Ein gefährlicher Ausflug
Weil es manche nicht glauben wollten: Ja, ich schreibe wieder nach all der Enthaltsamkeit - und ja, es wird wohl ein Buch werden. Wobei ich leider mit zwei Jobs nicht allzu viel Zeit freischaufeln kann. Die Zeiten, wo man einen fünfstelligen Vorschuss bekam und ein motivierendes "Mach mal!" sind leider schon lange vorbei. Beim Sachbuch sowieso, wenn man kein Promi ist. Ich finde trotzdem langsam in einen Rhythmus hinein, wie es sich machen ließe, mit dem Diktaphon in der Jackentasche, einem kleinen knubbeligen Notizbuch für unterwegs und der Vorstellung, dass ich ja schon kein Tagebuch schreibe und ergo diese Zeit übrig hätte ... Ich kann nicht anders, längst hat mich mein Thema "gebissen", wie beim Elsassbuch, wie bei "Faszination Nijinsky". Sprachlich werde ich an beiden anknüpfen - Nature Writing sind sehr persönliche, aber auch wissenschaftlich "erzählende Sachbücher".
Dass die Zeit reif ist dafür, ja überreif, das lerne ich gerade von anderen und es motiviert mich sehr, zu den längeren Textformen zurückzukehren. Es schließen sich Kreise meines Schaffens* und Synchronizitäten passen dazu. So eine will ich dringend empfehlen: "In die Seele der Natur", ein Vortrag auf SWR 2 von Andreas Weber, dem Autor des Buchs "Alles fühlt" (Link = pdf Infos), das mich nachhaltig begeistert hat. Er schreibt übrigens noch mehr sehr lesenswerte Texte und Bücher - in einer wunderbar literarischen Sprache. Der Vortrag ist auch als Manuskript verfügbar. Ausgerechnet jetzt kommt das im Radio und er bringt so vieles auf den Punkt, was mich bewegt.
In meinem noch namenlosen Projekt geht es zuerst einmal um "Wildnis" und unsere Vorstellungen von "Naturpark" oder menschengemachter Natur. Mir fiel das in diesem Jahr geballt auf durch die elende Dürre und Hitze. Während ich mit immer größerer Trauer durch den Naturpark lief und sah, wie die Bäume selbst im Bergwald ums Überleben kämpften, wurde ich in Social Media von Jubelsonnenbildern fast erschlagen, jammerten Menschen groß herum, wenn es plötzlich zwei Tage bei ihnen regnete. "Von mir aus kann dieses Wetter so weitergehen", schrieben die Jäger knallbunter Sonnenuntergänge, ohne zu ahnen, was diese Farben verursacht. Und dann kamen die extrem frühen "Herbstfotos" mit Freude über die schönen Farben. Keiner wollte hören, dass das mit Herbst nichts zu tun habe, sondern der Trockenheit geschuldet war. Überlebensmechanismen leidender Bäume - wenn ich sie erklärte, galt ich als Spielverderberin. Selbst jetzt im Herbst: Wer sich auskennt, wer genau hinschaut - das ist eben nicht überall die normale Färbung. Man sieht das Sterben kreischbunt im Wald - wenn man zu sehen vermag.
Andreas Weber hat in seinem Vortrag den schönen Begriff von der "Baumblindheit" geprägt. Er sagt dazu:
Und dann führte mich mein Hund Bilbo an diese Stelle am Waldrand, die perfekt verkörpert, was ich erzählen will. Weil ich durch einen hohen Zaun in ein Idyll schaue, in eine Vorstellung von "Wildnis", von womöglich intakter Natur. Es sind diese Landschaften, die man für Instagram festhält. Ich selbst stehe dabei an einem Hochsitz, an einem nicht sehr wild wirkenden Wald. Die Bäume darin sind recht jung, weil er der Holzerzeugung der Gemeinde dient, die davon lebt, weil er historisch abgeholzt worden war. Beide so gegensätzlichen, unüberwindlich getrennten Landschaftsteile sind Teil des regionalen Naturparks Nordvogesen, der mit dem Pfälzerwald eines der größten zusammenhängenden Biosphärenschutzgebiete Europas bildet - grenzüberschreitend. Auch hier der Gegensatz: Selbst im noch so geschützten und geachteten Bereich schaltet und waltet der Mensch, sind Wunden sichtbar. Denn diese Landschaft hat eine Geschichte. Was ich als "Wildnis" beschreibe, ist nämlich gar keine, die echte "Wildnis" ist der Wald, in dem ich stehe! Wie aber kommt es zu dieser "Blindheit"?
Hier schließt sich der Kreis zu einem uralten Projekt*, das nicht als Buch zustande kam, für das ich jedoch vier Jahre lang in Spezialarchiven und mit Zeitzeugen recherchierte: Der Boden, auf dem ich mich da bewege, war Gegenstand des europäischen Ölrauschs, den kaum einer kennt. Ich fahre mit meinem Hund nämlich auch für dieses Buch zu der Stelle, wo der erste Ölbohrturm der Welt (!) errichtet wurde, 1813, auch heute noch mitten im Wald. Zur ersten Ölquelle, einer mehr oder weniger großen Pfütze, aus der Naturasphalt quillt, muss man sich schon eher durchschlagen und wissen, wo genau sie liegt. Aber eigentlich dringt bei Regen das natürliche Rohöl schon einmal aus Wiesen nach oben, schillern die Bäche in den angrenzenden Wäldern in Regenbogenfarben. Wildschweine nutzen das, um ihre Parasiten damit zu bekämpfen, die öligen Schubberstellen an Bäumen zeugen davon.
So hat das einst im Mittelalter angefangen in dieser elsässischen Region, von der ich in "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" erzählt habe. Im Mittelalter nahm man Bitumen und Rohöl als wertvolle Medizin und kurte damit, innerlich wie äußerlich. Grimmelshausen betrieb einen schwunghaften Handel mit dem "gülden Wasser". Aber es waren schon Anzeichen zu bemerken von dem, was im 18. Jahrhundert zu erbitterten Intrigen zwischen zwei Clans führte, die sich lesen wie Skripts für die Fernsehserien "Dallas" oder "Denver Clan", die während der Französischen Revolution zu Mord, Totschlag und ungerechtfertigten Einkerkerungen führten. Aus dem Staunen über die Wunder der Natur war irgendwann nackte Gier geworden - und eine der ersten Aktiengesellschaften entstanden. Später kam das Aus, weil arabische Länder und Russland mehr und leichter fördern konnten, es folgten Abriss und schließlich "Umbau", als Teil des Naturparks. Heute muss man die Landschaft lesen können, um die Geschichte zu erkennen.
Und darum ist diese vermeintliche Wildnis eingezäunt, zum Sperrgebiet gemacht worden. Es dient nicht der Hege, endlich einmal ein menschenleeres Idyll schaffen zu wollen. Der Zaun dient als Schutz für den Menschen vor einer Natur, die bis in die Zukunft gefährlich geworden ist, verbaut, vergiftet, in Ignoranz und historischem Unwissen. An diesem Zaun hängen riesige Warnschilder mit Notrufnummern und dem Hinweis auf Lebensgefahr. Was vermeintlich wild scheint, wo die Natur so gedeiht, ist in Wirklichkeit denaturiert, lebensfeindlich.
Wie groß die Kluft zwischen den beiden Landschaftsteilen ist, habe ich erst gestern in Zahlen erfahren, trotz aller Recherchen und Gesprächen mit Fachleuten war es mir nicht bewusst. Man spricht nicht gern darüber - und der alte Augenzeuge, der sich noch daran erinnern konnte und mir erzählte, wie all das vonstatten ging, ist seit längerem tot.
Gestern entdeckte ich eine Datenbank für geologische Untersuchungen in Frankreich, in der akribisch alle Tests auf Bodenveränderungen und Bodenbelastungen gesammelt werden. Spaßhalber gab ich jene Landschaft ein, man kann sie selbst mit GPS-Daten erfassen.
Am Tag zuvor war ich wieder einmal dem Hund gefolgt (der ab und zu aussuchen darf, wo wir hingehen, und ich folge ihm, statt umgekehrt). Er zeigte mir einen Weg am Zaun entlang, den ich nie zuvor gegangen war, an dem ich "der Sache" extrem nah kam. Ich habe Notizen mitgebracht von seltsamem Baumwuchs, völlig anderen Pflanzen, erstaunlichem Wachstumsverhalten. Auf halber Höhe kehrte ich um, zu viele Wildwechsel ließen Bilbo zu sehr ziehen - der Boden war rutschig mit dem Herbstlaub. Vielleicht aber war es auch nur das Bauchgefühl, dass der Mensch hier in der Tat nichts zu suchen habe.
Die Datenbank klärte mich auf: Jene vermeintliche Wildnis, über die so viele Menschen juchzen, ist eine unberechenbare, schreckliche Sondermülldeponie im Innern der Erde. Als die Raffinerie aufgegeben wurde, das hat schon der alte Mann erzählt, kippte man, was das Zeug hielt, all den Müll und die Chemikalien in die unterirdischen Schächte. Aus dem Auge, aus dem Sinn. In den 1960/70er Jahren geschah das mit offizieller Genehmigung und Wissen des Staates - man wusste noch nicht, was man heute weiß, das "Beerdigen" von Gefährlichem war normal. Heute lässt es sich tw. nicht aufarbeiten, weil man damals nicht getrennt hat, weil man verbaute, weil es geologisch nicht in den Griff zu bekommen ist. Auch damals herrschte also eine "Baumblindheit" mitten im Wald.
Was der Mensch hier veranstaltet hat, erzählten mir die geologischen Messberichte und Aufstellungen der Arbeiten, mit denen man das Schlimmste zu sichern versuchte. Ich hatte also auch keine Halluzinationen, wenn ich ab und zu in Winternächten dort am Horizont eine Flamme über dem Wald sah. Es gibt hier eine Anlage, wo das immer noch austretende Erdgas abgefackelt werden kann - sonst würde jene Deponie uns heute um die Ohren fliegen. Die Datenbankberichte erzählen Geschichte, von Techniken, von Altlasten noch viel früherer Zeiten, vom Kampf der Menschen gegen das "Monster", das der Preis war für den technologischen Fortschritt. Sie erzählen davon, wie plötzlich und gründlich wir einschreiten müssen, wenn wir in einer fernen Zukunft auch nur halbwegs ein Stück Landschaft für uns Menschen retten wollen, das wir einmal malträtiert und vergiftet haben.
Die Natur gibt sich unberührt, sie passt sich an, überwuchert das Menschengemachte, wächst "Zivilisation" zu, überlebt in neuer Form. Doch die Abertausende prallroter Weißdornbeeren sind giftig für den Menschen, die duftenden Wiesen von wilder Pfefferminze nicht trinkbar. Das also ist die vermeintliche Wildnis, die sich auf Instagram so gut machen würde. Es ist dieser müde, viel zu junge und unter der Dürre leidende Wald gegenüber, dessen Boden sauber ist.
Es gibt so viele Geschichten, die in diesem winzigen Stück Landschaft regelrecht im Boden liegen. Aber auch so viele verblüffende Denkverbindungen. Eigentlich wollte ich beim Laufen über einen gewissen Pfad von einer bahnbrechenden Untersuchung einer alten Zivilisation berichten, 4000 Jahre alten Termitenbauten. Was sind dagegen diese Erdölarbeiter, die Minen in die Sandlinsen zwischen den Lehmschichten trieben und sich 1813 wie die Halbgötter fühlten mit ihrem lächerlichen Holzbohrturm? Es fügt sich perfekt zusammen, das Erzählen von beidem.
Es wird kein Buch über Erdöl. Aber das Erdöl hilft mir, über Gier und Macht nachzudenken, über die vermeintliche Wildnis und die Blindheit gegenüber der wahren Natur - vielleicht auch die Blindheit gegenüber unserer eigenen Natur?
Idylle kann täuschen. In dieser Landschaft standen einst Ölbohrtürme. Heute ist sie Teil des Regionalparks Nordvogesen. |
Dass die Zeit reif ist dafür, ja überreif, das lerne ich gerade von anderen und es motiviert mich sehr, zu den längeren Textformen zurückzukehren. Es schließen sich Kreise meines Schaffens* und Synchronizitäten passen dazu. So eine will ich dringend empfehlen: "In die Seele der Natur", ein Vortrag auf SWR 2 von Andreas Weber, dem Autor des Buchs "Alles fühlt" (Link = pdf Infos), das mich nachhaltig begeistert hat. Er schreibt übrigens noch mehr sehr lesenswerte Texte und Bücher - in einer wunderbar literarischen Sprache. Der Vortrag ist auch als Manuskript verfügbar. Ausgerechnet jetzt kommt das im Radio und er bringt so vieles auf den Punkt, was mich bewegt.
In meinem noch namenlosen Projekt geht es zuerst einmal um "Wildnis" und unsere Vorstellungen von "Naturpark" oder menschengemachter Natur. Mir fiel das in diesem Jahr geballt auf durch die elende Dürre und Hitze. Während ich mit immer größerer Trauer durch den Naturpark lief und sah, wie die Bäume selbst im Bergwald ums Überleben kämpften, wurde ich in Social Media von Jubelsonnenbildern fast erschlagen, jammerten Menschen groß herum, wenn es plötzlich zwei Tage bei ihnen regnete. "Von mir aus kann dieses Wetter so weitergehen", schrieben die Jäger knallbunter Sonnenuntergänge, ohne zu ahnen, was diese Farben verursacht. Und dann kamen die extrem frühen "Herbstfotos" mit Freude über die schönen Farben. Keiner wollte hören, dass das mit Herbst nichts zu tun habe, sondern der Trockenheit geschuldet war. Überlebensmechanismen leidender Bäume - wenn ich sie erklärte, galt ich als Spielverderberin. Selbst jetzt im Herbst: Wer sich auskennt, wer genau hinschaut - das ist eben nicht überall die normale Färbung. Man sieht das Sterben kreischbunt im Wald - wenn man zu sehen vermag.
Andreas Weber hat in seinem Vortrag den schönen Begriff von der "Baumblindheit" geprägt. Er sagt dazu:
Die Baumblindheit des Dürrefrühjahrs, -sommers und –herbstes 2018 ist das Ergebnis einer Betäubung. Baumblindheit ist Anästhesie. Anästhesie heißt „mit den Sinnen nicht wahrnehmen“. Sie ist der Verzicht darauf zu fühlen. (pdf des Vortrags)Während manche über Hitze und Dürre also jubelten, weil sie nur an ihr eigenes Wohlergehen dachten, sah ich, wie der Förster die abgestorbenen Bäumchen in den Schonungen mit weißer Farbe markierte, Bäumchen, die oft schon Jahrzehnte erlebt hatten. Ich sah diese Soldatenfriedhöfe des Klimakriegs, den wir gegen den Planeten führen, und fragte mich, woher diese Blindheit käme, dieses Fehlinterpretieren von Schönheit. Keine Frage: Auch Sterben geschieht oft in Schönheit. Aber was hat so viele Menschen derart von der Natur entfernt? Ich erzählte bereits Geschichten von dieser Entfremdung.
Und dann führte mich mein Hund Bilbo an diese Stelle am Waldrand, die perfekt verkörpert, was ich erzählen will. Weil ich durch einen hohen Zaun in ein Idyll schaue, in eine Vorstellung von "Wildnis", von womöglich intakter Natur. Es sind diese Landschaften, die man für Instagram festhält. Ich selbst stehe dabei an einem Hochsitz, an einem nicht sehr wild wirkenden Wald. Die Bäume darin sind recht jung, weil er der Holzerzeugung der Gemeinde dient, die davon lebt, weil er historisch abgeholzt worden war. Beide so gegensätzlichen, unüberwindlich getrennten Landschaftsteile sind Teil des regionalen Naturparks Nordvogesen, der mit dem Pfälzerwald eines der größten zusammenhängenden Biosphärenschutzgebiete Europas bildet - grenzüberschreitend. Auch hier der Gegensatz: Selbst im noch so geschützten und geachteten Bereich schaltet und waltet der Mensch, sind Wunden sichtbar. Denn diese Landschaft hat eine Geschichte. Was ich als "Wildnis" beschreibe, ist nämlich gar keine, die echte "Wildnis" ist der Wald, in dem ich stehe! Wie aber kommt es zu dieser "Blindheit"?
In Kisten wartete mein Recherchematerial zur Erdölgeschichte des Elsass bald 20 Jahre lang. In der Landschaft verschwinden die Spuren. (Foto: Im Technologiepark des Nationalen Erdölmuseums Pechelbronn) |
Hier schließt sich der Kreis zu einem uralten Projekt*, das nicht als Buch zustande kam, für das ich jedoch vier Jahre lang in Spezialarchiven und mit Zeitzeugen recherchierte: Der Boden, auf dem ich mich da bewege, war Gegenstand des europäischen Ölrauschs, den kaum einer kennt. Ich fahre mit meinem Hund nämlich auch für dieses Buch zu der Stelle, wo der erste Ölbohrturm der Welt (!) errichtet wurde, 1813, auch heute noch mitten im Wald. Zur ersten Ölquelle, einer mehr oder weniger großen Pfütze, aus der Naturasphalt quillt, muss man sich schon eher durchschlagen und wissen, wo genau sie liegt. Aber eigentlich dringt bei Regen das natürliche Rohöl schon einmal aus Wiesen nach oben, schillern die Bäche in den angrenzenden Wäldern in Regenbogenfarben. Wildschweine nutzen das, um ihre Parasiten damit zu bekämpfen, die öligen Schubberstellen an Bäumen zeugen davon.
So hat das einst im Mittelalter angefangen in dieser elsässischen Region, von der ich in "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" erzählt habe. Im Mittelalter nahm man Bitumen und Rohöl als wertvolle Medizin und kurte damit, innerlich wie äußerlich. Grimmelshausen betrieb einen schwunghaften Handel mit dem "gülden Wasser". Aber es waren schon Anzeichen zu bemerken von dem, was im 18. Jahrhundert zu erbitterten Intrigen zwischen zwei Clans führte, die sich lesen wie Skripts für die Fernsehserien "Dallas" oder "Denver Clan", die während der Französischen Revolution zu Mord, Totschlag und ungerechtfertigten Einkerkerungen führten. Aus dem Staunen über die Wunder der Natur war irgendwann nackte Gier geworden - und eine der ersten Aktiengesellschaften entstanden. Später kam das Aus, weil arabische Länder und Russland mehr und leichter fördern konnten, es folgten Abriss und schließlich "Umbau", als Teil des Naturparks. Heute muss man die Landschaft lesen können, um die Geschichte zu erkennen.
Und darum ist diese vermeintliche Wildnis eingezäunt, zum Sperrgebiet gemacht worden. Es dient nicht der Hege, endlich einmal ein menschenleeres Idyll schaffen zu wollen. Der Zaun dient als Schutz für den Menschen vor einer Natur, die bis in die Zukunft gefährlich geworden ist, verbaut, vergiftet, in Ignoranz und historischem Unwissen. An diesem Zaun hängen riesige Warnschilder mit Notrufnummern und dem Hinweis auf Lebensgefahr. Was vermeintlich wild scheint, wo die Natur so gedeiht, ist in Wirklichkeit denaturiert, lebensfeindlich.
Wie groß die Kluft zwischen den beiden Landschaftsteilen ist, habe ich erst gestern in Zahlen erfahren, trotz aller Recherchen und Gesprächen mit Fachleuten war es mir nicht bewusst. Man spricht nicht gern darüber - und der alte Augenzeuge, der sich noch daran erinnern konnte und mir erzählte, wie all das vonstatten ging, ist seit längerem tot.
Gestern entdeckte ich eine Datenbank für geologische Untersuchungen in Frankreich, in der akribisch alle Tests auf Bodenveränderungen und Bodenbelastungen gesammelt werden. Spaßhalber gab ich jene Landschaft ein, man kann sie selbst mit GPS-Daten erfassen.
Am Tag zuvor war ich wieder einmal dem Hund gefolgt (der ab und zu aussuchen darf, wo wir hingehen, und ich folge ihm, statt umgekehrt). Er zeigte mir einen Weg am Zaun entlang, den ich nie zuvor gegangen war, an dem ich "der Sache" extrem nah kam. Ich habe Notizen mitgebracht von seltsamem Baumwuchs, völlig anderen Pflanzen, erstaunlichem Wachstumsverhalten. Auf halber Höhe kehrte ich um, zu viele Wildwechsel ließen Bilbo zu sehr ziehen - der Boden war rutschig mit dem Herbstlaub. Vielleicht aber war es auch nur das Bauchgefühl, dass der Mensch hier in der Tat nichts zu suchen habe.
Die Datenbank klärte mich auf: Jene vermeintliche Wildnis, über die so viele Menschen juchzen, ist eine unberechenbare, schreckliche Sondermülldeponie im Innern der Erde. Als die Raffinerie aufgegeben wurde, das hat schon der alte Mann erzählt, kippte man, was das Zeug hielt, all den Müll und die Chemikalien in die unterirdischen Schächte. Aus dem Auge, aus dem Sinn. In den 1960/70er Jahren geschah das mit offizieller Genehmigung und Wissen des Staates - man wusste noch nicht, was man heute weiß, das "Beerdigen" von Gefährlichem war normal. Heute lässt es sich tw. nicht aufarbeiten, weil man damals nicht getrennt hat, weil man verbaute, weil es geologisch nicht in den Griff zu bekommen ist. Auch damals herrschte also eine "Baumblindheit" mitten im Wald.
Was der Mensch hier veranstaltet hat, erzählten mir die geologischen Messberichte und Aufstellungen der Arbeiten, mit denen man das Schlimmste zu sichern versuchte. Ich hatte also auch keine Halluzinationen, wenn ich ab und zu in Winternächten dort am Horizont eine Flamme über dem Wald sah. Es gibt hier eine Anlage, wo das immer noch austretende Erdgas abgefackelt werden kann - sonst würde jene Deponie uns heute um die Ohren fliegen. Die Datenbankberichte erzählen Geschichte, von Techniken, von Altlasten noch viel früherer Zeiten, vom Kampf der Menschen gegen das "Monster", das der Preis war für den technologischen Fortschritt. Sie erzählen davon, wie plötzlich und gründlich wir einschreiten müssen, wenn wir in einer fernen Zukunft auch nur halbwegs ein Stück Landschaft für uns Menschen retten wollen, das wir einmal malträtiert und vergiftet haben.
Die Natur gibt sich unberührt, sie passt sich an, überwuchert das Menschengemachte, wächst "Zivilisation" zu, überlebt in neuer Form. Doch die Abertausende prallroter Weißdornbeeren sind giftig für den Menschen, die duftenden Wiesen von wilder Pfefferminze nicht trinkbar. Das also ist die vermeintliche Wildnis, die sich auf Instagram so gut machen würde. Es ist dieser müde, viel zu junge und unter der Dürre leidende Wald gegenüber, dessen Boden sauber ist.
Es gibt so viele Geschichten, die in diesem winzigen Stück Landschaft regelrecht im Boden liegen. Aber auch so viele verblüffende Denkverbindungen. Eigentlich wollte ich beim Laufen über einen gewissen Pfad von einer bahnbrechenden Untersuchung einer alten Zivilisation berichten, 4000 Jahre alten Termitenbauten. Was sind dagegen diese Erdölarbeiter, die Minen in die Sandlinsen zwischen den Lehmschichten trieben und sich 1813 wie die Halbgötter fühlten mit ihrem lächerlichen Holzbohrturm? Es fügt sich perfekt zusammen, das Erzählen von beidem.
Es wird kein Buch über Erdöl. Aber das Erdöl hilft mir, über Gier und Macht nachzudenken, über die vermeintliche Wildnis und die Blindheit gegenüber der wahren Natur - vielleicht auch die Blindheit gegenüber unserer eigenen Natur?
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