Nebbe dr Kapp
So sagt man auf Badisch, wenn jemand neben sich selbst herläuft oder nicht ganz bei sich ist. Ein beliebter Zustand bei Schriftstellern, der einen grantig machen kann und ungenießbar. Mich trifft er vor allem beim "ersten Spatenstich", wenn ich vor der leeren Seite sitze und ein neues Buch anfangen muss. Wenn ich den Ton entwickeln und treffen möchte, wenn der erste Absatz schon grandios herauskommen soll und jeden Leser packen.
Natürlich, das weiß ich inzwischen aus Erfahrung, gelingt das nie. Eine Seite bleibt nämlich leer, wenn man nicht anfängt, irgend etwas zu tippen. Und ein Anfang kann noch so schön klingen - gegen Ende des Buchs schraubt man doch oft noch einmal daran herum. Meist entwickelt sich der Ton und der Atem eines Buchs erst nach vielen Seiten.
Jedenfalls laufe ich seit Wochen mit schämenswerten Ansätzen auf einer zum Glück längst nicht mehr weißen Seite herum. Ich komme nicht weiter, treffe den Ton nicht, bin unzufrieden und setze mich unter einen üblen Druck, der das ganze wohl auch noch behindert: Ich will Sponsoren für dieses Projekt suchen. Und für die brauche ich eine Leseprobe. Kann ja jeder kommen und behaupten, er schreibe ein unterstützenswertes Buch! Die Leseprobe muss aber diesmal richtig gut sein. Die muss packen. Der Maßstab hängt hoch: Wie mein Elsassbuch soll es literarisch zu lesen, aber gleichzeitig ein Reisebuch sein. Und noch ein wenig größer, tiefer gehender.
Nebbe dr Kapp ... Nichts hat geholfen, auch nicht die Bergwanderung in Idylle und Stille. Nicht die Dauergespräche mit Freunden und auch nicht das Ablenken und Recherchieren im Internet. Inzwischen bekomme ich auch noch so viel Stoff, dass ich ertrinke und nicht weiß, wie ich für eigentlich viel zu wenige Seiten eine Auswahl treffen soll. Und dann kommt hinzu, dass andere über mein Thema des ersten Kapitels viel besser Bescheid wissen als ich - nur in der falschen Sprache.
Offensichtlich war der Druck noch nicht zu groß. Gestern habe ich zum Glück die gesunde Panik bekommen. Ich erfuhr nämlich, vor was für Leuten ich im Herbst eine Rede zu eben diesem Thema halten soll. Zu einem ganz besonderen Ereignis von kultureller und politischer Bedeutung. Ich kleines Licht, das noch nicht einmal einen Buchanfang schafft! Aber Not macht mich immer erfinderisch. Ich kam nämlich auf die Idee, genau das auszureizen, dass ich ihm Prinzip nichts weiß und mich herantasten muss. Wenn ich nicht viel weiß, wissen andere mindestens genauso wenig. Ein Freund hat mich ganz kurios bestätigt und mich darauf gebracht, dass es mit dem Nijinsky und den Ballets Russes doch genauso funktionierte: Wie bringt man Leuten diesen Mythos nahe, die vielleicht nicht einmal Ahnung von Ballett haben?
Heute habe ich mich - immer noch leicht nebbe dr Kapp - in erzwungener Disziplin an den Computer gesetzt. Habe mich im Geist in die zu beschreibende Straße in Baden-Baden versetzt, habe imaginäre Leute mit mir mitgeschleift und ihnen erzählt, was ich sehe. Habe auf Würden und Wissen und sonstige höheren Ebenen gepfiffen und mir gedacht: Leute, ICH kenne diese Stadt von Kindesbeinen an - nicht ihr. Ihr kennt vielleicht euren berühmten Dichter und dessen Tagesablauf ganz genau. Aber ICH weiß, wo der arme Kerl einst gelandet ist, wie es da zuging und zugeht, weil man in diesem Landstrich nebbe dr Kapp sein darf.
Was soll ich sagen? Der miese Entwurf liegt im virtuellen Mülleimer. Es tippte sich das, was ich den Grundstein für ein neues Buch nenne. Ein Anfang, der bereits ein Konzept und einen Ton hat. Der Bestand haben wird, bis ich ihn am Ende noch einmal überarbeiten werde. Der Rest ist Eintauchen, Parallellesen des Recherchematerials, Beachten der Timeline und Personen und immer wieder dieses Zurückzwingen in die Vorstellung, ich würde ganz einfach ein paar Leute durch eine Straße führen und ihnen von alten Zeiten erzählen. Jetzt geht es in weiterer harter Disziplin nur erst einmal darum, das Kapitel heil zu überstehen. Es probelesen zu lassen, kritisieren zu lassen.
Denn diesmal wird der Ablauf ein ganz anderer sein als im Verlag üblich. Meine Übersetzerin liest gleich ebenfalls Kritik und macht sich dann mit meinem Feedback direkt an eine erste Übersetzung ins Russische. So ganz nebenbei (ich wünschte, ich hätte acht Arme und drei Hirne!) muss ich eine erste Budgettierung des Projekts versuchen, das zeitnah und als reichhaltig illustriertes Printbuch in deutscher und russischer Ausgabe erscheinen soll. Muss mir einfallen lassen, wie man an Sponsoren und später womöglich ins Crowdfunding geht. Denn diesmal werden die Kosten eine Nijinsky-Produktion bei weitem übersteigen, weil die Spezialarbeiten an Profis gegeben werden und die Übersetzung einen der größten Batzen verschlingen wird. Und ich muss mir einen Kopf um Verträge, rechtliche Formen und Abläufe machen.
Buchferne Arbeiten werden folgen. Im Herbst führe ich die Leserinnen einer österreichischen Zeitschrift auf den Spuren meines (noch ungeschriebenen) Buchs durch Baden-Baden - eine Tätigkeit, die nach Erscheinen noch interessanter würde. Dann ist da noch diese Sache mit der Rede.
Natürlich wäre es viel schöner und bequemer, wenn ich einfach "nur" schreiben könnte, wie man sich das unter Autoren oft vorstellt. Würde mir jemand anders jedoch all diese Arbeiten abnehmen, könnte ich nicht ein derartiges Projekt ins Leben rufen. Es funktioniert auf normalen Schienen nicht. Wo schreibt man ein Buch, das fast parallel fürs Ausland übersetzt wird, für eine Lizenz, die man selbst hält? Bequem ist langweilig. Ich bin wohl doch zu sehr Macherin. Und dann passieren diese kleinen eigenartigen Dinge. Es spricht sich herum, was ich bewege und ganz anders mache. Prompt kam eine Terminanfrage. Für ein neues Europaprojekt auf deutsch-französischer Ebene. Für das genau dieses Know-how gerade richtig kommt. Ich mag ungelegte Eier nie im Voraus beschreien, da bin ich abergläubisch. Aber ich grüble in meiner freien Zeit tatsächlich darüber nach, ob es nicht langsam Zeit wird, einen Verlag zu gründen. Wenn ich doch nur acht Arme und drei Hirne und Zeit hätte, mich auch da noch binational durch die Eventualitäten zu fressen!
Natürlich, das weiß ich inzwischen aus Erfahrung, gelingt das nie. Eine Seite bleibt nämlich leer, wenn man nicht anfängt, irgend etwas zu tippen. Und ein Anfang kann noch so schön klingen - gegen Ende des Buchs schraubt man doch oft noch einmal daran herum. Meist entwickelt sich der Ton und der Atem eines Buchs erst nach vielen Seiten.
Jedenfalls laufe ich seit Wochen mit schämenswerten Ansätzen auf einer zum Glück längst nicht mehr weißen Seite herum. Ich komme nicht weiter, treffe den Ton nicht, bin unzufrieden und setze mich unter einen üblen Druck, der das ganze wohl auch noch behindert: Ich will Sponsoren für dieses Projekt suchen. Und für die brauche ich eine Leseprobe. Kann ja jeder kommen und behaupten, er schreibe ein unterstützenswertes Buch! Die Leseprobe muss aber diesmal richtig gut sein. Die muss packen. Der Maßstab hängt hoch: Wie mein Elsassbuch soll es literarisch zu lesen, aber gleichzeitig ein Reisebuch sein. Und noch ein wenig größer, tiefer gehender.
Nebbe dr Kapp ... Nichts hat geholfen, auch nicht die Bergwanderung in Idylle und Stille. Nicht die Dauergespräche mit Freunden und auch nicht das Ablenken und Recherchieren im Internet. Inzwischen bekomme ich auch noch so viel Stoff, dass ich ertrinke und nicht weiß, wie ich für eigentlich viel zu wenige Seiten eine Auswahl treffen soll. Und dann kommt hinzu, dass andere über mein Thema des ersten Kapitels viel besser Bescheid wissen als ich - nur in der falschen Sprache.
Offensichtlich war der Druck noch nicht zu groß. Gestern habe ich zum Glück die gesunde Panik bekommen. Ich erfuhr nämlich, vor was für Leuten ich im Herbst eine Rede zu eben diesem Thema halten soll. Zu einem ganz besonderen Ereignis von kultureller und politischer Bedeutung. Ich kleines Licht, das noch nicht einmal einen Buchanfang schafft! Aber Not macht mich immer erfinderisch. Ich kam nämlich auf die Idee, genau das auszureizen, dass ich ihm Prinzip nichts weiß und mich herantasten muss. Wenn ich nicht viel weiß, wissen andere mindestens genauso wenig. Ein Freund hat mich ganz kurios bestätigt und mich darauf gebracht, dass es mit dem Nijinsky und den Ballets Russes doch genauso funktionierte: Wie bringt man Leuten diesen Mythos nahe, die vielleicht nicht einmal Ahnung von Ballett haben?
Heute habe ich mich - immer noch leicht nebbe dr Kapp - in erzwungener Disziplin an den Computer gesetzt. Habe mich im Geist in die zu beschreibende Straße in Baden-Baden versetzt, habe imaginäre Leute mit mir mitgeschleift und ihnen erzählt, was ich sehe. Habe auf Würden und Wissen und sonstige höheren Ebenen gepfiffen und mir gedacht: Leute, ICH kenne diese Stadt von Kindesbeinen an - nicht ihr. Ihr kennt vielleicht euren berühmten Dichter und dessen Tagesablauf ganz genau. Aber ICH weiß, wo der arme Kerl einst gelandet ist, wie es da zuging und zugeht, weil man in diesem Landstrich nebbe dr Kapp sein darf.
Was soll ich sagen? Der miese Entwurf liegt im virtuellen Mülleimer. Es tippte sich das, was ich den Grundstein für ein neues Buch nenne. Ein Anfang, der bereits ein Konzept und einen Ton hat. Der Bestand haben wird, bis ich ihn am Ende noch einmal überarbeiten werde. Der Rest ist Eintauchen, Parallellesen des Recherchematerials, Beachten der Timeline und Personen und immer wieder dieses Zurückzwingen in die Vorstellung, ich würde ganz einfach ein paar Leute durch eine Straße führen und ihnen von alten Zeiten erzählen. Jetzt geht es in weiterer harter Disziplin nur erst einmal darum, das Kapitel heil zu überstehen. Es probelesen zu lassen, kritisieren zu lassen.
Denn diesmal wird der Ablauf ein ganz anderer sein als im Verlag üblich. Meine Übersetzerin liest gleich ebenfalls Kritik und macht sich dann mit meinem Feedback direkt an eine erste Übersetzung ins Russische. So ganz nebenbei (ich wünschte, ich hätte acht Arme und drei Hirne!) muss ich eine erste Budgettierung des Projekts versuchen, das zeitnah und als reichhaltig illustriertes Printbuch in deutscher und russischer Ausgabe erscheinen soll. Muss mir einfallen lassen, wie man an Sponsoren und später womöglich ins Crowdfunding geht. Denn diesmal werden die Kosten eine Nijinsky-Produktion bei weitem übersteigen, weil die Spezialarbeiten an Profis gegeben werden und die Übersetzung einen der größten Batzen verschlingen wird. Und ich muss mir einen Kopf um Verträge, rechtliche Formen und Abläufe machen.
Buchferne Arbeiten werden folgen. Im Herbst führe ich die Leserinnen einer österreichischen Zeitschrift auf den Spuren meines (noch ungeschriebenen) Buchs durch Baden-Baden - eine Tätigkeit, die nach Erscheinen noch interessanter würde. Dann ist da noch diese Sache mit der Rede.
Natürlich wäre es viel schöner und bequemer, wenn ich einfach "nur" schreiben könnte, wie man sich das unter Autoren oft vorstellt. Würde mir jemand anders jedoch all diese Arbeiten abnehmen, könnte ich nicht ein derartiges Projekt ins Leben rufen. Es funktioniert auf normalen Schienen nicht. Wo schreibt man ein Buch, das fast parallel fürs Ausland übersetzt wird, für eine Lizenz, die man selbst hält? Bequem ist langweilig. Ich bin wohl doch zu sehr Macherin. Und dann passieren diese kleinen eigenartigen Dinge. Es spricht sich herum, was ich bewege und ganz anders mache. Prompt kam eine Terminanfrage. Für ein neues Europaprojekt auf deutsch-französischer Ebene. Für das genau dieses Know-how gerade richtig kommt. Ich mag ungelegte Eier nie im Voraus beschreien, da bin ich abergläubisch. Aber ich grüble in meiner freien Zeit tatsächlich darüber nach, ob es nicht langsam Zeit wird, einen Verlag zu gründen. Wenn ich doch nur acht Arme und drei Hirne und Zeit hätte, mich auch da noch binational durch die Eventualitäten zu fressen!
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