Die Frühstücks-Abtörne

Als ich mich heute morgen in Social Media einloggte, wurde ich mit Frühstücksbildchen begrüsst, die unverhältnismäßig aufdringlich im Stream aufeinander folgten. Während ich einen schon fast kalten Café au lait nebst kleinem Sandgebäck auf dem Büroschreibtisch hatte (Freiberuflerleid: Arbeitstag), erschlug mich die Vielfalt meiner "Freunde". Schön aufgeräumt, mit Platzdeckchen und Serviettchen auf blank geschrubbten Holztischen drapiert, lachten mich Tees und mir unbekannte Heißgetränke an, Schinken roh und Schinken gekocht, Käse und Konfitüre, Backteilchen aller Art, süß und herzhaft, Gemüse, Obst, Eier, Müsli ... ich hätte Appetit bekommen können.

Wir inszenieren uns zu Tode. Wie wirklich sitzen wir noch am Tisch?
Aber dann schaute ich genauer hin. Die Denkerin gibt sich traditionell mit typisch deutschem Rundumfrühstück, Butterbällchen und ausgequetschtem Teebeutel auf dem nackten Tisch: Schaut, was ich mir zur Feier des Tages gönne, ein Frühstück fast wie im Hotel, aber mit einer mir eigenen Lässigkeit, denn wer legt schon den zerquetschten Teebeutel einfach so auf den nackten Tisch? Die nächste zelebriert Fruchtiges unter Palmen und da unterscheiden sich ihre Fotos vom abendlichen Cocktail nur durch den Stand der Sonne. Hach geht's mir gut, Sonntag unter Palmen! Beim dritten Foto fallen mir endlich die Schuppen von den Augen: Schaumiges Heißgetränk aus irgendwelchen Körnern, ungeschnittenes Gemüse noch mit Schale. Irgendein Würzkraut als Blumenstrauß, das garantiert nicht zum Heißgetränk passt. Diverse Reformhausaufstriche in Originalverpackung, die aussehen wie das Zeug, das ich meinem Hund gegen Würmer gebe.

Eine Schachtel mit riesigem Aufdruck für fairen Handel prominent im Bild. Kein Geschirr: alles bar, blank, leer, ohne Gestaltungsfreude. Die Geschirrvermeidung konterkariert nur durch Hashtagmüll, der mich auffordert, endlich vegan, vernünftig, gesund, optimiert, nachhaltig und brav nach Lifestyle XY zu leben. Ich greife nach meinem Café au lait mit Vollfettmilch und tüchtig Zucker, nehme einen genüsslichen Schluck. In meinem Alter will ich mich nicht mehr wie das kleine Kind fühlen, das von der Mutter zurechtgewiesen wird. Ich will mich nicht anstrengen müssen, einen fremden Lifestyle implementieren zu müssen, nur damit aus mir endlich ein ordentliches und vollwertiges Mitglied einer Selbstoptimierungsgesellschaft wird, die vor lauter Perfektionismus krank ist. Weil sie schon das Kotzen kriegt, würde ich meinen nun endgültig kalten Kaffee #nofilter fotografieren, ohne #selfie und #hashtag.

Wollte ich mir meinen Sonntag endgültig verderben, würde ich anschließend bei Instagram checken, wer meine Beiträge gelikt hat. Einer, von Beruf offenbar Sohn, fährt mit dem Rolls Royce in Cannes vor, jedes Foto trägt einen anderen Ortsstempel von Luxusressorts, Steuerparadiesen und hippen Urlaubsorten. Trotz allen Stylings hat der junge Mann eine erstaunliche Schönheit bewahren können, aber sie täuscht nicht darüber hinweg, dass seine Augen abgrundtief traurig schauen. Der "actor und writer" nebendran genauso. Luxustierchen Marke männlich, Bizeps übervoll, Augen extraleer. Die Schriftsteller und Schauspieler, die mir bisher begegnet sind, waren außer auf der Bühne recht unscheinbar und immer ziemlich knapp bei Kasse. Aber sie hatten einen Reichtum an Blicken. Und immer wieder diese hippen, hashtagveganen, bodybetonten Superweibchen dazwischen, die auf der Straße aus Schraubgläsern einer ebenso hippen Hashtagmarke Zeug trinken, mit dem ich nicht mal meinen Hund entwurmen würde. Die an der Espressobar fläzen und einen Nichtkaffee aus allerlei Zeug mixen lassen, die dir Apfelschnitze und Zitronenspalten auf deine vielleicht geränderten Augen drücken und zwischen Mülltrennung und supercleaner Wohnung geradezu schreien: Hab mich ein bißchen lieb, like mich, like mein Leben, meine Selbstinzenierung, meine Hülle und Fassade und vor allem: Like diese unendliche Traurigkeit in meinen Augen!

Nur, wenn ich diesen Menschen in die Augen blicken kann, verfalle ich nicht in den Wahn, mich selbst optimieren zu müssen. So tief will ich nämlich nicht fallen! Ich fühle mich schon platt genug, wenn ich sonntags morgens arbeiten muss und schlecht geschlafen habe. Was aber, wenn ich nicht genau hinschauen würde? Wenn ich labiler wäre und dem schönen Schein erläge? Wenn auch ich endlich mal mehr als 100 Follower haben wollte und ein paar Likes mehr? Dann würde ich auf die glitzernde, schreiende Scheinwelt hereinfallen, die mir mit künstlichen Filtern immer nur eines um die Ohren haut: Du bist nicht richtig! Du verdienst nicht genug, hast nicht genug Erfolg, bist nicht schlank genug, hast nicht genügend Likes - wer bist du schon!?

Eine narzisstische Fassadenwelt, in der man nur noch sich selbst schätzt, wenn man sich oft genug abschätzt. Nur nicht andere wertschätzen. Widerstand ist manchmal zwecklos, man rutscht da rein, wenn das nächste Optimum im Stream kreischt. Es ist wie eine Droge, weil sich jeder mit jedem vergleicht, auch wenn er es gar nicht will. Es drängt sich unterschwellig auf. Ich brauche keinen Rolls Royce und finde Cannes eher öde, aber warum kann ich nicht einfach Urlaub am Strand machen, jetzt, sofort? Warum bekomme ich Panik vor dem Winter, weil meine Heizung zusammenbrechen könnte? So viele da draußen auf Instagram verleben ihn auf einer Jacht! Vielleicht würde ich sogar diesen eklig grünen Schaum freiwillig trinken, wenn ich meine Bücher in einem New Yorler Riesenloft schreiben könnte und für meinen Body bejubelt würde?

Es ist sinnlos, sich zu vergleichen. Zumal mit Welten, die man nie erreichen wird. Aber Social Media würgen es einem rein. Plötzlich siehst du im Spiegel richtig fett und alt aus, weil du einen ganzen Tag nur spindeldürre, essgestörte Mädchen angeschaut hast. Wer ist hier nicht richtig?

Es war ja schon fies, wenn einem die Mutter früher so etwas sagte. Aber Social Media setzt dem noch eins drauf. Facebook arbeitet inzwischen mit Zuckerbrot und Peitsche. Wie viele werden dich heute mit einem Like streicheln, wer markiert einen Wüterich? Wer von denen wird es ernst meinen und wer likt sowieso alles, was du sagst? Ich mache bei Twitter einen Hamsterwitz zu einem Meerschweinchenfoto und nur eine traut sich, mir zu sagen, dass das aber ein Meerschweinchen sei. Die anderen liken lustig, teilen meinen Müll weiter. Keiner hinterfragt den Quatsch. Selbst wenn die Fassade so offen lügt oder einen Irrtum transportiert, wird sie zur Realität stilisiert. Verselbstständigt sich. Wir liken das und machen aus dem Meerschweinchen eben einen Hamster. Und aus einem völlig durchgeknallten Kerl einen Präsidentschaftskandidaten. Aus demokratiefeindlichen Lügnern eine neue Partei. Fassade zählt. Da buhlt einer mit Testosteronwerten versus Lungenentzündung, man applaudiert oder transportiert kritisch. Aber man transportiert. Keiner wagt zu hinterfragen: Wie sähe die psychiatrische Diagnose aus? Und warum können so viele Hohlkörper mit derart leeren oder verzweifelten Augen über das Schicksal so vieler Menschen bestimmen? Während es immer mehr Menschen so richtig dreckig geht, während die einen Tabletten gegen die Trauer nehmen und die anderen in Kliniken sitzen, weil sie zu sensibel geworden sind für diese Welt?

Früher, als man noch intensiv mit Freunden und Bekannten sprach, hat man sich viel erzählt von den Untiefen des Lebens. Vom Scheitern und Aufstehen. Aber auch vom Zerbrechen, vom Leiden. Ging es einem schlecht, kam niemand auf die Idee, vom Bürgermeisterssohn zu erzählen, der in Saus und Braus lebte und sich gerade ein Schloss gekauft hatte. Man erzählte vom Dorfmichel, dem es noch schlechter ging und der das irgendwie überlebt hatte. Da gab es ein System, sich einordnen zu können in eine viel breitere Skala, die auch in den Minusbereich ging. Plötzlich war das "Perfekte" nicht mehr erstrebenswert: Es reichte der eine kleine Schritt mehr nach oben. Oder man schaute zufrieden auf sein Leben und brauchte überhaupt nichts herumzuschrauben. Der Dorfmichel brauchte weder Follower noch Likes, um zu existieren, er war einfach da. Mitten unter uns, mit uns.

Es geht oft nach hinten los, wenn man glaubt, in Social Media echt sein zu dürfen und auch mal die Wahrheit aus dem Minusbereich zeigen zu können. Das stört. Was will der uns mit der Negativfassade zeigen, ist er neidisch? Oder bettelt der? Manchen gelingt es: mit Satire wie bei der Frau, die auf Instagram hippe Selfies im wahren Leben nachstellt. Aber sie ist Schauspielerin von Beruf, hat damit Rollen ergattert, lebt davon, sich ebenfalls zu inszenieren. Der Hashtag #nofilter wurde von Leuten kreiert, welche die Nase voll hatten von Glanz und Gloria. Und schon wird er missbraucht für Fotos, wo die Spitzenkamera beim Sonnenuntergang unter Palmen dieses eine Mal ein klitzekleinbißchen nicht ganz perfekt belichtet hat. #nofilter als Selbstdisziplinierungsmaßnahme, auch im echten Leben mit der Inszenierung des Perfekten voranzukommen? Wann schaffen wir es, das Ganze umzudrehen? In Social Media so zu wirken, als seien wir wahnsinnig normal - während wir uns im echten Leben schon wahnsinnig inszenieren?

Was macht das alles mit uns? Abgesehen davon, dass wir uns schlechter fühlen? Es schafft oft Neid. Aggressionen. Gegeneinander. Wie stark sind wir, wegzuschauen? Oder gar abzuschalten? Wie sehr inszenieren wir uns selbst schon im Alltag? Wie oft tun wir etwas, nachdem wir daran dachten, man könne das eigentlich fotografieren und teilen? Und wie oft glauben wir uns selbst, wir seien das wirklich, was wir da zeigen?

Nur eine Krankheit ist gnädig, weil sie alle vereint: die Reichen und Schönen mit den Armen und Hässlichen. Burnout. Medien-Burnout. Konsum-Burnout. Hashtag-Müdigkeit. Perfektionierungserschöpfung. Dieses verzweifelte Kratzen an glatten Fassaden, das in der Seele quietscht. Wir haben in Lauf der Jahre Social Media zu einem hochinteressanten Medium verändert: Wir können in Wort und Bild, Video und Ton endlich in die ganze Welt hinausbrüllen, wie groß unser Hunger nach Liebe ist. Wie gern wir "richtig" wären, damit uns jemand liebt, wie wir sind. Nur eines funktioniert nicht: Von Likes kann man sich nicht ernähren. Die Zahl der Follower macht nicht satt. So manches Frühstücksfoto an einem völlig alltäglichen Sonntag Morgen kann es einem sogar hochkommen lassen, das Frühstück. Was aber machen wir daraus?

Ich entschuldige mich bei den völlig unschuldigen, sicher liebenswerten Frühstück und Jachten zeigenden Menschen, dass ich ihre Bilder als willkommene Assoziationsgeber missbraucht habe.

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5 Kommentare:

  1. Liebe Petra,
    ich habe diesen Ausbruch mit sehr viel Vergnügen gelesen. Du sprichst mir aus dem Herzen. Das Schöne am Älterwerden ist, dass wir uns mehr und mehr von solchen Einflüssen frei machen. Mittlerweile genieße ich es, einfach mein Ding zu machen und nicht mehr darüber nachzudenken, was andere dazu meinen. Aber das muss wachsen und reifen. Deine Beobachtungen jedenfalls sind köstlich und sehr erhellen.
    LG, Susanne

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    1. Liebe Susanne,
      auf die Idee, dass es am Alter liegen könnte, bin ich noch gar nicht gekommen. Aber jetzt, wo du es sagst ... eine Freundin wird z.B. von ihrem Sohnemann traktiert, sie müsse sich jetzt so und so ernähren, den und den Workout machen und nur noch bei Mondstand X im Handstand an ungeraden Tagen rote Sachen trinken ;-) Ich übertreibe. Aber der simst ihr dann wirklich ständig Links zu youtube und Instagram, als Beweis, dass man das so machen muss - und kasteit sich selbst damit. Die Freundin lacht und meint, diese Mode ginge genauso vorbei wie alle Moden, sie müsse nur lange genug warten.

      Was mich allerdings dabei erschreckt, ist der hohe soziale Druck, der hier durch Social Media aufgebaut wird. Und dann von den Leuten im Leben wieder gespiegelt. Selbst Intelligente fallen dann oft drauf rein, weil der Guru ja Tausende Follower hat. Instagram ist mittlerweile, wenn man hinzuschauen weiß, ein Sumpf an Essgestörten und bestens getarnten Porrnotypen. Gefährlich, wenn man für solche Rollenbilder empfänglich ist.
      Schon allein deshalb ist es mir eine Lust, die andere Seite zu zeigen.
      Lg, Petra

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    2. Auch dem sozialen Druck lässt sich mit zunehmender Abgeklärtheit besser widerstehen.

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  2. Oh, Petra.

    Es wird Zeit, dass die Wissenschaftler mal mehr an dem "Beamen" arbeiten. Dann würde ich mich gleich zu dir zum genussvollen Café au lait beamen.

    Hab einen schönen Tag
    Elli

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    1. Danke sehr, Elli,
      trinken wir ihn im Geist miteiander, unter Wölfen? Und wer weiß, vielleicht begegnet man sich ja doch einmal?
      Herzliche Grüße,
      Petra

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