Gedanken über Buchregale und Schmuck
Ich will hier absolut nicht die Uraltdebatte zwischen stationärem Buchhandel und Online-Riese aufmachen - das tun andere genügend. Da ich inzwischen frech außerhalb der Branche nachdenke, möchte ich vom Aufbau meiner klitzekleinen Schmuck-Boutique erzählen - und was das mit Amazon zu tun haben könnte. Auch damit zu tun hat ein Foto, das gestern durch FB geisterte: Auf einem Ladenschild bettelte ein Einzelhändler, man möge bitte stationär kaufen, weil davon ein Sohnemann ein neues T-Shirt von seinen Eltern bekommen könne. Der Seitenhieb auf die ach so bösen Reichen zielte auf den Onlinehandel. Solche moralinsauren emotionalen Erpressungen machen mich wütend. So behandelt man KundInnen nicht! Warum stand auf dem Schild nicht, was der Händler besonders gut kann? Warum schrieb er nichts über seine Leidenschaft?
Es gibt kein Gut und Böse, schon gar nicht zweigeteilt zwischen Online und Analog! Im Internet tummeln sich nämlich weltweit eine Unzahl winzigster EinzelunternehmerInnen, die sogar noch zu winzig für einen eigenen Onlineshop auf der Website sind (ich etwa). Diese Leute verkaufen über das Internet, weil sie sich noch gar keinen Laden leisten können oder wollen - oder weil sie den Zusatzverdienst zum realen Laden nicht missen möchten. Sie versammeln sich auf großen Plattformen (die ach so bösen "Reichen"), die ihnen Anfängervorteile bieten: Eine gewachsene Community, Kundschaft, einen seriösen Ruf, Automatisierungen und Abnahme von Buchhaltungskram, Zahlungssysteme. Ich wurde allerdings schon öfter gefragt, ob man denn nicht "einfach so" bei mir einkaufen könne - oft wolle man Plattformen generell nicht unterstützen.
Warum ich über eine große Plattform verkaufe
Natürlich handle ich Maßanfertigungen direkt mit KundInnen aus. Aber dann gibt's auch alles behördlich Vorgeschriebene dazu: verbindlicher Kostenvoranschlag, Vertrag. Und der Kunde staunt: So viel Papierkram? Ja. Genau diesen Papierkram spart ihm eine Plattform mit ihren Regeln ein! - Aber du zahlst doch Provision, willst du dir die nicht sparen?, werde ich dann gefragt.Meine Verkaufsplattform - in diesem Fall Dawanda - tut etwas für mich. Ich musste nicht viel Geld in ein Shopsystem investieren und einen Webdesigner beauftragen, sondern kann auf einen seit Jahren erprobten "Laden" zurückgreifen. Der funktioniert wie einer in der Kohlenstoffwelt auch: Ich bin selbst verantwortlich, muss für AGB, FAQ und rechtliche Belange selbst sorgen. Die Regale räume ich ein, wie ich möchte, aber sie sind schon da und müssen nicht mühsam zusammengeschraubt werden. Automatismen wie Vorlagen, Versandprofile und Widerrufsformulare sparen mir enorm Zeit - ich muss das alles nicht mühsam einzeln an jeden Interessenten mailen, bevor der überhaupt Kunde wird, sondern richte es pro Produkt mit einem Klick ein. Ich muss nicht jedem meine Regeln schicken - sie sind öffentlich einzusehen. Kommt die wunderbar bequeme Zahlungsabwicklung dazu (mit der wichtigen Funktion der Rückerstattung in Garantiefällen), das System zur Kundenbetreuung bis zum Schluss: Dafür hat sich die Plattform ihre Provision redlich verdient! So ein Start ins Ladenleben ist ideal, weil ich nichts vorfinanzieren muss. Mache ich böse reiche Säcke reich? Nö. Ich zahle für eine Dienstleistung, für die andere arbeiten. Auch deren Arbeit ist etwas wert. Internethandel ist nichts Schlechtes. Und so mancher, der sich in der Fußgängerzone von Anfang an übernimmt, hätte vielleicht besser auch erst mal kleiner angefangen?
Wie groß dann der Onlinehandel im Hintergrund sein darf, hängt vom individuellen Bedürfnis ab. Ich habe mich für Dawanda entschieden, weil dort die europäische Kundschaft sitzt, mit der ich beginnen möchte - während Etsy eher für den amerikanischen und exotischeren Weltmarkt lohnt. Bei Etsy habe ich also mehr Konkurrenz und müsste mich stärker unterscheiden. Vor allem müsste ich den kulturell oft anderen Geschmack treffen. Kann ich das? Ich fange da lieber bedächtig an. Nie würde ich bei Amazon verkaufen, obwohl die nun auch in die Sparte Handgemachtes vordringen. Nicht, weil Amazon "böse" wäre. Sondern einfach deshalb, weil die in Aussicht gestellten Abermillionen KundInnen für mich Kleinstunternehmerin einfach eine Nullnummer sind, eine Milchmädchenrechnung. In einem Massenkaufhaus ist mein Schmuck zwischen Kondomgroßpackungen, Schmonzetten und Kaffeegeschirr einfach unsichtbar, verliert seinen Wert. Wenn ich dagegen Bücher verkaufe, wäre ich blöde, es nicht auch dort zu tun. Mit den Plattformen ist es also wie mit einem Staubsauger: Sie saugen alle irgendwie. Aber nicht jedes Modell passt zu jeder Wohnung.
Irgendwann wachse ich vielleicht da raus, er weiß? Denn auch ich als Kleinstunternehmerin habe das gleiche Ziel wie Bezos: Ich muss Umsatz machen. Für Sozialromantik bleibt in dieser Welt nicht viel Platz: Mache ich nämlich nicht genug Umsatz, steigen mir nicht nur die Behörden aufs Dach. Es bleibt auch das neue T-Shirt aus. Ich habe mir tatsächlich ein Beispiel an Amazon genommen: Mit einer verrückten Idee in einer Garage ganz klein anfangen. Meine Garage besteht aus meinem halben Büro - einem Tisch und einem Regal mit unzähligen Behältern und kreativem Chaos. Und weil ich keinen Realladen habe, muss ich nicht in hippes Design investieren, sondern kann mit dem billigsten schwedischen Regal und umfunktionierten Plastikflaschen operieren.
Logistik: klein wie groß
Noch etwas habe ich von Amazon gelernt - auch wenn ich mir jetzt damit vielleicht Feinde mache: Nachdenken über Logistik. Klingt irre, weil die ja so unendlich groß sind und ich so winzig klein. Aber wenn man keine Laufkundschaft hat, muss der Schmuck irgendwie zu den KundInnen kommen. Da steht man dann erst mal vor einer Mauer von Gesetzesvorschriften; unzähligen Prospekten von Transportunternehmen, deren Tarifsysteme manchmal einen eigenen Studiengang zu benötigen scheinen - und den Wünschen der KundInnen. Die wollen vor allem eins: Das Päckchen am liebsten gestern. Für möglichst wenig Porto. Dass Kleine das nicht so leicht verschenken können wie Große, ist zum Glück den meisten klar.Also beginnen die Vergleiche, die Rechnungen. Auch hier habe ich mich für ein "wachsendes System" entschieden - zuerst einmal die gute alte Post und Handarbeit. Alles andere lohnt nur bei entsprechenden Stückzahlen. Noch bin ich also in der Selbstausbeutungsphase, weil ich meine Schachteln selbst schneide und klebe. Ich hab mir das bei Amazon immer wieder angeschaut: So ein Päckchen muss stabil genug sein, kompakt, aber leicht und schnell zu packen. Möglichst wenige Handgriffe und die leicht. Umweltfreundlich. Postkonform. Wiedererkennungswert ist super, Corporate Identity. Dieser Moment, wenn es ankommt: Ah, es ist da! Mein Päckchen vom Atelier Tetebrec - das sehe ich schon von weitem!
Meine Kundenbewertungen, bei denen die Verpackung eine so große Rolle spielt, bestätigen mich, dass es sich gelohnt hat, hier so viel Gehirnschmalz zu investieren. Allein der Prototyp, der noch klein genug ist, um als Brief durchzugehen, aber groß genug, um wertvolle Papierketten angemessen zu präsentieren ... lohnt sich. Und wenn ich irgendwann einmal 200 Päckchen in relativ kurzem Zeitraum versende, kann ich das fertig beim Weltmarktführer für Verpackungen ordern, der zufällig in Frankreich sitzt. Von dem womöglich auch Amazon seine Kartons bezieht. Seit ich noch andere Dinge als Bücher verkaufe, ist meine Welt größer geworden: "Böses" gibt's für mich nicht mehr, nur Gangbares - und Wege, die ich aus Gründen nicht gehen will. Ich nehme Pralinenkartons von Aldi auseinander, untersuche Füllmaterial von Amazon und frage auch schon mal frech meine Grossisten: Wo habt ihr diese tollen Kartons her?
Ich schweife ab, ich fürchte, der Artikel über die Buchhandlung in Seattle ist mal wieder nur ein Aufhänger für davongaloppierende Gedanken. Denn eigentlich wollte ich nur etwas über Kundschaft erzählen. Darauf hat mich der Artikel gebracht!
"Kundschaft" - das sind Menschen, Individuen!
Mir gefällt die Stelle im Artikel, als darüber gesprochen wird, wie jene Buchhandlung die üblichen Schubladen aufbricht: "Es gibt hier nicht nur die üblichen Buch-Kategorien wie Bestseller, Reiseführer oder Kinderliteratur, sondern hilfreiche und durchaus auch witzige Abteilungen ..." Sicher keine Erfindung von Amazon, aber in ihrer Konsequenz erfrischend in einem System, das schon beim Manuskripteinkauf schubladenhörig ist.Habe ich von Anfang an gemacht. Bei mir gibt's keine Ketten lang, Ketten kurz, Ketten mit und ohne Perlen (obwohl es die Kategorien bei Dawanda gibt), sondern Kollektionen, die Lust machen sollen und schon vom Namen her Programm sind und Emotion zugleich: Edellese, Gartenrausch, Fungimania oder Black Beauty. Ob die Kette lang genug ist oder in Wirklichkeit ein Armband - das sehen die Besucherinnen schon selbst an Foto und Beschreibung - ja, man darf sie für voll nehmen.
Natürlich stehe auch ich theoretisch in Konkurrenz zur Ware auf Superplattformen wie Amazon. Theoretisch leidet jede handgedrehte und in mehreren Trocknungsprozessen gefertigte Papierperle unter der Billigstkonkurrenz aus China oder Einheitsware aus Afrika, mit der manche Schmuckverkäuferinnen die Preise für ihre Halsketten bis ins Unerträgliche senken. Aber ich sage bewusst "theoretisch". Ich würde mich nämlich nur dann in direkte Konkurrenz begeben, wenn ich mich ständig damit vergleichen würde, jammern womöglich und dann alle Fehler machen, die eine Unternehmerin machen kann: Preisdumping etwa. Andersherum funktioniert meine Denke: Es ist für alle Platz auf dieser Welt!
Die Perlenprojekte aus der Dritten Welt haben eine völlig andere Käuferschicht, deren Antrieb nicht so sehr die Hingabe an Papierkunst ist, sondern der Wunsch, Gutes zu tun. Vielleicht ist meine Schmuckboutique eines Tages so groß, dass ich die Perlen nicht mehr selbst drehen kann - ich würde schauen, dass ich damit sinnvoll Arbeit vergeben könnte. Die Chinesen mögen jene befriedigen, die kein Geld haben, selbst nicht basteln können oder schlicht pottgeizig sind. Bei mir ist die Papierperle nur ein Teil eines Ensembles, das mir im Lauf der Zeit hoffentlich immer einzigartiger gelingt. Kunden, die so etwas zu schätzen wissen, die auch sich selbst gern das Besondere gönnen - das ist meine Welt.
Und von dieser "Kundschaft" habe ich in den letzten Wochen richtig viel gelernt:
- Dass individuelle Beratung und persönlicher Service, aber auch das Vermitteln der eigenen Leidenschaft mindestens so viel wert sind wie der Schweiß und die verklebten Finger beim Fertigen. Sie sind das Pfund, mit dem man wuchern sollte.
- Dass Gefälliges gut ankommt. Dass aber auch völlig Schräges geliebt wird.
- Dass man immer etwas völlig Grundlegendes vergisst. Einem meiner männlichen Kunden bin ich dankbar, weil er mich fragte, warum ich keinen Schmuck für Männer anbieten würde. Warum eigentlich nicht? Die Unisex-Stücke wurden geboren. Nehmt eure KundInnen ernst, hört auf sie! Und sagt ihnen auch, wenn ihr etwas nicht leisten könnt oder wollt.
- Bei Dawanda und Etsy hat man die Möglichkeit, bestimmte Stücke (nicht alle) zu individualisieren. Ich kann dann z.B. eine Kette in Wunschlänge fertigen und die KundInnen zwischen verschiedenen Materialien wählen lassen. Noch habe ich eigenen Maßanfertigungen und Auftragsarbeiten gar nicht explizit erwähnt. Zwei Reaktionen: 1. Erschrecken: Kann ich da wirklich die Länge einstellen lassen und krieg ich dann trotzdem das Stück? - Faszination: Heißt das, ich kann mir von dir einfach eine Schamanenkette wünschen, in meinen Lieblingsfarben? - Ja, all das heißt es! Und ich lerne: Das können die Billigheimer und die ganz großen Massenproduzenten nicht, das können nur wir Kleinen. Und die Menschen da draußen dürsten nach Abwechslung im Einheitsbrei oder dem besonderen Geschenk.
- Zuschriften, Fragen und Kommentare zeigen mir immer wieder, dass Menschen nicht nur Handarbeit lieben. Es sind die Geschichten, die so ein handgefertigtes Schmuckstück erzählt, die eine "Ware" zu etwas mit Sinn Behafteten machen. Auch wenn wir etwas kaufen, interessiert uns neben der reinen Schönheit oder Nützlichkeit ein Sinn, sogar der Prozess der Herstellung. Ich bilde mir ein, so etwas besser vermitteln zu können als Amazon.
- Das Internet bietet heutzutage hervorragende Techniken und Möglichkeiten, all das zu ersetzen, was einem mangels Ladengeschäft verloren geht - wenn man sie zu nutzen weiß. Und es öffnet mir die Welt: Keine/r meiner KundInnen wäre je in meinen Laden gestolpert, sie leben in einem anderen Land, viel zu weit entfernt.
- Vernetzen und Verkaufscommunities können noch etwas, was die Giganten nicht schaffen: Menschen zusammenbringen. Vor allem bei Instagram habe ich wunderbare PapierkünstlerInnen entdeckt - und man ermuntert und inspiriert sich gegenseitig. Und dort habe ich auch eine kleine Firma in Wien entdeckt, die ebenfalls bei Dawanda verkauft und von der ich inzwischen die Papiergarne beziehe: paperphine. Ursprünglich nur für die Verpackung gedacht, experimentiere ich längst damit beim Schmuck - eine neue Kollektion ist in Vorbereitung.
Liebe Petra.
AntwortenLöschenDeine Buch-Perlen-Kette mit Bernstein Goldfluss Glas ist heute angekommen. Sie ist wunderschön und noch dazu so liebevoll verpackt. Obwohl ich eigentlich überhaupt keinen Schmuck trage, ist diese Kette eine Ausnahme. Und sie wird bestimmt nicht die letzte Bestellung sein.
Danke für deine tolle Kunst. Da hast du etwas Einzigartiges geschaffen.
LG
Eli
Liebe Elli,
AntwortenLöscheneien Sommergrippe hat mich leider abgehalten, nun freue ich mich über deine Rückmeldung ganz besonders - vor allem, wenn sie von jemandem kommt, wo Schmuck eher die Ausnahme ist. Du motivierst mich, daran zu glauben, dass dieses Standbein zu zwei Beinen auf dem Boden werden kann, danke!
Herzlichst, Petra