Sinnlos, sinnfrei, sinnvoll, sinnenreich

Eine seltsame Stimmung heute. Der Herbst kracht mit eisiger Nacht und einem Wolkenbruch in die bisher lauen Tage, der Hund schnarcht unter der Polarfleece-Decke und ich muss mich irgendwie wach bekommen, weil ich noch drei Stunden zu arbeiten habe. Brotjob, relativ mechanisch, aber die volle Konzentration erfordernd - es muss Butter aufs karge Künstlerbrot. Doch weder Kaffee noch die versehentliche Überdosis an Lebkuchen wirken - und so beschließe ich, Zeit zu schinden für scheinbar Sinnloses, für etwas, das noch kein Geld bringt, wobei sich mancher an den Kopf tippen mag. Schließlich ist Sonntag, rechtfertige ich mich halbherzig. Ich will etwas von diesen "unnützen" Dingen tun, die mich glücklich machen. (Fotos durch Klick vergrößerbar)

Kaffeefilter mit Hammerdruck auf handgeschöpftem Bütten mit Blüteneinlagen


Es handelt sich um die Arbeit an einem Künstlerbuch, neudeutsch und viel treffender "artists' books" genannt. Denn unter dem deutschen "Künstlerbuch" versteht man eigentlich meist ein ordentlich gedrucktes Buch einer Künstlerin, eines Künstlers, natürlich in gewisser Auflagenstärke gedruckt und nah am Katalog vom Genre her. Das "artists' book" dagegen ist die "unordentliche" und "unnütze" Variante, es gibt jedes nur ein einziges Mal, in den seltensten Fällen scannt man es ein und versucht sich in der Herausgabe desselben. Ein Druck käme auch nicht gut, weil die "mixed media", die Mischtechniken, ganz auf sinnliches Erleben ausgerichtet sind. Solche Büchlein wollen nicht nur angeschaut, sondern vor allem befühlt werden. Ich habe hier im Blog schon über meine Drucktechniken geschrieben und über die Einbindung unleserlicher Schrift, der Asemie.

Kaffeefilter mit Hammerdruck auf handgeschöpftem Bütten mit Blüteneinlagen, Rückseite
Nach diversen Testläufen bin ich nun sehr konkret an einem Büchlein im fast quadratischen Format von ca. 11 cm, das sich aus den verwendeten Buchseiten ergibt. Ich stelle gerade Grundseiten her, die gestaltet sind - dazwischen werden dann auch ein paar Leerpapiere und anderes gebunden werden. In dieser Jahreszeit möchte ich mich an den Frühling erinnern, um im Winter zu wissen, dass irgendwann diese Farben und Düfte wiederkommen werden. "Blütenträume" heißt darum der Arbeitstitel.

Fertige Seiten, mixed media

Hammerdruck mit Rosen und Ringelblumen, Monotypie mit Blättern

Da gibt es Seiten mit Gelatinedruck oder Blattdrucke im Monotypieverfahren. Der Sinn ist noch einigermaßen erkenntlich: Aha, hier hat jemand versucht, so etwas wie Kunst zu schaffen. Anders sieht es bei den Papieren aus: Da hat jemand Muskelschmalz verbraten und komische Sachen gemacht. Wie Kunst sieht das auf den ersten Blick nicht aus. An warmen Tagen bin ich auf dem Pflaster gekniet, mit dem Hammer in der Hand. Wer mich beobachtete, konnte schnell zu der Überzeugung gelangen: Die hat echt einen Hammer! Ich zerklopfte Blüten ... zarte bunte Blüten. Auf Papier, das ich manchmal ebenfalls traktiert hatte; Kaffeefilter etwa, möglichst zerknitterte, schon einmal durch den Kaffee gezogene Filter. Es sollte schließlich Leben an ihnen kleben!

Hammerdruck Rosen

Hammerdruck Salbei
Hammerdruck nennt man die Technik, bei der Pflanzenteile unter Vlies auf Papier gelegt werden. Und dann klopft man sorgfältig jeden Millimeter davon fest, möglichst gleichmäßig, damit nicht so viel bricht - oder wild, damit Strukturen entstehen und die Abbilder zerbrechen. Ist das Ganze einigermaßen getrocknet, zieht man vorsichtig und schnell Vlies und Pflanze ab - zurück bleibt ein mehr oder weniger deutliches Schemen des Originals, das seine Farbstoffe ans Papier abgegeben hat. Saftige Pflanzen bleiben sogar haften. Und so bin ich im Spätsommer durch den Garten gelaufen und habe gepflückt, was mir im Winter fehlen wird: Das wunderbare Rotblaugrün des Salbeis, Pink und Dunkelrot von den letzten Rosen, spätes Sonnengelb vom Labkraut und was vom Sommer am längsten bleibt: jene saftig kräftigen Ringelblumensonnen.


Es war heiß, das Papier dürstete geradezu nach Pflanzensäften und so hämmerte ich mein "sinnloses Werk": die Kaffeefilter sogen sich trunken mit der schweren Süße der Rosen voll, der Salbei ätzte sein scharfes Grün hinein. Wie ich den Hammer schwang und die Schläge vom Pflaster wiederhallten, schien auch der Stein zu erwachen und wollte mitreden. Kräftig setzte er seine Löcherschrift ins Papier, als wolle er Durchlass schaffen für das, worin er sich im Sommer räkelte, bis er ganz warm wurde ... das Sonnenlicht.



Ein solchermaßen traktiertes Papier ist geduldig und zäh, gibt aber doch ab und zu fast den Geist auf. Es erzählt von Gebrauchsspuren, wird brüchig, fadenscheinig, blättert ab. Plötzlich ist sie da, die andere Assoziation mit den Löchern. Ich hole eine Stopfnadel und füge willkürlich neue hinzu, will nicht kleben, sondern heften. Weil man Bücher heftet und Papier früher mit Faden genäht wurde. Mir fallen die wundervollen Stickereien ein, mit denen man im Mittelalter Pergamente repariert hat. Und mir fällt ein, wie ich Handarbeiten als Kind gehasst habe, wie ich ständig ausgeschimpft wurde, wenn ein Stich nicht absolut perfekt und ebenmäßig saß. Ich werde kühn, die Stiche sollen nicht sitzen. Ich bin nicht diese brave Geduldsperson, die Kleinmädchenstiche zum Gefallen perfektionistischer Mütter macht. Meine Stiche sind wild, vorsätzlich ungelenk, unregelmäßig. Sie sollen eher Markierungen sein denn Nähte. Sind ein Ersatz zum Kleben, wenn ich Papiere reparieren oder auf die richtige Größe bringen muss. Krikelkrakelstiche, Asemie in Fäden.

Eine Buchseite wird geflickt.

Eigentlich alles, was brave Leute mit Büchern nicht machen: Zeichen hinterlassen, Seiten brüchig machen, knicken, malträtieren. Dinge hineinkleben, ja sogar hineinhämmern. Wer hämmert schon ein Buch! Es klebt, manches ist zuerst schleimig, Farben saften. Da sind raue Strukturen, erhabene Pflanzenteile - unter Mattlack gesichert - oder Papier, das natürlich verschmutzen wird. Der Text wird zur Druckfläche, die Worte interessieren nicht - es ist einzig die Buchstabenfläche, die Absatzverteilung, quergelegt wie die Fieberkurve eines vergangenen Sommers.

Es ist ein Werk, das erst noch werden will, wo sich die Seiten von alleine suchen. Noch ist das Rohmaterial, noch habe ich keine Zeichen oder vielleicht Zeichnungen hinterlassen, Schichten geklebt, aufgepfropft. Noch fehlt die Akkuratesse, die ich nachher mit Nadel und Faden beweisen muss - die Fadenbindung nämlich, das Binden überhaupt. Und wie werden die Buchdeckel gestaltet werden? Auch das ist kein bewusster Prozess - die Materialien wandern durch meine Hände, finden mich. Der Prozess macht mich glücklich und hellwach. Jetzt bin ich bereit für den Brotjob nebenher.

Und ich frage mich, ob das alles wirklich so zum Kopfschütteln und "sinnlos" ist, wenn ich plötzlich sanfter mit dem Hammer zuschlage, weil der Stein so schön singt. Wenn ich schnuppere, weil so ein Rosenblütenpapier im ersten Moment duftet wie ein Paradiesgarten. Ich streiche sanft über die Pippi-Langstrumpf-Stiche und denke mir: Wie langweilig und eintönig wäre doch das Leben, wenn ich diesen Kaffeefilter nur dazu benutzt hätte, wozu ihn alle nutzen: zum Kaffeekochen?! Wie sinnvoll es doch sein kann, völlig die Welt zu vergessen beim Falten und Sticheln und Klopfen und Matschen! Wenn der Hammerschlag die Zeit misst und das Auftrocknen die Tage. Das ist wohl diese berühmte "Entschleunigung", wenn man alles um sich herum vergisst, weil einen nur noch interessiert, wie ein rotblättriger Salbei in einem alten Buch tanzen mag. Da ist so viel Sein auf dieser Erde und so viel Einfachheit, wenn man es denn wagt, ein wenig bekloppt Blumen zu kloppen. Es rückt die Realitäten wieder zurecht und haut den Hammer ins tägliche Gebrabbel und Getöse aus Quellen, die sich zu wichtig nehmen. Sinnenreich ist das, sinnenreich bleibt das Ergebnis, dieses Streichelbuch. Fast kann ich die Seiten kichern hören - sie machen sich lustig über das billige Taschenbuch, aus dem sie stammen und das sich einredete, so richtig doll haptisch zu sein. Können auch Bücher an Hybris leiden?

Es klopft mir auch im Hinterkopf ein wenig. Könnte ich so etwas weitergeben? Würde ich Menschen finden, die mit mir herumhämmern wollen oder Farben auf Gelatine streichen? Wer weiß, vielleicht werden einmal Kurse aus dieser Arbeit ... es hämmert nicht nur im Hinterkopf, es tickt bereits.

Fertige Kunst gibt's natürlich in meinem Shop und einen Schaffensüberblick auf meiner Website! Und wer auf dem Laufenden bleiben will und rechtzeitig erfahren möchte, falls ich mal Kurse anbiete, der abonniere meinen Newsletter (er erscheint auch nicht quälend oft).

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