Viele Augen verderben nicht den Brei

Ich bin völlig überwältigt von dem Ansturm an Hilfsbereitschaft auf allen Kanälen, mir beim Aussuchen des Rohmaterials für die Covergestaltung meiner Kulturgeschichte der Rose zu helfen. Auf Twitter und Facebook liefen die Bits heiß, Blogger ging zeitweise bei den Kommentaren in die Knie. Ich litt bis heute Mittag am information overflow ... Aber nun möchte ich allen fleißigen Bienchen natürlich nicht vorenthalten, was so eine Aktion überhaupt bringt und was dabei herauskam. Vor allem hat es mir riesig Spaß gemacht, weil ich dabei lerne, mit weniger betriebsblinden Augen zu schauen!

Zunächst die knallharten Daten:
Spitzenreiter war das Gemälde Pot Pourri von Herbert James Draper mit der Nr. 7 (40 Stimmen).
Platz 2: Der Rosenstrauß von Waldmüller mit der Nr. 6 (31 Stimmen)
Platz 3: Helen Keller mit ihrem Braille-Buch und der Nr. 8 (22 Stimmen)
Die wenigsten Stimmen bekamen Nr. 2 (9 Stimmen), Nr. 5 (9 Stimmen) und Nr. 3 (2 Stimmen)

Spannend bei der umgekehrten Frage, was gar nicht ginge:
Als absolutes Ekelpaket entpuppte sich Nr. 4, gefolgt von Nr. 1 (wegen der Kleinteiligkeit) und - man staune - Nr. 7! Der Publikumsliebling bekam also gleichzeitig die dickste Kritik!

Wie kommt so etwas zustande?

Hochinteressant ist es, sich die Antworten mit Begründungen genauer anzuschauen. Ich kann daraus nämlich ablesen, ob sich jemand nur spontan an einem schönen Hingucker erfreut oder sich auch Gedanken zum Zielpublikum und speziellen Buch gemacht hat. Ich kann auch oft erkennen, ob die Leute einfach nur LeserInnen sind, oder vielleicht BuchhändlerInnen, VerlegerInnen oder Profis vom Grafikfach. Das war breit gestreut mit den Antworten und deshalb aufschlussreich. Für meine endgültige Entscheidung sind einzelne Begründungen darum wichtiger als viele Stimmen.

Zugegeben, Nr. 7 hat auch mich betört gehabt - und es ist der Liebling aller Frauen, die sehr romantisch und harmonisch "drauf sind". Was aber, wenn diese Leserinnen dann auf mein Anti-Kitsch-Kapitel stoßen, in dem ich nachvollziehe, wie süßliche Rosenromantik im 19. Jahrhundert die Frau politisch wie gesellschaftlich zu unterjochen half? Und wie würde ich all die Männer ansprechen, die dieses Buch doch sehr häufig lesen und lieben? Es ist ja kein romantisches Buch. Es geht darin sogar um knallharte Themen wie Gentechnik und Größenwahn. Es wird jetzt Stöhnen geben ... aber ich für mich habe Nr. 7 weggelegt. Es ist ein wunderschönes Coverbild für ein Wellnessbuch mit Rosenpotpourris und Rosenrezepten - oder ein Cover für eine Anthologie mit romantischen Rosengedichten.

Nr. 1, der Parfummacher von Ernst, ist für ein E-Cover - das erkannten viele - zu kleinteilig und zu wenig kontrastreich, obwohl es zu einer Kulturgeschichte wunderbar passen würde. Leider ist außerdem nirgends eine bezahlbare hochauflösende Variante zu finden, die eine entsprechende Ausschnittsvergrößerung erlauben würde.

Nur Rosen - auch da waren sich viele einig - das sieht nach Geschenkbüchlein aus. Und bei den Frauen schieden sich dann endgültig die Geister. Einige standen voll auf die Präraffaeliten, aber die meisten hatten damit ein Problem: Es erinnerte sie an historische Romane. Leider zu Recht, die Verlage haben hier ganze Arbeit geleistet, für dieses Genre jeden auch nur irgendwie erreichbaren Maler dieser Epoche zu verwursten, in Faltenwürfe, Frauen ohne Kopf und dergleichen zu verhackstücken. Die Dame auf Nr. 4 wurde von sehr vielen als krank eingestuft, irgendwie leidend, "sie hat Rücken" meinte jemand so schön. Das geht natürlich gar nicht. Diejenigen, die sie mochten, wurden von ihr an Bücher über "starke Frauen, die lesen oder schreiben" erinnert. Gut erkannt! Das ist teilweise der Stil des Verlags von Elisabeth Sandmann. Und weil diese Konnotation zu deren Marke offensichtlich so stark etabliert ist, muss ich die Finger davon lassen. Denn in meinem Buch geht's nicht um Frauen, sondern um Menschen.

Obwohl so vielen Leuten Nr. 8 gefiel - und mir zunächst durch die Illustration des Titels "Das Buch der Rose" ebenfalls - gab es hier einen Einwand, der stark wirkt. Wenige Leute dachten dabei sofort an diese altmodischen, nachgemachten Postkarten mit launigen Sprüchen. Ich dann leider auch - das geht mir gar nicht mehr aus dem Kopf.

Und dann fand ich noch eine Sache sehr spannend: BuchhändlerInnen griffen spontan eher zum Konventionellen. LeserInnen griffen zum Vertrauten oder eigenen Sehvorlieben, oft, ohne den Inhalt des Buchs zu betrachten. Und die wirklich Mutigen, die dann auch an allen Vorlagen etwas auszusetzen hatten - das waren Verleger oder Profis aus dem Bereich Fotografie und Grafik. Männer fanden sich auch eher weniger von den Bildern angesprochen und schlugen am schnellsten und lautesten Kitschalarm, Ihnen ein besonderer Dank! Ich bin ja bekanntermaßen selbst kitschallergisch.

Und jetzt will ich nicht weiter auf die Folter spannen: Mein Favorit ist die Nr. 6. Nicht nur als Hingucker und wegen der Rose im Mittelpunkt, sondern auch und vor allem aus technischen / grafischen Gründen. Ich liebäugle allerdings noch mit einer völlig eigensinnigen Gestaltung gegen alle bequemen Sehgewohnheiten. Ich sprach es bereits an, Charles Rennie Mackintosh mit seinen Rosen war mir im Hinterkopf, zumal man dazu wunderbar mit Typografie spielen kann (er hat sogar eigene Schriften entworfen).

Lady Rose von Mackintosh
Dieses Bild war dann die Überraschung. Ich habe nämlich vorhin in den uralten Daten herumgeschnüffelt, aus der Zeit, in der ich noch mein Exposé schrieb und mich bei Verlagen bewarb. Meine Exposés haben gern mal ein echtes Titelblatt fürs Auge. Und vor vielen Jahren habe ich einmal den guten alten Mackintosh mit Tusche und Aquarell kopiert - die Lady Rose hängt bei mir ganz groß an der Wand. Die hatte ich doch tatsächlich fürs Exposé abfotografiert! "Die Rose ist wie ein Buch" war mein damaliger Arbeitstitel. Mache ich vielleicht daraus etwas? Back to the roots?

Es bleibt spannend. Das Rennen läuft zwischen Waldmüller und Mackintosh!

4 Kommentare:

  1. Bitte die völlig eigensinnigen Gestaltung ... das Foto spricht mehr wie an und macht einfach Lust auf mehr. Unabhängig vom Geschlecht und fällt absolut aus der Reihe.
    Das würde ich einfach wagen.
    LG Daniela

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  2. Danke Daniela!
    Ein Großverlag würde wahrscheinlich den risikolosen, massenkompatiblen Weg mit dem Rosenstrauß gehen. Aber ich denke, ich kann es mir leisten, wagemutig zu sein. Beim Mackintosh juckt es mir geradezu in den Fingern ...
    Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich den für ein Cover nachmalen darf (rechtefrei ist er außerdem).
    Liebe Grüße, Petra

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  3. Das Bild ist phantastisch! Wirklich außergewöhnlich, man erkennt die Frau und die Rose und doch lässt die Zeichnung durch die abstrahierte Darstellung viele Interpretationen zu. Dieser Minimalismus, mit den paar Linien so viel auszudrücken, die sparsam eingesetzten Farben ... Mir scheint das Bild geradezu ideal für ein E-Book-Cover; ich denke, dass es auch in Schwarz-Weiß seine Wirkung entfaltet. Und überhaupt - wow! - Du kannst auch noch zeichnen! Ich kann Dich nur bestärken, das Wagnis einzugehen.

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  4. Mach ich auch, Lydia - ich sehe nämlich das Cover schon vor mir :-)
    Ähm ... und ein Original abzumalen ist nun nicht so die große Kunst, es sei denn, man würde nicht merken, dass es nicht das Original ist ;-)

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