Wie verändere ich meine Perspektive?
Eben unterhielt ich mich mit jemandem, der es mit Tieren so gar nicht hat. Der wollte ernsthaft wissen, ob Menschen Hunde als Kinderersatz oder als "Alternative" zum Partner hielten. Als ich ihm antwortete, dass für mich ein Hund eher wie ein netter Alien von einem anderen Planeten sei, den man als Kumpel bei sich willkommen heiße, war er ziemlich baff. Und er verstand mich nicht. Weil seine Welt nur aus erlebten Strukturen wie z.B. menschlichen Familien bestand - und seinen eigenen Abwehrstrukturen "draußen", wie einem Kettenhund. Wie erklärt man so jemanden andere Lebensformen oder "das Fremde"?
Es ist eine Aufgabe, die zu einer Hauptbeschäftigung in meinem Leben geworden ist: Perspektivwechsel, die Veränderung des eigenen Standpunkts. Wie alle anderen Menschen auch brauche ich die Eigenschaft, um überhaupt mit anderen Leuten kommunizieren zu können, die nicht meinen Hintergrund haben und eine andere Weltsicht. Beruflich jedoch gehört sie zum täglichen Brot. Ich brauche dieses Können als Journalistin, wenn ich in einem Interview Menschen aus der Reserve locken möchte, genauso wie als Schriftstellerin, wenn ich einen Mörder glaubhaft darstellen oder einen historischen Sachverhalt erfahrbar schildern will. Am eigenen Vierbeiner lässt sich diese Verschiebung der Sichtweise wunderbar trainieren, wenn ich das Tier als eigene Spezies achte und artgerecht mit ihm umgehe. Wer seinen Hund tatsächlich zum Ersatz für Kind oder Partner macht, zwingt ihm nur die eigene Perspektive auf - dazu bräuchte es eigentlich nur einen Teddybären.
Eins der faszinierendsten Zeugnisse für den Blick aus einer anderen Spezies heraus auf die Menschen ist meiner Meinung nach den Gebrüdern Strugazki in ihrem Kammerer-Zyklus gelungen. In diesen legendären russischen Science-Fiction-Romanen findet Kammerer auf einem fremden Planeten völlig degenerierte Menschen vor und die ihnen überlegene Rasse der hundeartigen "Kopfler" mit deren Anführer Wepl. Die Strugazkis müssen Hunde heiß und innig geliebt haben, denn selten sind Aliens so liebevoll in ihrer Kultur beschrieben worden. Die Kopfler sind intensiv, lieben auf eine sehr eigene Art und haben eine Sprache, in der es weder wollen noch können noch sollen gibt - nur das Müssen. Obwohl die Menschen glauben, ihnen überlegen zu sein, entdeckt Kammerer, dass Wepl sogar Musik komponieren kann. Und irgendwann muss sich der Mensch vom Alien sagen lassen: "'Sei nicht so gierig', sagt er. 'Ihr besitzt dafür eine Menge, was wir nicht haben und nie haben werden. Eure Maschinen und eure Wissenschaft...'" Ich muss zugeben, die Kopfler sind u.a. schuld daran, dass ich mir manchmal vorstelle, mein Hund sei einfach ein Alien von einer anderen Zivilisation und ich sei ein Alien für ihn. Was können wir voneinander lernen?
Drei Voraussetzungen sind unabdingbar:
1. Die Fähigkeit, mich selbst nicht zu ernst zu nehmen, in Distanz zu mir zu gehen.
2. Der Wille, mein Gegenüber, so fremd und unverständlich es auch für mich sein mag, als gleichwertig zu achten und zu respektieren. Ich darf nicht werten.
3. Empathie, also Einfühlungsvermögen.
Was dann geschieht, ist eine Art dissoziativer Vorgang:
1. Ich versuche, mich selbst einmal zu vergessen, auszublenden. Es spielt zuerst keine Rolle, was ich gelernt habe, welchen Hintergrund ich habe, was ich denke oder fühle. Ich verschwimme mit dem Hintergrund.
2. Einzig und allein das oder der Andere tritt in den Vordergrund meines Denkens. Was man umschreibt mit dem Bild "in den Schuhen eines Anderen gehen", zeigt deutlich, was nun passiert: Ich "beame" mich sozusagen an die Stelle des anderen, nehme dessen Perspektive ein und versuche, so unbefangen wie möglich die Welt mit dessen Augen zu sehen. Ich habe meinen eigenen Standpunkt also verschoben.
3. Um die neue Perspektive wahrnehmen zu können, habe ich unterschiedliche Hilfsmittel zur Verfügung:
Wissen.
Ich kann versuchen, so viel wie möglich über mein Gegenüber in Erfahrung zu bringen. Wo kommt er her, wie ist er aufgewachsen, welchen Beruf hat er, wie sieht er die Welt, in welcher Situation steckt er, was wünscht und sehnt er sich herbei, welche Ängste hat er? Wo liegen Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede? Viel von diesem Wissen lässt sich durch Recherche erlangen, der Rest durch vorsichtiges und geschicktes Befragen. Abstraktionsvermögen ist äußerst hilfreich. Und dabei muss man mit Lücken leben und immer mit der Vorsicht, nicht vorschnell aus dem eigenen Horizont heraus zu urteilen. Denn dann wären wir wieder wie der Mensch, der sich Hunde nur als Kinderersatz oder Kettenhunde vorstellen kann!
Einfühlen.
Empathie kann immer nur eine Annäherung sein. Ein behütet aufgewachsener Mensch kann nicht wirklich nachfühlen, wie es ist, einem Bombenhagel entkommen zu sein. Eine brave Schriftstellerin darf keinen Mord begehen, um Mörder glaubhaft zu schildern. Ein angestellter Journalist wird nie erfahren haben, was es für einen Unternehmer bedeutet, Tausende Mitarbeiter zu entlassen.
Aber wir können Gefühle "hochrechnen", Analogien zu bilden versuchen. Für die Todesangst in einer Szene muss ich mich an die schlimmste und brutalste Angst meines Lebens erinnern und mich dieser stellen. Mir vorzustellen versuchen, wie die sich wohl angefühlt hätte, wenn sie unendlich potenziert worden wäre. Und vielleicht hatte ich selbst sogar schon einmal einen Moment der Todesangst? Ich muss nicht morden, aber wer hat nicht schon einmal zumindest in bösen Träumen den Gedanken gehabt: Diesen Typ könnte ich umbringen ... oder - wenn einer meiner Familie etwas antut, könnte ich ausrasten. Sich diesen Gedankenspielereien zu stellen bedeutet, den extrem schmalen Grat zu erfühlen, der den unbescholtenen Bürger vom Kriminellen trennt und die Zivilisation vom anarchischen Chaos. Und mir als Schreibender gelingt es eher, die Gefühle meiner Figuren authentisch werden zu lassen. Das verwandelt sie von der Klischee-Schablone zum Menschen.
Genau hier sind wir bei dem Punkt, warum Perspektivwechsel, wenn sie denn ernsthaft sein sollen, jede Menge Ängste hervorrufen können und verdammt unangenehm sein können. Weil sie in zwei Richtungen wirken: Sie verändern auch mich selbst.
Wenn ich versuche, aus den Augen eines anderen zu blicken, erkenne ich Eigenschaften an mir selbst, die ich vielleicht bisher verdrängt habe. Die ich so gar nicht mögen will. Die mich womöglich sogar verändern. Je fremder mir mein Gegnüber erscheint, desto mehr kann er mich verunsichern und sich vielleicht sogar wie eine Bedrohung anfühlen - eine Bedrohung meiner kleinen, übersichtlichen, vermeintlich sicheren Welt. Aber ich bin es, die den Schritt heraus wagen muss! Und je öfter ich den wage, desto einfacher wird das, desto mehr schwindet die Angst. Perspektivwechsel kann man lernen und trainieren!
Ich nenne das mit der Angst, die durchbrochen werden will, den Sekteneffekt.
Sekten schotten sich und ihre Mitglieder vorsätzlich vor jedem Sozialkontakt mit der Außenwelt ab, indem sie durch ein ausgeklügeltes Strafsystem, Gehirnwäsche und Verteuflung von allem Anderen und Fremden alle schön in der eigenen Soße schwimmen lassen. Denn in dem Moment, in dem eins der Mitglieder auch nur über den Zaun schauen würde, ist jenes Zwangssystem gefährdet, das sich so schön "einfach" anfühlt. Man könnte nämlich entdecken, dass "die da draußen" gar nicht so teufelsböse sind. Dass man manches da draußen mehr mögen könnte als das Vorgeschriebene drinnen.
Und richtig schlimm wird es für den Guru, wenn eins der Sektenmitglieder bemerkt, dass draußen wie drinnen einfach nur Menschen leben. Menschen, die das Bedürfnis haben, geliebt zu werden, die Ängste und Träume haben, die sich erstaunlich ähneln. Würden die Sektenmitglieder diesen dissoziativen Vorgang des Perspektivwechsels schaffen, würden sie zu Abtrünnigen und damit zur Bedrohung der Extremen in der Gruppe. Sie hätten nämlich gelernt, wie herrlich es ist, selbst zu denken statt denken zu lassen. Ja, sie müssten Ängste überwinden, sich öffnen lernen und dann träfe es ie wie ein Meteoriteneinschlag: Die Erkenntnis, dass das Leben wie der Mensch stetigem Wandel unterworfen ist. Dass nichts bleibt, wie es ist - und dass das gut ist.
Perspektivwechsel sind also gefährlich für all diejenigen, die einen Hund grundsätzlich an der Kette sehen wollen, weil er dann nicht in ihre heimelige kleine Welt einbricht, in der die Betten sauber sind und keiner über fremdartiges Zeug auf dem Boden stolpert. Doch für die anderen, die Neugierigen und Offenen, sind sie ein spannendes Abenteuer, das ihre Welt bereichert und weitet.
Natürlich kann ich eine Landschaft beim Wandern aus meiner armseligen Menschensicht erfahren und vielleicht noch eine App und Google-Maps darüberlegen. Ein Kopfler wie Wepl würde wahrscheinlich brummig über so viel Einfalt lachen. Er wüsste, um wie viel reicher die gleiche Landschaft werden kann, wenn ich sie mit den Augen eines anderen zu sehen versuche. Wenn ich die Geruchsmerkpunkte, Wildwechsel und unterirdischen Tiertunnel darüberlege, von denen das Verhalten meines Hundes erzählt. Oder wenn ich diese Landschaft durch die Augen eines Menschen erlebe, der nur die Wüste kennt und zum ersten Mal einen europäischen Wald sieht. Wenn ich die Welt nur durch meine eigenen Augen betrachten würde, wäre sie mir persönlich zu eng ...
Lesetipps:
Mein Freund vom anderen Stern (Blogbeitrag)
Kultur? Hundifiziert euch! (Blogbeitrag)
Gebrüder Strugazki: Der Kammerer-Zyklus in einem Band
Spracherfindungen in russischer Science-Fiction-Literatur (Aufsatz)
Es ist eine Aufgabe, die zu einer Hauptbeschäftigung in meinem Leben geworden ist: Perspektivwechsel, die Veränderung des eigenen Standpunkts. Wie alle anderen Menschen auch brauche ich die Eigenschaft, um überhaupt mit anderen Leuten kommunizieren zu können, die nicht meinen Hintergrund haben und eine andere Weltsicht. Beruflich jedoch gehört sie zum täglichen Brot. Ich brauche dieses Können als Journalistin, wenn ich in einem Interview Menschen aus der Reserve locken möchte, genauso wie als Schriftstellerin, wenn ich einen Mörder glaubhaft darstellen oder einen historischen Sachverhalt erfahrbar schildern will. Am eigenen Vierbeiner lässt sich diese Verschiebung der Sichtweise wunderbar trainieren, wenn ich das Tier als eigene Spezies achte und artgerecht mit ihm umgehe. Wer seinen Hund tatsächlich zum Ersatz für Kind oder Partner macht, zwingt ihm nur die eigene Perspektive auf - dazu bräuchte es eigentlich nur einen Teddybären.
Eins der faszinierendsten Zeugnisse für den Blick aus einer anderen Spezies heraus auf die Menschen ist meiner Meinung nach den Gebrüdern Strugazki in ihrem Kammerer-Zyklus gelungen. In diesen legendären russischen Science-Fiction-Romanen findet Kammerer auf einem fremden Planeten völlig degenerierte Menschen vor und die ihnen überlegene Rasse der hundeartigen "Kopfler" mit deren Anführer Wepl. Die Strugazkis müssen Hunde heiß und innig geliebt haben, denn selten sind Aliens so liebevoll in ihrer Kultur beschrieben worden. Die Kopfler sind intensiv, lieben auf eine sehr eigene Art und haben eine Sprache, in der es weder wollen noch können noch sollen gibt - nur das Müssen. Obwohl die Menschen glauben, ihnen überlegen zu sein, entdeckt Kammerer, dass Wepl sogar Musik komponieren kann. Und irgendwann muss sich der Mensch vom Alien sagen lassen: "'Sei nicht so gierig', sagt er. 'Ihr besitzt dafür eine Menge, was wir nicht haben und nie haben werden. Eure Maschinen und eure Wissenschaft...'" Ich muss zugeben, die Kopfler sind u.a. schuld daran, dass ich mir manchmal vorstelle, mein Hund sei einfach ein Alien von einer anderen Zivilisation und ich sei ein Alien für ihn. Was können wir voneinander lernen?
Drei Voraussetzungen sind unabdingbar:
1. Die Fähigkeit, mich selbst nicht zu ernst zu nehmen, in Distanz zu mir zu gehen.
2. Der Wille, mein Gegenüber, so fremd und unverständlich es auch für mich sein mag, als gleichwertig zu achten und zu respektieren. Ich darf nicht werten.
3. Empathie, also Einfühlungsvermögen.
Was dann geschieht, ist eine Art dissoziativer Vorgang:
1. Ich versuche, mich selbst einmal zu vergessen, auszublenden. Es spielt zuerst keine Rolle, was ich gelernt habe, welchen Hintergrund ich habe, was ich denke oder fühle. Ich verschwimme mit dem Hintergrund.
2. Einzig und allein das oder der Andere tritt in den Vordergrund meines Denkens. Was man umschreibt mit dem Bild "in den Schuhen eines Anderen gehen", zeigt deutlich, was nun passiert: Ich "beame" mich sozusagen an die Stelle des anderen, nehme dessen Perspektive ein und versuche, so unbefangen wie möglich die Welt mit dessen Augen zu sehen. Ich habe meinen eigenen Standpunkt also verschoben.
3. Um die neue Perspektive wahrnehmen zu können, habe ich unterschiedliche Hilfsmittel zur Verfügung:
Wissen.
Ich kann versuchen, so viel wie möglich über mein Gegenüber in Erfahrung zu bringen. Wo kommt er her, wie ist er aufgewachsen, welchen Beruf hat er, wie sieht er die Welt, in welcher Situation steckt er, was wünscht und sehnt er sich herbei, welche Ängste hat er? Wo liegen Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede? Viel von diesem Wissen lässt sich durch Recherche erlangen, der Rest durch vorsichtiges und geschicktes Befragen. Abstraktionsvermögen ist äußerst hilfreich. Und dabei muss man mit Lücken leben und immer mit der Vorsicht, nicht vorschnell aus dem eigenen Horizont heraus zu urteilen. Denn dann wären wir wieder wie der Mensch, der sich Hunde nur als Kinderersatz oder Kettenhunde vorstellen kann!
Einfühlen.
Empathie kann immer nur eine Annäherung sein. Ein behütet aufgewachsener Mensch kann nicht wirklich nachfühlen, wie es ist, einem Bombenhagel entkommen zu sein. Eine brave Schriftstellerin darf keinen Mord begehen, um Mörder glaubhaft zu schildern. Ein angestellter Journalist wird nie erfahren haben, was es für einen Unternehmer bedeutet, Tausende Mitarbeiter zu entlassen.
Aber wir können Gefühle "hochrechnen", Analogien zu bilden versuchen. Für die Todesangst in einer Szene muss ich mich an die schlimmste und brutalste Angst meines Lebens erinnern und mich dieser stellen. Mir vorzustellen versuchen, wie die sich wohl angefühlt hätte, wenn sie unendlich potenziert worden wäre. Und vielleicht hatte ich selbst sogar schon einmal einen Moment der Todesangst? Ich muss nicht morden, aber wer hat nicht schon einmal zumindest in bösen Träumen den Gedanken gehabt: Diesen Typ könnte ich umbringen ... oder - wenn einer meiner Familie etwas antut, könnte ich ausrasten. Sich diesen Gedankenspielereien zu stellen bedeutet, den extrem schmalen Grat zu erfühlen, der den unbescholtenen Bürger vom Kriminellen trennt und die Zivilisation vom anarchischen Chaos. Und mir als Schreibender gelingt es eher, die Gefühle meiner Figuren authentisch werden zu lassen. Das verwandelt sie von der Klischee-Schablone zum Menschen.
Genau hier sind wir bei dem Punkt, warum Perspektivwechsel, wenn sie denn ernsthaft sein sollen, jede Menge Ängste hervorrufen können und verdammt unangenehm sein können. Weil sie in zwei Richtungen wirken: Sie verändern auch mich selbst.
Wenn ich versuche, aus den Augen eines anderen zu blicken, erkenne ich Eigenschaften an mir selbst, die ich vielleicht bisher verdrängt habe. Die ich so gar nicht mögen will. Die mich womöglich sogar verändern. Je fremder mir mein Gegnüber erscheint, desto mehr kann er mich verunsichern und sich vielleicht sogar wie eine Bedrohung anfühlen - eine Bedrohung meiner kleinen, übersichtlichen, vermeintlich sicheren Welt. Aber ich bin es, die den Schritt heraus wagen muss! Und je öfter ich den wage, desto einfacher wird das, desto mehr schwindet die Angst. Perspektivwechsel kann man lernen und trainieren!
Ich nenne das mit der Angst, die durchbrochen werden will, den Sekteneffekt.
Sekten schotten sich und ihre Mitglieder vorsätzlich vor jedem Sozialkontakt mit der Außenwelt ab, indem sie durch ein ausgeklügeltes Strafsystem, Gehirnwäsche und Verteuflung von allem Anderen und Fremden alle schön in der eigenen Soße schwimmen lassen. Denn in dem Moment, in dem eins der Mitglieder auch nur über den Zaun schauen würde, ist jenes Zwangssystem gefährdet, das sich so schön "einfach" anfühlt. Man könnte nämlich entdecken, dass "die da draußen" gar nicht so teufelsböse sind. Dass man manches da draußen mehr mögen könnte als das Vorgeschriebene drinnen.
Und richtig schlimm wird es für den Guru, wenn eins der Sektenmitglieder bemerkt, dass draußen wie drinnen einfach nur Menschen leben. Menschen, die das Bedürfnis haben, geliebt zu werden, die Ängste und Träume haben, die sich erstaunlich ähneln. Würden die Sektenmitglieder diesen dissoziativen Vorgang des Perspektivwechsels schaffen, würden sie zu Abtrünnigen und damit zur Bedrohung der Extremen in der Gruppe. Sie hätten nämlich gelernt, wie herrlich es ist, selbst zu denken statt denken zu lassen. Ja, sie müssten Ängste überwinden, sich öffnen lernen und dann träfe es ie wie ein Meteoriteneinschlag: Die Erkenntnis, dass das Leben wie der Mensch stetigem Wandel unterworfen ist. Dass nichts bleibt, wie es ist - und dass das gut ist.
Perspektivwechsel sind also gefährlich für all diejenigen, die einen Hund grundsätzlich an der Kette sehen wollen, weil er dann nicht in ihre heimelige kleine Welt einbricht, in der die Betten sauber sind und keiner über fremdartiges Zeug auf dem Boden stolpert. Doch für die anderen, die Neugierigen und Offenen, sind sie ein spannendes Abenteuer, das ihre Welt bereichert und weitet.
Natürlich kann ich eine Landschaft beim Wandern aus meiner armseligen Menschensicht erfahren und vielleicht noch eine App und Google-Maps darüberlegen. Ein Kopfler wie Wepl würde wahrscheinlich brummig über so viel Einfalt lachen. Er wüsste, um wie viel reicher die gleiche Landschaft werden kann, wenn ich sie mit den Augen eines anderen zu sehen versuche. Wenn ich die Geruchsmerkpunkte, Wildwechsel und unterirdischen Tiertunnel darüberlege, von denen das Verhalten meines Hundes erzählt. Oder wenn ich diese Landschaft durch die Augen eines Menschen erlebe, der nur die Wüste kennt und zum ersten Mal einen europäischen Wald sieht. Wenn ich die Welt nur durch meine eigenen Augen betrachten würde, wäre sie mir persönlich zu eng ...
Lesetipps:
Mein Freund vom anderen Stern (Blogbeitrag)
Kultur? Hundifiziert euch! (Blogbeitrag)
Gebrüder Strugazki: Der Kammerer-Zyklus in einem Band
Spracherfindungen in russischer Science-Fiction-Literatur (Aufsatz)
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