Stehauffrau mit Mut und Biss

Ich muss das mir selbst auferlegte Rezensionsverbot einmal brechen und eine Ausnahme machen. Denn ich habe das Buch an einem Tag durchgelesen, weil ich nicht mehr aufhören konnte - und bin nun so voll davon, das ich meine Eindrücke teilen muss. Carla Berlings "Vom Kämpfen und vom Schreiben" ist zum Glück nicht das, was ich befürchtete: Einer dieser zahlreichen, meist entbehrlichen Schreibratgeber. Das Buch enthält auch keine Patentrezepte, wie man den eigenen Kampf ums Buch gewinnen könnte, und autobiografisch ist es nur insofern, als hier eine real existierende Autorin reale Dinge erlebt hat. Was aber ist es sonst?

Carla Berling erzählt mit erfrischender Schonungslosigkeit, Selbstironie und äußerst lebendig von einer Frau, die in bitterer Armut auf eine wahnwitzig erscheinende Idee kommt. Der Mann ist arbeitslos, die Kinder haben Hunger, die Gasheizung ist abgestellt worden und man "heizt" die Küche mittels geöffnetem Backofen. Wenn alle schlafen, stielt sich die Mutter an eine uralte Schreibmaschine und nimmt sich vor: Ich schreibe ein Buch. Und dann ist da der Traum vom Durchbruch im Hinterkopf  - und wie sie die Familie damit ernähren könnte. Dass ausgerechnet das "e" auf der Schreibmaschine kaputt ist, wäre der erste fatale Rückschlag, aber hier zeigt sich die Beharrlichkeit: Die frischgebackene Selfmade-Schriftstellerin bringt ihr Manuskript in der Tat zu Ende - und hat alle "e" per Hand eingesetzt. Dass es aber so nicht zu Ruhm, Geld und Ehre geht, bemerkt sie schnell. Was sie nicht bemerkt, sind die Fallstricke der Branche, auf die sie sich einlassen möchte, ist ihre eigene Blauäugigkeit.

Zum Glück schreibt Carla Berling ihre Geschichte nicht nach dem Motto "Wie ich endlich einen Verlag fand und glücklich wurde." Sie zeigt die Frau hinter der Schreibmaschine, die Kämpfe hinter der Fassade. Dabei hat sie zu jenem Zeitpunkt schon so viele hinter sich, hat sich ohne Abitur durch verschiedene Tätigkeiten und Berufe ganz hoch gekämpft, ausgerechnet in einem Sektor, der ihr und ihrem Mann den kompletten Absturz bringt (und woraus eines Tages ein Roman wachsen wird). Jetzt kämpft sie dagegen an, von Familie und Freunden für verrückt gehalten zu werden, sie will endlich "ihr Ding" durchziehen - und das spürt sie ganz gewiss, das ist das Schreiben. Wider alle Vernunft treibt sie die neue Liebe so auf die Spitze, dass sie sich in Notzeiten auch keinen "ordentlichen" Job sucht, etwa in einem ihrer alten Berufe. Nein, Carla Berling geht völlig unwissend und unbedarft zur Zeitung und schafft es schließlich zur Journalistin. Schreiben im Brotberuf und Schreiben in der Nacht.

Wie viele unterschiedliche Kosmen die Buchbranche in sich trägt, wird an diesem Buch klar, das uns in die Welt zweifelhafter Kleinverlage und versteckter Druckkostenzuschüsse führt, in die der Maloche für Ausschreibungen und Literaturpreise, aber auch in die eigenartig verstaubten Refugien regionaler Sitzungen des Schriftstellerverbands, wo sich ältere Herrschaften gegenseitig Lob hinsalbadern und zu verstecken versuchen, dass man den Grundsatz des VS gleich mehrfach bricht: nämlich nur in seriösen Verlagen verlegt zu werden. Die frischgebackene Autorin ist hungrig, hungrig nach Gleichgesinnten und kollegialem Austausch in der Schreibereinsamkeit, hungrig nach Verträgen, nach Anerkennung.

Aber genau das macht sie wohl auch zur leichten Beute im Haifischbecken. Sie fällt immer wieder auf ach so wohlmeinende Menschen herein und am erschreckendsten ist das bei einem großen Verlag mit einem absolut unsittlichen Antrag, pardon, Vertrag. Da ist sie schon gewachsen und gereift und hat den Mut, im Gegensatz zu sogar bekannten Autoren, strikt Nein zu sagen. Beim Fernsehen, das sie immer wieder engagiert, zu lächerlichen Konditionen und im Total Buy-out, findet sie diesen Dreh leider erst sehr spät.

Carla Berling ist eine Frau, die im größten Chaos und in der schlimmsten Not immer wieder auf die Füße fällt. Hindernisse scheint es für sie nicht zu geben, nur Herausforderungen. Sie kämpft an vielen Fronten: Für ihren Traum, für das Wohlergehen ihrer Familie, im Brotjob, mit Verlegern und Veranstaltern, gegen Eifersucht und Unprofessionalität anderer und vor allem gegen die Ignoranz ihrer Umwelt. Eine Frau, die ein Buch geschrieben hat, im Fernsehen war und Hartz 4 bezieht, da kann etwas nicht stimmen, findet nicht nur das Amt.

Dabei beschreibt sie nur die eiskalte Wirklichkeit des Schreibbetriebs, der alles von seinen Autoren abverlangt und extrem weit davon entfernt ist, sie zu ernähren. Die Dreistigkeit aller Beteiligten, Naivität auszunutzen und Menschen wie Sklaven auszubeuten, ist erschreckend, entspricht aber der Realität. Vielleicht hat die Autorin einfach auch nur ein zu großes Herz oder sie will um jeden Preis das Gewünschte erreichen - andere hätten viel eher auf ein ordentliches Honorar gepocht und vor allem auf Verträge. So ist das Buch auch eines, mit dem man zeitweise kämpft, weil man ihr zurufen möchte: "Sei doch nicht so vertrauensvoll, pass auf! Trenne Freundschaft und Arbeit, lass dir Versprechungen schriftlich geben!" Aber im gleichen Augenblick hält man als Kollegin erschrocken inne: Was habe ich nicht alles falsch gemacht auf meinem Weg! Was hätte ich alles vermeiden können, wenn ich es nur gewusst hätte! Und Hand aufs Herz: Wer denkt in Notlagen, in Existenzangst und unter Mehrfachbelastung wirklich noch klar?

Genau das ist das Versöhnliche an dem Buch. Man lernt, dass jeder seine Fehler machen muss und auch strampeln, dass aber genau diese Fehler auch Chancen sein können - im Gegensatz zur allzu glatten Karriere. Sie geben einem die Kraft, das eigene Scheitern annehmen zu können. Es in Erfahrungen und eine eigene Tiefe verwandeln zu können. Vor allem aber - das merkt man der Autorin an, die schließlich auch den Weg auf die Bühne und ihre Freude dabei findet - vor allem gibt ein solcher Lebensweg dem Geschriebenen eine Tiefe, die man anders nicht erreichen kann. Die man nur vom Leben lernen kann.

Diese Tiefe hat einen hohen Preis und Carla Berling beschreibt auch ihn. Das Kämpfen an zu vielen Fronten zermürbt sie bis zum körperlichen und seelischen Zusammenbruch. Jetzt ist es das Schreiben, das Kraft gibt, vielleicht auch eine gewisse heilsame Flucht zuweilen, immer aber eine Erfüllung, einen Sinn. Sie gibt nicht auf, lässt nicht locker, ruht sich niemals auf vermeintlichen Lorbeeren aus. Carla Berling reift zu etwas, was nicht jedem Autor gegeben ist: Sie wird zur Künstlerin. Sie, ihr Leben, alles verschmilzt mit dem Schreiben, mit dem Bühnenausdruck, mit dem Brennen für ein Projekt und dem High aus Adrenalin und Endorphinen, wenn man sich schließlich wieder einmal selbst überwunden hat. Der Preis dafür ist gewiss hoch, aber es zeichnet sich ab, dass der eingeschlagene Weg dank Beharrlichkeit, Geduld und den berühmten 90% Schweiß langsam aber stetig zum Ziel führt. Und sie weiß: Nach diesem Ziel kommt das nächste Ziel, fängt der Kampf von vorne an.

Die für mich beeindruckendste Stelle heißt:
"Ich behaupte, dass jeder Künstler einen inneren Motor hat, etwas, das ihn antreibt, ein Defizit, etwas Fehlendes, eine große Sehnsucht, die er mit seiner Kunst vielleicht erfüllen kann. Ich glaube, dass die meisten Künstler ein besonderes großes Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung haben."
Hier spricht sie große Worte gelassen aus - und das ist die Stärke auch ihrer Sprache: Carla Berling schreibt mit einer verblüffenden Leichtigkeit und zeitweisen Heiterkeit, die bei einem solch ernsten Thema äußerst schwer herzustellen ist. Man liest das Buch in einem Rutsch, weil die Sprache so erfrischend unverschnörkelt und direkt daherkommt, weil sie Situationen und Personen mit wenigen Worten derart plastisch beschreibt, dass man nach der Lektüre wirklich den Eindruck hat, diese Autorin für eine Weile auf ihrem Weg begleitet zu haben. Es gibt kaum eine sympathischere Art, einem die weiteren Bücher schmackhaft zu machen. Von so einer Frau möchte man mehr lesen. Weil man erkennt, wie viel Seele und Untiefen, wie viel Kämpfe und Authentizität ein Buch von seiner Autorin verschluckt. Hier ist eine, die sich mit Haut und Haaren dem Schreiben hingibt. Und das macht ihr Schreiben so echt.

Für die Neuauflage hat Carla Berling die ursprüngliche Fassung über einen größeren Zeitraum weitergeschrieben. Und ich war ebenso überrascht wie erschüttert, was für ein elender Hammer ihr da schon wieder passiert war.

Carla Berling: Vom Kämpfen und vom Schreiben. Verlag André Thiele, Hardcover mit E-Book im Bundle, erscheint am 1. Februar 2013 (mit zahlreichen Link- und Literaturtipps abseits des Ratgeber-Mainstreams)

UPDATE:
Inzwischen - 2016 - hat es Carla Berling über eine Phase des Self Publishing geschafft, wie man so schön sagt. Sie ist beim Heyne-Verlag in München unter Vertrag. Viel ist also passiert, sie schreibt deshalb gerade an einer vierten Auflage ihres Buchs "Vom Kämpfen und Schreiben".

2 Kommentare:

  1. Leider waren auch der Ausgabe in diesem Verlag abenteuerlich negative Entwicklungen beschieden, inzwischen gibt es das Buch - mit Update um solche Erfahrungen - direkt von Carla Berling, die ihre Rechte zurückholen konnte. Also unbedingt auf die ***dritte**** Auflage achten - im Selfpublishing als E-Book und TB.

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  2. Carla Berling hat inzwischen einen großen Traum verwirklicht: Ein Mehrfachvertrag mit einem großen Publikumsverlag.

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