Rosa Rauschen

Es soll Schriftsteller geben, die sich zum Schreiben Hardrock um die Ohren ballern. Im Allgemeinen zählen Schriftsteller jedoch zur eher lärmempfindlichen, weil hochkonzentriert arbeitenden Spezies. Und im Besonderen sind sie genau dann um Ruhe besorgt, wenn Termine drohen.

Morgen soll ich eine Rede vor Journalisten halten, von der noch kein Satz steht (wird auch morgen nicht, weil ich Reden ja doch immer todesmutig improvisiere). Und gleichzeitig droht der Abgabetermin für die Bewerbung um ein Stipendium, die noch besser sitzen sollte als eine bei Verlagen. Immerhin, der typisch französische Osterlärm Marke "wir spielen Strand von La Grande Motte" ist abgeebbt. Meine Fenster standen sperrangelweit auf - bis eben.

Jetzt haben sie an Nachbars Haus ein Gerüst hochgezogen, von dem ein türkischer Patriarch mit Donnerstimme seinen in unterschiedlichen Stimmlagen ebenfalls donnernden Clan kommandiert und mit einem Opernglas wahrscheinlich gleich an meinem Bildschirm mitlesen könnte. Damit es mir nicht zu wohl wird, bauen sie beim anderen Nachbarn gerade am Zaun eine Kreissäge auf für irgendwelchen Innenausbau. Damit man die Kreissäge nicht so hört, schallt lauter Discostampf aus dem Auto.

Wie überstehen das andere? Wie schreiben Kollegen Termintext unter erschwerten Stillebedingungen? Jonathan Frantzen hat sein Geheimnis einmal im Fernsehen gelüftet. Er ist so einer, der nur in absoluter Stille kann und für den ein Aufenthaltsstipendium im Bahnwärterhäuschen die Hölle wäre. Weil es aber in New York nie Stille gibt, setzt er sich Rosa Rauschen aufs Ohr.

Ich wollte das natürlich auch, fand es zum kostenlosen Download. Ursprünglich wurde das Geräusch, korrekt 1/f-Rauschen genannt, im Tonstudio als Referenzsignal benutzt, bis man es für die Tinnitustherapie entdeckte. In der Wikipedia heißt es so schön:
"In der Akustik wird das 1/f-Rauschen als ein Geräusch empfunden, bei dem ein durchschnittlicher Mensch alle Frequenzbereiche des hörbaren Schallspektrums etwa gleich laut empfindet." Gleich laut. Nicht gleich still.

Andere versprechen vollmundig gar salbungsvolle Wirkungen auf die Hirnwellen und extra beschwingtes Lernen, idyllisch wie ein Wasserfall soll es sich anhören. Entspannung pur, Kreativitätsbeschleuniger hoch drei, könnte man meinen. (Warum aber braucht dann Jonathan Frantzen so lange für ein Buch?)

Und dann habe ich mir das Zeug unter obigem Downloadlink mal angehört. Danke. Da nehme ich doch lieber die Kreissäge als Soprano continuo und lass den türkischen Patriarchen zum Stampfstampfkreisch zünftig rappen - im Chor mit seinem Clan, abgemischt mit etwas Hundebellen von Rocco. Strawinsky hätte daran seine helle Freude gehabt und würde noch ein Horn dagegen setzen. Und wie war gleich noch mal die Melodie meines Textes?

3 Kommentare:

  1. Christine14/4/09 15:25

    "Wie überstehen das andere? Wie schreiben Kollegen Termintext unter erschwerten Stillebedingungen?"

    Für mich gibt es nur zwei Auswege:
    1. Ohropax und zur Not noch Kopfhörer drüber.

    2. Weggehen. Woanders hingehen, dorthin, wo's ruhig ist.

    Da hab ich jahrelange Erfahrung :-)

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  2. ad 1.)
    Wie kriegst du dann das laute Rauschen des Blutes weg? ;-)

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  3. Christine14/4/09 17:32

    Ich nehme es nicht wahr. Höre von anderen, dass sie es wahrnehmen, ich aber nicht. Liegt vielleicht an der ausgefeilten Verstöpselungstechnik :-)

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