Menschen ohne Bücher

Als ich in Polen lebte, ging ein Witz um: Woran erkennt man die neureichen Typen von der Mafia? Antwort: Sie haben ein Buch im Haus; wenn sie verheiratet sind, zwei.
Wie das?
Ganz einfach: Das eine Buch ist das Telefonbuch. Wenn sie heiraten, bekommen sie eine Bibel geschenkt.

Kürzlich besuchte ich Leute mit einem Dreijährigen, keine Neureichs, Arbeitermilieu. Stolz zeigten sie mir ihre neue Wohnung, in der ich eines nicht sah: Bücher. Dafür lief auch am späten Abend vor dem Kleinen in Dauerberieselung ein riesiger Flachbildfernseher. Er wurde auch trotz des Besuchs nicht leiser gedreht.

Der Kleine hat Fantasie und wir erzählten uns Geschichten über seine Plüschtiere. Nicht lange. Die Mutter fuhr ihn an, er solle mich nicht so anlügen, das sei doch alles erfunden. Durfte ich ihre Erziehung zunichte machen, indem ich zugab, auch ich könne Plüschtiere verstehen? Der Kleine tat mir leid, jeder Ansatz zu einem Erzähltalent wurde von den Eltern sofort im Keim erstickt. Das ist nicht wahr, das ist erfunden, das ist erlogen. Daneben lief die vermeintliche Realität und Wahrheit der Glotze. Und dann sagte ihm Papa, dass er, wenn er groß sei, richtig anpacken müsse und feste arbeiten, in einem richtigen Job, um seine Eltern zu ernähren. Weil von Nichts kommt nichts. Und dafür brauche man so ein Gedöns nicht.

Der Kleine zeigte mir dann stolz, dass er bei der Tagesmutter gerade mit Großbuchstaben schreiben lernt und seinen Namen buchstabieren kann. Ihm fiel dann leider das A auf die Nase. Sofort kamen oberlehrerhaft die Eltern: Das schreibst du noch mal! Ich habe gar nicht reagiert. Hab ihm erzählt, sein A sei irgendwie müde. Und dann habe ich ein Bett mit flauschigen Kissen drumherum gezeichnet und der Kleine hat begeistert gelacht. Dann hab ich einen Wecker imitiert und gemeint, es sei nun ausgeschlafen am frühen Morgen. Ob er es nicht aufstehen lassen mag. Mit unbändigem Spaß hat er sein A aus dem Bett steigen lassen und prompt fand es den richtigen Platz im Namen, wach und aufrecht.

Es ist so einfach, Kindern Freude am Lesen und Schreiben zu vermitteln, weil sie noch alles spielerisch mit Spaß entdecken können. Aber es ist leider noch viel viel einfacher, Talente und Lernfreude im Keim zu ersticken. Da wachsen unsere LeserInnen von morgen heran. Ich glaube, ich muss da noch öfter ein wenig subversiv einwirken...

2 Kommentare:

  1. Amen!

    Auch falls es erfunden ist: Leider eine Szene aus der häufigen Realität.

    Immer grausig...

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  2. Leider ist da nichts erfunden, Marco! Ich habe nur die Leute unkenntlich gemacht.

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