Zwischenschweben

Es ist so weit, fast so weit. Nächsten Dienstag hat mein allererstes Theaterstück Premiere als szenische Lesung mit zwei fantastischen Schauspielern. Ich habe die Welt des Romans und der Sachtexte verlassen und lasse die Puppen tanzen: Vaslav Nijinsky und Sergej Diaghilew werden sich ziemlich in die Haare kriegen. Alle fragen mich, ob ich Lampenfieber hätte.

"Du wirst keine Tänzerin, lern was Ordentliches!"
Woran ich im Moment leide, ist etwas ganz anderes: Ein Gefühl der Unwirklichkeit. Weil ich mit aller Macht den Gedanken an den Auftritt verdränge, um eben nicht jetzt schon Lampenfieber zu bekommen, frage ich mich: Passiert das wirklich? Passiert das alles mir? Bin ich womöglich in eine Parallelwelt geraten?

Wahrscheinlich muss das so sein. Ich laufe mir das Gefühl mit meinem Hund ab, indem ich bewusst Rückschau halte: Wie kam es dazu? Wahrscheinlich muss dieses Gefühl auch sein, wenn man sich selbst einen völlig verrückten Traum ermöglicht, wenn man Jahre um Jahre hart an einem Thema arbeitet, leidet und zwischendurch auch mal wirklich nicht mehr weiß, wie man die nächsten Rechnungen bezahlen soll. Weil man diesen Weg weiterverfolgt, obwohl die Vernunft andere, lukrativere Arbeiten verordnen würde. Aber irgendwann muss man die Vernunft auch einmal ausschalten, wenn man an ein künstlerisches Projekt glaubt. Sonst wird es nämlich nie das: "vernünftige" Realität.

Auf dem Foto oben ist Karneval. Ich durfte ein Goldbändchen im Haar tragen und unterm russenroten Mäntelchen ein Prinzessinnenkleid aus Tüll. Was man auf dem Foto nicht hört, sind die Stimmen der Erwachsenen: "Eier nicht so herum, du machst deine Absätze kaputt! Du wirst ja doch keine Tänzerin, schlag dir das aus dem Kopf, lern was Ordentliches!" Man hat versucht, mir mit aller Macht im Elternhaus die Kunst an sich abzudressieren. Wer in unserer Familie künstlerisch tätig wurde, machte sich damit zum Schwarzen Schaf und lebte ausgestoßen - in einer Parallelwelt der "Anderen". Die mich höllisch faszinierten!

Es kommen dann die Jahre, wo man es doch versucht mit der Bürgerlichkeit. Aber wenn es einen durch und durch positiven Fluch gibt, dann ist es die Kunst. Sie kommt immer wieder durch. Und ich hatte das Glück, Menschen zu begegnen, die mich stärkten - wie den Deutschlehrer, der mir einschärfte: "Du kannst allen Quatsch im Leben machen, alles, was du willst. Aber höre nie und nimmer auf zu schreiben." Irgendwann bricht die Kunst durch, fordert ihren Raum. Und irgendwann, viel zu spät eigentlich, war ich dann so weit, mutige und verrückte Ideen zu entwickeln. So kunstfeindlich meine Kindheit war, sie hat mich für das gestählt, was ich später aushalten musste: Für eine Idee, an die man selbst glaubt, von anderen für verrückt gehalten zu werden. Oder von Menschen umgeben zu sein, die alles schlechtreden: Das schaffst du nie! Damit ist doch kein Blumentopf zu gewinnen! Arbeite doch was Ordentliches!

Ich selbst habe es nie geschafft und werde es nie schaffen, quer über eine Bühne "fliegen" zu können - wie es sich dieses kleine Mädchen erträumte und in ihren Träumen auch tat. Das können andere viel besser. Deren Können kann ich umso intensiver genießen. Aber ich habe mich langsam auf meine eigenen Art der Bühne angenähert, mit eigenen Auftritten, nun mit diesem Stück. Und was mich derzeit so trunken und ein wenig verwirrt macht: Ich habe es gegen alle Widerstände geschafft, aus eigener Kraft. Nur, weil ich es wollte. Weil mir das Träumen nicht reichte, weil ich einfach machte. Und schließlich Verbündete dafür begeistern konnte. Der beste Türöffner: Leidenschaft!

In jedem Moment liegt die Möglichkeit eines kompletten Scheiterns. Aber dann habe ich es wenigstens versucht! Und was ist Scheitern? Falls das Stück schlecht wäre? Falls es das Publikum nicht mitreißt? Nein, darin läge für mich nur eine Chance des Lernens, der Verbesserungen. Scheitern, das wäre für mich: Sich selbst zu verraten. Mein Talent zu verraten. Den bequemeren Weg zu gehen, bis Sicherheitsstreben die Kunst tötet.

Als ich das Stück schrieb, hatte ich unwahrscheinliche Probleme mit einem Monolog Nijinskys. Fachlich gesehen weiß ich, dass man in solchen Momenten in die eigenen Abgründe steigen muss - und bei einem Stück ist das ungleich stärker als bei einem Roman. Ich muss Nijinskys Emotionen hervorbringen, muss ihn das leben lassen. Man muss als Schriftstellerin nicht das Gleiche erlebt haben wie die Figuren, aber man muss abstrahieren können auf die Emotionen. Hat eine Figur Angst, kann ich das nur glaubhaft beschreiben, wenn ich selbst schon einmal Angst gehabt habe und mich daran erinnere.

Ich habe beim Entwerfen nicht bemerkt, wie nah mir die Szene wirklich ging. Obwohl sie sich auf ein anderes reales Leben bezieht, obwohl Nijinsky komplett andere Dinge erlebt und gelebt hat als ich, habe ich mir in diesem Monolog einen Kindheitstraum erschrieben. Das geht mir jetzt erst auf. Falls der Monolog funktioniert, wird Nijinsky in diesem Moment für mich über die Bühne fliegen, auch wenn er währenddessen eher erstarrt ist. Die Gänsehaut beim Schreiben hatte ich, weil ich im Schreiben mit ihm geflogen bin.

Nein, das ist noch kein Lampenfieber, das ist Staunen, eher dankbares Staunen, was man aus einem Leben machen kann.Das Lampenfieber dann ist ein notwendiges Instrument, genau zum rechten Zeitpunkt ein Höchstmaß an Bewusstheit und Aufmerksamkeit zu erreichen. So deppert und tappsig ich vorher dadurch werde, so klar und absolut ruhig bin ich in dem Moment, in dem ich auf der Bühne stehe. Ein Arzt hat mal gemeint, dieser Rausch aus einem Mix von Adrenalin und Endorphinen, der dann den Körper überschwemmt, sei auf die Dauer nicht gesund. Ich muss lächeln: Ernähren wir uns in der Kunst nicht oft gerade von diesem Rausch? Ist nicht der Applaus die eigentliche Belohnung für diese mühevolle und harte Arbeit, die keiner auch nur erahnen kann?

Die Menschen, die einem Steine in den Weg legen oder einem wohlwollend abraten, bitte ja nicht zu mutig zu werden - von denen überlebt ein Künstler sicherlich nicht. Wir brauchen Motivation, wir brauchen den unbeirrbaren Glauben an ein Projekt. Und wenn der zu bröseln droht, dann sind ein paar Endorphine so schlecht nicht. Und ein Publikum, das zu applaudieren weiß - was für ein Glück!

Aber es braucht auch das Abschalten und Erden vorher. Vom Alltag, den von allen Seiten zerrenden Pseudoverpflichtungen bis hin zu Mailverkehr. Ich bin also dann mal in der Parallelwelt und erst danach wieder zu sprechen!

8 Kommentare:

  1. Tiefe Freude! Ein Herz, für das der Brustkorb zu klein ist. Petra, atme die Sekunden, koste den Augenblick

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  2. Ein dickes toi, toi, toi!

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  3. Dreimal auf Holz geklopft und über die Schulter gespuckt - toi toi toi für heute Abend, in Gedanken bin ich mit dabei!

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  4. Was soll ich sagen: Es hat geklappt, danke für alle guten Wünsche. Wie es war, kann eher die Lydia erzählen, die war da :-)

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  5. Sabine Kanzler28/5/14 11:31

    Ich war auch da - und ich werde auch erzählen. Nur später.

    Aber so viel schon mal allen Interessierten: Schön war's. Und sowohl Nijinsky als auch Djagilew sind seit gestern wieder lebendig geworden.

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  6. Nur immer mit Ruhe, ich brauche schön formulierte Sätze für Empfehlungen ;-)

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  7. Je später die Kommentare ... ;)

    Was soll ich sagen: Es war ein toller Abend. Ein Stück wie ein Tanz, voll Begeisterung, Enttäuschung, Verzweiflung zugleich. Die authentische Atmosphäre entsteht schon bei der Einführung der Autorin, die in der Rolle des Hotel-Zimmermädchens mit markanten Kommentaren und pikanten Details aufwartet.

    Das Stück selbst beginnt langsam. Die beiden Figuren umschleichen einander mit Vorsicht und Skepsis. Schicht um Schicht schält der Text die künstlerischen, ökonomischen und emotionalen Konflikte heraus, tastet sich an den Kern der Sache heran. Einfühlsame Monologe gewähren dem Zuschauer Einblicke ins Innere der beiden Akteure, in dynamischen Dialogen spitzt sich der Konflikt zu. Man kann beide Figuren verstehen, keiner ist zu verurteilen. Mit Daniel Arthur Fischer und Sebastian Mirow haben Nijinsky und Diaghilew eine ideale Besetzung gefunden.

    Ich jedenfalls wünsche Deinen JEUX von Herzen, dass sie bald auf einer richtigen Theaterbühne zum Leben erweckt werden und bin schon sehr gespannt darauf.

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