Lies doch vom Teller!

Eine Freundin hatte mir einen Lesungstermin in Frankreich verschafft. Wunderbar, dachte ich ... und auch der Ort, der große Nebenraum eines Restaurants, würde ganz gut zu meinem Elsassbuch passen. Ich hätte jedoch gewarnt sein müssen: "Pepes Peperonibar" schien zwar gerade hip zu sein, aber bei dem Namen?

Die Besucher strömten nur so, wirkten aber eher, als würden sie von einer Kaffeefahrt kommen und nach billigen Heizdecken suchen ... mich beachteten sie gar nicht, am Büchertisch rauschten sie ohne einen Seitenblick vorbei. Ein paar Paare hatten ganz offensichtlich Pepes Peperonibar mit einem Fünf-Sterne-Hotel verwechselt oder waren von einem langweiligen Fachkongress in der Nachbarschaft ausgebrochen. Aber immerhin, wer hat schon das Privileg, in einem fremdsprachigen Land so schnell die Hallen zu füllen!

Der örtliche Buchhändler versprach den Gästen einen Apéritif und eine schöne Zeit und stellte mich vor. Irgendwie reckten alle die Hälse nach dem Apéritif, ein paar gingen aufs Klo, andere schauten sich im Gastraum um, wieder andere riefen lauthals nach der Karte. So war das eigentlich nicht gedacht und mir ein wenig zu viel Laissez Faire. Mit meinem strahlendsten Lächeln und einer beruhigenden Geste trat ich vor und begrüßte meine Gäste, wollte schon beginnen, ein wenig zu erzählen, was das mit dem Buch eigentlich sollte und warum ich jetzt vor ihnen stand. "Keeeeellner!", schrie es auf Französisch aus der Ecke. In der anderen klirrten die Gläser, ein Korken löste sich mit lautem Plopp. Über drei Tische hinweg brüllte ein beleibter Herr mit Halbglatze: "Ärrrrrnaaaah, kommsch doo har! Mir esse Pizza!"

Ich räusperte mich und griff in Richtung Buch. In solchen Fällen, die ich bisher zum Glück so noch nie erlebt hatte, hilft nur Frontalangriff. Man legt auf der Bühne einfach los. Mit dem Licht war es auch nicht zum Besten bestellt. Ich griff statt an ein Buch an einen Karton. Hatte der Buchhändler etwa noch die alten Ausgaben aus dem Hanser-Verlag aufgetan, die im Kartonschuber? Es klirrte tüchtig im Buchkarton und an den Tischen. Dort herrschte wieder fröhliches Kommen und Gehen. Wenn es mir nicht in kürzester Zeit gelang, mein Publikum an den Haken zu nehmen, hatte ich es verloren ...

Der Karton war mit winzigen handtellergroßen Tellerchen gefüllt. Wo war mein Buch geblieben? Schemenhaft konnte ich erkennen, dass auf die Teller mein Text gedruckt war, winzig klein und verschwommen, von Tellerchen zu Tellerchen fortlaufend. Hilflos blickte ich zu meiner Freundin. "Lies doch vom Teller!", zischte die mir zu, "wenn man im Restaurant eine Lesung macht, liest man vom Teller! Du wolltest doch unbedingt in Frankreich auftreten ..." Was für eine Laune. Und sagt man sowas vor Publikum?


Laune und Nervenstärke sanken bei mir tief in den Keller. Noch einmal hob ich beschwichtigend die Hände und setzte an, halbblind das erste Tellerchen entziffernd. Meine Stimme kam gegen den Lärm nicht an. Irgendwo vor mir stand eine Familie in Jogginganzügen auf und fragte mich: "Haben Sie auch Kamelhaardecken?"

Ich versuchte es mit dem zweiten Teller. Unauffällig versuchte ich, meiner Freundin und dem Buchhändler Zeichen zu geben. Die mussten doch endlich kapieren, dass ich mein Buch brauchte? Warum halfen die mir nicht? Steckten die Köpfe zusammen und kicherten. Meine Stimme klang wie die der Staatsanwältin, die den Pathologen Börne immer im Münsteraner Tatort ärgert: unheimlich tief. Sie erstarb fast als Basso Continuo zum Geschwätz und Gläserklirren. Jetzt kam auch noch Pepe mit seinen Kellnerinnen herein und servierte Peperonizeug. Mir wurde heiß und kalt, eher und meistens fieberheiß. Beim fünften Teller, auf dem sichtlich ein Absatz verwischt war, kiekste ich wie ein Junge im Stimmbruch, beim siebten Teller versagte mir die Stimme ganz, bevor das Ding mit lautem Geklapper zu Boden fiel und in tausend Teile zersprang. "Wenn Sie keine Kamelhaardecken haben, wir nehmen auch Teller!", rief die Dreizentnermutter der Jogginganzugsfamilie.

Ich hatte so etwas noch nie erlebt. Auch nicht annähernd. Meine Stimme versagte völlig, ich war den Tränen nahe. Aber das wollte ich nun auch nicht zeigen ... nur keine Blöße zeigen vor solchen Leuten. Teller könnt ihr haben, wenn ihr meine Lesung schon nicht wollt, dachte ich. Nahm meine Tellerchen aus dem Karton, ein Tellerchen für jede einzelne Buchseite, und schmetterte sie ins Publikum. Unhörbar flüsterte ich. "Da habt ihr eure billigen Teller, ihr undankbares Pack!" Crash. "Nehmt, kostet heute nichts, Scherben bringen Glück!" Smash. "Wollt ihr auch einen an die Birne? Sind ganz leicht, hinterlassen kaum eine Beule! Hier, nehmt!" Klackschmack.

Pepe und meine Freundin haben mich einfach rausgetragen. So benehme man sich in Frankreich nicht. Schon gar nicht im Restaurant. Was denn in mich gefahren sei? Ich wüsste doch, ich würde doch die eiserne Regel kennen: "Beleidige nie nie nie dein Publikum, egal, was es dir antut!"

Ich weiß nicht mehr genau, ob ich ruhig geblieben bin oder ob sie mich ruhigstellen mussten, denn in diesem Augenblick bin ich zum Glück aus diesem grottigen Alptraum aufgewacht. Oh war das schlimm! Ich musste mich regelrecht schütteln, um zu begreifen, was mir auch ein Psychologe hätte erzählen können: Solche Alpträume hat man eigentlich vor dem Abitur und anderen Prüfungen. Da muss man so alt werden und glaubt, man sei endlich mit allen Wassern dieses Wahnsinnsberufs gewaschen ... und dann schwitzt man sich vor Angst ins Nachthemd. Hütet euch vor Pepes Peperonibar!

Tja, die lieben Nerven. In zwei Tagen ist es so weit. Am Montag erfüllt sich sichtbar im Buchladen ein Traum, den ich auch in kühnsten Zeiten kaum zu träumen wagte: Einmal im Leben bei Suhrkamp verlegt werden ... Vom Verstand her völliger Blödsinn, darum so einen Bohei zu machen. Suhrkamp ist auch nur ein Verlag wie andere und das Buch noch nicht mal richtig neu. Aber ich freue mich riesig, dass "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" wieder "lebt" und ab Montag ausgeliefert wird. Diejenigen, die es bereits vorbestellt haben, können sich natürlich zuerst freuen. Und natürlich stehe ich wie immer für Auftritte zur Verfügung. Aber eins ist gewiss: Sollte sich ein Veranstalter namens Pepe melden, werde ich mit Heizdecken werfen! Und derweil warte ich nun auf dieses irrewahnsinniggroße Glücksgefühl, das in solchen Momenten eigentlich kommen sollte ...

Das Blog zum Buch: Grenzgängereien mit Genuss
Das Buch: Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt (Das Taschenbuch ist eine aktualisierte Version der Hardcover-Ausgabe, die 2004 im Hanser-Verlag erschienen ist)



3 Kommentare:

  1. dieser alptraum ist vom feinsten. sehr phantasievoll und voll aus dem bauch heraus.

    mfg
    Irisnebel

    http://irisnebel.wordpress.com/2013/04/12/papierteppich-xviii/

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  2. Das Irrwitzige ist, dass ich das bis zu einem gewissen Punkt sogar geglaubt habe, liebe Petra!
    Der Montag wird ein glücklicher, Tag, dessen bin ich mir gewiss!

    Herzlichst
    Christa

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  3. Danke Iris Nebel - schönes Blog übrigens, werde ich mir mal in Ruhe anschauen!
    Tja, Christa, ich lebe da in einer seltsamen Parallelwelt, dadurch, dass ich in einem anderen Land veröffentliche als in dem, wo ich lebe und arbeite. Sprich, realiter bekomme ich meine Bücher sehr viel später mit als alle anderen, selbst die Belegexemplare schleichen geradezu über die Grenze. Kommt Buch, kommt vielleicht auch das Gefühl ...
    Herzlichst, Petra

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