Glück ist, wenn das Seil spannt

Dieses Glücksgedusel derzeit in Radio und Fernsehen kann einem manchmal ganz schön auf die Nerven gehen - vor allem dann, wenn man sich so richtig down fühlt. Für dieses Gefühl gab es eigentlich keinen rationalen Grund (außer einem Packen von Rechnungswahnsinn). Ich hatte angefangen, ein recht verrücktes und eigentlich viel zu großes künstlerisches Projekt anzudenken ... und dann ist mir genau das passiert, was mit dem Projekt Nijinsky ganz am Anfang auch passiert war: Es bröselten so langsam aber sicher alle möglichen positiven Umstände davon.


Das Projekt steht vor dem möglichen Erstickungstod - an leider recht "deutschen" Situationen in der geordneten Kulturwelt, wer mit wem darf und mag, aber mit wem nicht mag, weil er was teilen müsste, und mit wem nicht darf, damit er Zuschüsse bekommt, oder welche Gelder nicht annehmen darf, die über fehlende Zuschüsse hinweg retten könnten. Und dann kam das Aus für den Landeszuschuss, weil mein Vorhaben "nicht literarisch" sei. Das wäre es gewesen, wenn ich brav als Tante Erna aus einem drittklassigen Buch vorgelesen hätte. Aber ich Trottel will ja nicht lesen. Ich will mehr.

"Nicht literarisch" - obwohl ich mir diesen zerlatschten Pantoffel nun wirklich nicht hätte anziehen müssen, lähmen mich solche Urteile gewaltig. Nicht, dass ich nicht mehr an meine Idee geglaubt hätte! Ich glaubte einfach nicht mehr daran, dass ich kleines Hascherl kann, was ich will. Was sind wir Autoren doch für Sensibelchen! Immerhin müsste ich für dieses Projekt einen Text schreiben, den ich durchaus als Herausforderung betrachte. Endgültiges werde ich erst im Dezember erfahren, eigentlich viel zu spät. Aber nun ja, ich fühlte mich wie das Wetter: trübe, mit einem Himmel, der auf die Erde zu fallen droht.

Ich mache mich mein ganzes Leben lang schon über Bungee-Springer lustig. Wie sie dämlich von Brücken und hohen Kanten in die Tiefe rasen, zumindest im Kopf wissend, dass der finale Crash wahrscheinlich ausbleibt. Und dann macht es Plop, das Seil spannt, das Menschlein hüpft wie ein irrer Gummiball hoch und runter. Und ist dann so mit Adrenalin und Endorphinen angefüllt, dass es süchtig wird. Und sich künftig immer wieder von der Brücke stürzen wird.

Gestern habe ich festgestellt, dass das Künstlerdasein auch nicht besser ist. Kein vernünftiger Mensch würde sich so oft und immer wieder in die existenzielle Achterbahn begeben. Man könnte doch auch gemütlich aus der ersten Reihe auf der Brücke diesen Irren zuschauen! Aber nein. Als wüsste man es nicht besser, schaut man in freien Fall auch noch bewusst nach ganz unten. Auf den Fels, auf dem man aufschlagen könnte. Wenn das Seil nicht hält. Wenn das Seil nicht endlich spannt. Zu viel Adrenalin kann töten ...

An jenem tiefsten Punkt klingelt manchmal das Telefon. Ich klagte irgendwann mein Leid. Hubuh, mein verrückter Traum, ich wusste ja, er ist viel zu verrückt, ich war ja darauf vorbereitet, dass er platzen könnte ...
Das hätte ich nur einer Russin nicht sagen dürfen. "Ihr lebt doch in einem so freiheitlichen Land - und dann habt ihr selbst in der Kunst solche Reglementierungen!?" Komisch, wie recht sie hatte. Je institutionalisierter Kunst und Kultur in Deutschland abläuft, desto verrückter werden die Verflechtungen und Vorschriften, Gewohnheiten und "das tut man nicht".

"Was hast du denn vor, was brauchst du?", fragte sie mich. Ich träumte noch einmal laut und zählte auf.
"Ja, aber warum machst du das nicht einfach - mach es doch selbst!?!"
Das war der Moment, in dem das Seil seine stärkste Spannung hatte. Diesen Satz hatte ich schon einmal gehört. Als drei Jahre Arbeit am Nijinsky-Projekt umsonst erschienen, weil die vorgesehenen Partner nicht mehr da waren. Damals bekam ich auf die gleiche Weise einen vor den Bug geknallt: "Warum machst du das nicht selbst?" - Und ich habe gekämpft, bis ich mein fertiges Buch in Händen hielt. Endorphin pur. Ob ich die Kraft noch einmal aufbringe?

Wroooooom ... sauste das Seil mit dem Gummifrauchen nach oben. Wir waren im Nu in einem kreativen Brainstorming begriffen, wen man alles so anhauen könnte, wie gestalten und wo - und wie man eine Budgetierung ohne Zuschüsse macht. Plötzlich tauchen Leute auf, die ich ansprechen könnte und eigentlich schon lange kenne; Wege, die ich selbst nicht gesehen habe.
"Du machst das, im Winter schreibst du den Text dafür!", wurde ich verdonnert. Ich war erst mal so high, dass ich ihn am liebsten gleich in die Tasten gehauen hätte.

Am Tag danach ist der erste Rausch, der mich nicht schlafen ließ, natürlich verflogen. Ich stehe wieder ganz gesund mit beiden Beinen auf der Erde und mache mir Checklisten, recherchiere das Budget.
Die Frau am Telefon hatte recht: Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass mein Traum nicht stattfindet. Aber wenn ich es nicht wenigstens versuche, werde ich nie erfahren, ob ich es nicht auch schaffen könnte. Behaltet euer Glücksgeduselgefasel. Reicht mir ein neues Gummiseil!

3 Kommentare:

  1. Sabine Kanzler21/11/13 17:30

    Viel Glück! Vielleicht sollten wir, die wir Dich kennen, jetzt alle Sammelbüchsen besorgen, so richtig schön offiziell verplombte, und damit durch die Fußgängerzonen tapern?

    Wär ja schomman Anfnang!!

    ;-)

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  2. Ich könnte ja, wenn ich die Zeit hätte, Crowdfunding machen :-)
    Tja, die benötigte Summe wird wohl vierstellig mit mindestens einer 2 davor. Falls nicht Anfang Dezember doch noch gewisse Honorare wegfallen.

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  3. Ein paar Tage und wundervolle Gespräche später: Wir planen. Voll ins Blaue, voll ins Risiko, aber wer nicht an Träume glaubt, kriegt sie nie ins Leben. :-)

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