Die Sache mit dem Seelenheil

An einem einzigen Tag Karneval und Papstrücktritt, da kann so manchem die Frage nach dem Seelenheil aufstoßen und wie man es denn in den nächsten Tagen bewahren möge! Schon eilt die Schweizer Garde der NZZ herbei, wo uns Vincent Kaufmann, Professor für Medien und Kultur, eine Vorlesung hält über den Seelenerhalt in digitalen Zeiten. Und weil er nicht etwa Religionswissenschaftler oder Theologe ist, sucht er die Seelen an einem ungewöhnlichen Ort: in Büchern.

Der Seelenbeweis
Sein Seelenbeweis krankt nun leider ähnlich wie die Gottesbeweise früherer Jahrhunderte an der Wahl der Axiome. Dass Bücher eine Seele haben müssen, leitet er aus zwei Dingen ab:
1. Verdammt viele Leute glauben, Bücher hätten eine Seele.
2. Verdammt viele Leute finden Zeiten und Räume ohne Bücher "seelenlos".



Momentaufnahme der Bücherseele von Goethes Faust

Das bekräftigt Kaufmann dann auch noch mit einer vorgutenberg'schen Gewohnheit: Schließlich hätten bereits die mittelalterlichen Mönche die "heilige Schrift" laut vor sich hingemurmelt, um sich das Heilige einzuverleiben, das sie beim Abschreiben "aufbewahrten". Für Theologen ist dieser Umstand viel profaner: Das stumme Lesen war damals aus unterschiedlichen technischen Gründen noch gar nicht erfunden. Und wer der Meinung gewesen wäre, man könne ausgerechnet durch lautes Lesen jederzeit Gott essen, der wäre wohl hochkant aus jedem Kloster herausgeflogen und nie mehr zur heiligen Kommunion zugelassen worden!

Deshalb fängt der Artikel des Professors dann auch an dieser Stelle an, behauptungsfreudig in seltsame Reinkarnationslehren und Moraltheologie am Buch abzudriften. Es gibt ihm zufolge nämlich so etwas wie eine Erbsünde: Unterhaltungskultur und "Unanständiges" sind ibah, pfui, pardon: seelenlos. Mit wahrhaft spitzen Fingern führt uns der gute Mann mehrfach "Shades of Grey" vor, als wäre das Buch würdig, demnächst bei der Seeleninquisition auf dem Index zu landen.

Der wahre Bücherjünger pflegt wahre Tugenden: Die Seele im Buch - was immer das auch sein mag - brauche nicht Glaube, Liebe und Hoffnung, sondern Liebe, Ruhe und Selektion. Wobei der letzte Punkt ja wieder verdammt nach Bücherverbrennung riecht und nach Fahrenheit 451 ...
Kürzen wir ab: E-Books haben keine Seele. Sagt der Professor. "Klicken" komme aus einer "Kultur der Erregung", der "unruhigen Stimmen" ... und hoppla, da sind sie wieder, die Grauschatten! Selektion!

Die Ketzerstimme
Zugegeben, ich habe laut gelacht. Nicht nur, weil ich mir vorgestellt habe, was sich beim Ereifern wider das "Unanständige" in moralingewaschenen Hosen abspielen mag. Ich habe mir auch vorgestellt, wie all die Seelen berühmter Klassiker laut weinen, die auf meinem Reader versammelt sind. Ob sie ihre unruhigen, erregten Stimmen wohl auch im Sleepmodus erheben? Und was, wenn die Seele eines Gogol, womöglich all seine gesammelten toten Seelen, die meine in Großschrift statt in Minuskeln berührten? Der Mann wäre so recht nach des Professors Geschmack gewesen, beklagte er doch schon im 19. Jahrhundert die Seelenlosigkeit.

Seelenpflege
Nochmal zum Mitschreiben: Es soll Bücher ohne Seele und welche mit Seele geben. Wessen Seele ist das dann? Schicken wir Schriftsteller die unsere hinein? Das würde so manches ausgebrannte Genie und manchen Burnout von Vielschreibern erklären. Lassen wir uns die Garantiesummen kräftig erhöhen: Seelenkauf sollte mehr wert sein als Menschenhandel! Und bitte, liebe Leserinnen und Leser: Gehen Sie mit meinen Seelenfetzen pfleglich um, Liebe und Ruhe sei meinen Texten gegönnt! Vermeiden sie bösartige Rezensionen, schlagen Sie um Himmels Willen ihr Buch nicht zu fest zu: Ein Fitzelchen meiner Seele, das vielleicht greade aus Ihrem Fenster fliegen wollte, würde womöglich eingeklemmt und verletzt. Bedenken Sie: Ich bin für jeden Text tief in mein Unbewusstes hinabgestiegen. Liebe und Ruhe bitte! Klicken Sie leise, erschrecken sie mein schüchternes Seelchen nicht. Bestatten Sie Bücher, die sie nicht mögen, angemessen. Über eine Seebestattung können wir reden, aber am liebsten wäre mir das Verstreuen der Asche am Handlungsort. Hoppla. Geht ja nicht. Das wäre ja Bücherverbrennung. Die tötet die Seelen.

Was, wenn die Schreibblockade nur eine Blockierung freien Seelenflugs durch falsche Leser wäre? Schlagen Sie bitte Ihre Bücher überhaupt nicht mehr zu, öffnen sie das Fenster beim Lesen, lesen Sie viel im Freien. Seit Jahrtausenden gönnt man das den Seelen frisch Verstorbener. Die Seelen der Schriftsteller jedoch sperrt man alles andere als artgerecht zwischen zwei Pappdeckeln ein. Bei trocken Papier ... und kein Wasser in Sicht. Ich bin für eine Seelenschutzvereinigung. Für vegane Bücher ohne Schuhabdruck.

Fetisch und Seelenwanderung
Und schon haben wir uns verrannt. Wenn nämlich Unterhaltungsbücher, unanständige Bücher und E-Books keine Seele haben, dann kann die Seele im Buch gar nicht vom Autor stammen. Denn auch nicht nach allen Todsünden des Irdischen würde der Autorin der Grauschatten die menschliche Seele abgesprochen werden. So weit geht nicht einmal der Papst. Kommt die Seele also aus der Geschichte, der Story? Denn auch Sachbüchern und Enzyklopädien spricht der Professor eine Seele ab. Die Leser projizieren Liebe auf ein Buch ... und siehe da, seine Seele wächst! Eideidei ...

In der Religionswissenschaft nennt man das einen "animistischen Kult". Viele Leute projizieren auf einen Fetisch gewisse Gefühle und den Glauben an Leben oder Seele ... und hauchen damit dem Gegenstand seine Anima ein. Oder, falls Männer denn endlich wieder lesen wollten, seinen Animus. So ein behauchtes Ding hat wundersame Kräfte: Hauch kann fliegen, im Äther schwebt die Seele an einen anderen Ort. So kommt es dann, dass die eigene Ehefrau in einem früheren Leben Julius Cäsar war oder der Ehemann ein altägyptisches Nilpferd. Je nach Kultentwicklungsstufe findet in der Reinkarnation eine mehr oder weniger große Selektion statt: Manche stellen sich zu Lebzeiten so doof an, dass sie nie als Tier wiedergeboren werden können. Oder anders gesagt: Verdammt viele Menschen der Jetztzeit tragen göttliche, königliche oder sonstwie reiche und berühmte Seelen in sich. Zu kompliziert?

Überhaupt nicht! Ich empfehle Ihnen folgendes animistisches Ritual:
Zeichnen Sie einen Kreis. Legen Sie in diesen Kreis ein sehr langsames Buch voller Liebe und Seele, sagen wir, eins von Goethe, dem Multi-Lover. Legen sie daneben eine Ausgabe von Shades of Grey, wie sie mittlerweile in jedem Haushalt zu finden sein müsste.
Beschwören Sie die vier Elemente als Seelenwächter, machen sie richtig viel Brimborium mit Weihwasser oder lutschen Sie Erde, aber brennen Sie nicht Bücher und Haus ab.
Jetzt bitten Sie die gesammelten Geister aus Harry Potter und die Götter der Schrift, wohlwollend eine Seelenwanderung einzuleiten. Von Goethe in Grau. Danken Sie allen Himmelsrichtungen, trinken Sie einen heiligen Wein auf Ex und machen Sie noch einmal gehörig Brimborium. Und machen Sie es verdammt noch mal richtig gut, damit nicht Ihre eigenen Seele lieber in den Reader hopst, durch einen einzigen falschen Klick ewig im Fegefeuer gefangen!

Sie können den heiligen Kreis der Ruhe und Liebe nun auflösen. Fortan wird Goethes lustgeile Seele in "Shades of Grey" wohnen. Oder in Ihrem Reader. Mischen Sie Ihre Bibliothek ein wenig auf. Facebook war gestern. Wir reden mit den Geistern unserer Bücher. Wir streicheln Billy und bringen ihm ganzganzganz viel Liebe entgegen. Wir beten für unsere Bücher und teilen deren Seelen. Seien wir uns einer Sache gewiss: Wes Geister wir rufen, ahnen wir weder in der Buchhandlung noch beim Download. Sie kommen des Nachts. Immer nur des Nachts - und sie haben keine grauen Schatten.

PS: Die Autorin entschuldigt sich für diesen wirren Beitrag mit Fasching. Helau!

4 Kommentare:

  1. Schmunzeln musste ich ja über die E-Reader-Werbung, die über dem Artikel prangte - ausgerechnet vom katholischen Konzern.

    In Büchern, ob elektronisch oder papiern, leben auf alle Fälle die Seelen ihrer Figuren. Was hab ich Rotz und Wasser geheult über Iwan Iljitschs vergeudetes Leben. Und als Akaki Akakiewitsch der Mantel entrissen wurde, schrie ich am sonntäglichen Frühstückstisch so laut auf, dass die WG-Mitbewohnerin, die noch geschlafen hatte, in die Küche gelaufen kam, ganz in Panik, was da wohl passiert war.

    Natürlich geht die Rede, dass es auch seelenlose Figuren gebe, genauso wie es seelenlose Menschen geben soll. Aber wem stünde es an, darüber zu urteilen?

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  2. Lydia, ich gebe dir vollkommen recht, dass da eine Art Magie ist, die uns Autoren ja am meisten herausfordert: Geschichten so zu erzählen, dass deren Figuren lebendig werden und uns berühren.
    Aber das ist das Geheimnisvolle: Nicht jede Figur berührt uns immer gleich, spricht jeden an. Da gibt es diese Lebensphasenbücher, mit denen man manchmal überhaupt nichts anfangen kann und dann heult man irgendwann Rotz und Wasser ...

    Nur muss das fubnktionieren, egal, wie ich eine Geschichte erzähle. Ob man Lagerfeuer, vom Grammophon, auf Tontafeln, Pergament oder einem Tablet.

    Wenn der Professor wirklich recht hätte, wären es nicht die Autoren, die diese Magie erschafften, sondern Papierhersteller, Drucker und Buchbinder. Man denke das mal weiter ...

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  3. Ja, das sehe ich alles genauso wie Du. Aber eigentlich tue ich mir schwer zu glauben, dass der Autor ernst meint, was er da schreibt. Dazu ist die Argumentation einfach zu hanebüchen; ich würde es am ehesten als Provokation deuten.

    Dass in der Form der Überlieferung eines Textes eine Seele zu erkennen ist, würde ich allenfalls für mündlich Vorgetragenes oder Handschriftliches gelten lassen. Da zeigen sich zumindest Gemütszustand und Tagesform des Erzählers oder Schreibers. Schon bei kalligrafisch gestalteten Texten, bei denen ein a aussieht wie das andere, wäre ich da nicht mehr sicher - so schön das aussehen mag. Drucken auf Papier ist ein rein maschineller Vorgang, wie soll da Seele reinkommen (abgesehen von der inhaltlichen Ebene)?

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  4. Am Anfang, besonders bei der Stelle mit den Antidepressiva, wollte ich auch noch an eine Glosse denken. Aber er verbeißt sich dann zu ernsthaft in seinen Unterhaltungshass und die böse Welt von Facebook. Das ist entweder die sehr verbreitete Haltung vieler Feuilletonisten und universitärer Köpfe - oder ein besonders langsamer Schweizer Humor, der sich mir nicht erschließt. Der Mann kommt allerdings nicht aus Bern ;-)

    So ... und jetzt erst mal eine Seele essen. Die gibt's in Schwaben beim Bäcker ;-)

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