Wenn die Familie durchknallt

Anfangs, in den 1970ern, war ich jung und naiv. Da habe ich welche von denen, über die ich heute schreibe, als Brieffreundschaften gepflegt. Heute bin ich viel älter, erfahrener, aber es hätte auch kein Schnaps geholfen bei dem, was ich gestern erlebt habe. Es geht um das leidige Thema der Katastrophen von 2020, die gefährlichen Zuspitzungen bei den US-Wahlen, die immer auch damit verbandelte Bestrebungen in unseren eigenen Ländern betreffen. Es geht um die Frage, wie lange man Todeskultlern, offen Lügenden, Propagandisten und Demokratieverächtern wirklich zuhören muss - und wann endlich ein reinigendes und schützendes Donnerwetter überfällig wäre. Und was passiert, wenn man merkt, dass Familie voll weggeknallt ist ...

 

Diese von Spinnen umwobene Plastik-Lady-Liberty stand einmal auf dem Gelände eines Russen in Baden-Baden.

 

Zunächst aber möchte ich mich entschuldigen. Bei diesem armen Jahr 2020: Nein, du bist nicht schuld! All der "Unmus" begann schleichend schon vor Jahrzehnten. Wir haben nicht hingeschaut, waren abgelenkt oder haben absichtlich weggeschaut und verdrängt. Irgendwann holt uns jedoch alles ein. Und es wird 2021 nicht von Zauberhand verschwinden. Denn das Problem liegt in uns Menschen, nicht in einem einzelnen Jahr. Bei dem sollten wir uns eher bedanken: Es öffnet uns durch die Konzentration der Ereignisse vielleicht endlich die Augen.

 

Genug Klugschisserei, beginnen wir mit dem Horrortrip. Alle anschnallen!


Als Nachfahrin einer Familie, in der ständig die Koffer gepackt wurden - mal gezwungen, mal in weiser Voraussicht oder einfach auf der Suche nach dem Glück - habe ich auch in den USA Verwandtschaft. Die Geschichte, wie sie 1923 vor dem aufkommenden und damals bereits ahnbaren deutschen Horror nach Cleveland flohen, kann man in meinem Sketchbook in der Brooklyn Art Library nachlesen (mit geänderten Namen). Das ist auch der Grund, warum ich mich so für die Lage in den USA interessiere: Ich hatte durchaus im Hinterkopf, eines Tages in besseren Zeiten das Land mal selbst zu besuchen - und Verwandtschaft ist ja ein beliebtes Netzwerk für so etwas. Manche, die ich in meiner Jugend persönlich kannte, habe ich erst durch die Arbeit am Sketchbook und dank Internet wiederentdeckt, sie hatten inzwischen andere Namen. Dann in den Jahren Trumps abgewartet, aus einem Bauchgefühl heraus - und das war gut so!


Gestern gab mir jemand die Gelegenheit, über sein FB-Account mal wieder bei Facebook "herumzuschnarchen". Der Großteil meiner Familie wohnt in Michigan und Ohio - es wäre doch höchst spannend, wenn ich private Einblicke bekäme, warum so gespalten gewählt wurde? Also legte ich mit meiner Namensliste los.


Und fiel aus allen Wolken. Auch wenn ich nur sah, was öffentlich gepostet wurde, es reichte. Da war ein Cousin dritten oder drölfzigsten Grades, der im Profilfoto vor einem Tischgrill hantierte. Das Hauptfoto zeigte eine öde Wiese, wahrscheinlich war der Mensch einfach gern draußen? Sein Opa, der in meinem Sketchbook eine Hauptrolle als Josef spielt und den ich als Kind selbst noch erlebt habe, sprach immer stolz vom "Professor". Aus dem war etwas geworden, er hatte schon als Kind nächtelang die Sterne angeschaut und dann Astronomie studiert. Universität vom Feinsten, Abschluss vom Feinsten, hatte auch mit der NASA zu tun. Aber irgendetwas war wohl in seinem Leben passiert, dass der Professor seit Jahrzehnten "nur noch" an Highschools unterrichtete.


Irgendetwas Undurchschaubares war passiert, dass er als Wissenschaftler diesen Engelskitsch postete! Ein Retweet. Klebrig süßliches Kitschbild in Babyblau und Prinzesschenrosa mit Glitzergoldgloriolen im Stil von Glanzbildchen. Ein sehr weißer Jesus im Wallenachthemd flog ... vrooooooom ... mit den sehr weißen Füßchen von einer kuschligen Wolke ab, warf Sternchen aus den Fingern, raste zum Bildrand. Man kennt diese Art der Abbildungen von Schlafzimmerbildern aus dem 19. Jahrhundert. Rosa waren übrigens die holden, viel zu jungen, viel zu nackten Maiden, die ihm die Füße küssten, offenbar irgendwelche Hallelujas intonierten und den Betrachter aufriefen ... also ernsthaft aufriefen, das Bild bei Facebook massenhaft zu teilen.


Man stelle sich so einen fetten Barock-Putto vor, der dir sagt: Teil das! Es wird dir zum Paradies gereichen oder was es da als Belohnerle gibt, wenn man pariert. Und wozu das Ganze? Ich muss zu dem Zeitpunkt in hysterisches Gekichere ausgebrochen sein, der Inhaber des Accounts sah besorgt nach mir und verstummte hilflos. So etwas hatte auch er noch nicht gesehen.


Dieser 19.-Jhdt-Tschiehsäs mit den Engeln aka leichtbekleideten Minijungfrauen (was durchaus üble Assoziationen auslöste), flog directly zu ... ganz genau. Dem angeblich "Gebenedeiten", der Erlöserfigur im ach so weißen weißen Haus. Weil der aber außerhalb des Bildrands wartete, um vom Segen getroffen zu werden, sollte man also das Bild massenhaft teilen. Dann, so versprach der Guru und Rattenfänger am anderen Ende, erst dann würde die göttliche Energie frei werden und directly, vroooooom, von den blütenweißen Händchen zu Mr Orange fliegen. Sich wahrscheinlich auf dessen Weste niederlassen. Dessen Paschehändchen sind ja zu klein zum Fangen. Wer gestern mitbekam, wie die halb weggetretene "religiöse Beraterin" von Trump per Video in Zungen faselte und schimpfte und krachte: Das ist kein Einzelfall. Die sind so.

 

Nicht genug des Brimboriums, an das Kinderseelen ja durchaus glauben können - es wurde gleich schwarzgemalt. Die duhuhuuuunklen Mächte nämlich würden den wunderbaren *Würx* seit Jahren bedrohen und jetzt sei es Zeit für Armaggedon und Gedöns. Übersetzt heißt das: Faschismus pur. Nur eben amerikanisch-evangelikal verkleidet. Süßlich bis zum Erbrechen. Wirkezauberbildchen für die Netzwerke eines Zuckerberg, der selbst allzu süßlich-tolerant auf extremistische Propaganda reagiert. Er bekleckert sich auch derzeit nicht mit Ruhm, was den Schutz von Demokratie angeht. Aber er speist ja auch mit der Zielperson.


Das also war der Professor. Auch hochintelligente Menschen driften ab. So einer unterrichtet die Jugend. So einer glaubt an Zauberbildchen weiß-männlich-rechtsradikaler Aufwiegler, die einem Todeskult anhängen, der nichts anderes will als Macht, Herrschaft und die Vernichtung von allem, was nicht zu ihrer Denke passt - von Andersdenkenden bis hin zur Natur, die einem Profit im Wege steht. Wenn sie doch nur kindhaft an einen Segen aus Bits & Bytes glauben würden! Aber sie instrumentalisieren Jesus als Vernichtungsmaschine und machen aus ihm einen faschistischen Möchtegernheros, der seine Anhängerschaft braucht, um wirksam zu werden. Seine Großeltern würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie davon wüssten. Die waren genau vor diesem Horror in die USA geflohen und hatten ihm erst ein Leben in der Freiheit ermöglicht.

 

Ich hätte zu dem Zeitpunkt schon den ersten Schnaps gebraucht. Bei den Kindern seiner Generation musste ich zweimal hinschauen und sogar googeln. Weil ich es einfach nicht fassen konnte. Mein Verstand ist offenbar zu klein, um all das zu fassen.


Der Typ mit dem riesigen Maschinengewehr in der Hand (weiß der Teufel, was für eine Kriegswaffe das war) und der Tarnklamotte ließ sich wenigstens eindeutig zuordnen. Er war nicht etwa zufällig gerade bei der Armee, er trug das beim Grillfest mit der Familie und da lächelten sie alle Cheeeeeeese und schwenkten Maga-Fähnchen. "What a good-looking man you are", schrieb ihm ein Tantchen. Wir würden bei uns eher die Straßenseite wechseln, wenn so ein abgef*ckter Typ daherkäme. Seine Familie war zuckernett und quietschesüß, man bewarf sich gegenseitigen mit nichtssagenden Flötentönen von "lovely" bis "amazing", für eigentlich nichts.


Aber halt ... man befand sich ja im gerechten Kampf. Ich konnte vor meinem geistigen Auge die Postings sehen, die privat waren - da tauschten sie sich wahrscheinlich kennerhaft über die diversen wehrhaften "Gartengeräte" aus, mit denen man da posierte. Öffentlich kam nur durch, dass man jetzt härtere Hilfen brauche, um den derzeitigen Präsidenten angemessen zu "verteidigen". Aber in den Likes fand sich immer wieder jener "Gartenmarkt" namens NRA und ähnlich Übles.


In dieses Horn stieß auch ein anderer Verwandter. In der Öffentlichkeit immer auf Wörter bedacht, oft zweideutig formuliert. Die wissen ja, was sie tun, geben sich oft nur dumm - auch das ist Teil der Strategie. Und der berichtet dann am Wahlabend, wie in seinem Stadtviertel angeblich überall Feuer und Vandalismus und "riots" ausgebrochen seien, angeblich von den ach so bösen feindlichen Demokraten. Ob er da was verwechselt hatte? Ich googelte mir einen Wolf, fand sogar Live-Cams und nur Schwärze, dunkle, friedliche Nacht, niemand auf der Straße. Der Kerl log schlichtweg gnadenlos, transportierte die Lügen eines Trumps und seiner Anhänger via Facebook weiter. Auch in den anderen Postings entstanden Bilder eines Weltuntergangs, der laut seiner Lügen von allen demokratischen und freiheitlichen Kräften ausging, den Medien, den Schwulen und Lesben und Schwarzen und wen er alles so beschuldigte in seinem Potenzwahn.


Äußerlich ein kleines aufgeblasenes Würstchen wie viele dieser Sorte, aber eben schweinsgefährlich und bis an die Zähne bewaffnet. Und warum man zu Recht über diese Kreise sagt, sie seien von weißen Männern getrieben: Die Frauen schweigen. Ähnlich wie beim religiös umwölkten Professor hielten die sehr genau ihre Rollenspielchen ein. Als Muttertier (anders kann man die Sicht dieser Rolle nicht beschreiben). Als diejenigen, die diesen Männern den Rücken freihalten, sie bestärken, sie bejubeln. Wenn sie was tun, dann dient es den Männern. Wenn sie was äußern, macht es diese groß. Sie sind zuständig für die Vermehrung solcher Clans, sie kaufen die Riesensteaks für die Kerle am Grill und womöglich die Munition für ihre Waffen. Von ihnen kommen das Amazing und Lovely und die Kuchen.


Und da rutschen andere Familienväter mit rein. Ein eigentlich netter, der aber höchst besorgt nach den Feuern im Stadtteil fragt und nun auch Angst hat um sein sauer erschuftetes Häuschen. Es ist wie in Hollywoodschnulzen der Betaklasse, wo ein Alien / Irrer / Angreifer auf Hütte und Familie losgeht. Da zünden die Cowboy-Emotionen sofort, da kennt der Amerikaner nix. So einfach werden Alien / Irrer / Angreifer ersetzt durch Schwarze / Demokrat:innen / Intellektuelle/r / Journalist:innen / selbstständige Frauen ... und druff. Wozu noch nachdenken, ob es die angeblichen "Aufstände" und den "Mob" wirklich gegeben habe: Der Präsident twittert doch ständig davon! "Der muss es doch wissen" ...


Und plötzlich müssen sie nicht nur ihr Häuschen und ihre Familie schützen, sondern auch noch den Mann im Weißen Haus, weil der doch wissen muss, wovon er redet, weil der doch durch Fox News die Bilder dazu bekommt und durch Breitbart die Propaganda. Für solche gerät der erlogene Brand zur nationalen Brandstiftung, zu einer Art Kriegserklärung.

 

Ich dachte gestern, ich würde bereits das Schlimmste sehen, was in Familien möglich ist. Dieses Aufpeitschen durch die Blume, das im privaten Bereich sicher unverblümt laut wird. Da wusste ich noch nichts davon, dass der Trumpsohn öffentlich zum "Totalen Krieg" gegen die Wahl, gegen die Demokraten aufruft. Bei uns wäre die Familie längst der Volksverhetzung schuldig. Das ist der Aufruf zu einem faschistischen Putsch. Nicht mehr und nicht weniger. Sein Vater hatte die entsprechende Lektüre auf seinem Nachttisch, schrieb Vanity Fair.


Während man hierzulande oft noch glaubt, solchen Weltzerstörern Sendezeit geben zu müssen, ihnen ja ach so sehr zuhören zu müssen, womöglich noch mit solchen zu reden, handeln amerikanische Fernsehsender. Trump wurde während seiner Pressekonferenz schlicht ausgeblendet und man erklärte, warum was wie gelogen war. Ein Steve Bannon wurde endlich von Twitter komplett gebannt, nachdem er barbarische Mordaufrufe per Video verbreitete, wie man sie sonst nur vom IS kennt. Die ideologischen Strukturen solcher Todeskulte ähneln sich!


Was ich sonst fand, las sich eher traurig. Die einzig vernünftig scheinende Frau hat ein paar Tausend Kilometer zwischen sich und die Familie gebracht. Unter ihren FB-Freunden tauchen die obengenannten nicht auf. Aber da taucht auch die eigenen Tochter nicht auf, die mit einem Soldaten verheiratet ist und ganz schlimme militärische Maga-Spruchbildchen teilt. Selbst im Olivgrün sabbert das Süßliche, werden Kerzen entzündet und Gebete gepostet und ganz sicher auch Waffen gesegnet. Die andere Tochter - mit der taucht sie auch auf Fotos auf. Die hat Verwandtschaft, die international ist. Eine Schwägerin aus Indien. Freundinnen und Freunde unterschiedlicher Hautfarben.


Der Bruch, der unüberwindbare Abgrund, ist sichtbar bei FB-Freundschaften, er verläuft quer durch Familien: Mütter und ihre Kinder, Geschwister, Eingeheiratete, Enkel und Großeltern - sie haben sich nicht mehr nur nichts mehr zu sagen, sie kämpfen nicht selten mit Hetze, Gewalt und wenn es sein muss mit Waffen gegen das eigene Fleisch und Blut, wie es so schön heißt. Es hat auch keinen Sinn mehr zu reden. Derart Fanatisierte, solche Extremisten holen allenfalls Fachleute von Aussteigerprogrammen und Sektenberatungsstellen heraus. Dazu braucht es Fachwissen. Und den Willen auf der Gegenseite.


Ich für meinen Teil bin froh, dass ich nie wieder Kontakt aufgenommen hatte. Ich kann mir das gut von Ferne anschauen. Bin froh, dass die Generation nicht mehr lebt, die so Schlimmes auf sich nehmen musste, damit diese Leute in Freiheit leben, in Meinungsfreiheit nun solche Töne spucken. Die Alten hätten das nicht ausgehalten.


Ich bin froh, dass Verwandtschaft eben nicht allein durch Fleisch oder Blut definiert wird. Echte Nähe, echtes Familiensein muss man sich nämlich erst mal verdienen. Und da zählen Verwandtschaften im Geiste viel stärker. Würde ich je in die USA reisen, um mir das Land einmal anzusehen, ich wüsste, wen ich womöglich gern treffen würde. Solche Familienmitglieder sind es nicht.


Und hätte ich jetzt ein Wünschebildchen, das ich teilen könnte, weil es zaubert, dann würde es weitere vier Jahre mit diesem inzwischen komplett weggeknallten Möchtegerndiktator und Dauerlügner tunlichst verhindern. Es wäre nicht auszudenken, was dieser inzwischen völlig enthemmte Radikale an nicht mehr gutzumachendem Schaden in der Welt und der Natur anrichten würde. Es sollte uns eine Lehre sein: Solche Menschen gibt es auch bei uns - und sie verfolgen die gleichen Pläne. Wir müssen ihren Hassauftritten keine Sendezeit schenken, die verwenden wir besser für Einordnungen, Erklärungen. Wir müssen nicht mit Durchgeknallten reden, die uns eh als Feinde betrachten. Investieren wir unsere Energie besser in die Netzwerke der Vernünftigen, der Menschen, die diese Erde und unsere zivilisatorischen Errungenschaften bewahren wollen. Lassen wir es nicht so weit kommen wie in den USA. Es ist nicht das Jahr 2020 schuld - das sind ganz allein wir Menschen.

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