Der Spreißel ist raus!

Freudengebrüll. Endlich. Es war eine verdammt schwere Geburt. Die Wehen: Selbstzweifel, Hitzenebel im Hirn, Versagensängste. Dann dieses "du kriegst diese Themen nie und nimmer zusammen, das ist zu schräg, die passen nicht!" Zum Glück kenne ich diesen Zustand, in dem ich unleidlich werde, vom Bücherschreiben. Es ist diese Phase zwischen einer noch schwammigen Idee und dem Ausformulieren des Exposés für die Agentur. Das Bangen, ob dort der Daumen hoch oder runter geht. Die Selbstzweifel in dieser Phase sind relativ gesund: Sie helfen, das Beste zu geben. Aber auch, nicht größenwahnsinnig aufzutreten und sich innerlich darauf vorzubereiten, falls es schief läuft.


In meinem Kopf summten seit langem ungeordnet die Gedanken und ich kam einfach nicht zu Potte. Jetzt endlich mit der Abkühlung draußen sind sie bienenfein. Traditioneller Bienenkorb im Maison Rurale, der mit Brombeerranken gebunden wurde.


Es kam, wie es immer kommt, durch offene Sinne, intensive Wahrnehmung und irre viel Zufall. Ich las bei der Morgenlektüre einen Satz, in dem ein Teil meines zweiten Themas in einem Buch neben dem ersten stand. Ha, es geht also, das zusammen zu denken! Es dudelte Pink Floyds Meddle und gurgelte der Wasserkocher, während ich im Affenzack ein riesiges Stück Papier mit meinem Konzept füllte. Das floss nur so heraus. Wie ein Puzzle fügten sich die angeblich nicht passen wollenden Teilchen zusammen und der Kaffee war rechtzeitig fertig für diesen einen einzigen Satz, den ich für mich immer schreibe, um ein neues Projekt zu pitchen.


Dann ein scharfer Schmerz im Zeigefinger, kurz, aber mächtig. Der Spreißel, der dort seit einer Woche saß und den ich nicht herausbekam, meldete sich. Das Ende eines Brombeerstachels, der die Zeit meines Haderns und Zauderns begleitet hatte. Er schaute aus der Haut heraus, schob sich von selbst nach draußen. Alle Probleme gelöst - Spreißel draußen.


Und was macht die vom Stachel und den Sorgen Befreite? Denkt über den Spreißel und die Brombeeren nach und hat schon wieder eine tolle Geschichte auf Lager. Einfach mal auf die Brombeere gehört, die sich hier gerächt hatte, weil ich sie rodete. Es fängt an, ich bin "drin". Die angenehm abgekühlte Luft und der sanft rieselnde Landregen tun ihr Übriges: Ich notiere mir die Finger wund. Muss ich aber auch, ich brauche viel viel Stoff im Voraus.


Ach ja, die Brombeeren. Es gibt bei uns einen uralten Bauernspruch, dass nach einer besonders reichen Brombeerernte der Winter besonders kalt würde. Kann man als Aberglauben abtun. Kann man drüber lachen, weil es heutzutage meist nicht hinhaut. Wenn man aber nachschaut, warum die Pflanze in manchen Jahren mehr oder weniger trägt, kommt man auf die Bestäuberinnen und die Konditionen für deren Arbeit. Die Früchte bilden sich nämlich nur bei Befruchtung aus. Und schon springen wir mit dem Spruch in ein ungeheuer modernes Thema: Klimawandel und Artensterben.

 

Es ist nämlich nicht etwa der Spruch, der blöd oder unsinnig wäre - er ist schlicht eine in Worte gefasste Beobachtung früherer Menschen, die eng mit dem Wechsel der Jahreszeiten und Natur zusammenlebten, die darauf angewiesen waren, die Natur genau zu beobachten. Die womöglich selbst Bienen hielten, wie das oft in traditionellen Höfen der Fall war: Mensch und Biene lebten zusammen, verbunden durch mythische Erzählungen wir räumliche Nähe. Selbst die Bienenkörbe wurden mithilfe von Brombeerranken hergestellt, aus Gründen. Der Spruch funktioniert nur deshalb nicht mehr, weil das Klima sich brutal verändert hat und die Zahl der Bestäuberinnen extrem schwankt, durch Menscheneinflüsse. Die tiefe Wahrheit dahinter zwischen den Verbindungen, dem Miteinander, der Gegenseitigkeit - die gilt noch heute. Ist aber offenbar verschütt gegangen.


Kurzum, der Groschen für mein Podcastprojekt ist endlich gefallen. Am Wochenende entscheide ich mich fürs Equipment und bestelle es. Richte mir eine kleine Studioecke ein. Die Hauptarbeit beginnt schon heute: Themen sammeln, Episoden planen, recherchieren, das Gesamtkonzept erstellen. Titel suchen, Logo kreieren, Technik und Plattformen etc. planen. Website endlich mal neu aufsetzen.

 

Anders als beim Bloggen ist das jetzt richtig harte journalistische Arbeit. Und sie macht verdammt viel Spaß. Der Themenspagat: Ich will Natur, Kulturerbe und Kunst zusammenbringen. Freue mich schon auf die kühleren Tage jetzt, um einmal ohne Menschenmassen wieder durch unser Kuturerbezentrum zu streifen, denn da verstecken sich die tollen Geschichten in jedem Winkel, in jeder Schublade. Und ich darf die als Mitarbeiterin ja aufziehen.

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