Macht euch nicht gemein!
Weihnachten ist ein Familienfest, ein Fest der Gastfreundschaft und des Überflusses. Da isst man Fleisch, wenn man sich das vielleicht sonst fast nie leisten kann; da säuft man mit Lust, auch wenn man sonst streckenweise nie Alkohol trinkt. Oder man isst eben kein Fleisch und bleibt trocken - aber tischt dafür den Gästen alles auf. Es wäre nämlich ungehörig und ein Verbrechen gegen die Gastfreundschaft, seinen Gästen auch nur irgendetwas vorzuenthalten. Und natürlich bekommen diejenigen, die etwas nicht essen oder trinken oder vertragen, Ersatz. Ist normal. Vorwürfe macht man niemandem. Jede/r gehört dazu. Alle sind eins.
Ich frage mich, wie solche Miesepeter bei Facebook oder Twitter das im Privatleben halten. Aber ich will es gar nicht genau wissen. Es wurde und wird ja weiter gemiesepetert. Da drischt nämlich die eine Seite auf die andere und umgekehrt. Selbst aufgeklärte Zeitgenossen finden immer mehr Themen, über die sie sich auskotzen möchten. Kann man mal machen. Vom Überdruss der Kotztütenverteiler habe ich auch schon zur Genüge geschrieben.
Es gibt da diesen schönen deutschen Ausdruck:
sich mit etwas / jemandem gemein machenDas bedeutet: "sich auf die gleiche Stufe stellen mit etwas / jemandem", allerdings im abwertenden Sinn - dieses Etwas, dieser Jemand gilt als niedriger stehend, oder wie es der Duden formuliert: "sich mit jemandem, der als sozial oder moralisch tiefer stehend angesehen wird, in freundschaftlicher Verbindung auf die gleiche Stufe stellen." Ein ordentlicher Mensch tut sowas also nicht. Und ein ordentlicher Mensch in Social Media bleibe überhaupt am besten ewig auf dem hohen Ross sitzen, mache sich mit niemandem gemein und reite außerhalb der Gemeinschaft.
Dementsprechend stehen im Duden dann Nebenbegriffe der negativen Art wie Gemeinheit oder Gemeinkosten. Aber da gibt es auch den Gemeinnutzen und die Gemeinnützigkeit und immer wieder dieses seltsame Ding namens Gemeinschaft. Übrig bliebe von allem das "gemein" und das ist ein sehr gemeines Wort, weil es doppeldeutig sein kann. In altertümlicher Sprache heißt es nämlich soviel wie gemeinsam im Sinne von "herkömmlich". Der Gemeine Homo sapiens ist schlicht die herkömmliche Art, die allgemein verbreitete. Kennen wir von "der Gemeine Holzbock" oder "der Gemeine Stechapfel". Weder Holzbock noch Stechapfel wollen uns ans Leder, sie zählen lediglich zur überall vorkommenden Art, nicht zu den etwas selteneren Unterarten. Kann man daran erkennen, dass man das "Gemein" als Gattungsbegriff groß schreibt.
Im Gegensatz zu Holzbock und Stechapfel kann aber nun der Gemeine Homo sapiens tatsächlich richtig gemein sein. Also niederträchtig, übel ordinär oder "in empörender Weise" alles mögliche Schlimme. So wie diese Typen, die mich über die Festtage in Social Media so richtig genervt hätten, wenn es sich denn lohnen würde, sich mit diesen gemein zu machen. Aber ich will ja nicht gemein werden! Ich will mich nicht gemein machen - im doppelten Wortsinn.
Was dieses Wortgeplänkel soll? Vielleicht wird dabei deutlich, dass wir dringend etwas ganz anderes brauchen. In manchen Kreisen sagt man dazu "Narrativ".
Es funktioniert einfach nicht, wenn wir mit den gleichen Waffen hochrüsten und zurückschlagen. Es bringt die Welt kein Stückchen weiter, wenn wir auf Vorwürfe mit Gegenvorwürfen antworten und auf Hohn mit Hass.
Was ich mir für dieses Jahr wünsche, sind mehr Versuche und mutige Experimente, den ewigen Provokationen und der Hysteriespirale etwas Unerwartetes entgegenzusetzen: weiterführende Fragen, Ermutigungen oder Lösungsansätze und Lösungen.
Man kann diesen ewigen Nörglern und Bruddlern und Misanthropen nämlich den Wind aus den Segeln nehmen, indem man einfach unerwartet reagiert, ihre Erwartungen absolut nicht erfüllt. Und bei denjenigen, wo alles zu spät ist, hilft ein sauberer Schnitt. Ich habe mich früher nicht neben den Krakeeler an den Stammtisch gesetzt, ich muss das auch virtuell nicht tun. Das fröhlich-eklige gegenseitige Draufhauen hat nämlich zwei Wirkungen, die wir uns und unserer Welt eigentlich nicht antun sollten: Irgendwann sind wir im Erregungsgestöber nämlich so außer uns, dass wir nicht mehr wissen, wie sich das anfühlt: bei sich sein.
Ich muss ganz bei mir sein, in mir ruhen können, um das Außen ruhig und gelassen anschauen zu können, ohne gleich ständig alles werten zu wollen. Dazu braucht man nicht einmal spirituelle Systeme oder Meditation. Jeder kennt das: Wenn ich wütend nach draußen dampfe, sehe ich den Baum am Straßenrand nicht mehr. Wenn ich meinen Adrenalinspiegel hochtreibe und wütend alles voller Probleme und Widrigkeiten wahrnehme, sehe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Menschen, die sich häufig in solchen Zuständen befinden, nehmen nicht nur sich selbst als Körper kaum noch wahr, sie nehmen auch Natur nicht mehr wahr - diese Erfahrung mache ich im Naturpark oft. Man muss solche Leute erst einmal wie einen Dampfkochtopf vorsichtig abschalten und ausdampfen lassen.
Nicht mehr bei sich sein zu können, hat außerdem eine fatale politische Dimension (lesenwerter Artikel dazu). Es ist der Grundzustand, der von autoritären Systemen ausgenutzt und gewünscht wird. Die machen nämlich genau das Gegenteil von den Leuten, die im Naturpark Nähe spüren lehren. Autoritäre und Extremisten kochen das Feuer unterm Dampfkochtopf extra hoch und kratzen langsam das Ventil kaputt. Sie wollen den Ausbruch, die Explosion unkontrollierter Wut - den Zustand, wo ein Mensch aus seiner Haut fährt und nur noch neben sich steht. Dann kann er sich nicht mehr fühlen und erlebt Gemeinschaft als Bedrohung, sobald sie "anders" ist. Dann braucht er die ach so Gleichgesinnten, Gleichgeschalteten als Hautersatz, als vermeintliche Schutzhaut. Das geht so lange gut, bis sie auch ihm die Haut abziehen.
Drum wünsche ich uns fürs neue Jahr mehr Gemeinsinn, weniger Gemeinheiten, mehr Bei-Sich-Sein als Aus-Der-Haut-Fahren. Machen wir uns nicht gemein und niederträchtig, überlegen wir lieber öfter, wie wir gemeinsam Lösungswege finden könnten. Ich wünsche uns weniger Überwältigung, sondern mehr Mut zu Bewältigungen. Vielleicht erkennen wir eines Tages, dass wir nicht der gemeine Homo sapiens sein müssen, sondern der Gemeine Homo Sapiens sind - diese Spezies, der wir alle angehören ...
Das Verhalten, das du beschreibst, liebe Petra, nennt Dieter Nuhr sehr zutreffend: "ritualiserte Empörung von Berufsbeleidigten."
AntwortenLöschenIch hab auch beschlossen, mir weder die Laune verderben noch wertvolle Lebenszeit von den sozialen Hetzwerken stehlen zu lassen.
In diesem Sinn wünsche ich dir ein fröhliches und positives neues Jahr.
Liebe Grüße
Elli
Danke für die guten Wünsche - auch dir ein gutes und erfolgreiches neues Jahr, liebe Elli!
Löschen"Soziale Hetzwerke" ist gut. Wobei ich sagen muss - es gibt dort ja auch die wertvollen und guten Menschen, Kontakte, die irgendwann auch ins Echtleben hinein reichen. Dafür möchte ich sie nicht missen. Wenn man denn nur den Müll besser filtern könnte ;-)
Liebe Grüße,
Petra