Lost Manuscripts
Meine ersten entwickelten Texte zum Thema stammen aus dem Jahr 2000 - was für eine lange Zeit, in der ich mich als Autorin weiterentwickelt habe, in der auch das Sujet gereift ist. Meine Schreibpause hat mir noch dazu den kompletten Abstand von der Buchbranche geschenkt, einen Abstand von sämtlichen Erwartungen, die einem in diesem Betrieb von allen Seiten angetragen werden. Ich habe viel gelernt und ich bin endlich frei. In Zeiten des Self Publishing theoretisch sogar frei genug, den größtmöglichen, zum Scheitern verurteilten Blödsinn zu veröffentlichen. Die Zeiten haben sich geändert: Ich weiß heute, was ich will und kenne sogar KönnerInnen und Vorbilder, von denen ich weiter lernen möchte.
Insofern war die Überraschung groß, das Werden unterschiedlicher Sedimente von Manuskriptfassungen zu sehen. Die massiven Eingriffe meines allerersten Agenten, dem ich fristlos mit Anwalt kündigen musste, als ich bemerkte, dass er meine Karriere zerstörte statt förderte. Aber ich habe mich ja auf diese Änderungen eingelassen und es ging auch damals wohl nicht anders: Ich war meiner Zeit zu weit voraus.
Meine ersten Fassungen lesen sich wie Fernsehdokus von heute, wo ein Archäologe oder Moderator (leider viel zu selten Frauen) durch eine steinige Wüste schlappen, auf Zeug zeigen und erklären, wie doll sie ins Schwitzen kamen, als sie diesen einen besonderen Stein in der Hand hielten. Kameraschwenk: Der Stein liegt im Labor, Wissenschaftler erzählen von Messmethoden. Und weil sie nicht doll ins Schwitzen kommen, mischt sich der Erzähler wieder ein und erzählt von der geheimnisvollen Mumie, die diesen Stein schon mal in der Hand hatte.
Sprich, meine ersten Texte hatten etwas Verbotenes: Damals landete man Sachbücher nur, wenn sie absolut unpersönlich, eben "sachlich" geschrieben waren, akademisch in der Wir-Form oder populär in der Man-Form. Autorinnen und Autoren (meist Männer) hatten unsichtbar hinter ihrem Text zu verschwinden. Das war offenbar so gar nicht "mein Ding".
Ich mischte mich ein. Die Texte erzählen voller Leidenschaft, wie ich Dinge entdecke oder rekonstruiere, Augenzeugen treffe, die ich als eigenständige Figuren live erzählen lasse. Ich schwenke zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen den Emotionen der Betroffenen und kühler Wissenschaft. Das war nicht gefragt, damals offenbar ein No Go. Ich kam in die Schublade "Mädle schwätzt gern vom Pferdle, typisch weiblicher Emotionalkram".
Es mussten Jahre vergehen, in denen sich zeigte, dass gerade dieses Schreiben als eigenes Genre aus dem englischsprachigen Raum herüberschwappte. Vorsichtig nannte man es im deutschen Sprachraum "erzählendes Sachbuch" oder auch "literarisches Sachbuch" - je nach Verlag. Und die waren rar gesät. In Wirklichkeit hatte ich das schon Mitte der 1980er gelernt, im Journalismus, man schrieb damals selbst in regionalen Tageszeitungen große Features und Reportagen, es gab richtig Geld für ganze Serien. Aber Journalismus war das eine - Bücher waren noch etwas anderes.
Später benutzte ich meine alten Manuskripte als Steinbruch: Einer der zuerst "verbotenen" Texte wurde zum Vorwort in "Das Buch der Rose", es ist eine Geschichte laienhafter experimenteller "Archäologie", wo es gelang, durch Rosenableger einen alten Lageplan eines Schlosses zu verifizieren, der sich dann auch wirklich fand. Die Leserinnen schrieben mir, wie spannend das war. Fast unverändert fand dann eine meiner ersten Textfassungen über die Gebrüder Schlumberger und ihre sensationelle, die Welt verändernde Entdeckung in mein erstes "erzählendes Sachbuch": "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt". Ich habe heute noch die Zusage der Firma Schlumberger, für eine Veröffentlichung jede Hilfe für ihre historischen Fotoarchive zu bekommen, in denen wundervolle Schätze lagern. Kurzum: Irgendwann wurde diese Art Schreibe eingekauft, aber sie war immer noch zahm gegen die Anfänge jener Texte.
Was wäre gewesen, wenn ich in diesen Jahren alle Erwartungen und Briefings und Lektoratswünsche in den Wind geblasen hätte, um stur "mein Ding" durchzusetzen? Es war technisch nicht möglich, weil es kein Self Publishing gab. Man machte entweder brav mit und war gut genug - oder man schaute in die Röhre. Die Branche war kein bißchen experimentierfreudig, ist sie eigentlich auch heute nicht. Aber heute kann man selbst experimentieren und entweder scheitern - oder Erfolg haben.
Was ich heute anders machen würde, hätte ich diese Möglichkeiten vor zwanzig Jahren gehabt?
- Ich würde an mein Thema glauben, wenn ich seine Relevanz mehrfach belegen kann und wenn es über die Jahre so stark bleibt.
- Ich würde meine Schreibe ausprobieren an TestleserInnen, allerdings Menschen vom Fach, die Ahnung vom Schreiben haben. Aber aus unterschiedlichen Bereichen kommen (Buch, Film, Radio, Journalismus). Würde schauen, ob sie funktioniert.
- Wenn ich Vorbilder entdecke oder Bücher, die so ähnlich funktionieren, würde ich sie wie eine Fahne unter der Nase von AgentInnen und VerlegerInnen schwenken: Schaut her, andere machen das auch! Und wenn ihr euch nicht traut, ich trau mich!
- Ich würde mich nicht mehr für jedes einzelne Briefing neu verbiegen, völlig neue Bücher entwerfen, Wochen an unterschiedlichen Exposés vertun, die meine Urgeschichte bis zur Unkenntlichkeit verändern - sondern schauen, ob ich relevante Leute finde, die an diese Urstory glauben.
- Ich würde nach Schreibtraditionen suchen, in denen ich mich bewege, und davon lernen, lernen, lernen.
- Ich würde Menschen, die mir nur aufgrund meines Geschlechts Etiketten aufkleben oder Texte danach beurteilen, sofort und sehr deutlich dorthin schicken, wo der Pfeffer wächst - und wenn sie in der Branche noch so bekannt wären. Solche Leute braucht heute niemand mehr.
- Ich würde mir KritikerInnen suchen, die meine Form des Schreibens von anderswoher kennen - und die dürften dann meine Entwürfe zerpflücken und bekritteln, bis ich sie wieder und wieder geschliffen habe.
- Ich wäre nicht mehr naiv, leichtgläubig, in der ach so typischen AutorInnen-Bittstellerhaltung, sondern stur, hartnäckig und leidenschaftlich.
- Ich würde nicht mehr Jahre brauchen, all das zu lernen ...
Lustig ist, dass ich es eigentlich noch vor mir selbst verheimliche, abstreite, dass ich längst an einem Buch arbeite. Es ist wohl die Angst, dass es zum Rohrkrepierer werden könnte. KollegInnen kennen das vielleicht: Erzählt man zu früh und zu begeistert von so einem kleinen Sämling, geht er manchmal über Nacht ein, weil zu viele darauf geschaut und geatmet haben. Und das Pflänzchen oder Tierchen oder was auch immer es ist, ist noch so klein, dass ihm ein Namen fehlt. Aber es ist egal. Falls ich scheitere, werde ich das zugeben und damit leben.
Es wird weder ein Buch über Erdöl noch über Erdölgeschichte werden, wie damals konzipiert. Ich bewege mich im Genre Nature Writing und da in einem Umfeld, wo es sehr stark um Ökologie(geschichte) geht, um einen Blick aufs Anthropozän, um Zusammenhänge. Und darum wird das Erdöl natürlich darin vorkommen. Heute kann ich wie die Moderatorin in einer Fernsehdoku mit vor Aufregung schwitzigen Händen durchs Buch schlappen, einen Stein in die Hand nehmen. Heute kann ich Leute fragen, die ihr ganzes Leben lang solche Steine befingern - und WissenschaftlerInnen dazu. Und wenn ich unterwegs eine Mumie sehe, kann ich auch von der erzählen.
Es ist ein Abenteuer für mich, weil ich erst spät von Vorbildern lernte und sich die Ideen erst noch formen. Es fühlt sich kurios an, weil ich mich diesmal nicht von Lektorinnen leiten lasse, sondern von einem Spürhund, der auch mal Dinge ausbuddelt, mit denen ich nicht gerechnet habe. Heute lausche ich auf die Natur, auf Reste, auf zerfallene und hartnäckige Spuren von Menschen.
Und ich schreibe öffentlicher als früher. Ich möchte darum ein zweites Blog zum Thema aufmachen, in dem ich Gedanken sortiere, Eindrücke schildere, vielleicht den ein oder anderen Text zeige. Und ich weiß, dass ich es mir jetzt mit vielen treuen Leserinnen und Lesern meiner Bücher verscherzen werde: Ich werde dieses Blog auf Englisch betreiben. Aus Gründen. Warum ein zweites Blog?
- Wegen der Sprache (Die Chancen, solche Texte auch als Essays zu verkaufen, liegen zwischen Englisch und Deutsch bei gefühlt 10:1).
- Wenn ich hier im Blog Beiträge zum Thema Nature Writing schreibe, schrumpfen die Zugriffe erstaunlich auf ein Minimum, das sich eigentlich nicht lohnt. Mit einem getrennten Blog kann ich Zielpublikum vllt. leichter erreichen.
- Ich finde die Texte selbst leichter, wenn ich sie brauche.
- Es werden hier keine LeserInnen genervt, denen das Thema piepschnurzegal ist. Es bleibt hier alles beim Alten.
Ich freue mich auf dein neues Nature-Writing-Blog und auch über die Nachricht, dass vielleicht doch noch einmal ein Buch von dir kommt, ob nun auf Englisch oder in sonst irgendeiner mir bekannten Sprache. Viel Erfolg bei dem Projekt!
AntwortenLöschenHerzlichen Dank, den kann ich brauchen. Und viel Energie, das in gestohlener Lebenszeit zu machen. ;-)
AntwortenLöschenUnd wer weiß, vielleicht merke ich dann beim Bloggen und Veröffentlichenwollen von Einzeltexten, dass ich doch wieder die Sprache umlenke, vllt. schreibe ich dann auch grottenschlecht. Ich weiß nur eins: Ich werde als Autorin nie die Sprache verwenden, die ich täglich spreche, Französisch. Ich komme damit nicht richtig in meine persönliche Denke rein ...
Wi isili komiunikät in inglisch! Bin schon gespannt!
AntwortenLöschenIt tuck samm teim, batt nau Ei versteh dich! ;-)
LöschenWieso solltest du scheitern? Du hast ein Thema, das dich nicht erst seit gestern beschäftigt, und du kannst schreiben! Und wenn dir das auf Englisch besser von der Hand geht, dann halt auf Englisch. Irgendwen wirst du immer verärgern..... Ich bin sehr gespannt!
AntwortenLöschenDanke dir! Das Blog ist da ... :-)
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