Der russische Stöpsel

Mit zunehmendem Alter werde ich abenteuerlustig. Mit zunehmendem Abenteuer werde ich Alte lustig. Wie auch immer ... gestern verlebte ich eine äußerst spannende Nacht. Denn auch mein Auto kommt langsam böse in die Jahre. Es fährt mit Sprit, der Drohung, dass ich kein Geld für ein neues habe - und regelmäßigem Nachgießen von allerlei Flüssigkeiten, die sich viel schneller verflüssigen als früher. Vor einer längeren Fahrt mache ich den Deckel auf und päppele die Maschinerie - und so goss ich gestern brav Kühlflüssigkeit nach. Bei 35 Grad durchaus angemessen. Was dann passierte, umschrieb meine Freundin später so: "Jeder Mensch, der eine besondere Begabung hat, hat irgendwo anders ein Defizit. Das deine ist wohl dieses ..." Aber erzählen wir der Reihe nach ...

Ich kam abends gut in Baden-Baden an. Aber als ich den Parkplatz in der Tiefgarage erreichte und den Zündschlüssel abdrehte, hörte ich nicht etwa den Ventilator nachdrehen, sondern einen riesigen Kochtopf blubbern. Das konnte unmöglich mein Auto sein, ich kochte ganz bestimmt keine Spaghetti! Aber Dampf aus dem Deckel vorn ließ mich Übles ahnen ... und völlig ruhig bleiben. Das hatte ich doch schon einmal, dass die Kühlflüssigkeit einfach weg war. Ich würde vor der Heimfahrt einfach Wasser nachgießen. Komisch war das aber schon, dass mein Auto noch ein Weilchen blubberte und darunter ziemlich viel Wasser abfloss. Ob so ein Kühler überlaufen kann?, fragte sich der Technik-Blödi in mir. Und die Frau in mir blieb obercool.

Gegen Mitternacht war Baden-Baden auch für mehrere Frauen nicht mehr ganz so gemütlich. Unwahrscheinlich viele angeheiterte bis zugesoffene Typen trieben sich krakeelend in der Innenstadt herum, obwohl Fußball doch eigentlich gestern war? Die Überraschung unter dem Motordeckel ließ meine Laune dann vollends sinken. Der Behälter für Kühlflüssigkeit war leer. Er hatte nämlich gar keinen Deckel! Kein Wunder war der Rest herausgeschwappt, als es auf die Schräge nach unten ging! Was tun? Ich hätte mich ohrfeigen können! Wahrscheinlich hatte ich in meiner Ordentlichkeit, dringend vor einem Termin noch nachfüllen zu wollen, den Deckel nicht richtig aufgeschraubt. Hatte ich ihn überhaupt aufgeschraubt? Das war es wohl, was meine Freundin mit dem Defizit meinte: Ich kann, wenn ich mich voll auf etwas konzentriere, ungeheuer schusslig mit "Nebensächlichkeiten" sein.

Für über eine Stunde Fahrt musste natürlich dringend ein Deckel her! Meine russische Freundin, bei der ich in der Not zu jeder Tages- und Nachtzeit vor der Tür stehen darf, durchwühlte sofort ihre Küche. Schlau wie Frauen sind, hatte ich vorher die Durchmesser der Öffnungen auf einem Blatt Papier abgezeichnet. Das innere Loch war etwas zu groß für einen Weinkorken, das äußere zu klein für die meisten Verschlüsse. Mit einer abenteuerlichen Deckelsammlung lief ich zurück zu meinem Auto. Darunter hatte ich ein wahres Mordwerkzeug, das so schwer in der Hand lag, dass ich es auch als Waffe hätte benutzen können. "Nimm das, wenn alles nichts hilft, das wird von der Mitte an größer als ein Weinkorken. Mein Sohn hat sowieso gesagt, das sei ein lebensgefährliches Material, ich solle das wegwerfen."

Eine Waffe für alle Fälle - und ladylike!
 Nachts um halb ein Uhr war ich mit meiner klappernden Tüte und dem Mordpickel zurück in der Tiefgarage. Doch keiner der mitgebrachten Verschlüsse wollte wirklich halten! Mein erster Gedanke war Kaugummi. Aber würde ich den bei diesen Schickimickitypen schnorren können, die sichtlich aus dem Casino kamen? Nein. Selbst ist die Frau. Sehnsüchtig dachte ich an die Zeiten in Polen, wo ich noch mit einem echten Polonez bei über 20 Grad minus unterwegs war. Das Ding fuhr sich wie ein Panzer, war aber im Notfall immer mit Kaugummi, Kochtopfdeckeln oder Damenstrumpfhosen provisorisch in Gang zu bringen. Nein, Kaugummi würde bei 35 Grad womöglich nichts bringen. Und leider wäre der russische Stöpsel allzu tief  im Innenloch verschwunden und hätte zudem abgedichtet werden müssen. Mit Kaugummi zum Beispiel.

Irgend ein Deckel von irgend etwas Eingemachtem rettete mich dann. Und ein riesig netter Herr mit Riesenschlitten, der extra noch einmal mit seiner Frau zurückkam, um zu fragen, ob sie mir helfen könnten (so kann man sich in Äußerlichkeitern täuschen). Der fragte mich nach einem Lappen, stopfte flugs mein Fensterleder unter den Deckel und drehte das Ding bombenfest auf. "Früher haben wir das mit Kaugummi gemacht", meinte er und grinste.

Nie habe ich Schwarzwaldstraßen mehr verflucht: Was da alles auslaufen kann! Und alle hielten mich für verrückt: Wie kannst du nur in so einem Zustand nachts alleine durch die Wälder fahren? Nun, im Notfall kühlt Waldluft am besten ...

Nein, der Deckel lag leider nicht zu Hause auf dem Boden herum. Das Auto kochte bei der Ankunft keine Spaghetti. Dafür hat die Garagistin heute am Telefon erst einmal gekichert und mir eine Reise durch elsässische Schrottplätze vorgeschlagen. Wenn die denn überhaupt so ein Auto da hätten, denn seit der Abwrackprämie sei alles Mus. Zeit ist Geld. Und drum habe ich einen gemeinsamen Kichertermin ausgemacht, um einen Deckel zu bestellen. Bei der Gelegenheit lasse ich dann auch das Kühlsystem checken, denn Spaghetti mit Kaugummi sind nicht so mein Ding. "Siehst du", meinte meine Freundin, "so hat das lebensgefährliche Ding sogar lebensrettend gewirkt, ein gutes Ende!" Ich werde den russischen Stöpsel Dan Rocco*** schenken, der ganz sicher einen "Tatort Moskau" daraus machen kann, Arbeitstitel "Blei im Hirn".

*** Dan Rocco schreibt bereits an Folge zwei seiner Schnellkrimis. Einen durchgeknallten "Tatort Moskau" mit dem Titel "Gucci-Park" kann man bereits in "Rouge & Revolver" lesen.

6 Kommentare:

  1. Uiuiui, Petra, das war aber abenteuerlich! Aber es gibt nichts, was nicht zu bewältigen wäre, notfalls mit Humor!:-)

    Herzlichst
    Christa

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  2. ... und mit hilfsbereiten Menschen!

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  3. Gar kein Blödi, diese Frau! Schlau und mutig!

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  4. Echt? Ich würde das verzweifelt und angstdefekt nennen. Da sieht man mal, wie man sich selbst schlechtmachen kann ;-)
    Was das Improvisieren betrifft, möchte ich die vier Jahre im Polen der frühen 1990er nie mehr missen!

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  5. Interessant, dass die Kaugummivariante so weite Verbreitung findet. Ich wäre übrigens auch mit so einer Frickellösung nachts durch die Pampa kutschiert. ;)

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  6. Lustig auch, was für Autos heutige Superschlittenfahrer in ihrer Jugend wohl mal hatten ;-)
    Wir haben das Ereignis übrigens gerade in der Werkstatt nachgestellt, ohne Deckel wird der Behälter tatsächlich ganz schnell zum Kochtopf ...

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