Menschen hinter Angsttapeten
Heute morgen erwachte ich bestens gelaunt und frühlingsfröhlich. Vor dem Fenster singen sich die Vögel die Lebensfreude aus dem Bauch, es grünt und blüht, die Natur verheißt Hoffnung. Aber dann habe ich dieses elektronische Vögelchen eingeschaltet und da vögelte (pardon) es ganz anders. Die Menschen sind fassungslos, viele berichten von der Angst ihrer Kinder, sie schlagen um sich, schützen sich mit Zynismus, wissen nicht, was sie denken sollen, tun sollen. So etwas gab es noch nie, zwitschern sie.
Dabei ist die Geschichte eigentlich völlig banal. Würde sich ein gewisses Vögelchen etwa in einer psychiatrischen Klinik befinden und derart zwitschern, käme lediglich eine Pflegekraft und würde zuerst einmal beruhigen: "Ganz ruhig Jesus, du hast doch schon die Weltherrschaft! Jetzt gehst du wieder mit deinem kleinen Todesstern ins Bett und das mit dem Weltkrieganzetteln verschieben wir auf morgen. Weltkriege machen sich viel besser an einem Freitag dem 13ten!" Pseudo-Jesus würde vielleicht ins Bett kriechen und dann doch seine Medikamente schlucken. Bis dahin hätte er den Weltkrieg vergessen und würde vielleicht nach einer Wasserpistole schreien, weil es ihm an einer Körperstelle sehr juckt.
Vielleicht würde er auch keine Ruhe geben, mit dem Todesstern um sich werfen und randalieren. Dann würden mehrere Pflegekräfte kommen, ihm eine Spritze in den Hintern verpassen und vielleicht müssten sie ihn sogar zeitweise fixieren, weil er so rein gar nicht mehr auf Ansprache reagiert, aber massiv andere und sich selbst gefährdet. Würde diese verrückte Welt in eine Klinik passen, dann wäre sie vielleicht leichter auszuhalten, weil wir nicht hineinschauen müssten. Weil wir das alles abgeben könnten an die Pflegekräfte, die ÄrztInnen und Angehörigen. Manchmal versuchen wir, uns auch so herauszureden: "Ich bin ja kein Angehöriger, ich lebe ja in einem ganz anderen Land."
Bis uns die Tochter erzählt, dass der Bruder ihres Freundes mit einer Frau verheiratet ist, die an Pseudo-Jesus glaubt. Das bekommen wir aus ihr auch nicht heraus, wenn wir aussprechen, dass dieser arme therapiebedüftige Kerl der Antichrist sei. Gefährlich - denn so geraten wir selbst in einen sogenannten "induzierten" oder dann auch "konformen Wahn", den Nahestehende entwickeln können, um eine Situation auszuhalten. Wir kennen das von der Folie à deux. Nun wollen wir aber mit diesem speziellen Vögelchen als allerletztes eine Zweierbeziehung eingehen, oder? Was tun?
Bei den Recherchen zu meinem Buch "Faszination Nijinsky" habe ich einmal einen Psychiater gefragt, was er angesichts der Welt einem Menschen mit Paranoia sagen würde, wenn dieser davon halluziniere, dass ihn die Geheimdienste überwachten. Er schaute mich recht resigniert an und sagte: "Früher hat man auf dem Unterschied zwischen Wahn und Wirklichkeit beharrt. Ich kann ihm heute nicht mehr sagen, dass sie das nicht täten, denn ich würde womöglich lügen. Also lasse ich es so stehen, dass er das erlebt und versuche, mit ihm Strategien zu entwickeln, um damit umzugehen."
Wenige Jahre später müsste ich ganz andere Fragen stellen: "Warum sind so viele, zart zerbrechliche und sehr sensible Menschen heute unter Internetverbot in der Klinik, später oft mit Berufsunfähigkeit draußen - während man andere lustig und locker und sehenden Auges herumtwittern lässt, wie es noch kein normaler Mensch auf verantwortlichem Posten je wagte? Warum stellt man einen ruhig, der drei Pflegekräfte bedroht, während ein anderer um die Welt jettet, der ganze Länder zu Klump hauen wollte, wenn er könnte? Ich weiß es nicht! Ich weiß nur, dass das, was da bei Twitter (ergo auch analog) abgeht, nicht mehr normal ist.
"Get ready Russia, because they will be coming, nice and new and “smart!", twittert da einer. Und er meint damit nicht den schlauen niedlichen Todesstern unterm Bett, sondern moderne Raketenwaffen. Das Blöde: Er kann mit seinen Knubbelhändchen tatsächlich die Codes dazu freigeben. Was tun? Die Zwangseinweisung bei Eigen- oder Fremdgefährdung greift ja in solchen Fällen nicht. So eine Drohung sollte sich mal Lieschen Müller erlauben, die bekäme aber ratzfatz Besuch von der Polizei!
Na, kann man es schon merken? Am Text, meine ich. Genau: Auch ich fühle mich hilflos. Und merke, wie mich dieser Weltenwahn langsam anfrisst.
Ich reagiere in Social-Media-Geschwindigkeit, wenn auch durch Selbstdisziplin verlangsamt, aber der Aufschrei muss raus, weil er allzu oft schon im Halse stecken blieb. Vor kurzem erst, als fast der Weltkrieg über Nordkorea drohte und plötzlich Nord- und Südkorea in Diplomatie zusammenrückten. Als eigentlich die ganze Welt drumherum Vernunft zeigte. Gibt es da ein Muster? Plötzlich ist man versucht, Leuten wie Putin zuzunicken, wenn er zur Mäßigung aufruft. Auch wenn es bei dem Problem längst schon keine Mäßigung mehr gibt. Auch wenn eigentlich keiner mehr durchblickt, wer mit wem und warum und seit wann. Sie denken ja alle nur an sich selbst und an die eigenen Geldtaschen. Wer ihnen im Weg steht, ist Schlachtvieh. Solche Leute haben keine zivilisatorische Evolution durchlaufen.
Die Welt rotiert mal wieder im Twittermodus und dass das ungesund ist, ahnen wir selbst, dazu brauchen wir auch keine Psychiater. Ein großes Kind schaut mit verkniffenen Augen schadenfroh auf seine Hamstersammlung, treibt die Rädchen noch ein wenig schneller, lacht, wenn sich die Hamster verausgaben, straucheln, vielleicht fallen. Es fallen auch seine Freunde, einer nach dem anderen, sie werden entweder abgesetzt oder wollen sich lieber um ihre Kinder kümmern. Macht aber nichts, solange es nur genügend Hamster im Rad gibt.
Wie kommen wir da raus und wieder runter?
Ich hatte gerade einen Aha-Effekt in einer Facebookgruppe, in der es eigentlich um die Berufung zur Kunst und um Art Journaling geht. Da hat einer, wie so viele, eine neue Seite gepostet, die sehr stark berührt. Und dazu erzählt er. Er spricht nicht über verwendete Farben oder Techniken. Es bricht aus ihm heraus, wie schwierig seine Jugend war, weil er in seinem amerikanischen Umfeld als Homosexueller nur Übelstes erlebte. Und er erzählt sehr stolz, wie ihn das zu dem Menschen gemacht hat, der er heute ist: tolerant und offen, einer, der gegen jede Diskriminierung gegen andere aufsteht. Einer, der den Hass nicht inhaliert hat, mit dem man ihm begegnete, sondern der andere Menschen liebt. Er spricht davon, wie schwierig es war, an sich zu arbeiten, so weit zu kommen und sich nicht vom Hass anstecken zu lassen.
Aber er habe Angst, sagt er, Angst, sich nun doch plötzlich zu "infizieren", weil der Hass sich wie ein Krebsgeschwür unter den Menschen ausbreite. Ganz real, im eigenen Umfeld. In den USA seien Freundeskreise gespalten, sogar Familien, der Spalter der Nation und seine Mannen haben ganze Arbeit geleistet. Und er stünde nun da und fühle, dass er plötzlich angesichts der neuesten Entwicklungen ebenso eine immense Wut habe und seine Vorsätze fast vergäße. Aber genau das wolle er nicht. Er wolle diesen Triumph der Menschenverächter nicht, dass sie ihn zu einem der ihren machten. Deshalb kämpft er mit seiner Kunst um sein inneres Ich, um einen Schutz. Sein Aufschrei ist ein ganz anderer als die übliche Übererregung in Social Media. Sein Aufschrei ist eine Hoffnung: Wir sollten nicht diesen inneren Kern in allen Menschen vergessen, der gut ist. Der uns zeigt, was wir alle auf der Welt gemeinsam haben: Wir wollen letztlich eigentlich nur geliebt werden und lieben! Dafür zeichnet er also.
Es ist ein anrührendes Bild von einem Menschenwesen als scheuem Reh, das mit einem Fuß in einer Kanone feststeckt. Angst hat es spürbar, aber auch ein riesiges Herz. Dieses Herz kann den Hintergrund einfärben, hier liegt die Hoffnung.
Dadurch, dass er das Kunstblatt präsentiert, bewirkt er etwas. Dadurch, dass er so offen nicht nur seine Geschichte erzählt, sondern auch über seine Ängste und Hoffnungen spricht, steckt er plötzlich sehr viele Menschen an. Auf einmal kommt nicht das Übliche "schön hast du das gemacht!" Andere erzählen ihre Geschichte, viele outen sich. Sie erzählen von bigotten Ortschaften und von hasserfüllten Spaltungen innerhalb des engsten Familienkreises, wie asie damit umgingen und umgehen. Ich erfahre, wie es sich anfühlen muss, in einem Land zu leben, das wie von einem Lord Voldemort mit Schatten überzogen wird - und wieviel Kraft es braucht, sich nicht vom Dunkel vereinnahmen zu lassen.
Bisher habe ich geglaubt, der Irrsinn mancher Romanplots habe die Wirklichkeit übernommen und man könne schriftstellerisch nichts mehr dagegen aufbieten. Dieser Mann zeigt mir, was Kunst kann, nämlich auch, uns mitten in der Wirklichkeit zu halten, ohne dass wir an uns und dem Drumherum draufgehen. Und plötzlich fühlen sich die modernen Mythen von Harry Potter bis Fantasy auch ein wenig an wie eine Matrix zur Hoffnung, wie eine Anleitung, die längst in uns schlummert. Was wäre, wenn wir wirklich einfach das Gute siegen ließen? Was würde passieren, wenn uns im Weltenplot nur dieses eine antreiben würde: dass sich alle lieben können? Auf einmal sind da ganz viele in diesem Thread, die genau diese Geschichte erzählen: Wie sie durchhalten, um sich nicht vom Hass zerfressen zu lassen; sondern ein Leben zu leben, dass nicht egoman und narzisstisch ist, das an den Nächsten denkt.
Sie sind viele, sehr viele. Sie fallen weniger auf, werden weniger gehört, weil sie eben nicht herumbrüllen, randalieren und mit dem Todesstern werfen. Aber in geschützteren, kleineren Räumen finden sie ihre Stimme und erzählen ihre Geschichten. Sie berühren andere, die erzählen, und die wieder andere. Beim Erzählen bleibt es allein nicht - viele von ihnen sind politisch aktiv, gehen nicht nur wählen, sondern klären andere auf, engagieren sich für andere. Manche sehen wir in den Massen von Demonstranten, beim Women's March oder der Demo für schärfere Waffengesetze. Diese Menschen leben unter uns!
Ich denke, das ist eine sehr gesunde Art, sich nicht vom Wahn anstecken zu lassen: Wir müssen immer wieder und viel mehr mit denen reden, die der Erde eine Zukunft geben wollen, für die Liebe und Hoffnung keine Fremdwörter sind. Wenn wir wütend immer die gleichen bösen Tweets teilen, mag das für den Moment abkühlen und entlasten. Aber es lässt auch das Gift in die Welt sickern, das Gift eines Menschen, der gar nicht mehr weiß, wie man andere Menschen ermutigt, ihnen Kraft gibt, wie man sich kümmert, wie man Zerstrittene an einen Tisch bekommt und Feinde vielleicht sogar vereint. Einsam spielt er mit seinem Todesstern. Weint laut bei Twitter, dass er ihn werfen will, weil dann endlich andere Kinder zurückwerfen müssen, als sei es ein Spiel im Sandkasten. Wir können zuerst einmal eins tun: Nicht mitspielen! Mit den anderen spielen. Gemeinsam dieser Welt erzählen, wie wir uns ein Leben auf diesem Planeten vorstellen!
Dabei ist die Geschichte eigentlich völlig banal. Würde sich ein gewisses Vögelchen etwa in einer psychiatrischen Klinik befinden und derart zwitschern, käme lediglich eine Pflegekraft und würde zuerst einmal beruhigen: "Ganz ruhig Jesus, du hast doch schon die Weltherrschaft! Jetzt gehst du wieder mit deinem kleinen Todesstern ins Bett und das mit dem Weltkrieganzetteln verschieben wir auf morgen. Weltkriege machen sich viel besser an einem Freitag dem 13ten!" Pseudo-Jesus würde vielleicht ins Bett kriechen und dann doch seine Medikamente schlucken. Bis dahin hätte er den Weltkrieg vergessen und würde vielleicht nach einer Wasserpistole schreien, weil es ihm an einer Körperstelle sehr juckt.
Vielleicht würde er auch keine Ruhe geben, mit dem Todesstern um sich werfen und randalieren. Dann würden mehrere Pflegekräfte kommen, ihm eine Spritze in den Hintern verpassen und vielleicht müssten sie ihn sogar zeitweise fixieren, weil er so rein gar nicht mehr auf Ansprache reagiert, aber massiv andere und sich selbst gefährdet. Würde diese verrückte Welt in eine Klinik passen, dann wäre sie vielleicht leichter auszuhalten, weil wir nicht hineinschauen müssten. Weil wir das alles abgeben könnten an die Pflegekräfte, die ÄrztInnen und Angehörigen. Manchmal versuchen wir, uns auch so herauszureden: "Ich bin ja kein Angehöriger, ich lebe ja in einem ganz anderen Land."
Bis uns die Tochter erzählt, dass der Bruder ihres Freundes mit einer Frau verheiratet ist, die an Pseudo-Jesus glaubt. Das bekommen wir aus ihr auch nicht heraus, wenn wir aussprechen, dass dieser arme therapiebedüftige Kerl der Antichrist sei. Gefährlich - denn so geraten wir selbst in einen sogenannten "induzierten" oder dann auch "konformen Wahn", den Nahestehende entwickeln können, um eine Situation auszuhalten. Wir kennen das von der Folie à deux. Nun wollen wir aber mit diesem speziellen Vögelchen als allerletztes eine Zweierbeziehung eingehen, oder? Was tun?
Bei den Recherchen zu meinem Buch "Faszination Nijinsky" habe ich einmal einen Psychiater gefragt, was er angesichts der Welt einem Menschen mit Paranoia sagen würde, wenn dieser davon halluziniere, dass ihn die Geheimdienste überwachten. Er schaute mich recht resigniert an und sagte: "Früher hat man auf dem Unterschied zwischen Wahn und Wirklichkeit beharrt. Ich kann ihm heute nicht mehr sagen, dass sie das nicht täten, denn ich würde womöglich lügen. Also lasse ich es so stehen, dass er das erlebt und versuche, mit ihm Strategien zu entwickeln, um damit umzugehen."
Wenige Jahre später müsste ich ganz andere Fragen stellen: "Warum sind so viele, zart zerbrechliche und sehr sensible Menschen heute unter Internetverbot in der Klinik, später oft mit Berufsunfähigkeit draußen - während man andere lustig und locker und sehenden Auges herumtwittern lässt, wie es noch kein normaler Mensch auf verantwortlichem Posten je wagte? Warum stellt man einen ruhig, der drei Pflegekräfte bedroht, während ein anderer um die Welt jettet, der ganze Länder zu Klump hauen wollte, wenn er könnte? Ich weiß es nicht! Ich weiß nur, dass das, was da bei Twitter (ergo auch analog) abgeht, nicht mehr normal ist.
"Get ready Russia, because they will be coming, nice and new and “smart!", twittert da einer. Und er meint damit nicht den schlauen niedlichen Todesstern unterm Bett, sondern moderne Raketenwaffen. Das Blöde: Er kann mit seinen Knubbelhändchen tatsächlich die Codes dazu freigeben. Was tun? Die Zwangseinweisung bei Eigen- oder Fremdgefährdung greift ja in solchen Fällen nicht. So eine Drohung sollte sich mal Lieschen Müller erlauben, die bekäme aber ratzfatz Besuch von der Polizei!
Na, kann man es schon merken? Am Text, meine ich. Genau: Auch ich fühle mich hilflos. Und merke, wie mich dieser Weltenwahn langsam anfrisst.
Ich reagiere in Social-Media-Geschwindigkeit, wenn auch durch Selbstdisziplin verlangsamt, aber der Aufschrei muss raus, weil er allzu oft schon im Halse stecken blieb. Vor kurzem erst, als fast der Weltkrieg über Nordkorea drohte und plötzlich Nord- und Südkorea in Diplomatie zusammenrückten. Als eigentlich die ganze Welt drumherum Vernunft zeigte. Gibt es da ein Muster? Plötzlich ist man versucht, Leuten wie Putin zuzunicken, wenn er zur Mäßigung aufruft. Auch wenn es bei dem Problem längst schon keine Mäßigung mehr gibt. Auch wenn eigentlich keiner mehr durchblickt, wer mit wem und warum und seit wann. Sie denken ja alle nur an sich selbst und an die eigenen Geldtaschen. Wer ihnen im Weg steht, ist Schlachtvieh. Solche Leute haben keine zivilisatorische Evolution durchlaufen.
Die Welt rotiert mal wieder im Twittermodus und dass das ungesund ist, ahnen wir selbst, dazu brauchen wir auch keine Psychiater. Ein großes Kind schaut mit verkniffenen Augen schadenfroh auf seine Hamstersammlung, treibt die Rädchen noch ein wenig schneller, lacht, wenn sich die Hamster verausgaben, straucheln, vielleicht fallen. Es fallen auch seine Freunde, einer nach dem anderen, sie werden entweder abgesetzt oder wollen sich lieber um ihre Kinder kümmern. Macht aber nichts, solange es nur genügend Hamster im Rad gibt.
Wie kommen wir da raus und wieder runter?
Ich hatte gerade einen Aha-Effekt in einer Facebookgruppe, in der es eigentlich um die Berufung zur Kunst und um Art Journaling geht. Da hat einer, wie so viele, eine neue Seite gepostet, die sehr stark berührt. Und dazu erzählt er. Er spricht nicht über verwendete Farben oder Techniken. Es bricht aus ihm heraus, wie schwierig seine Jugend war, weil er in seinem amerikanischen Umfeld als Homosexueller nur Übelstes erlebte. Und er erzählt sehr stolz, wie ihn das zu dem Menschen gemacht hat, der er heute ist: tolerant und offen, einer, der gegen jede Diskriminierung gegen andere aufsteht. Einer, der den Hass nicht inhaliert hat, mit dem man ihm begegnete, sondern der andere Menschen liebt. Er spricht davon, wie schwierig es war, an sich zu arbeiten, so weit zu kommen und sich nicht vom Hass anstecken zu lassen.
Aber er habe Angst, sagt er, Angst, sich nun doch plötzlich zu "infizieren", weil der Hass sich wie ein Krebsgeschwür unter den Menschen ausbreite. Ganz real, im eigenen Umfeld. In den USA seien Freundeskreise gespalten, sogar Familien, der Spalter der Nation und seine Mannen haben ganze Arbeit geleistet. Und er stünde nun da und fühle, dass er plötzlich angesichts der neuesten Entwicklungen ebenso eine immense Wut habe und seine Vorsätze fast vergäße. Aber genau das wolle er nicht. Er wolle diesen Triumph der Menschenverächter nicht, dass sie ihn zu einem der ihren machten. Deshalb kämpft er mit seiner Kunst um sein inneres Ich, um einen Schutz. Sein Aufschrei ist ein ganz anderer als die übliche Übererregung in Social Media. Sein Aufschrei ist eine Hoffnung: Wir sollten nicht diesen inneren Kern in allen Menschen vergessen, der gut ist. Der uns zeigt, was wir alle auf der Welt gemeinsam haben: Wir wollen letztlich eigentlich nur geliebt werden und lieben! Dafür zeichnet er also.
Es ist ein anrührendes Bild von einem Menschenwesen als scheuem Reh, das mit einem Fuß in einer Kanone feststeckt. Angst hat es spürbar, aber auch ein riesiges Herz. Dieses Herz kann den Hintergrund einfärben, hier liegt die Hoffnung.
Dadurch, dass er das Kunstblatt präsentiert, bewirkt er etwas. Dadurch, dass er so offen nicht nur seine Geschichte erzählt, sondern auch über seine Ängste und Hoffnungen spricht, steckt er plötzlich sehr viele Menschen an. Auf einmal kommt nicht das Übliche "schön hast du das gemacht!" Andere erzählen ihre Geschichte, viele outen sich. Sie erzählen von bigotten Ortschaften und von hasserfüllten Spaltungen innerhalb des engsten Familienkreises, wie asie damit umgingen und umgehen. Ich erfahre, wie es sich anfühlen muss, in einem Land zu leben, das wie von einem Lord Voldemort mit Schatten überzogen wird - und wieviel Kraft es braucht, sich nicht vom Dunkel vereinnahmen zu lassen.
Bisher habe ich geglaubt, der Irrsinn mancher Romanplots habe die Wirklichkeit übernommen und man könne schriftstellerisch nichts mehr dagegen aufbieten. Dieser Mann zeigt mir, was Kunst kann, nämlich auch, uns mitten in der Wirklichkeit zu halten, ohne dass wir an uns und dem Drumherum draufgehen. Und plötzlich fühlen sich die modernen Mythen von Harry Potter bis Fantasy auch ein wenig an wie eine Matrix zur Hoffnung, wie eine Anleitung, die längst in uns schlummert. Was wäre, wenn wir wirklich einfach das Gute siegen ließen? Was würde passieren, wenn uns im Weltenplot nur dieses eine antreiben würde: dass sich alle lieben können? Auf einmal sind da ganz viele in diesem Thread, die genau diese Geschichte erzählen: Wie sie durchhalten, um sich nicht vom Hass zerfressen zu lassen; sondern ein Leben zu leben, dass nicht egoman und narzisstisch ist, das an den Nächsten denkt.
Sie sind viele, sehr viele. Sie fallen weniger auf, werden weniger gehört, weil sie eben nicht herumbrüllen, randalieren und mit dem Todesstern werfen. Aber in geschützteren, kleineren Räumen finden sie ihre Stimme und erzählen ihre Geschichten. Sie berühren andere, die erzählen, und die wieder andere. Beim Erzählen bleibt es allein nicht - viele von ihnen sind politisch aktiv, gehen nicht nur wählen, sondern klären andere auf, engagieren sich für andere. Manche sehen wir in den Massen von Demonstranten, beim Women's March oder der Demo für schärfere Waffengesetze. Diese Menschen leben unter uns!
Ich denke, das ist eine sehr gesunde Art, sich nicht vom Wahn anstecken zu lassen: Wir müssen immer wieder und viel mehr mit denen reden, die der Erde eine Zukunft geben wollen, für die Liebe und Hoffnung keine Fremdwörter sind. Wenn wir wütend immer die gleichen bösen Tweets teilen, mag das für den Moment abkühlen und entlasten. Aber es lässt auch das Gift in die Welt sickern, das Gift eines Menschen, der gar nicht mehr weiß, wie man andere Menschen ermutigt, ihnen Kraft gibt, wie man sich kümmert, wie man Zerstrittene an einen Tisch bekommt und Feinde vielleicht sogar vereint. Einsam spielt er mit seinem Todesstern. Weint laut bei Twitter, dass er ihn werfen will, weil dann endlich andere Kinder zurückwerfen müssen, als sei es ein Spiel im Sandkasten. Wir können zuerst einmal eins tun: Nicht mitspielen! Mit den anderen spielen. Gemeinsam dieser Welt erzählen, wie wir uns ein Leben auf diesem Planeten vorstellen!
Keine Kommentare:
Deine Sicherheit:
Mit restriktiven Browsereinstellungen kannst du nur als "Anonym" und mit "Namen / URL" kommentieren. Möchtest du dein Google-Profil verwenden, musst du aktiv im Browser unter "Cookies von Drittanbietern" diejenigen zulassen, die nicht zur Aktivitätenverfolgung benutzt werden. Nur so kann das System dein Profil nach Einloggen erkennen.
Mit der Nutzung dieses Formulars erkläre ich mich mit der Speicherung und Verarbeitung meiner Daten durch Google einverstanden (Infos Datenschutz oben im Menu).
(Du kannst selbstverständlich anonym kommentieren, dann aber aus technischen Gründen kein Kommentarabo per Mail bekommen!)
Spam und gegen die Netiquette verstoßende Beiträge werden nicht freigeschaltet.
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.