Von Pilzen, Hunden und der Erde
Bilbo erkennt Zweibeiner, die ihn kraulen könnten, von weitem. |
Pilze sind faszinierende Lebewesen - sie brauchen nicht viel. Ein wenig Feuchtigkeit nach dieser Dürre nur, schon streckt das unsichtbare, aber im Boden quicklebendige Myzel seine Fruchtkörper aus der Erde. Ich kenne mich zu wenig mit essbaren Pilzen aus und wage das Sammeln eher nicht. Dass die dicken weißen Knubbel, oft handtellergroß, Wiesenchampignons sein könnten, konnte aber selbst ich mir ausmalen.
Da stapfte denn auch ein alter Mann mit Korb und Messer, man grüßt sich. Und weil er sich schon parallel genähert hatte, obwohl die Wiese so weit ist, war klar: Angst vor dem Hund hat er nicht, aber ein Schwätzchen will er wahrscheinlich halten. Ich frage ihn, ob die Ernte gut ist und er nickt; ja, das sei das Wetter für Wiesenchampignons, bei der Wärme würden sie jetzt richtig explodieren. Ungewöhnlich für November - ich laufe im Sweatshirt bei fast 20 Grad. Bilbo beäugt er neugierig, der will sich an ihn ranmachen, um gekrault zu werden, aber ich halte den Hund immer erst auf Abstand. Nicht jeder Mensch mag kraulewütige Hunde.
Ob der lieb sei - und ich sage ja, ich wolle nur nicht, dass er an Leuten hochspringt. Und dann muss sich Bilbo setzen und wird tatsächlich gekrault. Er habe auch einen Hund. Und jetzt weiß ich endlich einen Anhaltspunkt fürs Schwätzchen, denn es ist wie so oft: Ich verstehe die alten Elsässer, wenn sie partout Französisch reden wollen, oft nur schlecht. Sie sind es nicht gewohnt, haben einen extremen Akzent. Er spricht nur Französisch, weil ich damit angefangen habe und er sich keine Blöße geben will, und ich bin zu dumm, um umzuschwenken in den Dialekt.
Wie alt sein Hund sei - oh ja, 16 sei ein stolzes Alter. Und dann schweift er ab, sagt mir, dass er der Bauer sei, dem das Land hier gehöre und er verpachte jetzt im Alter nur noch Wiesen für Pferde. Grinsend deutet er an den Hang, da ist ein Pferdepaar ausgerückt, genießt vorsichtig-ängstlich die Freiheit zwischen zwei Dörfern und einem Wald. Dem Pferdehalter sage er nichts, die sollten ihre Freiheit noch genießen, denn der Kerl schlage seine Pferde und deshalb würden sie auch nicht bleiben wollen. Und sein Blick schweift den Hang entlang, über seine Wiesen, die er so viele Jahre selbst gemäht hat. Seinen Hund habe er bis vor kurzem noch mitgenommen, aber der sei jetzt zu alt für solche langen Spaziergänge. Und er müsse doch weit laufen, wegen der Pilze, damit der Korb für den Abend voll wird.
Wieder krault er Bilbo, ich merke, sein Hund fehlt ihm dabei und er erzählt, dass der Nachbar extra jeden Morgen mit seinem Hund käme, damit sein alter Herr spielen kann mit dem Kumpel. Spielen, das kann er noch und bis zur Wiese laufen auch, aber dann wird er müde. - Dann wird er hoffentlich noch ein gutes langes Leben haben - was wünscht man sonst in so einem Fall, wo man doch weiß, wie das ist mit den alternden Hunden und dem eigenen Schmerz dabei?
Er wolle so viel und so oft wie möglich laufen, seinen Grund und Boden besuchen und die Erde spüren, sagt der Mann, der eine leise, brüchige Stimme hat. Man traut ihm die Kraft kaum zu, mit der er die Runde macht. Wenn er nach Hause komme, erzähle er seinem Hund vom Land, wie das Gras steht und was gerade wächst. Der soll auch etwas davon haben, auch wenn er nicht mehr kann. Weil er nicht weiß, wer zuerst gehen werde, denn er habe den Krebs im Leib.
Als ich ihn mit einem dicken Knödel im Hals verlasse, mit sämtlichen guten Wünschen, versinkt er wieder völlig in den Anblick vom frisch keimendem Grün seiner Wiesen und dem blauen Himmel darüber mit den dramatischen Wolken. Dann kniet er sich wieder hin, andächtig wie in der Kirche, kniet und schaut und schneidet behutsam den nächsten Pilz.
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