Von der Kornmutter zum Billigbenzin

In loser Reihenfolge möchte ich Inspirierendes teilen, das mich persönlich berührt hat und von dem ich glaube, dass es uns beim Nachdenken über die Zukunft weiter bringt als alles Jammern und Kritikastern. Grundsätzlich möchte ich schon einmal die Plattform empfehlen, von der die heutige Folge kommt: The Emergence Magazine mit einer Reihe von Podcasts, die man auch lesen kann. Ich habe den Newsletter abonniert, um keine Folge zu verpassen. Es geht - nicht nur - um Mais.

Ich selbst lebe in einem Landstrich mit viel Maismonokultur. Idyllisch sieht so etwas nur von weitem aus, von nah betrachtet zerstört der Maisanbau dieser Art Böden, ökologisches Gleichgewicht, die Artenvielfalt bei Wildpflanzen, Insekten, Vögeln, Tieren - und die Strukturen bäuerlichen Lebens.


"Corn Tastes Better on The Honor System" von Robin Wall Kimmerer klingt zunächst fremd, ungewohnt - ein Titel, der uns nicht mit billigem Clickbait hineinzieht. Und der sich erst gegen Ende im ganzen Umfang erschließt.
Man sollte sich - beim Zuhören - eine knappe Stunde Zeit und Ruhe nehmen. Ruhe vor allem, denn der Text ist so poetisch wie dicht zugleich, vorgetragen von einer Stimme, die alle Hektik wegwischt.

In diesem Podcast zum Genießen und Nachdenken erzählt die Autorin Robin Wall Kimmerer einfach Geschichten vom Mais. Der Lesetext ist illustriert mit Papierkunst von Suus Hessling. Nature Writing at its Best. Denn aus diesen scheinbar zufällig wirkenden Anekdoten vom leckeren Essen, guten Ernten und archäologischem Popcorn entwickelt sich im Kontext ein Nachdenken über Natur und Technologie, Kulturtechniken und Industrialisierung. Wohltuend: Nichts wird gegeneinander ausgespielt, es gibt kein Schwarzweiß. Was der Mensch heute versucht, hat er in grauen Vorzeiten mit weniger Mitteln schon gemacht. Der Mensch strebt nach Besserem und hat damit manch Unheil gebracht, aber vieles tatsächlich verbessert. Wo also ist die Grenze, wann kippt ein System?

Es entwickelt sich langsam im Text. Robin Wall Kimmerer ist nicht irgendwer - sie weiß genau, wovon sie redet. Als Wissenschaftlerin und Professorin für Umweltbiologie kennt sie sich mit allen Entwicklungen und Folgen des Maisanbaus aus. Als Mitglied der Potawatomi Nation hat sie den Zugang zu alten Mythen und indigenem Wissen, kennt einen völlig anderen Umgang mit Landwirtschaft.

Und darum erzählt sie uns genauso selbstverständlich vom Glauben an die Kornmutter, die alle nährt, wie von Gentechnologie, von historischer Pflanzenzucht und traditionellem Ackerbau genauso wie von den Folgen Monsantos. Sie schafft es, Perspektiven zu verrücken.

Wenn wir uns von diesem sehr eigenen Text tragen lassen aus einer Zeit, die viele von uns noch als vermeintliche Idylle kannten - bis hin zur kompletten Industrialisierung der Landwirtschaft, dann werden wir uns plötzlich der Zusammenhänge klar, die wir bei diesem Thema nicht vermuteten: Das Industrielle heute hat mit Kolonialisierung zu tun. Mit Abspaltung, Entfremdung, einer immensen Blindheit gegenüber Zusammenhängen. Die "Kornmutter" lässt uns aber auch schmerzlich fühlen, dass unsere moderne Gesellschaft mit dem Boden, mit der Erde eigentlich nicht anders umgeht als mit Frauen ... Wenn wir so weitermachen, wird intakter Boden das Schicksal menschlicher Minderheiten teilen.

Der Text macht nicht hoffnungslos. Er zeigt uns: Wonach wir uns insgeheim sehnen, das zeigt uns Lösungswege. Wir können aus einer komplett industrialisierten Landwirtschaft aussteigen und trotzdem mit hilfreichen Technologien und modernem wissenschaftlichen Wissen arbeiten. Wir müssen nicht zurück in heile Welten aus Märchen - denn die hat es nie gegeben. Der Mensch züchtete und veränderte, strebte nach Wissen und Verbesserungen in diesem Bereich seit der neolithischen Revolution. Es ist auch nicht alles so "böse", wie wir manchmal glauben. Hier räumt sie z.B. mit dem Vorurteil auf, es werde so viel Mais als Tierfutter und Menschennahrung gebraucht. Die Wirklichkeit ist noch viel haarsträubender: Es wird für Billigbenzin mehr Mais verwendet als für Tier- und Menschenfutter zusammen! Die Autos der reichen Welt fressen die Ressourcen, die Böden, die Luft ... Für Mensch und Vieh wäre mehr als genug da, auf viel weniger Fläche, in viel geringeren Mengen!

Wer einmal nicht die üblichen Aufregerartikel lesen möchte, wer genug hat von alarmistischen Facebooksprüchen - diese Podcastfolge geht poetisch und wohltuend in die Tiefe und gibt einem das Gefühl, hinterher innerlich reicher zu sein. Er gibt einem das Gefühl, mit der nötigen inneren Ruhe in sich selbst nachzuforschen zu können, wie diese zukünftige Welt aushaltbar verändert werden könnte und wo wir heute sofort damit anfangen könnten. Dazu macht solches Denken Mut.

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