Gänsehaut pur

Gestern habe ich es formuliert: "It is the story of a black sheep of a family that turns out to be as colourful as life" - die Story meines Sketchbookprojects. Es ist eine Ausschreibung der Brooklyn Art Library, deshalb werde ich es auf Englisch schreiben und hier im Blog begleiten. Unter der von mir gewählten Rubrik "Es ist nicht so wie es scheint" geht es also um jenen in die USA ausgewanderten "Gladstone", den man mir als Kind böse verteufelt hat, damit ich ja nie Künstlerin würde. Die Lügen haben meinen Eltern nichts genützt und dass der Mann als Künstler arbeitete, fand ich auch irgendwann heraus. Von der Großtante gab es dann die Mythen positiver Art, er sei Portraitmaler gewesen, sehr erfolgreich, offenbar in den Disney Studios.


Natürlich recherchierte ich weiter neugierig - nicht einfach bei drei Namensschreibweisen und bei Googles böse dezimierten historischen Seiten (oder sie kosten Geld). Bei Disney wurde ich nicht fündig, in Los Angeles schon. Aber ich fand mehr über die Geschichte seiner Frau heraus als über ihn, vor allem vor der Emigration klafft das ganz große schwarze Loch.

Nun hat so eine Emigration natürlich immer innerfamiliäre Auswirkungen. Gladstone war der Neffe meines Opas und der wollte auch dringend fort, hatte schon die Visa für die ganze Familie. Auch da gab es den Bruch in der überlieferten Geschichte: Die einen sagten, es sei schon zu spät gewesen unter den Nazis, die anderen, seine Frau habe nicht mitgewollt. Zu spät wofür? Seine Geschwister waren schon 1923 in die USA emigriert und erwarteten ihn ... Und warum dieses Totschweigen von Gladstone?

Gestern habe ich dann aus Versehen einen Link angeklickt: ein Zeitungsarchiv in Singapur! Wer kommt schon auf eine solche Idee unter vielen faulen Links? Und dann habe ich mir schier einen abgebrochen, die eigentlich unzugängliche Seite von 1982 per Screenshots und Vergrößerungen zusammen zu stückeln. Ungelogen: Mir standen die Haare auf den Armen zu Berge, die auf dem Kopf sowieso. So müssen sich Archäologen fühlen, wenn Gold im Sand glänzt! Ein Artikel über "meinen" Gladstone bei der Arbeit!

Ja, mit Portraits hatte das tatsächlich zu tun, nur nicht mit Disney. Aber auch mit Hollywood und noch mehr: dem Sunset Strip. Dieser Mensch, den ich mir also nie zum Vorbild nehmen sollte, damit ich ja was "Ordentliches" arbeitem würde, hat Dinge geschaffen, die nicht nur Amerikaner im kollektiven Gedächtnis haben. Wieder Gänsehaut, Adrenalin pur. Wer den Sunset Strip kennt, kennt nämlich Gladstone! Nur dass jene Künstler selten mit dem eigenen Namen geehrt wurden.

Als sie ihn 1982 interviewten, war er laut Redakteur künstlerischer Leiter einer 24köpfigen Equipe und turnte auch selbst auf hohen Gerüsten herum. Es wird erzählt, dass er 1956 in Los Angeles ankam - und ich habe noch die Fotos, wo er sich von Onkel und Tante in Ohio verabschiedet, die ihm die Einreise erleichtert hatten! Im Artikel lese ich, dass er schon acht Tage später seinen Job hatte, bei einer Firma, wo er bis 1982 bleibt. Das ist auch deren Blütezeit und sie wurde weltberühmt. Wir alle kennen diese Dinger, die man "billboards" nennt, aus amerikanischen Filmen: riesige Plakatwände an Highways oder in Städten, meist Werbung zeigend - und in jener Blütezeit noch handgemalt!

Steht "Pacific Outdoor" unten dran als Firma, dann war der Kopf hinter der Malerei jener Gladstone. Ein Fotograf namens Robert Landau hat von den 1960ern bis heute die besten Billboards fotografiert und vor allem die auf dem Sunset Strip. Das war nicht nur Werbung - die schrieben Musikgeschichte. Gladstone ... Robert Landau erzählt hier von der Geschichte dieser sehr speziellen Art von gewerblicher Kunst, die starke Einflüsse auf die Street Art hatte.

Ich kann das immer noch nicht wirklich fassen: The Rolling Stones ‘Love You Live’ (1977), Queen ‘News Of The World’ (1977), Bruce Springsteen ‘Darkness On The Edge Of Town’ (1978), das legendäre Pink Floyd ‘The Wall’ (1979) (hier anschauen), oder Jimi Hendrix 'Experience' 1968 ... alles Billboards von Pacific Outdoor aus der Zeit von Gladstone!

Damit schreibt sich nun ein Teil meines Sketchbookprojects fast von selbst und gestalterisch rieseln die Inspirationen. Familiär ist da allerdings ein schwarzer Fleck noch schwärzer geworden, denn Gladstone erzählt in jenem Artikel, dass er in den 1940ern durch die Wälder hunderte Kilometer nach Stuttgart geflüchtet sei und diese Zeit so traumatisch gewesen wäre, dass er darüber nicht reden mochte. Schmerzhaft für mich, dass meine Familie ihn mit Ausnahme jener Großtante totgeschwiegen hat. Aber das hat ja nun endlich ein Ende.

1 Kommentar:

  1. Die ganze Geschichte wird wirklich immer spannender, je länger du recherchierst. Unglaublich, was du so alles ausgräbst! Aber was der arme Kerl da in den 40er Jahren erlebt haben muss, mag man sich gar nicht vorstellen ... Gut, dass es ihm später besser ergangen zu sein scheint.

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