We have a dream

Schon lange bin ich nicht mehr so begeistert vor der Glotze gesessen wie gestern. Vielmehr vor Youtube, wo im Livestream der Women's March in Washington DC übertragen wurde. Stundenlang einer Demo zuschauen, geht's noch? Das auch noch spannend finden und Emotionen erleben, wie sie keine Vorabendserie bieten kann? Ein kleiner Rückblick auf einen Tag, der Geschichte schrieb.

Die legendären Pussyhats verglich eine französische Nachrichtensendung mit den Revolutionsmützen.

Zunächst für alle, die das über sechs Stunden dauernde Ereignis verpasst haben: Leider ist das Gesamtvideo der Veranstalter selbst seit heute ausgerechnet von Sony Music Entertainment (SME) in vielen Ländern komplett gesperrt worden. Ob es wirklich daran lag, dass auch Stars für die Sache auftraten - eine Antwort ist nirgends zu finden. Der Kanal von Women's March hat es inzwischen ganz von seiner Seite genommen.
Dafür zeigt ABC einen Sechs-Stunden-Mitschnitt. Die Zeit sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man sich klar macht, wie lange die Menschen neben der An- und Abreise im Kalten ausgehalten haben und bis zum Schluss positiv gestimmt und absolut friedlich waren!

Wenn man bei Youtube nach "Women's March" sucht, findet man die besten Stückchen fürs eilige Anschauen (meine Links sind die in Frankreich sichtbaren, falls sie gesperrt sind, Namen / Stichworte in die Suche eingeben). Da ist etwa die Rede der Frauenrechtlerin Gloria Steinem, die poetisch-kämpferische Alicia Keys, die umjubelte Schauspielerin America Ferrera. Die Schauspielerin Ashley Judd verlas ein Gedicht von Nina Donovan, mit Bezug auf eine frauenfeindliche Aussage Trumps: "I'm a Nasty Woman". Die Bewegung wird auch von reichlich Männern unterstützt, hier sind die Auftritte von Michael Moore oder CNN-Mann Van Jones. Einer der emotionalen Höhepunkte war der Auftritt der 13jähigen Sophie Cruz mit ihrer Familie. Im Unterschied zu den Kindern haben die Eltern keine Papiere, Sophie wurde noch unter Obama als Aktivistin des Jahres mit dem Define American Award ausgezeichnet. Sie spricht vor mehr Menschen als der neue amerikanische Präsident, mit solch einer Haltung!

Der Knaller kam dann ganz zum Schluss als Überraschungsgast. Unterm schwarzen Pussyhat (eine neue Mode?!) geigte Madonna höchstpersönlich dem neuen Präsidenten die Meinung. Der Rant war derart mit dem f***-Wort und anderen Beschimpfungen gefüllt, dass sich die Meinungen darüber heute stark spalten. Zu sehen hier oder hier und das Transkript. Dass sich deshalb angeblich der Geheimdienst mit ihr befasse, konnte ich nicht verifizieren, es scheint ein Vorwurf ihrer Gegner zu sein, die nach ihrem "Traum" nicht die zweite Hälfte des Satzes haben hören wollen. Und geheim war da auch nichts.

Insgesamt hielten sich die Reden sehr viel konstruktiver als die ihre und mich erstaunte, wie wenig doch der neue Präsident persönlich angegangen wurde. Das war eine Atmosphäre, die tatsächlich von positiven Emotionen und natürlich gesunder Wut getragen war - aber hier kämpften Frauen FÜR ihre Werte, für einen positiven Ausblick, eine freie Zukunft. Allein von den Plakaten her übrigens äußerst kreativ! Die Mütter der von Polizisten ermordeten Schwarzen bekamen eine Stimme, wurden "ermächtigt" ... "empowerment" ist tatsächlich das Wort, das einem oft einfallen wollte zu dem, was da an Energie vom Podium in die Menge floss, selbst im Video zu spüren.



Es ging um weit mehr als nur um Frauenrechte oder Anti-Trump-Parolen, der Women's March mauserte sich schnell zu einer Veranstaltung für Menschenrechte, Demokratie und Freiheit, einer Gesellschaftsidee voller Achtung und Liebe. "We have a dream" - die Form der Veranstaltung und Passagen, die an die Gospeldialoge der einstigen amerikanischen Bürgerrechtsbewegung erinnerten, lassen die Frage aufkommen, ob sich hier nicht eine sehr viel breitere Bewegung formiert, wie in der ZEIT gefragt. Tatsächlich ging der Marsch um die Welt, hat lange vor Amerika in Sydney begonnen und nicht vor der Antarktis Halt gemacht. Dem amerikanischen Präsidenten ist es bei seiner Einführung am Tag zuvor nicht gelungen, so viele Menschen wirklich zu einen und zu berühren wie der Women's March (auch wenn sein Sprecher, nachweislich falsch, das Gegenteil behauptet. CNN hat auch verglichen und ganz genau hingeschaut.) Und davon, auch noch weltweit derart die Herzen zu bewegen, kann er nur träumen ... Diese traumhaften Bilder rund um den Globus zeigt uns die New York Times.

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