Guckbefehl
In meiner Vergangenheit gab es bereits einen solchen Film, der damals zum Kultfilm avancierte und tiefe Spuren hinterließ. Im Jahr 1982 kam Godfrey Reggios Meisterwerk Koyaanisqatsi in die Kinos, der schon allein als Bildkomposition mit der Musik von Philipp Glass hohe Filmkunst war. Vielleicht berührte er dadurch auch Menschen, die sich wichtigen Diskussionen bisher verschlossen hatten. Koyaanisqatsi blieb nicht Kult zum Sehen, er prägte eine ganze politische Generation bis hinein in grüne Politik.
Die Dokumentation, die ich gestern auf ARTE gesehen hat, hat meiner Meinung nach das Zeug, ein würdiger Nachfolger zu sein. Es ist die beste, klügste und eindrücklichste Dokumentation seither über den Zustand unserer Erde und das Verhalten der Menschen, die Verflechtungen unserer Art von Kapitalismus und die Möglichkeiten eines menschenwürdigen Überlebens. Man kann den Film nicht oft genug empfehlen und wahrscheinlich auch nicht oft genug anschauen. Der Film ist gnadenlos und doch ermutigend - denn es ist der Mensch, der den Schlüssel zur Zukunft seiner Spezies selbst in der Hand hat. Abgesehen vom Inhalt ist die Dokumentation ebenfalls meisterhaft gedreht und das Schlussbild wird sich nicht nur mir einbrennen.
"Surviving Progress", von Martin Scorsese produziert, von Mathieu Roy und Harold Crooks gemacht - im deutschen Titel "Endstation Fortschritt?" - ist auf ARTE noch sieben Tage online zu sehen und hat hier eine eigene Website. Die DVD soll im Oktober erscheinen. Und was für ein Service: Die Autoren bieten hier die volle Transkription des Films als pdf!
PS: Die faszinierende Schriftstellerin Margaret Atwood, die in letzter Zeit auch immer wieder mit Zukunfts- und Technikanalysen rund ums Buch glänzt, zeigt als eine der Interviewpartnerinnen im Film, dass Schriftsteller sehr viel mehr bewegen können als nur Bücher zu schreiben.
Die Doku soll am Sonntag vormittag offensichtlich wiederholt werden, sagte mir jemand - siehe ARTE Programm.
AntwortenLöschenLiebe Petra,
AntwortenLöschendanke für den Tipp!
Wenn ich eines Tages in einem anderen Leben auf einem anderen Planeten mein Buch schreibe:
Wie ich zum Misanthropen wurde
mit dem Untertitel:
Ich war sehr früh davon überzeugt, dass die Menschen ihren Lebensraum und sich selbst zerstören werden,
.
werde ich diesen Film, wie einige andere schon als Anschauungsmaterial anhängen. Filme mit diesem Tenor gibt es ja schon seit vielen Jahrzehnten. Wie viele Bücher auch. Man kann ja wegschauen, nicht lesen oder nicken und schnell wieder verdrängen.
Leider werde ich dann als erste "Amazonkritik" den Kommentar bekommen: "Du warst doch auch nicht besser - Mensch Heinrich!"
Oh, lieber Heinrich,
AntwortenLöschensie machen einem ja Depressionen am Mittag ;-)
Ich würde die Sache nicht ganz so pessimistisch sehen. Viele Katastrophenängste der vergangenen Jahrzehnte waren auch insofern gut in Filmen dargestellt, als sie tatsächlich zu Umdenken und öffentlichen Diskussionen / Handlungen führten. Die Anti-Atomkraftbewegung, die Friedensbewegung, Gedanken über Umweltschutz, "grüne" Politik - all das wäre nie auf so breiter Basis entstanden, wenn nicht Filme wie Koyanisqatsi oder bahnbrechende Berichte des Club of Rome regelrecht "Kult" geworden wären.
Und gerade wenn man diese alten Berichte dann liest, stellt man plötzlich fest, dass sich die Erde noch dreht, dass Probleme gelöst wurden, andere Probleme dafür auftraten und dass sich der Mensch auch tüchtig irren kann. Heute wissen wir, dass das Waldsterben, das es in allen Sprachen nur als deutsches Lehnwort gibt, eher ein Medienereignis war denn Realität. Die Ursache ist beseitigt und der Wald krankt an völlig anderen Dingen.
Das eigentlich Perfide ist, dass wir nicht mehr beurteilen können, wann drohende Katastrophen nur Instrumente von Lobbyisten sind, die vielleicht plötzlich ganze Auwälder niedermähen dürfen für einen Solarpark oder Häuser in giftigen, brandgefährlichen Sondermüll verpacken. "Klimakatastrophe" verkauft sich für alles, ob sie nun so existiert wie das Waldsterben oder nicht. Auch sie ist längst Teil des Kapitalismus.
Genau deshalb sind solche Filme aber umso wichtiger: Sie leiten dazu an, über das Wesen des Menschen und von uns selbst kritisch nachzudenken. Sie machen Mut, Dinge zu hinterfragen und damit umgehen zu lernen, dass wir des Irrens fähig, endlich und zutiefst menschlich sind.
Wir können die Welt nicht global revolutionieren, aber im Alltag haben wir doch immer wieder Entscheidungsmöglichkeiten ... die kompliziert sind, weil die Verflechtungen so ungeheuer komplex sind. Was da so läuft, das hat der Film wirklich gut erklärt.
Schöne Grüße,
Petra
Ich bitte um Verzeihung, in dem Zusammenhang auf ein von rezensiertes Buch zu verweisen:
AntwortenLöschenhttp://nomasliteraturblog.wordpress.com/2012/06/12/schwarzbuch-wwf-dunkle-geschafte-im-zeichen-des-panda/
Nach der Letüre dieses Buches sollte jeder endgültig erschüttert sein.
Herzlichen Dank für den Tipp, das passt hier wunderbar rein!!!
AntwortenLöschen