Liebe deinen Mörder ...
Wer Giftpflanzen, die Entwicklungszeiten von Maden in Leichen und Tötungsdelikte googelt, darf auch solche Schlagzeilen schreiben. Wahrscheinlich bin ich auf Überwachungslisten längst markiert, weil ich mir herausnehme, im Internet genauso freudig nach Drogen wie nach Waffen zu recherchieren. Ich bin ja seit einiger Zeit Krimiautorin - diese Spezies darf sowas. Aber nicht nur der Hang zum Abstrusen ist für mich völlig neu beim Schreiben - viel zu neugierig war ich ja schon immer.
Der vorgestrige Schauertag schien mir ideal für ein Rendezvous mit meinem Mörder - im Roman versteht sich. Ich nenne "das Ding" stellvertretend "der Mörder", um nicht zu viel zu verraten. Es sei also dahingestellt, ob der Mörder männlich oder weiblich, eine oder mehrere Personen ist. Hier geht es um den Schreibprozess, nicht den Krimiinhalt.
Mir ist aufgefallen, dass mich eine bestimmte Sorte Krimis recht schnell langweilt: Der Mörder verkörpert darin das abgrundtief Böse und muss seine "gerechte" Strafe bekommen. Zum Abreagieren mag das vielleicht ähnlich funktionieren wie ein Ego-Shooter-Spiel - aber leben solche Figuren, ist das realistisch? Nach dem sechsten durchgeknallten Serienmörder mit lustiger Küchenpsychologie bleibt ein schaler Geschmack: Da fehlt doch etwas? Nicht unbedingt die Realität, denn die funktioniert dramaturgisch gesehen nicht unbedingt zum Vergnügen der Leserinnen und Leser. Nein, Figuren, denen ich zuviel Klischee aufhalse, werden schnell zur austauschbaren Pappfigur, wirken schablonenhaft: Mörder = Böses, Serienmörder = Irrer, Kommissar = Alkoholproblem, ErmittlerInnen = kaputtes Familienleben etc.
Es geht die Mär um von einem sehr bekannten Drehbuchautor, dass er zu Beginn selbst nie wisse, wer in seinen Geschichten der Mörder ist - das entscheide er scheinbar erst gegen Schluss des Drehbuchs. Falls das Gerücht stimmt, schafft er damit zwei Dinge: Suspense und Verwicklungen bis zum Ende - und zeitweise Sympathie für die TäterInnen. Das kommt der Realität durchaus nahe und führt noch geschickter in die Irre. Es werden ja die wenigsten Menschen durch lange tüftelnde Serienmörder nach abstrusen Ritualen dahingemetzelt. Meist wird im Familienkreis gestorben, der Mord geschieht durch Affekte oder weil "irgendein Fass überlief" bei jemandem. Weil Menschen im näheren Umkreis aus Habgier, Liebe oder Eifersucht jenen schmalen Grat überschreiten, der sie von braven Bürgern zu Mördern macht. Viele Delikte führen sogar nur durch die unglücklichen Umstände, durch böse Zufälle oder Versagen von Dritten zum Tod - Tötungsdelikte, keine Morde, nicht einmal vorsätzlich. Und vorher? Nachbarn können es nicht fassen: "Das war so ein netter Mensch" - "war ein völlig ruhiger Nachbar" - "wer hätte denn ahnen können, dass diese junge Mutter ..." Zum Mörder wird man nicht geboren.
Mich fasziniert genau diese kleine Welt um uns herum: die Leute, die bei der Bäckerin tratschen, die Schwätzer am Stammtisch, die ach so Liebevollen in der Kirchengemeinde, die Erfolgreichen und die Scheiternden im ländlichen Leben. Deshalb mag ich auch erst mal meinen Mörder. Ich entwerfe diese Figur genauso liebevoll wie die Hauptfiguren, zumal ich verstehen will, was zum Überschreiten jenes schmalen Grats notwendig ist. Ich kann meinen Mörder verstehen. Und natürlich täuscht er so viele - die Kriminalpolizei zuallererst. Warum soll er also nicht auch täuschen, weil er ein so normaler Mensch ist, dass er auch unser Nachbar sein könnte? Wer sagt denn, dass unser Nachbar im echten Leben nicht auch eines Tages ... ?
Es fühlt sich also nicht schlimm an, wenn ich die Biografie entwerfe bis in die Kindheit hinein, wenn ich meinem Mörder Sozialkontakte gebe und Freunde, Arbeitskollegen und Familie. Theoretisch könnte jeder von uns dieses Leben leben, in dem es irgendwann um die falsche Kurve geht. - Natürlich hat so ein stinknormaler Mensch Konsequenzen für einen Roman. Denn wenn schon der Mörder nicht das übergroße, leicht zu erkennende Schwein ist - wer sind dann die "Guten"? Wie gut sind diejenigen, die kein Verbrechen begehen? Sind sie automatisch gefeit vor den Auswüchsen der sogenannten Hauptmotive? Da ist jemand gierig und kommt damit bestens durchs Leben. Mit Gier kann man sogar richtig Karriere und Geld machen. Wo liegt der feine kleine Unterschied, wenn jemand plötzlich aus Gier mordet? Gibt es diese Skala des Guten oder Bösen wirklich, die den Mörder vom Karrieristen unterscheidet?
Natürlich beuge ich mich der Voraussetzung meines Genres: Am Ende werden die Verbrechen aufgeklärt. Obwohl ich persönlich die großen Gesellschaftsromane unter den Krimis mag, in denen am Ende die bittere Realität siegt und der Kommissar manchmal krimineller wurde als der gejagte Verbrecher. Aber so etwas schreibe ich ja nicht. Ich bemerke bei der Arbeit, während ich den Mörder genauso lieben muss wie alle anderen Figuren auch, dass das Ende eines Krimis wie eine Katharsis wirkt. Der Krimi ist der Roman, bei dem eine ins Chaos gekippte Welt wieder zu einer Ordnung findet. Die Ermittler reparieren ein System, das als gerecht empfunden wird und schlimm gestört wurde. Gefahren werden eliminiert, Menschen weggesperrt. Insofern ist der Krimi wohl auch oft ein extrem konservatives Genre, im Sinne von Bewahren eines alten, erprobten Zustands. Vielleicht lesen und sehen Menschen deshalb ausgerechnet in Krisenzeiten so gern Krimis: Neben all dem Abreagieren, Miträtseln und der Spannung erleben wir das Versprechen, dass die Ordnung über das Chaos siegt, die Gerechtigkeit (was auch immer das sein mag) oder wenigstens das Recht über das Verbrechen.
Um diese einfache Weltordnerei habe ich mich bei meinem Rendezvous mit dem Mörder jedoch gebracht. Als Autorin muss ich nämlich in die Abgründe der Menschen schauen und in die eigenen Dunkelstellen, um sie beschreiben zu können. Wer hat sich solche Fragen nicht schon einmal gestellt: Könnte ich jemanden erschlagen, der vor meinen Augen meinem Hund, meiner Katze etwas entsetzlich Schlimmes antut? Würde ich zur Waffe greifen, wenn meine Familie bedroht ist? Was müsste passieren, um mich zum Täter zu machen, wenn ich über Jahre hinweg immer wieder gedemütigt oder gemobbt würde?
Keine Angst: Krimischriftstellerinnen sind meist sehr brave Leute, führen sogar ein eher langweiliges Leben. Vielleicht sind wir manchmal etwas zu viel Voyeur. Schreibtischtäterinnen kleben allerdings viele Stunden ihres Lebens an der Tastatur fest und in ihrer Fantasie. An die dunkleren Emotionen seiner selbst jedoch muss man ran beim Schreiben: an die Wut, an die Trauer, den Trotz, die Angst ... Es lässt sich von da aus hochrechnen, wie es sein könnte wenn. Theoretisch zumindest. Glaubhaft nah hoffentlich. Und genau diese Nähe geht mir verloren, wenn ich eine Sperre zwischen einer Figur und mir errichte, wenn ich Figuren auf Abstand halte. Ich muss sie einfach lieben, auch wenn ich sie im realen Leben nicht verstehen wollte.
Der vorgestrige Schauertag schien mir ideal für ein Rendezvous mit meinem Mörder - im Roman versteht sich. Ich nenne "das Ding" stellvertretend "der Mörder", um nicht zu viel zu verraten. Es sei also dahingestellt, ob der Mörder männlich oder weiblich, eine oder mehrere Personen ist. Hier geht es um den Schreibprozess, nicht den Krimiinhalt.
Mir ist aufgefallen, dass mich eine bestimmte Sorte Krimis recht schnell langweilt: Der Mörder verkörpert darin das abgrundtief Böse und muss seine "gerechte" Strafe bekommen. Zum Abreagieren mag das vielleicht ähnlich funktionieren wie ein Ego-Shooter-Spiel - aber leben solche Figuren, ist das realistisch? Nach dem sechsten durchgeknallten Serienmörder mit lustiger Küchenpsychologie bleibt ein schaler Geschmack: Da fehlt doch etwas? Nicht unbedingt die Realität, denn die funktioniert dramaturgisch gesehen nicht unbedingt zum Vergnügen der Leserinnen und Leser. Nein, Figuren, denen ich zuviel Klischee aufhalse, werden schnell zur austauschbaren Pappfigur, wirken schablonenhaft: Mörder = Böses, Serienmörder = Irrer, Kommissar = Alkoholproblem, ErmittlerInnen = kaputtes Familienleben etc.
Es geht die Mär um von einem sehr bekannten Drehbuchautor, dass er zu Beginn selbst nie wisse, wer in seinen Geschichten der Mörder ist - das entscheide er scheinbar erst gegen Schluss des Drehbuchs. Falls das Gerücht stimmt, schafft er damit zwei Dinge: Suspense und Verwicklungen bis zum Ende - und zeitweise Sympathie für die TäterInnen. Das kommt der Realität durchaus nahe und führt noch geschickter in die Irre. Es werden ja die wenigsten Menschen durch lange tüftelnde Serienmörder nach abstrusen Ritualen dahingemetzelt. Meist wird im Familienkreis gestorben, der Mord geschieht durch Affekte oder weil "irgendein Fass überlief" bei jemandem. Weil Menschen im näheren Umkreis aus Habgier, Liebe oder Eifersucht jenen schmalen Grat überschreiten, der sie von braven Bürgern zu Mördern macht. Viele Delikte führen sogar nur durch die unglücklichen Umstände, durch böse Zufälle oder Versagen von Dritten zum Tod - Tötungsdelikte, keine Morde, nicht einmal vorsätzlich. Und vorher? Nachbarn können es nicht fassen: "Das war so ein netter Mensch" - "war ein völlig ruhiger Nachbar" - "wer hätte denn ahnen können, dass diese junge Mutter ..." Zum Mörder wird man nicht geboren.
Mich fasziniert genau diese kleine Welt um uns herum: die Leute, die bei der Bäckerin tratschen, die Schwätzer am Stammtisch, die ach so Liebevollen in der Kirchengemeinde, die Erfolgreichen und die Scheiternden im ländlichen Leben. Deshalb mag ich auch erst mal meinen Mörder. Ich entwerfe diese Figur genauso liebevoll wie die Hauptfiguren, zumal ich verstehen will, was zum Überschreiten jenes schmalen Grats notwendig ist. Ich kann meinen Mörder verstehen. Und natürlich täuscht er so viele - die Kriminalpolizei zuallererst. Warum soll er also nicht auch täuschen, weil er ein so normaler Mensch ist, dass er auch unser Nachbar sein könnte? Wer sagt denn, dass unser Nachbar im echten Leben nicht auch eines Tages ... ?
Es fühlt sich also nicht schlimm an, wenn ich die Biografie entwerfe bis in die Kindheit hinein, wenn ich meinem Mörder Sozialkontakte gebe und Freunde, Arbeitskollegen und Familie. Theoretisch könnte jeder von uns dieses Leben leben, in dem es irgendwann um die falsche Kurve geht. - Natürlich hat so ein stinknormaler Mensch Konsequenzen für einen Roman. Denn wenn schon der Mörder nicht das übergroße, leicht zu erkennende Schwein ist - wer sind dann die "Guten"? Wie gut sind diejenigen, die kein Verbrechen begehen? Sind sie automatisch gefeit vor den Auswüchsen der sogenannten Hauptmotive? Da ist jemand gierig und kommt damit bestens durchs Leben. Mit Gier kann man sogar richtig Karriere und Geld machen. Wo liegt der feine kleine Unterschied, wenn jemand plötzlich aus Gier mordet? Gibt es diese Skala des Guten oder Bösen wirklich, die den Mörder vom Karrieristen unterscheidet?
Natürlich beuge ich mich der Voraussetzung meines Genres: Am Ende werden die Verbrechen aufgeklärt. Obwohl ich persönlich die großen Gesellschaftsromane unter den Krimis mag, in denen am Ende die bittere Realität siegt und der Kommissar manchmal krimineller wurde als der gejagte Verbrecher. Aber so etwas schreibe ich ja nicht. Ich bemerke bei der Arbeit, während ich den Mörder genauso lieben muss wie alle anderen Figuren auch, dass das Ende eines Krimis wie eine Katharsis wirkt. Der Krimi ist der Roman, bei dem eine ins Chaos gekippte Welt wieder zu einer Ordnung findet. Die Ermittler reparieren ein System, das als gerecht empfunden wird und schlimm gestört wurde. Gefahren werden eliminiert, Menschen weggesperrt. Insofern ist der Krimi wohl auch oft ein extrem konservatives Genre, im Sinne von Bewahren eines alten, erprobten Zustands. Vielleicht lesen und sehen Menschen deshalb ausgerechnet in Krisenzeiten so gern Krimis: Neben all dem Abreagieren, Miträtseln und der Spannung erleben wir das Versprechen, dass die Ordnung über das Chaos siegt, die Gerechtigkeit (was auch immer das sein mag) oder wenigstens das Recht über das Verbrechen.
Um diese einfache Weltordnerei habe ich mich bei meinem Rendezvous mit dem Mörder jedoch gebracht. Als Autorin muss ich nämlich in die Abgründe der Menschen schauen und in die eigenen Dunkelstellen, um sie beschreiben zu können. Wer hat sich solche Fragen nicht schon einmal gestellt: Könnte ich jemanden erschlagen, der vor meinen Augen meinem Hund, meiner Katze etwas entsetzlich Schlimmes antut? Würde ich zur Waffe greifen, wenn meine Familie bedroht ist? Was müsste passieren, um mich zum Täter zu machen, wenn ich über Jahre hinweg immer wieder gedemütigt oder gemobbt würde?
Keine Angst: Krimischriftstellerinnen sind meist sehr brave Leute, führen sogar ein eher langweiliges Leben. Vielleicht sind wir manchmal etwas zu viel Voyeur. Schreibtischtäterinnen kleben allerdings viele Stunden ihres Lebens an der Tastatur fest und in ihrer Fantasie. An die dunkleren Emotionen seiner selbst jedoch muss man ran beim Schreiben: an die Wut, an die Trauer, den Trotz, die Angst ... Es lässt sich von da aus hochrechnen, wie es sein könnte wenn. Theoretisch zumindest. Glaubhaft nah hoffentlich. Und genau diese Nähe geht mir verloren, wenn ich eine Sperre zwischen einer Figur und mir errichte, wenn ich Figuren auf Abstand halte. Ich muss sie einfach lieben, auch wenn ich sie im realen Leben nicht verstehen wollte.
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