sind sie durchaus inspirierend. Es bricht so vieles um, es liegt so vieles im Ungewissen. Nur eins haben wir womöglich immer noch nicht gepackt: Diese "Rückbindung" ans Sein, an die Welt, die Natur und noch größere Zusammenhänge. Diese Rückbindung, die uns im übertragenen Sinn Boden unter den Füßen verschafft, Vertrauen gibt, während alles quirlt und lebt und sich bewegt. Wir rennen herum wie aufgescheuchte Schafe ...

In Umbruchszeiten ist es normal, dass alles mögliche erprobt wird, dass sich Strömungen im Denken und Handeln vervielfältigen - und auf der konservativen Seite auch elend verengen. Man sehnt sich ja nach der vermeintlichen Sicherheit, verbrämt die Vergangenheit, vor allem, wenn Macht und Privilegien schwinden. Das war leider schon immer so: Früher haben noch die Götter selbst gegeneinander gekämpft, später Priester neuer Kulte alte Tempel zerschlagen oder auch umgekehrt. Homo sapiens hat nie das Fliegen erlernt.

Ich persönlich bin gern misstrauisch, wenn die Gruppenbindung zu stark wird, wenn die Meinungen und Debatten Manifesten weichen. Und ich kann Missionarseifer kein bißchen ab, weil Missionieren immer mit Macht zu tun hat.

Und so ist es passiert. Ein öffentliches Account irgendeiner englischsprachigen NGO, die in Sachen Klimaaktion unterwegs ist (kein FFF) und dem ich aus Interesse folgte. Wer genau da twittert, weiß man nie, aber es kam zweimal hintereinander: "In der Arktis ist es so warm wie nie zuvor und die Medien schweigen! Die Medien verschweigen uns das!"

Zu dem Zeitpunkt war die dpa-Meldung gerade vielleicht zwei Stunden alt, es war spätabends - und das dauert eben. Trotzdem hatte ich bereits mindestens zwei Artikel darüber im Stream, gerade hatte auch die Washington Post groß damit aufgemacht. Als Journalistin schäumte ich innerlich. DIE ach so bösen Medien?

Ich versuchte es mit Aufklärung: Links zu den Artikeln, zur News-Seite auf Google, wo inzwischen auch schon Käsblätter nachzogen. Aber ich erntete nur Greinen: Aber nee, in Europa gäb's gar nix, die Europäer verschweigen das in den Medien! - Hätte ja sein können, das mein Gegenüber in Indien oder Kentucky sitzt, also gab ich zu bedenken, dass man dann z.B. auf Deutsch oder Französisch etc. googeln müsse, weil unsere Medien eben nicht englisch ... inzwischen brachte es die Tagesschau. - Aber DIE Medien, die beachten einfach den Klimawandel nicht!

Da riss mir der Geduldsfaden. Ich donnerte dem Mädel oder Jungen (ich vermutete Unerfahrenheit) Links rein von Presseschauen bis zur Umweltredaktion des Guardian u. a. und verlangte jetzt harsch, man solle diese verdammten Lügen über die Medien einstellen, es sei schlicht unwahr. Ab da hatte ich dann Spaß am Fight, ich gebe es zu. Denn wenn ich etwas nicht abkann: Wenn offizielle Accounts von Organisationen es derart an Professionalität mangeln lassen. Ich mache es kurz: Zum Schluss entschuldigte man sich auf der anderen Seite, man habe mich nicht verletzen wollen (typisch, nur nicht den Irrtum zugeben, da sind es dann Befindlichkeiten der anderen). Und bedankte sich für die Links (endlich wurden sie bemerkt).

Warum mich das so auf die Palme brachte? Weil hier eine Gruppe, die eigentlich die gleichen Ziele hat wie ich, ein Narrativ übernommen hat, das von Rechtsaußen stammt und Teil der faschistischen Strategie ist, seriöse Medien zu diskreditieren. Wir kennen das von Trump & Co. Darum sehe ich rot, wenn jemand sagt: "DIE Medien ...". DIE Medien gibt es eben nicht. Es liegt ein riesiger Unterschied zwischen BILD und New York Times, zwischen dem örtlichen Käsblatt und der ZEIT, zwischen einer launigen Radiosendung und einer investigativen TV-Reportage. Wenn wir nicht mehr differenzieren, werden wir missionarisch, engstirnig.

Ich hatte dieser Person noch geschrieben, dass sie in diesem Ton nie JournalistInnen für die Sache gewinnen würde. Wenn sie nicht lerne, dass die eigentlich ihre Verbündeten sein können, wenn sie statt dessen die wohlfeile Medienschelte hoch und runtersinge, könne sie den Laden gleich zumachen.

Als ich mich dann fröhlich abgearbeitet und das Account entfolgt hatte (Nervenhygiene), ging mir auf, warum ich diesmal kämpfte: weil da etwas zu entgleisen droht, was eigentlich wichtig für uns ist. Und in der Art, wie es entgleist, bringt es ausgerechnet die Klimawandelleugner zum Frohlocken. Da muss man sich, wenn man öffentliche Kommunikation macht, einfach professionell in der Hand haben.

Mir fiel aber auf, das geht noch viel tiefer. Ich merkte das an der Art, wie meine Argumente gar nicht durchdrangen. Diese Selbstrechtfertigungen und dann wie die Gebetsmühle: Aber das Klima! Die Welt geht unter und wir müssen jetzt das da und das da und du machst nicht genug!

Kann ich bei 17jährigen vollkommen akzeptieren - in der Jugend darf und soll man feurig sein und auch feste in Fettnäpfchen tappen. Das braucht die Welt genauso wie das Nachdenken. Aber eben nicht bei solchen Leuten, die was verkaufen wollen, für eine Organisation stehen. Ich machte mir den Spaß zu fragen, ob mein Gegenüber mich denn überhaupt sehe, wahrnähme - schließlich stehe ich sichtbar für ähnliche Ideen. Und da kam Schweigen.

Hier liegen Gefahren in Umbruchzeiten: Vor lauter gutem Ereifern und wildem Herumrasen verrennen wir uns womöglich ganz schnell?

Wir sehen den Klimawandel inzwischen täglich, die Medien versorgen uns mit Bildern und Texten. In Social Media können wir live Naturkatastrophen mit anschauen, während ich das hier schreibe, sehe ich unter dem entsprechenden Hashtag live, wo genau der angesagte schlimme Sturm auftrifft. Und irgendwann kommt der Overflow und ich sehe nichts mehr und kann auch nichts mehr fassen, weil es zuviel ist. Oder weil es mich abzustumpfen droht. Wir können Aktivismus ganz gut, sind sehr kreativ und auch reaktiv, wenn es darum geht, auf die Straße zu gehen, zu demonstrieren. Aber können wir noch etwas an uns heranlassen? Es gibt den m. M. n. dämlichen Ausdruck "sich anfassen lassen". In diesem Fall passt er eigentlich ganz gut, weil damit mehr gemeint ist, als "sich berühren lassen". Eine Berührung ist im nächsten Moment schon vorbei. Wenn ich von einer Sache angefasst bin, lässt sie mich so schnell nicht mehr los.

Und da bin ich bei dem Thema, das mir derzeit sehr am Herzen liegt und das ich ständig umkreise: Wir haben bereits jetzt unwahrscheinlich viel Trauerarbeit zu leisten. Wir müssen uns dringend um unsere eigene Psychohygiene kümmern und lernen, wieder empathisch (!) miteinander umzugehen. Die reine Datensammelei und die Argumentationen aus der Wissenschaft allein werden es ebenso wenig richten können wie Technologiehörigkeit, bei der wir vor lauter Schwärmerei die Ethik vergessen. Wenn wir unsere Zukunft und die des Planeten wuppen wollen, brauchen wir mehr als nur unser Hirn - wir müssen "menschlich" werden, mitmenschlich sogar. Und das nicht nur mit anderen Menschen.

Gleichzeitig begegneten mir dann zwei Dinge, die so eine Art Aha-Erlebnis waren und über die ich ein andermal laut nachdenken werde.

Da ist zum einen das, was man auf dem Bild oben sieht. Für meinen Workshop fertige ich noch ein zweites Beispielbuch. Spontan war mir beim Thema "Collage lernen" danach, die Papierabbildungen der bei uns in der Region ausgestorbenen Schmetterlinge mit Frauendarstellungen aus Zeitschriften zu kombinieren. Ich dachte, das sei eine "nette Bastelei". Aber die Wirkung kam wie ein Tiefschlag: Ich bin ja selbst eine Frau. Das macht etwas mit mir. Etwas sehr Kraftvolles und auch Positives. Darüber werde ich berichten, wenn ich es für mich selbst einordnen kann. Da verschieben sich Perspektiven. Ich habe das Gefühl: Kunst kann so ein Weg sein.

Das andere war ein Podcast, der in mir besonders nachklang - ich habe ihn unten verlinkt. Es geht um das besondere Erlebnis, wenn einem ein Tier sehr tief in die Augen blickt, wenn man das Gefühl bekommt, es nimmt einen wahr. Was das mit einem macht. Die Geschichten sind intensiv, vor allem von der Frau, die fast vom Krokodil gefressen wurde. Meine, die mich nie mehr loslässt und mich bis heute prägt, war die zufällige Begegnung mit einem Wolf in einem polnischen Nationalpark. Er war recht weit weg, aber plötzlich blieb er stehen, drehte sich nach mir um und schaute mich ganz ruhig und intensiv an.

Vielleicht bin ich auch deshalb so hin und weg von den Büchern von Elli H. Radinger, die als Wolfsforscherin noch ganz andere Begegnungen hatte. Sie kann sie so gut beschreiben, dass man dieses Besondere fühlen kann, das sich da zwischen Tier und Mensch abspielt und den Menschen verändern kann. Ich habe dieses Erlebnis auf Twitter Gavin van Horn erzählt, der mir dann zu seinem Treffen mit Kent Weber den Text gab ... unten im zuletzt verlinkten Artikel: The Disrupted Eye. Auch da steckt einiges drin, was uns durch künftige stürmische Zeiten führen könnte.

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1 Kommentar:

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