Ich fühle ... nichts

Ich war heute auf der Post und habe absolut nichts gefühlt. Es geht mir schon die ganze Woche lang so: Ich tüte aus, ich schaue an, ich bearbeite, ich tüte ein - und fühle nichts. Früher hatte ich dabei Herzklopfen bis zum Hals, einen Endorphinrausch, rote Backen und konnte nachts kaum schlafen: Wenn die Fahnen eines Buchs zur Korrektur kamen. Da war dieses irre High, wenn nach unendlich langer Zeit aus einem Manuskript wirklich sichtbar ein Buch wurde. Unendlich lang schien diese Zeit oft. Monate vergingen auch mit Agentur bei der Verlagssuche, bis dann alle Modalitäten geklärt waren, konnte ich endlich mit dem Schreiben beginnen. Und dann folgten noch einmal Monate für die eigentliche Produktion. Die Fahnenkorrektur war der Moment, in dem das zukünftige Buch bereits gesetzt war, man konnte es förmlich vor sich sehen.

Dieses Mal sind die Fahnen ein "erster Lauf". Später kommen noch Fotos zum Text dazu. Und weil es bei dem doch recht zeitlosen Buch von 2004 doch einiges zu aktualisieren gab, wird auch das Satzbüro noch einmal ran dürfen. Immerhin, das Buch wird bereits im April / Mai im Handel liegen.

meine Anfänge ...
Es ist alles anders als früher. Ich sehe plötzlich, woran bestimmte Satzfehler liegen. Es nervt mich, wenn sie mehr als dreimal vorkommen, hätten die nicht ...? Ich langweile mich bei der Korrektur, was gefährlich ist. Man wird unaufmerksam. Ich breche mir bei Texteingriffen keinen mehr ab wie früher. Heute sehe ich genau, wie viele Worte ich schreiben und ändern kann, ohne dass der Buchsatz zu sehr gestört wird. Ich sehe mit einem Blick, wann ein Einschub zu kurz oder zu lang laufen wird. Ich kann erkennen, an welcher Stelle ich die Satzfirma zum Fluchen bringen würde, weil ich das Seitengefüge verschieben würde. Ich langweile mich. Ich langweile mich doppelt, weil ich weiß, dass ich alle Aktualisierungen auch im E-Book eintragen muss und das ebenfalls noch einmal lektoriert werden will. Im gedruckten Buch habe ich mit Rot alles notiert.

Und dann gebe ich meine Fahnen zur Post, ein Ereignis, das ich früher gefeiert habe ... Ich fühle nichts. Nur Routine, es hat halt jetzt sein müssen, der Abgabetermin ist am 15.1., und ich habe jetzt schon abgeschlossen, weil ich mich nicht noch länger langweilen wollte. Endlich habe ich Zeit, das Manuskript zum E-Book zu machen. Das wird rasend viel schneller gehen und dann eben herumliegen müssen und warten.

Etwas hat sich verändert: Ich bin verwöhnt, was Zeit betrifft. Wenn ich ein E-Book herstelle, habe ich nicht mehr Monate "Hohlzeiten". Als ich den Buchsatz für "Faszination Nijinsky" machte und tausendfach alles korrigierte, hier an Laufweiten trickste und dort Hurenkinder killte, da habe ich geflucht. Eine ganze Woche habe ich jeden Tag von früh bis spät daran gearbeitet, insgesamt vielleicht drei Tage Fahnen korrigiert. Anderthalb Wochen, ganz allein, nur mit dem Techniker, der den Aushänger lieferte. Da war der Endorphinspiegel unglaublich! Gemischt mit Adrenalin, denn ich bangte ja um jeden kleinen Fehler, um jeden Zwischenfall, der sich bis zum Druck ereignen konnte. Als ich den Andruck in Händen hielt, habe ich einen Indianertanz vollführt und abends gefeiert.

Bei jenem Projekt stand ich unter Dauerstrom. Es gab keinen Autorenblues mehr bei der Abgabe des Manuskripts. Denn ich wusste: Nach dem Lektorat muss ich wieder ran, muss ich mich um die Technik und die Herstellung kümmern. "Das mache ich nie wieder", habe ich abends geschimpft. "Das macht irre viel Spaß!", habe ich am nächsten Morgen frohlockt. Und heute weiß ich, ich werde es wieder tun. Weil es süchtig macht. Weil ich das Gefühl nicht mehr missen will, die richtige Schrift auszusuchen, das Papier. Weil ich jetzt schon wie ein Schwamm durch Buchhandlungen streife: Nicht, um dringend ein Buch zu kaufen, sondern um in unterschiedlichen Formaten und Bindungen zu schwelgen, Einbände zu befingern. Und dann die Farbwelten eines Covers! Was haben der Grafiker und ich herumprobiert, bis wir genau das Blau hatten, das die Ballets Russes damals so berühmt gemacht hatte! Eine echte Herausforderung für die Druckerei - und die haben unseren Vorschlag dann nochmals optimiert.

Ich lese immer wieder von Kolleginnen und Kollegen, die stöhnen, was sie heutzutage alles machen müssten. Sie wollten doch einfach nur noch schreiben. Nichts anderes mehr denken und tun müssen - einfach nur schreiben. Als ich heute die Fahnen zur Post brachte, war ich fast ein wenig enttäuscht. Schade, ich würde über die eine Schrifttype nicht reden können. Andere würden sich nun ums Buch kümmern. Ich muss noch ein paar Fotos liefern, noch einmal über das Endprodukt sehen. Und habe dann nichts anderes mehr zu tun, als die Belegexemplare auszupacken.

Ich fürchte, mein abgestorbenes Gefühl heute ist ein Zeichen: Ich habe längst die Seiten gewechselt. Gestern im Supermarkt fiel mir eine kleine Buchreihe in die Hände, die ich dringend befingern musste. Mein Adrenalin stieg wieder: Die sahen ja sowas von bezaubernd aus, diese Bücher! Was für ein ungewöhnliches Format! Was für eine herrliche Idee, aus etwas Konventionellem ein solches Sammlerstück für wenig Geld zu machen. Sofort hatte ich eine Idee für eigene Texte. Aber vorher ist eine andere Reihe dran. Ein Freund zeigte mir, dass mein Konzept auf eine übertragene Art in England wunderbar läuft. Meine Idee mag schräg sein für hiesige Verhältnisse, aber sie ist nicht unmöglich. Ich will acht oder zehn Arme haben und mindestens fünf Köpfe, scharre wie ein Pferd mit den Hufen. Wann kann ich endlich loslegen? Schreiben macht verdammt viel Spaß. Aber Schreiben und sich auch die Hülle fürs Geschriebene auszudenken und dann an den Strippen zu ziehen, damit all die Ideen umgesetzt werden - das macht noch viel mehr Spaß.

9 Kommentare:

  1. Liebe Petra,

    vielen Dank für diesen Artikel, der mich sehr nachdenklich gemacht hat. Ich kann Deine Gefühle gut nachvollziehen. Wenn man viele Begabungen hat (und die hast Du ja nun wirklich), dann ist es einfach befriedigend, sie auch anzuwenden.
    Ich bin jedenfalls neugierig, ob Du ab und zu noch auf die andere Seite linsen wirst, oder ob es wirklich Nägel mit Köpfen werden. Ich vermute Letzteres, denn Du hast ja schon so einige Andeutungen gemacht.
    Jedenfalls wünsche ich Dir viel Erfolg auf der anderen Seite! Und das von dort aus das Gras noch genauso grün aussieht wie von hier! :)

    Liebe Grüße,
    Nikola

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  2. Hallo Petra,

    was für ein interessanter Einblick in dein Autorenleben :) Es erinnert mich nur zu gut daran, wie begeistert ich bei jedem neuen Cover-Entwurf meiner Illustratorin bin, bei jeder Änderung, jeder neuen Version, bis ich schließlich das fertige Cover gedruckt in Händen halte (mit dem restlichen Buch hintendran). Es erinnert mich an die vielen Stunden, die wir zusammen nach einer geeigneten Schrift gesucht haben, oder die ich meine Schriftdatenbank durchforstet habe, um die richtige Schrift für den Innenteil, das eigentliche Buch zu finden.

    Viel Erfolg auf deinem weiteren Weg, und noch viele weitere Momente des Glücks!

    Liebe Grüße,
    Theresa

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  3. Liebe Nikola,
    ich verstehe jetzt nicht so ganz, was du mit der "anderen Seite" meinst, welche von beiden? ;-) Ich stehe ja mit beiden Beinen quer über dem Fluss (hihi, fällt mir mein Verlagslogo dazu ein ...).
    Ich kann dir nur sagen, was ich in absehbarer Zeit nicht mehr machen werde: Romane schreiben. Verlagsverträge unterzeichnen (es sei denn, man köderte mich entsprechend).

    Im Moment hänge ich leider in einer administrativen Denkschleife, weil das grenzüberschreitende Verlagsgeschäft nicht ganz so einfach ist. Da muss ich mich noch beraten lassen. Gegründet ist dann per Mausklick, online.

    Und das Schreiben nebst Verlegen steht auch schon fest: Schwerpunkt Essay, Grenzgängerei (genussreich), literarisches Sachbuch / literarische Reportage.
    Dieses Schreiben vollzieht sich mit einem anderen Ansatz als dem des Kämmerleins. Ich maloch dann mal ;-)

    Liebe Grüße, Petra

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  4. Herzlichen Dan für die guten Wünsche Theresa, die ich nur zurückgeben kann!
    Ich muss zugeben, ich habe bei meinem Beitrag ja ein klitzeklein bißchen geschummelt. ;-) Natürlich kann auch die Produktion zu einer elenden Routine werden. Wenn ich mir einen Tag lang die Augen an unterschiedlichen Schriften verderbe und dann feststelle, dass die Lizenz für den Wunschkandidat übel teuer ist, kann das durchaus auch die Laune verderben ... aber zum Glück nur kurzfristig, denn anders als beim Schreiben bekommt man die Belohnung sofort mit dem Ergebnis!

    Herzlichst,
    Petra

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  5. Mitten aus dem Leben ... mit viel Gespür, Zeit und Kraft. Aber genau dies ist es doch was das Leben so interessant macht und eben auch der Vorteil auf eigenen Füssen stehen zu dürfen. Ich denke Du bekommst das wunderbar hin, diese geliebte Achterbahn einer schreibenden, kreativen, unangepassten Autorin, Journalistin ....
    Liebe Grüsse Daniela

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  6. Entschuldigung... ich lese gerade im Beitrag "die richtige Schrift". Es gibt da eine Frage, von der ich nicht weiß, wo ich sie stellen soll. Ich habe ein Cover entworfen und dabei ganz unbedarft auf die Schriften zurückgegriffen, die ich auf dem Programm (ein altes Photoshop) vorgefunden habe. Darf ich das überhaupt? Und wo schlägt man nach, ob man eine Schrift verwenden darf?

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  7. Miri,
    es ist nicht immer ganz einfach, herauszufinden, ob man bei kommerzieller Verwendung (ein Buch) eine Schrift kostenpflichtig lizenzieren muss. *Normalerweise* sind die Grundausstattungen von Computerprogrammen frei, aber das gilt nur für die Grundausstattung, nicht wenn jemand zwischendurch Schriften aus dem Web oder von CD-ROM ins Programm geladen hat. "Kostenlose" Schriften auf CD-ROM sind meist nur für Privatgebrauch frei - das steht normalerweise im Beiheft.

    Um das für eine bestimmte Schrift herauszufinden, würde ich "Schriftname+Font" googeln und nachsehen.
    Es gibt außerdem "free fonts" / "kostenlose Schriften" im Web, manche Designer wollen eine Spende dafür, manche verschenken Schriftschnitte, auch da muss man einfach nachschauen. Diese kostenlosen Schriften haben leider oft kleine typografische Macken oder es fehlen Buchstaben, so dass sie nur bedingt für Profiarbeiten zu verwenden sind.

    *Kostenpflichtige* Schriften kaufe ich meist bei folgenden Links, da kann man auch nachschauen:
    http://www.myfonts.com
    http://www.linotype.com

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  8. Vielen Dank für deine ausführliche Antwort, das ist sehr nett von dir. Ich habe noch nie zusätzliche Schriften auf meinen PC installiert, auf die Idee bin ich gar nicht gekommen. Auf jeden Fall werde ich deinen Rat befolgen und nachsehen, was ich herausfinden kann.
    Ich wünsche dir nachträglich ein erfolgreiches neues Jahr. :)

    (Entschuldige, falls das hier ein Doppelpost werden sollte, da beim ersten Mal nichts erschien, habe ich es noch einmal versucht.)

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  9. Gern geschehen, Miri!
    Ich denke, wenn das die Schriften im Programm waren, kann nichts schiefgehen. Und danke für die guten Wünsche - gleichfalls!

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