Hat sich Facebook selbst überlebt?
Ausgerechnet jetzt, wo die neuen Datenschutzregeln selbst die kleinsten EinzelunternehmerInnen mit großem Risiko konfrontieren, zieht sich Facebook mit allen nur denkbaren Tricks aus der Verantwortung und präsentiert gleichzeitig seine eigenen neuen Regeln als Zwangskorsett: Wer sie nicht bis zu einem bestimmten Datum anerkennt, darf nicht mehr mitspielen. So jedenfalls ist die Mail formuliert, die nach und nach bei allen einflattern wird. Um die Verwirrung komplett zu machen - oder weil verwirrte Menschen schnell mal danebenklicken - koppelt man das mit der einst in Europa abgelehnten Gesichtserkennung. Die soll - so zumindest Zuckerbergs Wunsch - nun doch kommen. Wer falsch klickt, aktiviert sie. Vor dem Klicken wird man dumm gequatscht, verführt. Kann man zwar "rückgängig" machen, aber was passiert mit den bereits abgetasteten Fotos und Daten? Facebook vergisst ja bekanntlich nichts! Und die bleiben ja nicht in Irland ...
Der Teufel steckt wie immer im Detail, nämlich den winzigen Links beim Akzeptieren der neuen Regeln, die bekanntlich selten jemand liest. Da erfährt man dann anhand der FB-eigenen Paragraphen, dass Seitenbetreiber in Sachen Datenschutz selbst dran sind (und eben nicht FB) und gewerbliche Seitenbetreiber juristisch erst mal ganz schnell in die kalifornische Gesetzgebung abgeschoben werden, nebst Gerichtsstand dort. Ich muss dazu nicht viel sagen, jede kleine Bloggerin, jeder Websitebetreiber wuselt sich vor Ende Mai kaputt und kann nicht mal so schnell herumtricksen (und auch noch in Irland Steuern sparen). Aber auch Konzerne müssen sich nicht schofel verhalten wie ein Zuckerberg: Etsy stellt gerade um in der EU und gibt sogar ein Handbuch für seine VerkäuferInnen aus, Twitter ändert gerade ebenso und zieht ebenfalls nicht einfach mal nach Kalifornien ab. Es ginge also, wenn man denn wollte.
Aber das alles ist nur die kleinste Facette, die meine Gefühle für FB trübt! Schlimmer finde ich persönlich z.B., dass bei FB in recht großem Stil User für Scam-Anzeigen missbraucht werden und Zuckerberg auch nach massiver Aufforderung nichts tut. Jetzt hat er sich diesbezüglich mit dem Falschen angelegt - der zieht deshalb vor Gericht. Doch der Schaden ist angerichtet. Geht mich kleinen User nichts an? Ich bin bei Instagram jetzt schon zweimal von einem internetbekannten Scammer belämmert worden und kann sagen: Wer nicht hinter jeder Anfrage fast schon in Paranoia zuerst einmal Böses vermutet und nachrecherchiert, fällt auf diese Typen sehr leicht rein. Das ist perfide gut gemacht! Natürlich melde ich die, natürlich macht das Unternehmen nichts (!) dagegen, denn diese Betrüger bringen Anzeigenprofite und in der Summe das große Geld! Blockieren hilft auch nichts - es poppt immer wieder ein neues Account auf. Und da stellt sich mir die Frage, wie groß Zuckerbergs Imperium in Sachen Userzahlen wirklich ist: Ziehe ich all die Toten ab, die Scammer, Betrüger, SexarbeiterInnen und Social Bots - wieviele echte und normale Menschen bleiben da noch? Will ich wirklich mit solchen "Social Media" betreiben?
Gerade erst ist durch "Motherboard" aufgeflogen, dass auf Facebook ein schwunghafter Handel mit illegal "erworbenen" Adressdaten, Sozialversicherungs- und Kreditkartennummern betrieben wird, in großem Stil auch in geheimen Gruppen. Motherboard hat das bis auf 2014 zurückdatieren können - Facebook hat es geduldet und nichts getan. Erst jetzt, wo man durch den Artikel öffentlich unter Druck gerät, reagiert man langsam durch Löschungen. Das sind vier Jahre Nichtstun, obwohl es Beschwerden gegeben haben muss. Vier Jahre Dulden von Handel mit gehackten Daten sensibelster Art. Aber hallo: Sieht so ein Umfeld aus, in dem man sich wohlfühlt? Für mich ist das nichts anders als ein Imperium der Gier.
Stattdessen bekommen wir Blümchen und Konfetti geschenkt, wenn wir die richtigen Wörter posten und merken gar nicht mehr, dass man so Menschen sprachlich absolut einfach manipulieren kann. Noch finden es die User geil, "Hammer", "Spaß" oder "Glück" zu schreiben. Was aber könnte man ihnen eines Tages noch eingeben, wenn sie erst genügend konditioniert sind?
Genau das ist der Punkt, an dem mir dann übel wird. Solche Konditionierungen à la Pawlow tue ich nämlich nicht mal meinem Hund an. Warum zum Teufel lasse ich sie mir antun? Selbst wenn ich mich verweigere, bin ich doch auch in meiner Verweigerung bereits manipuliert und ebenso in die passende Schublade einzuordnen! Merke ich eigentlich noch, dass ich manisch in die Mitteilungen schauen muss, um nicht zu verpassen, wenn mich jemand anspricht? Kann ich den Schein der falschen Welt der Algorithmen wirklich noch durchdringen?
Schwamm drüber, könnte man sehr wohlwollend noch sagen. Wenn da nicht die aktiv durch die Algorithmen beförderte Hasskultur wäre. Früher musste ich nur die Kommentarspalten von Nachrichtenmagazinen meiden und die Welt war gut. Heute geifert der Plebs genauso unter niedlichen Hundegeschichten, Vorstellungen schöner Künste oder Tulpenfotos. Facebook scheint im Besonderen das Assoziale zu fördern, das Empathielose, den Clash of People (bei Instagram z.B. ganz anders). Ist auch erklärbar: Je mehr sich User wie in einem Anfall gebärden, je mehr Kontroverse und emotionales Gegeneinander, desto mehr Klicks und vor allem Datenströme und Aufmerksamkeit. Und das alles sind schlicht harte Dollars. Gier gebärt nicht das Gute im Menschen. In einem System, in dem der oberste Macher selbst Schwierigkeiten mit Empathie und wirklich sozialem Verständnis hat, in dem es nur um Profite geht - was soll da eigentlich herauskommen?
Ja, es gibt die Supernetten, die wertvollen Menschen, die wunderbaren Kontakte. Wäre Facebook aus Papier, würde ich mutmaßen, dass unsere Art von Usern das ist, was man im Verlagswesen verächtlich "Altpapiertapete" nennt. Man kauft ein paar nette Bücher zu den gepuschten Influencern und dämlichen Klonbüchern ein, um sich den Anstrich zu geben, nicht nur mit Mist Umsätze zu generieren, sondern doch mindestens die Kultur zu retten. Insgeheim aber weiß man: Aus den Netten wird nie etwas, die werden bei der nächsten Gelegenheit ganz schnell verramscht. Facebook braucht diese Leute nicht wirklich, wenn nicht für einen positiven Anstrich einer alten Bruchbude, in der es an allen Ecken und Enden stinkt und modert. Vielleicht hat sich Facebook längst selbst überlebt?
Was werde ich tun?
Kommen wir zu mir. Ich weiß noch nicht, wie ich mich in Zukunft verhalten werde, solange es noch nicht die ganz große Alternative gibt. Aber dann frage ich mich, ob es nicht gerade diese ganz großen Dinger sind, die zu schnell entgleisen. Ob wir nicht wieder kleinere Strukturen viel menschlicher besiedeln könnten. Die dürfen ja trotzdem über den Zaun schauen. Ich bin mit Geocities im Internet "aufgewachsen", jener damals noch viel globaleren Community, in der man wirklich weltweit miteinander kommunizierte, über Ländergrenzen hinweg. Aber gleichzeitig gab es die Städte und Dörfer, die Straßen - wo man sich thematisch im Engeren und Tieferen austauschte. Es war wurscht, ob jemand auf Papua Neuguinea, den Britischen Inseln oder Hawaii saß, man ging mal zu den Archäologen klönen, trank ein virtuelles Bierchen mit den Serienfans und wanderte von den Kunstausstellungen zu den Leuten mit den tollen Fischrezepten. Hinübergerettet in die heutige Zeit haben dieses Feeling am ehesten die Blogs, diese kleinen, oft sehr persönlichen Kosmen einer faszinierend reichhaltigen Welt. Darum liebe ich die so!- Ich werde meine FB-Seite wahrscheinlich kippen, die für meine Bücher habe ich bereits gelöscht. Trotz so vieler Fans ist die Reichweite inzwischen jämmerlich, wenn ich keine Werbung schalte, andere Kanäle bringen weit mehr.
- Ich werde, soweit ich es fertigbringe, meine Kaffeepausen nicht dort im "Großraumbüro" abzuhängen, mein FB-Profil abspecken. Nicht aufgeben, aber abspecken.
- Ich bin wieder öfter bei Instagram, auch wenn mich dort einiges nervt. Dort sind aber die Menschen höflicher, positiver und es braucht enorm weniger Lebenszeit, mal ein Foto zu posten und sich nicht dumm und dämlich debattieren zu müssen.
- Ich twittere wieder mehr. Inzwischen habe ich ein Abstinenzkonzept bei aktuellen Geschehnissen und kann besser als bei FB die Hater und Volldeppen wegschalten.
- Mein Blog ist ganz mein Ding. Ich muss jetzt nur die Disziplin aufbringen, Dinge nicht mehr "bequem" bei FB zu posten, sondern hier. Und mich noch mit dem Datensabbel beschäftigen. Was ich am Bloggen mag: LeserInnen müssen nicht irgendwo Mitglied werden, um hier zu lesen oder sich mit mir auszutauschen. Und ich kann für mich und für sie allen Dreck, alle Hater und Extremisten schlicht draußen halten. Was für eine Wohltat!
- Newsletter ... ist derzeit ein Quell der Verordnungsaufregung, um die ich mich noch kümmern muss. Allerdings hat mein NL-Betreiber bereits reagiert und ich muss nur einige Dinge nachjustieren. Und wenn ich das geschafft habe, verführt mich das Ding womöglich. Ich habe ja ohnehin schon eine sehr zeitschriftennahe Form gewählt. Aber die Wenigsten wissen, dass man diese Newsletter interaktiv nutzen kann: Man muss nur darauf antworten. Da möchte ich mich noch ein wenig reinbohren, ob man nicht eine Community aufstellen kann, eine thematische in Sachen Papierkunst allgemein.
- Meine Website ist natürlich der Dreh- und Angelpunkt, falls mich irgendwer irgendwo sucht.
Es bleibt spannend - ich lasse mich von Verordnungen erst mal nicht abschrecken, von Gier und Menschenfeindlichkeit, von Manipulationen und Zeitverschwendungen jedoch sehr wohl. Und wenn es hier kurzzeitig etwas ruhig sein sollte, dann nur deshalb, weil ich beim nächsten Regenwetter nicht nur meine Website, sondern eben auch diese externen Dinge ordentlich umstellen und aufarbeiten muss (das ist eine üble Maloche). Ich heiße ja nicht Zuckerberg. ;-)
PS: Die Links in diesem Beitrag führen zu weiterführenden Artikeln, wenn sich jemand mit mehr Tiefe mit etwas vertraut machen möchte.
In Bezug auf FB sind wir uns total einig. Blöd nur: Ich werde auch meinen Blog einstellen, denn meine Blogger-Vorlage von Google macht es mir unmöglich, mich der DSGVO anzupassen (zum Bsp. weil Google kein Opt-in bei Kommentaren zulässt, und ganz ehrlich, bloggen ohne Kommentare ist nicht wirkich bloggen. Das ist nicht der einzige Grund, aber einer von vielen. Ich werde mich in näherer Zukunft auf Twitter, youtube und Instagram konzentrieren, alles Plattformen von Riesenfirmen, die hemmungslos Daten sammeln (was ironischerweise den Sinn der DSGVO völlig aushöhlt und untergrät). Und mir längerfristig eine Möglichkeit suchen, auf meiner Webseite zu bloggen, resp. über Aktuelles zu berichten.
AntwortenLöschenLiebe Alice,
AntwortenLöschenes ist ganz wichtig, sich individuell die Rechnung aufzumachen: Was will ich wirklich, was leistet der und der Kanal für mich? Denn es hängt j auch an der Art der Kundschaft und wo die sitzt.
Allerdings gibt es keinen Grund, die Blogger-Blogs aufzugeben. Es ist verdammt viel Halbwissen unterwegs, Tatsache ist, dass sie mit ein paar einfachen Handgriffen anpassbar sind, sofern sie schon auf Verschlüsselung laufen. Ich werde weiterbloggen und schau mal, dass ich dir ein paar Links über FB zukommen lasse diesbezüglich!