Buchjuristerei in Frankreich

Aufmerksame Blogleser werden es vielleicht bemerkt haben: Ich trage mich seit Monaten mit dem Gedanken, einen Verlag zu gründen. Drei Gründe gab es für die Überlegung: Das Behördenchaos in den Griff zu bekommen, dem man in Frankreich mit mehreren Jobs ausgesetzt ist. Für Distributoren u.a. Partner ein ernstzunehmender Geschäftspartner zu sein (womöglich zu besseren Konditionen). Und ja, ich gebe es zu, dem Trash-Image, das Self Publishing im deutschen Buchhandel hat, ein Signal entgegenzusetzen: Achtung, diese Bücher sind professionell gemacht!


Autoren befinden sich in Frankreich ständig in behördlichen Zwischenräumen.
Und weil ich mit einem Teil meines Kopfes immer in der Zukunft hänge, wollte ich all die technischen Möglichkeiten und eigenen Fähigkeiten nutzen, nicht einfach nur Bücher zu verlegen, sondern so etwas wie "Transmedia" zu machen ... ich erzähle meine Geschichten ja auch für Geld in öffentlichen Räumen, Straßen ... halte Vorträge, die ich als Essayband veröffentlichen will, und schreibe auch schon mal für ganz andere Künste. Warum ich bisher so zauderte: In Frankreich denkt man im künstlerischen Bereich, was die Administration angeht, extrem konservativ. Mutige Künstler mit ungewöhnlichen Konzepten können ein Lied davon singen, welchen Papierkram man mit einem einzigen Kunstwerk auslösen kann, das in keine eindeutige Amtsschublade passt. Kommt hinzu, dass der Fiskus eine völlig andere Sichtweise hat als die Sozialbehörden. Spaß macht das nicht wirklich.

Frankreich tut viel für seine Künstler, aber es war noch nie einfach, etwas für sich getan zu bekommen. Schriftsteller leben unter einem Ausnahmestatut. Sie können ihr Einkommen entweder als "salaire" deklarieren (also wie den Lohn eines Angestellten) oder als Gewinn - und dann werden sie Firma. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Auf sozialer Ebene kann man zwar Errungenschaften wie Renten- oder sogar Arbeitslosenversicherung erreichen, aber es gibt noch nicht wirklich ein Pendant zur Künstlersozialkasse wie in Deutschland. In Frankreich entscheidet die AGESSA, die Krankenkassen- und Sozialabgaben für Autoren verwaltet, wer Schriftsteller in ihrem Sinne sein darf: Man muss bei "echten" Verlagen einen Mindestumsatz pro Jahr machen und darf nur ganz streng vorgeschriebene Arten von Texten schreiben: Nämlich eigentlich nur Literatur, Belletristik und nicht allzu wissenschaftliche Sachbücher. Journalismus, Kommunikation, PR ... all das fällt beim sogenannten "auteur artiste" weg ... und jetzt wird es für Multitalente schwer: Jeder Beruf hat seine eigenen Pflichtkassen! Aber wer schafft die Buchhaltung, seine Gewinne mit allem Aufwand auf fünf Kassen prozentual korrekt zu verteilen? Die sich dann irgendwann streiten, wer bezahlt?

Kurzum: Bis gestern morgen hielt ich einen Verlag, der mich in all meinen künstlerischen und brotberuflichen Auswüchsen verlegt, für die beste aller Ideen. Aber ich hatte die Rechnung nicht damit gemacht, dass Self Publishing, das mir inzwischen den größeren Anteil beim Bücherschreiben einbringt, in Frankreich behördlich absolutes Neuland ist! Nur eines ist klar: Noch lehnt die AGESSA Self Publisher kategorisch ab! Alles andere ist Ausdeutungssache: Wird man Händler und dem Chambre de Commerce abgabepflichtig, weil man bei Lesungen und vielleicht aus dem eigenen Webshop heraus Bücher verkauft? Oder bleibt man intellektuell schaffend und künstlerisch tätig, weil man sich ja eher um die Inhalte und die Gestaltung kümmert und andere verkaufen lässt? Eine klitzekleine Streitfrage, die über fiskalisches und soziales Statut entscheiden, mit unvorstellbar großen Folgen.

Ich habe mir dann gestern einen Wolf recherchiert durch all die juristischen Texte im Internet - denn die Behörden vor Ort sind gnadenlos überfordert. Auch wenn sie staatlicherseits verpflichtet sind, mich zu meinen eigenen Gunsten zu beraten - wie sollen sie das erfüllen, wenn sie selbst die Möglichkeiten nicht kennen? Zu viele Neuverordnungen und Paragraphenänderungen überschwemmen selbst die erfahrenen Finanzbeamten. Wer in einem so schrägen und unüblichen Bereich gründen will, versorgt sich besser selbst mit Wissen. Und da wirkt es wenig tröstlich, dass die AGESSA verkündet, bis nächstes Jahr sei eine Regierungskommission dabei, endlich all die Statuten für Autoren den modernen Gegebenheiten anzupassen und womöglich eine eigenen Sozialversicherung zu schaffen. Ein Jahr warten auf Ungewisses?

Die Folgen einer Verlagsgründung sind in Frankreich nicht ohne. Es funktioniert fast zu einfach: Man sucht sich eine passende Firmenstruktur aus (jede Unternehmensform ist möglich) und beschreibt seine Tätigkeit so, dass man als VerlegerIn eingeordnet wird. Das lässt sich mit wenigen Mausklicks online machen oder beim zuständigen Finanzamt, wo man ein riesengroßes Formular ausfüllt, das recht einfach gestaltet ist. Meist nur 24 Stunden später hat man die Bestätigung der Firmeneröffnung im Briefkasten, nach ein paar Wochen die INSEE-Nummer, die Zaubernummer, die man auf allen Papieren angeben muss, und die Unternehmen recherchierbar machen. Die Folgen einer Verlagsgründung sind in zweierlei Hinsicht zu bedenken: Mit den meisten Firmenformen, die sich für kleine Strukturen eignen, kann man mit seinem Privatvermögen haftbar werden. Und man zahlt eine gnadenlos hohe Sondersteuer für Unternehmer, die sich eher an Konzernen orientiert, denn sie wird willkürlich kommunal festgelegt, für alle. Ich recherchierte also nach Alternativen und fand einiges über Self Publishing heraus.

Wer in Frankreich nur verschwindende Umsätze mit selbst verlegten Büchern macht und gar nicht erst in Größenordnungen etablierter Verlage kommt, braucht im Grunde gar nichts zu erklären oder zu gründen - er muss die Gewinne nur in der richtigen Rubrik des Steuerformulars bei der Einkommensteuererklärung deklarieren. Allerdings muss er sich irgendwie selbst kranken- und sozialversichern (Pflicht) und kann keine "KSK" in Anspruch nehmen, falls das nicht über einen anderen Beruf läuft. Er kann auch keine Unkosten absetzen außer einer automatischen Pauschale und muss unter einem bestimmten Einkommenslimit bleiben. Kommt hinzu, dass dieser Status nicht eindeutig mit Gesetzen abgedeckt ist, man muss also bei den Behörden vorsprechen und sich am besten schriftlich geben lassen, dass das so in Ordnung ist. Was übrigens nachher auf dem Buchdeckel steht, ist unerheblich und muss nicht von einem Verlag kommen, sondern kann eine bestimmte, selbst herausgegebene Reihe bezeichnen.

Je mehr ich mich mit dem französischen Verlagswesen beschäftigte, desto unguter wurde mein Gefühl. Da stimmte einfach nichts auf meine Bedürfnisse - und die Abgaben waren einfach zu happig. Bis zu 4000 Euro pro Jahr durften das nach einigen Angaben schon mal sein, auch wenn man Verlust macht, Und ich will ja gar nicht vornehmlich in Frankreich verkaufen, sondern eher im deutschsprachigen Raum. Es gilt natürlich immer der Geschäftssitz. Wohnen kann ich, wo ich will, aber ich muss meine Geschäfte an einem festen Sitz abwickeln und dort ansprechbar sein. Ein Verlag in Deutschland ist für mich also nicht drin.

Und dann passierte das, was für Frankreich so typisch ist: In einem Land, in dem sich die Administration mit Sonderregeln überbietet, findet immer irgendwer die einfachste Lösung aller Lösungen. Die dann, weil sich der Dschungel der Paragraphen gerade an anderer Stelle verwächst, einfacher nicht sein könnte. Ich gründe eine Firma, die gleiche, wie ich es für den Verlag auch hätte tun müssen. Aber diese Firma widmet sich all meinen intellektuellen und künstlerischen Schreib- und Veröffentlichungsarbeiten und kann Texte und Erzähltes aller Art in die Welt blasen. Ich darf nur keine Orgeln oder Möbel für Geld restaurieren und keine Filme fürs Fernsehen oder Kino produzieren! Ja. Kein Witz. So sieht das aus mit den Schubladen.

Ich bin dann weiter Schriftstellerin und Künstlerin - und Unternehmerin. Plötzlich gilt für mich wieder die große gesetzliche Errungenschaft, dass Autoren grundsätzlich von jener üblen Firmensondersteuer befreit sind, weil sie ja nicht so viel verdienen wie ein Shampoofabrikant. Ich kann sogar mein Privatgeld aus der Haftung nehmen. Ich kann superschnell und supereinfach gründen, solange es die Politiker nicht umwerfen: Als "auto-entrepreneur", einer Art Ich-Firma. Die wird demnächst im Parlament neu verhandelt. Im Oktober kann alles schon wieder anders aussehen! Sie ist vor allem in der Gründungsphase interessant, weil alle Abgaben automatisch und vereinfacht per Deklaration im Internet erfolgen. Ein Freund bestätigte mir, dass der Staat sogar so schnell ist, dass das Geld zwei Stunden nach der Deklaration schon abgebucht ist. Endlich kein Papierkram mehr! Und wenn der Gewinn dann das Limit übersteigt, landet man automatisch in der nächsten größeren Struktur.
Nur muss man hier wieder die Behörden überzeugen dank Doppelstatut der Schriftsteller und Self Publisher: Man ist kein Händler, sondern intellektuell tätig. Eingetragen wird eine solche Firma auf den eigenen Namen, aber ein Fantasiename für den Buchdeckel und das öffentliche Auftreten ist zusätzlich möglich.

Tja, so einfach kann das Komplizierte sein! Auch stinknormale Firmen können Bücher machen! Und was besonders wichtig ist: Sie müssen sich natürlich trotzdem ans Verlagsrecht halten. Wenn ich Glück habe und die Politiker den Schriftstellern gewogen sind, dann bekomme ich nach jener Verhandlung Mitte 2014 vielleicht sogar die Möglichkeit, bei Krankenkassen- und Sozialbeiträgen durch eine Art KSK Geld zu sparen. Bis dahin zahle ich wie eine ganz normale Unternehmerin. Außerdem ist eines zu beachten: Wer die Bücher anderer Autoren herausbringt, muss einen Verlag gründen - obige Lösung gilt nur für Self Publishing. Und wer nennenswerte Umsätze durch Bücherverkauf in einem eigenen Laden oder Webshop macht (das meint ein paar tausend Bücher pro Jahr), muss sich ins Handelregister eintragen.

Ich geh dann mal gründen! Einen "Verlag", der gar kein Verlag ist und alles schöpfen, schaffen und verbreiten kann, was das "Prinzip Buch" sprengen mag. Ein Buch genauso wie Bühnentexte oder Happenings auf der Straße. Nur das Restaurieren von Orgeln werde ich mir verkneifen müssen.

8 Kommentare:

  1. Allein für den Durchhaltewillen und die hartnäckige Ausdauer in diesem Dschungel gebührt dir ein Ehrenplatz im Amtsschimmelhimmel. Gut gemacht!

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  3. Ups.
    Dann noch mal:
    Viel Glück bei deinem Unterfangen! ;)

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  4. Och, du weißt nicht, was ich so fluche und wie ich mit anderen Künstlern ganz üble Plots beim Rotwein erfinde, was man mit bestimmten Behörden machen müsste ;-)
    Im Prinzip war es die logische Konsequenz, einem jahrelangen Leiden ein Ende zu machen. Ich bekomme nämlich gefühlt einmal jährlich, trotz detaillierter Meldung, ständig Überprüfungen von Amt A, warum ich bei Amt B bin - und umgekehrt. Meine Krankenkasse hat mich bereits zweimal rausgeschmissen, weil man dort keine Ahnung von Künstlern hat. Sie mussten mich dann wieder nehmen und bekamen von der Zentrale eins auf den Deckel ... aber diese Qualen! Dass jemand so unterschiedliche Texte schreibt, dass auch noch Amt C anklopfen könnte, undenkbar!

    Geht leider nicht nur mir als Autorin so, ich kenne einige Bildende Künstler, die aus den Sozialstrukturen dafür austreten und lieber Unternehmer werden, um endlich ihre Kunst so zu machen, wie sie sich das vorstellen ... und auch all die geldwerten Jobs drumherum wie Vorträge, Workshops, die ja ein braver Maler nicht macht ...

    Das System hinkt leider der neuen Zeit völlig hinterher ...

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  5. Und ich dachte immer, die deutsche Bürokratie sei kompliziert ... Ich hatte mich die ganze Zeit schon gefragt, was aus Deiner Verlagsgründung geworden ist. Drück Dir die Daumen, dass das jetzt die Lösung ist und die Politik nicht wieder alles über den Haufen wirft!

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  6. Da, liebe Lydia, greift dann die französische "souplesse" ... was man in 24 Stunden eröffnen kann, kann man auch in 24 Stunden schließen ;-)

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  7. Toll gemacht, liebe Petra, ich schließe mich den Glückwünschen an! Ich glaube nicht mal, dass es bei uns so gehen würde. Selbst die Ich-AGs, die mal für Arbeitslose ins Leben gerufen wurden, werden nur noch gefördert, wenn der Anspruch schon vor 2006 bestand.

    Herzlichst
    Christa

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  8. Liebe Christa,
    da muss ich dir aber widersprechen. In Deutschland gehst du einfach aufs Amt und holst dir für einen Verlag einen Gewerbeschein. Fertig. Geht ratzfatz und kostet keine 30 Euro. Außerdem hast du dort die privilegierte Stellung, Mitglied in der KSK sein zu können und als Freiberufler auch ohne eigenen Verlag arbeiten zu können - in sehr viel mehr Textarten und Betätigungsfeldern als das hier eingegrenzt ist! Du darfst sogar selbst Bücher verkaufen, ohne gleich ein Gewerbe anmelden zu müssen - das ist französischen Schriftstellern verboten.

    Und man gründet ganz gewiss nicht eine Firma, um gefördert zu werden ;-) Im Gegenteil, ich habe jetzt erst mal tüchtig mehr Abgaben, bin aber auch endlich frei in dem, was ich tue. Und darauf kommt mir's an.

    Ich habe inzwischen in meinem Leben in drei Ländern Firmen gegründet gehabt, u.a. eine GmbH in Polen in den 1990ern. Aus dieser Erfahrung heraus kann ich sagen, dass Administration eine weltweite Pest ist ;-)

    Herzlichst, Petra

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