Mittellos zum Weltruhm
Zwischen Armut und Aga Khan
Das größte Gesamtkunstwerk des letzten Jahrhunderts war eigentlich ein Unfall. Kunst braucht Geld - viel Kunst braucht sogar Mäzene. Und da gab es diesen hellen Kopf, der Künstler wie Geldgeber begeistern konnte, der ein zielsicheres Gespür für Talente und Zeitströmungen hatte - und der Kunst über alles liebte. Mit bahnbrechenden Ausstellungen fing er an, versammelte in seiner Kunstzeitschrift "mir isskustva" in Sankt Petersburg führende Experten und Kritiker und führte via Paris die westlichen Europäer an Russland heran. Der Mann, der so viele Künste schätzte, inszenierte außerdem Konzerte und Opern in Moskau, in Paris.
Die Rede ist von Sergej Diaghilew, jenem berühmten Impresario, der Millionen für die Kunst ausgab und selbst sein ganzes Leben lang nur einen einzigen Anzug besessen haben soll. Vielleicht nur eine kleine Legende wie so viele Legenden, die sich um seine Unternehmungen ranken. Denn stets war er eindrucksvoll und elegant gekleidet, wenn er Partys mit dem Aga Khan oder der Marchesa Luisa Casati feierte, oder wenn er mit der berühmten schwulen Runde der Pariser Jeunesse Dorée speiste, zusammen mit Freunden und Bekannten wie Jean Cocteau, Maurice Rostand, Hugo von Hoffmannsthal, Harry Graf Kessler, Igor Strawinsky oder Pablo Picasso. Immer war Diaghilew auf der Suche nach bahnbrechender neuer Kunst, nach jungen Talenten - und vor allem nach Geld.
Die Katastrophe
Plötzlich passierte die Katastrophe. Schon war die Opernsaison geplant, aber noch waren Unsummen zu stemmen. In dem Moment starb ihm sein Hauptmäzen weg. Sergej Diaghilew hatte den Parisern seine russischen Künstler versprochen, die Saison stand vor der Tür. Ein Rückzug war nicht mehr möglich, Oper nicht bezahlbar. Ausgeträumt, der Traum von den schönen Künsten?
"Jetzt erst recht", muss er sich gedacht haben, als er improvisierte - und umdisponierte. Noch gab es eine Kunst, die im restlichen Europa nicht so sehr anerkannt war, die darum vernachlässigt wurde, die vielleicht eher zu bezahlen war. Doch Diaghilew machte keine halben Sachen. Er reiste zurück nach Russland und sammelte die Crème de la Crème um sich. Wenn er Paris zeigen wollte, was Ballett ist, dann nur mit den Stars.
Ein verrückter Traum
Künstler wie Bakst, Benois, Roerich fürs Bühnenbild und die Kostüme, Strawinsky für die Musik und Ballerinen wie die Pawlowa, die Kschesinska und Karsavina - eingekauft im berühmten Sankt Petersburger Mariinsky-Theater. Michael Fokin für die Choreographie und Meister Cecchetti für den Unterricht. Und einer war dabei, ein Tänzer von gerade mal zwanzig Jahren, dem dieses Ereignis zum Schicksal wurde: Vaslav Nijinsky. Künftig größter Tänzer des Jahrhunderts, verehrt als achtes Weltwunder und "Gott des Tanzes", später skandalträchtiger und avantgardistischer Choreograph.
Es hätte alles glatt laufen können. Aber wie das manchmal so ist mit Mäzenen, wollte einer der größten, der Onkel des Zaren, beim Programm und der Rollenvergabe mitreden. Sergej Diaghilew tat das einzig richtige: Er verzichtete auf den Mäzen. Dessen Freunde zogen ihre Gelder ebenfalls zurück. Der Probenraum im Kaiserlichen Theater der Eremitage wurde den russischen Künstlern verschlossen. Mühsam suchten sie sich einen anderen. Denn sie gaben nicht auf, jetzt erst recht! Keiner konnte sich vorstellen, wie diese Saison je über die Bühne gehen sollte.
Der Impresario biss sich durch. Bettelte, suchte und soll sogar irgendwie für jemanden einen Adelstitel verkauft haben. Und dann waren da noch die Freunde in Paris, die russischen Gönner im Ausland. Er und sein Tänzer Vaslav Nijinsky würden nach Frankreich gehen, koste es, was es wolle! Und so zogen sie alle nach Westen, nannten sich fortan die Ballets Russes, wollten das Ballett zur gleichberechtigten Kunst machen und obendrein revolutionieren.
Der Traum macht sich selbstständig
Die Ballets Russes mieteten das Chatelet in Paris und probten bereits während der Umbauarbeiten. Es musste alles sehr schnell gehen, so viel Zeit war durch die Suche nach Ressourcen vergangen. Ob die Premiere des gewagten Unternehmens dann am Freitag oder Samstag stattfand, ist unerheblich. Offiziell war es am 19. Juni 1909 so weit: Das verwöhnte Pariser Publikum zeigte sich begeistert und hingerissen - die Ballet Russes waren geboren, Vaslav Nijinsky wurde weltweit zum Star.
Vor hundert Jahren brach eine Ära an, die es seither nie wieder so gegeben hat: Russland und der Westen befruchteten sich gegenseitig intensiv in Kunst und Kultur; es wurde ein Gesamtkunstwerk geschaffen, das eine Epoche bewegte und völlig veränderte. Die Avantgarde, die mit den Ballets Russes auf der Bühne und hinter den Kulissen mit all den bildenden Künstlern, Schriftstellern, Musikern, Modeschöpfern, Filmemachern und Komponisten entstand, führte Europa künstlerisch von der Belle Epoque in die Moderne.
Weltweit wird das hundertjährige Bestehen der Ballets Russes in diesem Jahr gefeiert. Für Deutschland besonders interessant:
Nachträglich bekommen alte Artikel über die Avantgarde nun das Label "Ballets Russes", damit man sie schneller findet.
Rechts im Menu gibt es aktuelle Einträge in der Linksammlung zum Thema, unter "ballettoman_paris" kann man die gesamte Linkliste abrufen - und als Delicious-User zum eigenen Netzwerk hinzufügen.
Das größte Gesamtkunstwerk des letzten Jahrhunderts war eigentlich ein Unfall. Kunst braucht Geld - viel Kunst braucht sogar Mäzene. Und da gab es diesen hellen Kopf, der Künstler wie Geldgeber begeistern konnte, der ein zielsicheres Gespür für Talente und Zeitströmungen hatte - und der Kunst über alles liebte. Mit bahnbrechenden Ausstellungen fing er an, versammelte in seiner Kunstzeitschrift "mir isskustva" in Sankt Petersburg führende Experten und Kritiker und führte via Paris die westlichen Europäer an Russland heran. Der Mann, der so viele Künste schätzte, inszenierte außerdem Konzerte und Opern in Moskau, in Paris.
Die Rede ist von Sergej Diaghilew, jenem berühmten Impresario, der Millionen für die Kunst ausgab und selbst sein ganzes Leben lang nur einen einzigen Anzug besessen haben soll. Vielleicht nur eine kleine Legende wie so viele Legenden, die sich um seine Unternehmungen ranken. Denn stets war er eindrucksvoll und elegant gekleidet, wenn er Partys mit dem Aga Khan oder der Marchesa Luisa Casati feierte, oder wenn er mit der berühmten schwulen Runde der Pariser Jeunesse Dorée speiste, zusammen mit Freunden und Bekannten wie Jean Cocteau, Maurice Rostand, Hugo von Hoffmannsthal, Harry Graf Kessler, Igor Strawinsky oder Pablo Picasso. Immer war Diaghilew auf der Suche nach bahnbrechender neuer Kunst, nach jungen Talenten - und vor allem nach Geld.
Die Katastrophe
Plötzlich passierte die Katastrophe. Schon war die Opernsaison geplant, aber noch waren Unsummen zu stemmen. In dem Moment starb ihm sein Hauptmäzen weg. Sergej Diaghilew hatte den Parisern seine russischen Künstler versprochen, die Saison stand vor der Tür. Ein Rückzug war nicht mehr möglich, Oper nicht bezahlbar. Ausgeträumt, der Traum von den schönen Künsten?
"Jetzt erst recht", muss er sich gedacht haben, als er improvisierte - und umdisponierte. Noch gab es eine Kunst, die im restlichen Europa nicht so sehr anerkannt war, die darum vernachlässigt wurde, die vielleicht eher zu bezahlen war. Doch Diaghilew machte keine halben Sachen. Er reiste zurück nach Russland und sammelte die Crème de la Crème um sich. Wenn er Paris zeigen wollte, was Ballett ist, dann nur mit den Stars.
Ein verrückter Traum
Künstler wie Bakst, Benois, Roerich fürs Bühnenbild und die Kostüme, Strawinsky für die Musik und Ballerinen wie die Pawlowa, die Kschesinska und Karsavina - eingekauft im berühmten Sankt Petersburger Mariinsky-Theater. Michael Fokin für die Choreographie und Meister Cecchetti für den Unterricht. Und einer war dabei, ein Tänzer von gerade mal zwanzig Jahren, dem dieses Ereignis zum Schicksal wurde: Vaslav Nijinsky. Künftig größter Tänzer des Jahrhunderts, verehrt als achtes Weltwunder und "Gott des Tanzes", später skandalträchtiger und avantgardistischer Choreograph.
Es hätte alles glatt laufen können. Aber wie das manchmal so ist mit Mäzenen, wollte einer der größten, der Onkel des Zaren, beim Programm und der Rollenvergabe mitreden. Sergej Diaghilew tat das einzig richtige: Er verzichtete auf den Mäzen. Dessen Freunde zogen ihre Gelder ebenfalls zurück. Der Probenraum im Kaiserlichen Theater der Eremitage wurde den russischen Künstlern verschlossen. Mühsam suchten sie sich einen anderen. Denn sie gaben nicht auf, jetzt erst recht! Keiner konnte sich vorstellen, wie diese Saison je über die Bühne gehen sollte.
Der Impresario biss sich durch. Bettelte, suchte und soll sogar irgendwie für jemanden einen Adelstitel verkauft haben. Und dann waren da noch die Freunde in Paris, die russischen Gönner im Ausland. Er und sein Tänzer Vaslav Nijinsky würden nach Frankreich gehen, koste es, was es wolle! Und so zogen sie alle nach Westen, nannten sich fortan die Ballets Russes, wollten das Ballett zur gleichberechtigten Kunst machen und obendrein revolutionieren.
Der Traum macht sich selbstständig
Die Ballets Russes mieteten das Chatelet in Paris und probten bereits während der Umbauarbeiten. Es musste alles sehr schnell gehen, so viel Zeit war durch die Suche nach Ressourcen vergangen. Ob die Premiere des gewagten Unternehmens dann am Freitag oder Samstag stattfand, ist unerheblich. Offiziell war es am 19. Juni 1909 so weit: Das verwöhnte Pariser Publikum zeigte sich begeistert und hingerissen - die Ballet Russes waren geboren, Vaslav Nijinsky wurde weltweit zum Star.
Vor hundert Jahren brach eine Ära an, die es seither nie wieder so gegeben hat: Russland und der Westen befruchteten sich gegenseitig intensiv in Kunst und Kultur; es wurde ein Gesamtkunstwerk geschaffen, das eine Epoche bewegte und völlig veränderte. Die Avantgarde, die mit den Ballets Russes auf der Bühne und hinter den Kulissen mit all den bildenden Künstlern, Schriftstellern, Musikern, Modeschöpfern, Filmemachern und Komponisten entstand, führte Europa künstlerisch von der Belle Epoque in die Moderne.
Weltweit wird das hundertjährige Bestehen der Ballets Russes in diesem Jahr gefeiert. Für Deutschland besonders interessant:
- Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle: Tanz der Farben. Nijinskys Auge und die Abstraktion. Mit Leihgaben des großen Nijinsky-Sammlers John Neumeier
- Hamburg Ballett / John Neumeier: große Nijinsky-Gala am 19.5.2009 mit Neumeiers Ballett "Nijinsky" und weitere Vorstellungen als Hommage an die Ballets Russes
- Theatermuseum München (nur noch bis 1.6.!): Schwäne und Feuervögel - Die Ballets Russes
- Bayrische Staatsoper München: Im Oktober 2009 / März+Mai+Juli 2010 Jubiläumsveranstaltungen
Nachträglich bekommen alte Artikel über die Avantgarde nun das Label "Ballets Russes", damit man sie schneller findet.
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